Spruch:
Dem Antrag des Alfred V***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO wird Folge gegeben.
Es werden das Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21. Februar 1997, GZ 9 c E Vr 13.248/96-21, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach § 209 StGB und im Strafausspruch sowie das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 22. Mai 1997, AZ 23 Bs 159/97 (ON 30) aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur Erneuerung des Verfahrens an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21. Februar 1997, GZ 9 c E Vr 13.248/96-21, das auch Freisprüche enthält, wurde Alfred V***** des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach § 209 StGB (A.) sowie des Vergehens der Unterschlagung nach § 134 Abs 1 StGB (B.) schuldig erkannt und zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
Demnach hat er, soweit hier von Bedeutung (A.), ca Mitte November 1996 in Wien mit dem am 1. Dezember 1981 geborenen Gerard L***** durch Vornahme eines Mundverkehrs gleichgeschlechtliche Unzucht getrieben.
Der dagegen vom Angeklagten, der den Schuldspruch laut Punkt B. unbekämpft ließ, erhobenen Berufung gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 22. Mai 1997, AZ 23 Bs 159/97 (ON 30), nicht Folge. Nach Ablauf der mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22. März 2000 im Verfahren AZ 1 d E Vr 1521/00 auf fünf Jahre verlängerten Probezeit wurde die Strafe mit Beschluss dieses Gerichtes vom 1. August 2002, GZ 9 c E Vr 13.248/96-37, endgültig nachgesehen.
Mit Erkenntnis vom 9. Jänner 2003 (Lausch und Vasat gegen Österreich, Applikations nos. 39392/98 und 39829/98) stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine in der Verurteilung wegen § 209 StGB (Schuldspruch A.) gelegene Verletzung des Art 14 iVm Art 8 EMRK fest, weil die in der Strafbestimmung normierte Beschränkung der Strafbarkeit sexueller Kontakte auf nur (männliche) homosexuelle Partner sachlich nicht gerechtfertigt sei und außerdem das Recht auf Achtung des Privatlebens verletze.
Unter Bezugnahme auf dieses Urteil beantragte Alfred V***** gemäß § 363a StPO die Erneuerung des Strafverfahrens.
Rechtliche Beurteilung
Ausgehend von der bezeichneten Entscheidung des EGMR sind die Voraussetzungen für die Erneuerung des Strafverfahrens gegeben:
Die Bestimmung des § 209 StGB wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. Juni 2002 (G 6/02) unter Fristsetzung bis 28. Februar 2003 als verfassungswidrig aufgehoben. Durch das am 14. August 2002 in Kraft getretenen Strafrechtsänderungsgesetz 2002, BGBl I 2002/134, wurde die Strafbestimmung des § 209 StGB beseitigt. Der neu eingeführte § 207b StGB pönalisiert unter bestimmten, hier nicht erfüllten Voraussetzungen sexuellen Missbrauch von Jugendlichen. Zur Anwendbarkeit dieser Strafbestimmung normiert die Übergangsbestimmung (Art X), dass nach Aufhebung des Urteils erster Instanz unter anderem infolge Erneuerung des Strafverfahrens im Sinn der §§ 1 und 61 StGB vorzugehen ist.
Weil die Konventionsverletzung einen für den Verurteilten, dessen neuerliche Bestrafung wegen des in Rede stehenden Verhaltens nach dem Gesagten nicht mehr in Betracht kommt, nachteiligen Einfluss auf den Inhalt der strafgerichtlichen Entscheidung ausübt (§ 363a Abs 1 StPO) und nicht dem - mit dem Straffall bisher nicht befassten - Obersten Gerichtshof zuzurechnen ist, war in Stattgebung des Erneuerungsantrages und in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Beratung gemäß § 363b Abs 3 StPO wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden (vgl Reindl, WK-StPO § 363c Rz 8).
Bei der Strafneubemessung im Hinblick auf den unberührten Schuldspruch wird das Verschlechterungsverbot (§ 363b Abs 3 letzter Satz StPO, vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 43 ff) zu beachten sein. Davon unabhängig ist, dass die Probezeit einer im erneuerten Verfahren bedingt nachgesehenen Strafe nicht von neuem zu laufen beginnt (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 55).
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