OGH 9ObA24/04a

OGH9ObA24/04a9.6.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Dr. Herbert Stegmüller als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Alfred S*****, Elektriker, *****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer ua, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Graz, wegen EUR 18.084,76 brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. Oktober 2003, GZ 7 Ra 74/03m-21, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. April 2003, GZ 30 Cga 65/02s-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.000,98 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 166,83 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger, der die vierjährige Fachschule für Elektrotechnik und Leistungselektronik (ohne Matura) absolviert hat, war bei der Beklagten als Betriebselektriker beschäftigt. Im verfahrensgegenständlichen Zeitraum war er für die gesamte Lehrlingsausbildung der Beklagten zuständig, wobei er auch die damit verbundenen administrativen Arbeiten verrichtete.

Die Beklagte verfügt über eine eigene Lehrlingsausbildungsstätte mit Platz für acht Lehrplätze. Der Kläger war sowohl am dreistufigen Aufnahmeverfahren (Schnupperlehrzeit, Gespräch, Prüfung) als auch an der Ausbildung der Lehrlinge aktiv beteiligt. Bei der Aufnahme oblag ihm die Vorselektion der 30 bis 50 Interessenten, mit denen er die Schnupperlehre und die Prüfung durchführte. Auf dieser Grundlage präsentierte er dem Werksleiter, dem die Letztentscheidung oblag, ca 20 Bewerber. Die Beklagte stellte jährlich 6 oder 7 Lehrlinge ein; durchschnittlich sind bei ihr 22 bis 24 Lehrlinge tätig. Zur Erledigung seiner mit der Lehrtätigkeit verbundenen Aufgaben stand dem Kläger ein Büro zur Verfügung; der notwendige Briefverkehr wurde teils über Diktat des Klägers, teilweise nach seinen Instruktionen erledigt. Der Kläger erstellte in jedem Jahr auf Grund der Vorgaben des Werksleiters einen Lehrplan. Das von ihm entwickelte Lehrkonzept diente dem Zweck, der Beklagten künftig gut ausgebildete Mitarbeiter zu verschaffen. In der Zeit der Grundausbildung veranstaltete der Kläger Vorlesungen, die sich am Stoff der Berufsschule orientierten. Er konzipierte auch wöchentliche Hausaufgaben und korrigierte die Arbeiten der Schüler. Dazu kamen von ihm zusammengestellte Tests in einzelnen Fächern - etwa in technischer Mathematik - die die Lehrlinge in der Grundausbildungszeit ein bis zweimal zu absolvieren hatten. Der Kontakt zwischen der Beklagten und der Berufsschule erfolgte ausschließlich durch den Kläger. In der Grundausbildung fertigte jeder Lehrling gemeinsam mit dem Kläger rund zwanzig Werkstücke an, wobei der Kläger auch manuell tätig wurde. Die Werkstücke wurden nicht betrieblich verwendet. Die theoretische Ausbildung fand - abgesehen von der Berufsschulzeit - in einem eigenen Hörsaal der Beklagten in der Dauer von etwa zwei Stunden täglich statt und kam sowohl den Schnupperlehrlingen als auch den anderen Lehrlingen zugute. Sie umfasste technische Mathematik, wie etwa das gemeinsame Berechnen von Blechen, darstellende Geometrie, Übungen in der Normschrift, Konzipieren von Schaltplänen, Materialkunde und der Vermittlung gesetzlicher Vorschriften. Der Kläger hatte auf der Basis der vom Werksleiter vorgegebenen Rahmenbedingungen die Oberaufsicht über alle Lehrlinge und war deren erster Ansprechpartner. Ihm oblag die betriebsinterne Zeiteinteilung und die Koordination der gesamten Lehrlingsstationen. Während der sechsmonatigen Lehrlingsausbildungszeit verrichtete der Kläger auch zusätzliche Arbeiten (zB Brandmelderwartung oder Staplerfahren) auf der Basis von Überstunden oder Zeitausgleich. In der ausbildungsfreien Zeit wurde er mit Wartungs- und Reparaturarbeiten oder mit der Prüfmittelüberwachung beschäftigt. Im Sommer wurde er auch aushilfsweise in der Produktion eingeteilt. Insgesamt war er mit etwas weniger als 70 % seiner jährlichen Arbeitszeit mit der Lehrlingsausbildung beschäftigt. Zwischen den Parteien ist strittig, ob der Kläger Angestellter oder Arbeiter war bzw - falls er Angestellter war - wie er nach dem unter dieser Voraussetzung anzuwendenden Rahmenkollektivvertrag für Angestellte der Industrie (in der für die Angestellten des Metallbereiches geltenden Fassung) einzustufen war. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass der Kläger Angestellter war und dass er innerhalb des unter dieser Voraussetzung anzuwendenden Rahmenkollektivvertrags für Angestellte der Industrie in die "Gruppe Meister" und in dieser in die Verwendungsgruppe M II einzustufen war. Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodass es ausreicht, auf die Richtigkeit der ausführlichen Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Nach § 1 Abs 1 AngG gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes für das Dienstverhältnis von Personen, die im Geschäftsbetrieb eines Kaufmannes vorwiegend zur Leistung kaufmännischer (Handlungsgehilfen) oder höherer, nicht kaufmännischer Dienste oder zu Kanzleiarbeiten angestellt sind. Für höhere, nicht kaufmännische Dienste wird eine größere Selbständigkeit und Denkfähigkeit, höhere Intelligenz, Genauigkeit und Verlässlichkeit sowie die Fähigkeit der Beurteilung der Arbeiten anderer, Aufsichtsbefugnis sowie überwiegend nicht manuelle Arbeiten und eine gewisse Einsicht in den Produktionsprozess (Arbeitsablauf) gefordert, wobei betont wird, dass auch diese Kriterien bloße Indizien sind und keineswegs im Einzelfall zur Gänze vorliegen müssen. Als höhere Dienstleistung kommt jede Arbeit in Betracht, die - ohne dass gerade ein bestimmter Studiengang vorausgesetzt wird - doch in die Richtung der Betätigung entsprechender Vorkenntnisse gehen und Schulung, Vertrautheit mit den Arbeitsaufgaben und eine gewisse fachliche Durchdringung derselben verlangt, also nicht rein mechanisch ausgeübt wird und nicht von einer zufälligen Ersatzkraft geleistet werden kann. An den Begriff der höheren, nicht kaufmännischen Dienste darf aber kein unverhältnismäßig strengerer Maßstab angelegt werden, als an den der kaufmännischen Dienste (8 ObA 200/00w; SZ 71/106; RIS-Justiz RS0028051 und RS0027992). Werden Mischtätigkeiten verrichtet (höhere nicht kaufmännische und nicht in dieser Richtung qualifizierte Arbeiten), dann entscheidet im allgemeinen das zeitliche Überwiegen. Hat jedoch die höher qualifizierte Tätigkeit für den Arbeitgeber die ausschlaggebende Bedeutung, ist - unabhängig vom Ausmaß der qualifizierten Tätigkeit - dieser Umstand - entscheidend (9 ObA 242/93; 9 ObA 165/94; 9 ObA 17/95m ua).

Die Rechtsauffassung der zweiten Instanz steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang. Die dagegen in der Revision vorgebrachten Beispiele aus der Rechtsprechung sind mit der Tätigkeit des Klägers nicht vergleichbar. Zu Recht hat das Berufungsgericht vor allem auf seine Unterrichtstätigkeit verwiesen, zu der aber eine Reihe von anderen Aufgaben treten (ua auch Prüfungs-, Aufsichts- und Koordinationstätigkeiten; Erstellung des Lehrplans, Mitverantwortung im Aufnahmeverfahren), die die Wertung der zweiten Instanz rechtfertigen.

Im Zusammenhang mit der Einstufung des Klägers bestreitet die Beklagte nicht mehr, dass die Ablegung der Meisterprüfung kein zwingendes Kriterium für die von ihm gewünschte Einstufung darstellt. Sie weist selbst darauf hin, dass unter M II auch Meister fallen, die - anders als der Kläger - keinen Fachschulabschluss haben. Allerdings meint sie, dass sich der Kläger für seinen Standpunkt ausschließlich auf seinen Fachschulabschluss berufen könne, was allenfalls zu einer Einstufung nach M I, nicht aber zur vom Kläger gewünschten Einstufung führen könne. Dem ist jedoch nicht zu folgen: Die dazu in der Revision vorgetragenen Argumente über die Tätigkeit des Klägers werden den Feststellungen der Vorinstanzen nicht gerecht; seine besonderen Aufgabenbereiche, vor allem seine Aufgaben im Bereich des Aufnahmeverfahrens und der Ausbildung und insbesondere seine Lehr- und Prüfungstätigkeit, bleiben völlig unerwähnt.

Zu einer vergleichbaren kollektivvertraglichen Regelung hat der Oberste Gerichtshof in Arb 7297 ausgeführt, dass in die Verwendungsgruppe M II jene Meister einzustufen sind, die ihre Arbeiten zwar nach allgemeinen Weisungen, aber weitgehend selbständig, verantwortungsvoll und auf Grund besonderer Fachkenntnisse ausüben. Diese Überlegungen können auch für die hier zu treffende Entscheidung nutzbar gemacht werden.

Der Beklagten ist zuzugestehen, dass die Verantwortung für die Ausbildung eines Lehrling (oder allenfalls auch mehrerer Lehrlinge) für sich allein im Allgemeinen nicht zur hier von der zweiten Instanz angenommenen Einstufung führen kann. Der hier zu beurteilende Fall ist jedoch besonders gelagert, weil der Kläger nicht nur für die Ausbildung einzelner Lehrlinge sondern für ein komplexes Ausbildungssystem Verantwortung trug und dabei weitgehend selbständig, verantwortungsvoll und unter Einsatz besonderer Fachkenntnisse tätig war. Dass er dabei auf Grund allgemeiner Vorgaben des Werksleiters tätig wurde, steht im Sinne der zitierten Vorentscheidung der von ihm gewünschten Einstufung nicht entgegen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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