OGH 12Os44/04

OGH12Os44/0427.5.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Mai 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Pröstler-Zehetmaier als Schriftführer, in der Strafsache gegen Alfred T***** wegen des Vergehens nach § 27 Abs 1 sechster Fall SMG, AZ 29 U 209/03a des Bezirksgerichtes Salzburg, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 10. November 2003, AZ 43 Bl 187/03 (ON 22 der U-Akten), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators Generalanwältin Mag. Fuchs, des Verteidigers Dr. Essl, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 10. November 2003, AZ 43 Bl 187/03 (GZ 29 U 209/03a-22 des Bezirksgerichtes Salzburg), verletzt das Gesetz in § 149c Abs 3 zweiter Satz StPO. Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird dieses Urteil aufgehoben und dem Landesgericht Salzburg aufgetragen, über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 2. Juli 2003, GZ 29 U 209/03a-11, neuerlich zu entscheiden.

Text

Gründe:

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Salzburg wurde im (ausschließlich) gegen Herbert S***** wegen Verdachts nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 zweiter Fall SMG strafbaren Handelns geführten Verfahren AZ 27 Ur 114/02a des Landesgerichtes Salzburg mit dem (von der Ratskammer am 29. August 2002 genehmigten) Beschluss der Untersuchungsrichterin vom 26. August 2002 (ON 3 und 4 der Ur-Akten) die Überwachung des Fernmeldeverkehrs einschließlich der Aufnahme und Aufzeichnung seines Inhaltes hinsichtlich zweier Mobiltelephonanschlüsse des Herbert S***** gemäß § 149a Abs 1 Z 2 lit a StPO (idF BGBl Nr 526/1993) angeordnet. Laut Beschlussbegründung war Herbert S***** zufolge kriminalpolizeilicher Ermittlungen des "regen Handels mit Suchtgift" dringend verdächtig. Er soll während eines unter anderem wegen §§ 28 Abs 2, Abs 3 und Abs 4 Z 3 SMG anhängigen anderen Strafverfahrens "in den letzten 14 Tagen" mehrmals jeweils bis zu 50 Gramm Heroin bezogen und dieses sowie Kokain und große Mengen suchtgifthältiger Medikamente verkauft haben. Die Überwachung erschien der Untersuchungsrichterin und der Ratskammer zur weiteren Aufklärung dieser Vorwürfe gegen Herbert S***** sowie "insbesondere zur Ausforschung der Mittelsmänner, Kuriere und Abnehmer" von erheblicher Bedeutung.

Auf Grund dieser gerichtlichen Entscheidung wurden Gespräche des Herbert S***** mit Alfred T***** sowie mit einem Kriminalbeamten überwacht und aufgezeichnet, die darauf hinweisen, dass Herbert S***** bei ihm am 28. August 2002 sichergestelltes Cannabisharz am 27. August 2002 von Alfred T***** erhalten haben könnte. Dieses Ermittlungsergebnis führte zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen Alfred T***** zunächst beim Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Salzburg wegen des Verdachtes nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG (in eventu § 27 Abs 1 und Abs 2 Z 2 erster Fall SMG - S 1b, 1n) strafbaren Handelns. Letztlich wurde Alfred T***** im Verfahren AZ 29 U 209/03a des Bezirksgerichtes Salzburg mit dem Antrag auf Bestrafung der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 28. Februar 2003 vorgeworfen, am 27. August 2002 in Salzburg den bestehenden Vorschriften zuwider ca 121 Gramm Cannabisharz, mithin ein Suchtgift, Herbert S***** durch Verkauf überlassen und hiedurch das Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster Fall SMG begangen zu haben (ON 7).

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 2. Juli 2003, GZ 29 U 209/03a-11, wurde Alfred T***** aus Beweisgründen gemäß § 259 Z 3 StPO von diesem Vorwurf freigesprochen.

In Stattgebung der dagegen gerichteten Berufung der Staatsanwaltschaft Salzburg wegen des Ausspruches über die Schuld (ON 14) hob das Landesgericht Salzburg mit Urteil vom 10. November 2003, AZ 43 Bl 187/03 (ON 22), das freisprechende Erkenntnis des Bezirksgerichtes Salzburg nach Beweiswiederholung (§ 473 Abs 1 und Abs 2 StPO) auf, erkannte Alfred T***** des Vergehens nach § 27 Abs 1 sechster Fall SMG (begangen am 27. August 2002 in Salzburg durch Überlassen von ca 121 Gramm Cannabisharz an Herbert S*****) schuldig und verurteilte ihn zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe. Die den Schuldspruch tragenden Feststellungen stützte das Berufungsgericht (US 4 ff) neben den Zeugenaussagen zweier Kriminalbeamter insbesondere (US 5, 7) auf den Inhalt einer Tonbandkassette, auf welche die aufgenommenen Telephongespräche des Herbert S***** mit Alfred T***** und mit einem der erwähnten Polizisten übertragen worden waren (ON 19) sowie auf die bezughabenden schriftlichen Aufzeichnungen ("Audioprotokolle" ON 3). Zur Verwertung der im Zuge der Überwachung der Telekommunikation des Herbert S***** erlangten Ergebnisse im Verfahren gegen Alfred T***** führte das Berufungsgericht aus (US 8 f):

"Da im gegenständlichen Fall die Überwachung des Telefonanschlusses des Herbert S***** auch zur Ausforschung der Mittelsmänner des Genannten angeordnet wurde und es sich vor allem nach Ansicht des Berufungssenates bei der Anlieferung des Suchtgiftes an einen Suchtgifthändler nicht um eine andere strafbare Handlung als jene, die Anlass der Überwachung war, also um keinen Zufallsfund handelt, ist die Verwertung der Überwachungsergebnisse im Verfahren gegen den Angeklagten zulässig gewesen, weil die Überwachung (nach der Aktenlage) im Verfahren gegen Herbert S***** auch rechtmäßig angeordnet und durch sie kein gesetzlich geschütztes Umgehungsverbot verletzt wurde, wobei zudem das Strafverfahren gegen den Angeklagten ursprünglich auch in Richtung einer Verdachtslage nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG geführt wurde."

Rechtliche Beurteilung

Diese Ansicht des Berufungsgerichtes steht - wie der Generalprokurator in seiner gemäß §§ 33 Abs 2, 292 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Anlass für die durch richterliche Anordnung legalisierte - mit einem Eingriff in die Grundrechte des Fernmeldegeheimnisses nach Art 10a StGG und der Privatsphäre nach Art 8 EMRK verbundene - Überwachung des Fernmeldeverkehrs war die Aufklärung des in der Vergangenheit gelegenen, in den Beschlüssen der Untersuchungsrichterin und der Ratskammer gemäß § 149b Abs 2 vierter Fall StPO näher konkretisierten und als strafbare Handlung nach § 28 Abs 2 SMG subsumierten Suchtmittelhandels (als historischer Sachverhalt) durch den - allein in Verfolgung gezogenen - dringend tatverdächtigen Inhaber der Fernmeldeanlagen Manfred S*****, nicht aber die dazu notwendigerweise konnexen Verdachtsmomente gegen "Mittelsmänner, Kuriere und Abnehmer", die mangels entsprechender Anträge zu diesem Zeitpunkt nicht - etwa als unbekannte Täter - der gerichtlichen Verfolgung unterfielen (§ 2 Abs 1 StPO).

Die Wortfolge "strafbare Handlungen" im zweiten Satz des § 149c Abs 3 StPO (in der zur Zeit der Rechtsmittelentscheidung geltenden und daher relevanten (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 203) Fassung nach BGBl Nr I 134/2002) spricht nicht eine normative Kategorie, sondern ihre konkrete Begehung (hier durch den bekannten Tatverdächtigen) an, also die diesen strafbaren Handlungen subsumierbaren Taten, weil Gegenstand der Beweisführung (auch durch Überwachen der Telekommunikation) stets nur die "Tat" als historisches Ereignis sein kann, die daraufhin zu untersuchen ist, ob sie der bestimmten normativen Kategorie einer strafbaren Handlung (also eines tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens, das auch allfälligen zusätzlichen Voraussetzungen für die Strafbarkeit genügt) unterstellt werden kann (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 209, ders in WK² Vorbem zu §§ 28-31 Rz 1).

Soweit die in Rede stehende Überwachung des Fernmeldeverkehrs von der Anordnung nicht umfasste Verdachtsmomente - etwa gegen die im Beschluss genannten "Mittelsmänner, Kuriere und Abnehmer" oder Herbert S***** selbst oder die hier relevante, Alfred T***** angelastete Tat betreffend - ergab, war die Verwendung dieser Ergebnisse, die entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes nicht kongruent mit dem Anlass der Überwachung sind (war doch ein Verfahren nur gegen S***** eingeleitet) und daher sogenannte "Zufallsfunde" darstellen (vgl RV 924 BlgNR XVIII. GP, 24 zum Strafprozessänderungsgesetz 1993), nur unter den Kautelen des § 149c Abs 3 StPO (§§ 468 Abs 1 Z 3, 281 Abs 1 Z 3 StPO) zulässig. Sie durften demnach nur zum Schuldnachweis von Taten dienen, die eine mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte strafbare Handlung begründen und daher selbst (wäre der Verdacht in seiner gesetzlich geforderten Ausformung von vornherein vorgelegen) eine rechtmäßige Anordnung der Überwachung der Telekommunikation erlaubt hätten. Da dies beim vom Berufungsgericht zu beurteilenden - dem mit nicht mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe bedrohten Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster Fall SMG subsumierten - Tatvorwurf gegen Alfred T***** nicht zutrifft, war die Verwendung der aus der Überwachung des Fernmeldeverkehrs im Verfahren ausschließlich gegen Herbert S***** herrührenden belastenden Ergebnisse im Verfahren gegen Alfred T***** gemäß § 149c Abs 3 zweiter Satz StPO nicht zulässig. Dass die Vorerhebungen gegen Alfred T***** ursprünglich - wenngleich nach der Überwachung des Fernmeldeverkehrs - wegen des Verdachtes nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG strafbaren Handelns geführt wurden, ist nur insoweit bedeutsam, als dies gemäß § 149c Abs 2 StPO eine gesonderte Übertragung der diese Anschuldigung begründenden Teile der Abhörungsergebnisse (als Grundlage an sich zulässiger weiterer Erhebungen aus Anlass des durch die Überwachung der Telekommunikation gewonnenen Verdachtes - RV 924 BlgNR XVIII. GP, 25) erlaubte. Da die Verurteilung des Alfred T***** auch auf die spruchgemäß festzustellende Gesetzesverletzung gegründet wurde, war sie aufzuheben und dem Landesgericht Salzburg als Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft - auf der Basis der übrigen Beweisergebnisse - aufzutragen. Der Vollständigkeit halber sei betont, dass § 149c Abs 3 Satz 2 StPO der prozessordnungsgemäßen Verwertung der Aussagen der involvierten Polizeibeamten als Zeugen über deren unmittelbare eigene Wahrnehmungen anlässlich der mit ihnen geführten Ferngespräche nicht entgegensteht, weil insoweit die Frage der Verwertbarkeit der Überwachungsergebnisse nicht berührt wird.

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