OGH 9ObA65/04f

OGH9ObA65/04f26.5.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Univ. Doz. Dr. Bydlinski sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Kaszanits und Anton Gabmayer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Leopold S*****, vertreten durch Dr. Ernst Summerer, Rechtsanwalt in Retz, wider die beklagte Partei R***** AG, ***** vertreten durch DDr. Karl Pistotnik, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 4.998,59 sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Februar 2004, GZ 8 Ra 17/04k-16, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. November 2003, GZ 34 Cga 15/03t-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Fragen der Vertragsauslegung, die sich stets an den konkreten Umständen des Einzelfalls zu orientieren hat, stellen regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar, sofern dem Berufungsgericht keine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die aus Gründen der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (vgl dazu nur RZ 1994/45, MietSlg 50.547, EFSlg 88.157, RIS-Justiz RS0042936, RS0042776 uva). Dies gilt insbesondere auch für die ergänzende Vertragsauslegung.

2. Die Streitteile gingen bei ihrer Beendigungsvereinbarung übereinstimmend davon aus, dass der Kläger ab 1. 5. 2001 die gesetzliche Pension beziehen werde; sie rechneten nicht mit der Möglichkeit einer Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters. Nach den getroffenen Vereinbarungen über einen Zuschuss der beklagten Partei zum Arbeitslosengeld bzw zur vom Kläger (kurzfristig) zu beziehenden Notstandshilfe hätte sich für diesen bis zum angenommenen Pensionsantritt gegenüber dem Aktiveinkommen eine Einbuße von rund 15 % ergeben. Hätten die Streitteile mit einem erst ein halbes Jahr später möglichen Pensionsantritt gerechnet, hätte der Kläger auf einer entsprechenden Ausgleichszahlung für weitere sechs Monate, also bis zum tatsächlichen Pensionsantritt, beharrt. Die beklagte Partei wäre ihm mit dem Abschluss einer derartigen Vereinbarung entgegengekommen, da sie in Anbetracht des Prozessrisikos bei etwaiger Kündigung auch mit ihrem Zeitplan für den Personalabbau unter Druck gekommen wäre.

Unter diesen Umständen kann die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der Kläger sei wegen der Maßgeblichkeit des tatsächlichen Pensionsantritts so zu stellen, wie er stünde, wenn die Parteien auf die Erhöhung des Pensionsantrittsalters um ein halbes Jahr Bedacht genommen hätten, nicht als grobe Fehlbeurteilung angesehen werden.

3. Auch der Hinweis auf die missverständliche Formulierung des Berufungsgerichtes, es sei eine "ausdrückliche Zusicherung" vorgelegen, die Zuschussleistung auch bis zum tatsächlichen Pensionsantritt zu erbringen, vermag die unrichtige Lösung einer erheblichen Rechtsfrage nicht aufzuzeigen. In der Sache hat das Berufungsgericht nämlich ersichtlich die allgemein anerkannten Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung angewandt. Treten nach Abschluss eines Vertrages Konfliktsfälle auf, die von den Parteien nicht bedacht und daher nicht ausdrücklich geregelt wurden, so ist unter Berücksichtigung der übrigen Vertragsbestimmungen und insbesondere des von den Parteien verfolgten Zwecks zu fragen, welche Lösung redliche und vernünftige Parteien vereinbart hätten (vgl dazu nur die Nachweise bei Koziol/Welser I12, 98). Wenn das Berufungsgericht nun unter den festgestellten Umständen meinte, redliche und vernünftige Parteien hätten für den tatsächlich eingetretenen Fall (um sechs Monate spätere Möglichkeit des Pensionsantritts) eine Verlängerung der monatlichen Ausgleichszahlungen unter Aufrechterhaltung des nach dem Vertragswillen auszugleichenden Einkommensverlusts vereinbart, so kann dies nicht als bedenklich angesehen werden.

Der Einwand der Revisionswerberin, für die Erforschung des hypothetischen Parteiwillens bestehe ohne Vertragslücke kein Anlass, übersieht, dass sich sehr wohl eine (nachträgliche) Vertragslücke ergeben hat. Unzweifelhaft beabsichtigten die Streitteile den Einkommensverlust des Klägers gegenüber seinem bisherigen Aktivbezug bis zu seinem Pensionsantritt - zu etwa 85 % - auszugleichen. Dieser gemeinsame Vertragswille fand in der konkret getroffenen Regelung allerdings deshalb nur unvollkommenen Niederschlag, weil dabei von einem Pensionsantrittstermin ausgegangen wurde, der sich schließlich als unrichtig erwies. Dieser Diskrepanz zwischen dem übereinstimmenden Parteiwillen bzw Vertragszweck und dem tatsächlich Vereinbarten ist zweifellos durch ergänzende Vertragsauslegung, also der Anpassung des Vertrags an den hypothetischen Parteiwillen, Rechnung zu tragen. Die in der Revision aufgeworfene Frage nach den Voraussetzungen für eine Irrtumsanfechtung bzw -anpassung stellt sich somit gar nicht.

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