OGH 15Os22/04

OGH15Os22/0422.4.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. April 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fuchs als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ferdinand H***** und einen anderen Angeklagten wegen der Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter, dritter und vierter Fall, Abs 3 erster und zweiter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Ferdinand H***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 4. Dezember 2003, GZ 8 Hv 164/03m-68, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Ferdinand H***** wurde mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen zwischenzeitig in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch des Mitangeklagten Jozsef L***** enthält, der Verbrechen (A II) nach § 28 Abs 2 zweiter, dritter und vierter Fall, Abs 3 erster und zweiter Fall sowie der Vergehen (A I 1 und II) nach § 27 Abs 1 vierter, fünfter und sechster Fall, Abs 2 Z 1 und 2 SMG, zu A II jeweils als Bestimmungstäter nach § 12 zweiter Fall StGB, und (B) der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs 1 zweiter Fall StGB schuldig erkannt. Danach hat er

A) in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Tat

eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen,

I) den bestehenden Vorschriften zuwider

1) als Mitglied einer kriminellen Vereinigung am 10. Juni 2003 in Hofstätten Suchtgifte einem anderen überlassen, indem er 4,1 Gramm Kokain (2,57 +/- 0,7 Gramm Reinsubstanz) einem verdeckten Ermittler des Bundesministeriums für Inneres als Kaufprobe übergab;

II) als Mitglied einer kriminellen Vereinigung am 14. Juni 2003 in Zalalövo, Ungarn, den Jozsef L***** zu den zu A I 2 geschilderten strafbaren Handlungen (der Ein- und Ausfuhr von Suchtgift durch Jozsef L***** am 14. Juni 2003 in einer mehr als der siebenfachen großen Menge [§ 28 Abs 6 SMG], nämlich 198 Gramm Kokain [115,3 +/- 0,3 Gramm Reinsubstanz] aus Ungarn nach Österreich, welcher das Suchtgift von Zalalövo nach Österreich schmuggelte und in Hofstätten in Verkehr zu setzen versuchte, indem er das Suchtgift einem verdeckten Ermittler der Bundesministeriums für Inneres übergab);

bestimmt, indem er L***** aufforderte, das Suchtgift nach Österreich zu schmuggeln und einem als Käufer auftretenden verdeckten Ermittler des Bundesministeriums für Inneres zu übergeben;

B) in Hofstätten und anderen Orten sich an einer kriminellen

Vereinigung, nämlich einer mit umfangreichem internationalem Kokainhandel tätigen Organisation als Mitglied beteiligt, und zwar am

10. und 14. Juni 2003 durch die zu A I 1 und II geschilderten Tathandlungen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 4, 5, 5a, 9 lit a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel. Die Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert die Ablehnung des in der Hauptverhandlung vom 4. Dezember 2003 gestellten Antrages auf Vernehmung des verdeckten Ermittlers ("dessen Name und Anschrift über das Bundesministerium für Inneres dem erkennenden Gericht bekannt zu geben wäre, allenfalls unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmung des § 166a StPO") zum Beweis dafür "dass Ferdinand H***** keinesfalls am 13. Mai 2003 dem verdeckten Ermittler gegenüber die Übergabe von

1.250 Gramm Kokain angeboten hat, insbesondere am 10. Juni 2003, entgegen den Ausführungen im Bericht des verdeckten Ermittlers, der Betrag von 200 Euro für die Suchtgiftprobe dem Zoltan S***** ausbezahlt wurde und Ferdinand H***** lediglich das Wechselgeld dem verdeckten Ermittler ausgefolgt hat".

Wie das Erstgericht in seinem abschlägigen Zwischenerkenntnis (S 419) im Ergebnis zutreffend darlegt, konnte die Beweisaufnahme ohne Verletzung von Verteidigungsrechten unterbleiben, weil es dem Antrag an jeglicher Darlegung gebricht, inwieweit das zeitlich den anklagegegenständlichen Taten vorangehende Anbot vom 13. Mai 2003 auf Übergabe von 1.250 Gramm Kokain für die Schuld- und der Subsumtionsfrage von Bedeutung sei (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327) und auch bezüglich der Höhe des (für die Kaufprobe laut A I 1) übergebenen Geldbetrages nicht erkennen lässt, dass er einen für die Schuld- oder Subsumtionsfrage erheblichen Umstand betrifft (Ratz aaO Rz 321). Die in der Beschwerde dazu nachgetragenen Erwägungen haben dabei außer Betracht zu bleiben, weil bei Prüfung der Berechtigung eines Antrages stets von der Verfahrenslage zum Zeitpunkt der Entscheidung darüber und den dazu vorgebrachten Gründen auszugehen ist (Mayerhofer StPO § 281 Z 4 E 40 und 41).

Entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5) haben die Tatrichter die Annahme der Mitgliedschaft des Angeklagten in einer kriminellen Vereinigung nicht nur darauf gestützt, dass Zoltan S***** den Angeklagten als seinen Hintermann gegenüber dem verdeckten Ermittler beschrieben hat und dass er in Ungarn Personen kenne, welche Kokaingeschäfte durchführen würden, sondern auch auf die Anwesenheit des Angeklagten bei den Treffen am 13. Mai und 10. Juni 2003, bei welchem weitere Geschäftsmodalitäten zwischen dem verdeckten Ermittler und S***** besprochen wurden, der Übergabe der Kokainprobe durch den Angeklagten am 10. Juni 2003 und der Bestimmung des Angeklagten L***** zum Schmuggel von 200 Gramm Kokain (vgl US 12). Dass diese Begründung dem Beschwerdeführer nicht überzeugend genug erscheint, vermag ebensowenig wie der weitere Einwand, der im Zug der Kokainübergabe am 14. Juni 2003 erhaltene Anruf Zoltan S***** könne als Beweis für eine allfällige Gewerbsmäßigkeit nicht Wertung finden, die behauptete Nichtigkeit nicht darstellen. Die Beschwerde versucht vielmehr mit diesen Argumenten unzulässig die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in Zweifel zu ziehen.

Das Beschwerdevorbringen, es lägen keine Verfahrensergebnisse dafür vor, dass der Angeklagte Mitglied einer kriminellen Vereinigung wäre, sodass eine derartige Feststellung aktenwidrig sei, verkennt, dass ein Urteil nur dann aktenwidrig ist, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (Ratz aaO Rz 467). Der Vorwurf an die Tatrichter, aus der Urkunde oder Aussage statt der in vertretbarer Weise gezogenen Schlüsse nicht andere abgeleitet zu haben, stellt Kritik an der Beweiswürdigung dar, die keinen formalen Begründungsfehler aufzeigt.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) trachtet unter Hinweis auf die leugnende Verantwortung des Angeklagten zur Mitgliedschaft an der kriminellen Vereinigung bzw der gewerbsmäßigen Begehung der Suchtmitteldelikte und unter eigenständiger Würdigung isoliert betrachteter Beweisergebnisse neuerlich in einer auch unter diesem Nichtigkeitsgrund nicht vorgesehenen Art die Beweiswürdigung der Tatrichter in Zweifel zu ziehen, vermag damit aber keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundegelegten entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Der Rechts- und Subsumtionsrüge ist zunächst generell zu erwidern, dass deren Gegenstand ausschließlich der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts, einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen, mit dem festgestellten Sachverhalt ist, wobei unerheblich bleibt, ob die mit dem Gesetz zu vergleichenden Feststellungen einwandfrei zustandegekommen oder dargestellt sind oder erheblichen Bedenken begegnen (Ratz aaO Rz 581). Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) das Fehlen von Feststellungen zur Beteiligung des Angeklagten als Mitglied einer kriminellen Organisation nach § 278 Abs 1 zweiter Fall moniert, negiert sie die entsprechenden Urteilsannahmen (US 6). Der Einwand, die "diesbezügliche Feststellung" des Erstgerichts stelle eine reine Hypothese dar, die mit den Verfahrensergebnissen nicht in Einklang zu bringen sei, bekämpft - unter dem Aspekt der Rechtsrüge überhaupt unzulässig - lediglich die Beweiswürdigung der Tatrichter. Die Subsumtionsrüge (Z 10) übergeht mit der (neuerlichen) Behauptung des Fehlens jeglicher Feststellungen zur "bandenmäßigen" bzw gewerbsmäßigen Begehung der unter A angelasteten Taten wiederum US 6 iVm US 7 und 8. Insofern (ausdrücklich unter diesem Nichtigkeitsgrund) die Begründung hinsichtlich der Gewerbsmäßigkeit als unzureichend angesehen wird (inhaltlich Z 5) und "mangelnde Auseinandersetzung" mit der subjektiven Tatseite kritisiert wird, vernachlässigt die Beschwerde zum einen die diesbezüglichen Ausführungen US 8 iVm US 10 ff und bekämpft zum anderen unter Hinweis auf bloß isoliert betrachtete Teile des Beweisverfahrens (vgl aber § 258 Abs 1 StPO) und die "absurde Begründung" die Beweiswürdigung. Letztlich wird mit dem unsubstanziierten Einwand, es lägen auch die Tatbestandsmerkmale eines gewerbsmäßigen Vorgehens im Sinn des § 70 StGB nicht vor, die Rüge - wie nach den Bestimmungen des Prozessrechts geboten - nicht deutlich und bestimmt bezeichnet (§ 285a Z 2 StPO, Ratz aaO § 285d Rz 10).

Die Sanktionsrüge (Z 11) macht einen Verstoß gegen die Bestimmungen über die Strafzumessung, insbesondere allgemeine Grundsätze des § 32 StGB, damit allerdings lediglich einen Berufungsgrund geltend. Soweit die erschwerende Annahme "zahlreicher Verbrechen und Vergehen" als nicht nachvollziehbar kritisiert wird, genügt diesbezüglich der Hinweis auf die Annahme einer mehrfachen Anzahl begründeter (gleichartiger) Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter, dritter und vierter Fall SMG (13 Os 10/03).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der die Argumente der Nichtigkeitsbeschwerde im Wesentlichen wiederholenden Äußerung der Verteidigung gemäß § 35 Abs 2 StPO - teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt, teils als offenbar unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO, zum Teil iVm § 285a Z 2 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a StPO.

Zur Verurteilung des Mitangeklagten Jozsef L***** zu Spruchfaktum A II wegen "versuchter" Inverkehrsetzung der 200 Gramm Kokain an einen verdeckten Ermittler des Bundesministeriums für Inneres ist zu bemerken, dass nach den Urteilskonstatierungen S 9 der verdeckte Ermittler das Paket mit Kokain vom Zweitangeklagten L***** übernommen, geöffnet und einen Schnelltest auf Suchtgift durchgeführt hat, der positiv verlief. Erst dann gab der verdeckte Ermittler den Observationskräften das vereinbarte Zugriffszeichen, worauf beide Angeklagten festgenommen wurden. Damit war das Suchtgift mit seiner Überlassung in den Gewahrsam eines anderen unter Aufgabe des Gewahrsams des Überlassenden in Verkehr gesetzt, unbeschadet dessen, dass es sich beim Übernehmer um einen verdeckten Ermittler der Polizei handelt (RZ 2000/24 = EvBl 2000/111 = 11 Os 118/99, 13 Os 60/00, 11 Os 57/01, 15 Os 97/02 uva). Die diesbezügliche Annahme eines Versuchs zu § 28 Abs 2 vierter Fall SMG wirkt sich aber zum Vorteil des Angeklagten aus, weshalb ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO durch den Obersten Gerichtshof nicht in Betracht zu ziehen war.

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