OGH 1Ob263/03p

OGH1Ob263/03p16.12.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Erlagssache des Erlegers Land Steiermark, vertreten durch Griss & Partner, Rechtsanwälte in Graz, wider die Erlagsgegner Franz und Martha F*****, vertreten durch Dr. Alfred Lind und Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwälte in Graz, wegen 46.767,98 EUR, infolge Revisionsrekurses der Erlagsgegner gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 18. September 2003, GZ 7 R 114/03s-9, womit der Beschluss des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 4. August 2003, GZ 21 Nc 10021/02t-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Im Zuge einer Enteignung bestimmte die Landesregierung des Erlegers die Höhe der den Erlagsgegnern gebührenden Entschädigung mit 46.767,98 EUR. Dieser Betrag wurde gerichtlich hinterlegt, weil die Erlagsgegner mit der Höhe der Entschädigung nicht einverstanden waren und - so das Vorbringen des Erlegers - deren Annahme verweigerten.

In der Folge nahmen die Erlagsgegner den Erlag als Teilzahlung an und ersuchten um Überweisung auf ihr Bankkonto. In diesem Ausfolgungsantrag erwähnten sie, dass bereits ein Antrag auf Neufestsetzung des Entschädigungsbetrags gestellt worden sei.

Das Erstgericht genehmigte die Ausfolgung des erlegten Betrags.

Das Rekursgericht wies in Abänderung dieser Entscheidung den Antrag auf Ausfolgung des Erlags ab und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Durch die Hinterlegung habe der Erleger die Einwilligung zur Ausfolgung des erlegten Betrags an die Erlagsgegner - vorbehaltlos - erteilt, er habe daher vor der Entscheidung über die Ausfolgung des Erlagsbetrags nicht mehr gehört werden müssen. Durch die Anrufung des Gerichts zwecks Neufestsetzung der Enteignungsentschädigung sei der Enteignungsbescheid im Ausspruch über die Höhe der zu leistenden Entschädigung außer Kraft getreten, weshalb der Rechtstitel, unter dem der Erlag erfolgt sei, nicht mehr existiere. Eine Ausfolgung unter Anerkennung des Rechtsgrunds des Erlegers sei begrifflich nicht mehr möglich. Erst durch das die Festsetzung der Entschädigung betreffende außerstreitige gerichtliche Verfahren werde über den erlegten Betrag endgültig entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Erlagsgegner ist zulässig und berechtigt.

Es trifft zwar zu, dass der Oberste Gerichtshof - soweit überblickbar - mit der Frage noch nicht befasst war, unter welchen Voraussetzungen ein im Zuge einer Enteignung gerichtlich erlegter Entschädigungsbetrag nach dem Steiermärkischen Landes-Straßenverwaltungsgesetz 1964 (LStVG 1964) den Erlagsgegnern ausgefolgt werden dürfe. Der Oberste Gerichtshof hat aber aufgrund des Erlags einer Enteignungsentschädigung nach dem Bundesstraßengesetz 1971 (BStG 1971) die hier relevante Frage, ob der gerichtlich hinterlegte Entschädigungsbetrag dem Enteigneten ausgefolgt werden dürfe, wenn dieser in der Zwischenzeit die Entscheidung des Gerichts (nach § 20 Abs 3 BStG) begehrt hat, beantwortet (SZ 61/97). Dem § 20 BStG 1971 entspricht nämlich § 50 LStVG 1964, teils sogar wortlautgleich, jedenfalls aber seinem Inhalt und dem Sinn nach völlig, weshalb die zitierte Judikatur auch auf den vorliegenden Fall anwendbar ist. Nun teilt der erkennende Senat die in SZ 61/97 vertretene Rechtsansicht aber nicht, weshalb sich eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG stellt und das Rechtsmittel der Erlagsgegner daher meritorisch zu behandeln ist:

In der Entscheidung SZ 61/97 wurde ausgeführt, der Antrag des Enteigneten auf Ausfolgung des gerichtlich hinterlegten Entschädigungsbetrags sei abzuweisen, wenn er in der Zwischenzeit die Entscheidung des Gerichts begehrt hat. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Erlagsgegner durch Anrufung des Gerichts zwecks Festsetzung der Enteignungsentschädigung das Außerkrafttreten des diese Summe festsetzenden Teils des Enteignungsbescheids bewirkt habe und deshalb der Rechtstitel, unter dem der Erleger seinerzeit die Beträge erlegt habe, nicht mehr existiere. Aus diesem Grunde sei eine Ausfolgung unter Anerkennung des Rechtsgrunds des Erlags begrifflich nicht mehr möglich.

Diese Entscheidung wurde von Rummel in JBl 1994, 390 ("Zur Hinterlegung der Entschädigung bei Enteignung nach dem Bundesstraßengesetz"), mit nach Ansicht des erkennenden Senats schlagenden Argumenten kritisiert. Er zeigte auf, die verzögerte Ausfolgung des Entschädigungsbetrags - erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens - könne für einen Enteigneten allenfalls ruinös sein und der wirtschaftliche Druck, der beim Enteigneten bewirkt werde, sei mit der Zielsetzung des Eisenbahnenteignungsgesetzes (EisbEG), auf das § 20 BStG - ebenso wie übrigens § 50 LStVG - mehrfach verweise, unvereinbar. Werde der Erlagsbetrag vorläufig "eingefroren", könne er also weder an den Erlagsgegner noch an den Erleger ausgefolgt werden, so widerspräche dies dem einem Enteignungsverfahren immanenten generellen Prinzip, dass die Zahlung der Entschädigungssumme und der Vollzug der Enteignung Zug um Zug zu erfolgen hätten. Die in der Entscheidung SZ 61/97 verwendeten Argumente seien rein formaler Natur; es finde sich keine sachliche Rechtfertigung dafür, warum der Enteignete nicht trotz eines Neufestsetzungsantrags die von der Behörde ermittelte Entschädigungsumme sofort erhalten könnte.

Der erkennende Senat pflichtet den Ausführungen Rummels bei. Gewiss ist der Bescheid der Behörde im Ausspruch über die Höhe der zu leistenden Entschädigung mit dem Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts gemäß § 50 Abs 3 LStVG 1964 außer Kraft getreten. Das bedeutet aber nicht, dass die Enteignung rückgängig gemacht worden wäre; vielmehr kann ein rechtskräftiges Enteignungserkenntnis gemäß § 50 Abs 4 LStVG 1964 im Falle des Erlags des von der Behörde ermittelten Entschädigungsbetrags sogar vollzogen werden. Lediglich die Höhe der zu leistenden Entschädigung ist aufgrund der Bestimmung des § 50 Abs 3 LStVG 1964 völlig offen, wenn die gerichtliche Entscheidung begehrt wird. Es steht aber fest, dass eine Entschädigung zu leisten ist, die dem Enteigneten, der aufgrund des massiven Eingriffs in seine Rechte besonders schützenswert ist, raschestmöglich zukommen sollte. Die im Enteignungserkenntnis zu beziffernde Entschädigung wird aufgrund der Schätzung beeideter unparteiischer Sachverständiger ermittelt (§ 50 Abs 2 LStVG 1964), weshalb nicht von vornherein davon ausgegangen werden kann, dass die Entschädigung willkürlich zu hoch oder zu niedrig festgesetzt worden sei. Müsste in der Folge, wenn die Entschädigung vom Gericht niedriger als im Enteignungserkenntnis festgesetzt werden sollte, der Enteignete einen Teil des ihm ausgefolgten Betrags zurückzahlen, so rechtfertigte es ein solcher (eher seltener) Verfahrensgang noch nicht, dem Enteigneten die Auszahlung einer wenn auch nur vorläufig behördlich festgelegt gewesenen Entschädigungssumme unter Umständen langfristig zu verwehren und ihn so gegebenenfalls großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten auszusetzen.

Der Erleger nannte als Erlagsgrund, dass über die Höhe der Enteignungsentschädigung kein Übereinkommen im Sinne des EisbEG habe getroffen werden können und dass die Erlagsgegner die Annahme des Erlagsbetrags verweigert hätten. Letzterer Grund ist jedenfalls weggefallen, zumal die Revisionsrekurswerber die erlegte Summe nunmehr - wenngleich zulässigerweise (SZ 44/149) nur als Teilzahlung - beanspruchen. Sinn der die Enteignung selbst und die Höhe der Enteignungsentschädigung regelnden Bestimmungen des LStVG 1964 kann es aber nicht sein, dem Enteigneten die von der Behörde selbst festgelegte Summe - nicht selten Jahre lang - vorzuenthalten, nur weil er sich nicht bereit findet, mangels eines ihm ausreichend scheinenden Angebots über die Höhe der Entschädigung ein Übereinkommen zu treffen oder sich mit der im Enteignungsbescheid genannten Summe abzufinden, obwohl ihm die Möglichkeit gegeben ist, die Höhe der zu leistenden Entschädigung gerichtlich festsetzen zu lassen. Entgegen der in SZ 61/97 vertretenen Ansicht existiert insofern noch immer ein Erlagstitel, als die Enteignung stattgefunden hat, und lediglich die Höhe der Enteignungsentschädigung strittig ist. Dass eine solche zu leisten ist, kann aber angesichts der Enteignung nicht bezweifelt werden, sodass der erlegte Betrag an die Erlagsgegner ausgefolgt werden kann, weil diese den Rechtsgrund des Erlags - rechtskräftige Enteignung, strittige Entschädigung - durchaus dadurch anerkannten, dass sie die Neufestsetzung der Entschädigung begehrten und den Erlagsbetrag lediglich als Teilzahlung in Anspruch nahmen.

In Stattgebung des Revisionsrekurses ist somit die erstinstanzliche Entscheidung wieder herzustellen.

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