OGH 15Os107/03

OGH15Os107/034.12.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Dezember 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Dachsberger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ahmed Mohammad M***** wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 104 Abs 1 und Abs 3 erster Fall FrG über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 25. November 2002, GZ 602 Hv 35/02h-47, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiß, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Pohle, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Punkt B aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ahmed Mohammad M***** gemäß § 259 Z 3 StPO vom Anklagevorwurf freigesprochen, er habe

A) sich zumindest in der Zeit von Anfang Oktober 2001 bis 6. Mai 2002

an verschiedenen Orten in der slowakischen Republik, in Moskau, in Tschechien, der Ukraine, in Ungarn, Traiskirchen, Wien, Bruck an der Leitha, Berg, Drasenhofen, Gänserndorf und anderen Orten an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer großen Zahl von Personen (§ 278 Abs 3 StGB), die auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der Schlepperei ausgerichtet war, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebte und sich auf besondere Weise, nämlich durch Geheimhaltung der Namen und Aufenthaltsorte der führenden Mitglieder der Verbindung, durch ständigen Wechsel der zur Verständigung benutzten Mobiltelefone, teilweise durch Verwendung falscher Namen und unrichtiger Dokumente sowie Spitznamen und unter Ausnützung ihrer schwierigen persönlichen Unterscheidbarkeit, insbesondere derselben Familiennamen und Vornamen, gegen Strafverfolgung abzuschirmen suchte, als Mitglied einer kriminellen Verbindung beteiligt, indem er die in Punkt B) inkriminierten Schleppungen durchführte und sich zur Durchführung weiterer Schleppungen bereit erklärte;

B) zumindest in der Zeit von Anfang Oktober 2001 bis 6. Mai 2002 in Schwechat, Wien, Berg, Bruck an der Leitha, Traiskirchen und anderen Orten fortgesetzt in mehrfachen Tathandlungen gewerbsmäßig (§ 70 StGB) und als Mitglied einer Bande die rechtswidrige Einreise von Fremden, die aus ihrem Heimatland unter Verwendung falscher Dokumente nach Russland, Ukraine, Türkei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Tschechien bzw Slowakei und von dort nach Österreich und dann in andere Staaten Europas gebracht wurden, in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen Nachbarstaat Österreichs mit dem Vorsatz gefördert, dass dies gegen einen nicht bloß geringen Vermögensvorteil für ihn oder einen anderen geschieht, wobei er in einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur fortgesetzten Begehung der Schlepperei führend tätig war, hinsichtlich (einer Gesamtzahl von noch festzustellenden) jedenfalls mehreren 100 Personen (zumeist indischen, chinesischen und pakistanischen Staatsangehörigen) dadurch, dass er gegen ein der Höhe nach nicht bekanntes Entgelt an deren Schleppung unmittelbar beteiligt war

1. teilweise unter dem Spitznamen Dr. W*****, Dr. M*****, Mohammad T*****, R*****, Doktor und Mohammad W***** schlepperrelevante Telefongespräche mit namentlich nicht bekannten, abgesondert verfolgten Schleppern in Moskau UT "REY", in der Slowakei UT "KHAN", in Tschechien UT "AMANULLAH" und "GOGA" sowie UT "LOVELY", UT "ARSHAD" und UT "HAMYOON" - teilweise über den Mittelsmann, den abgesondert verfolgten Nadeem Akhtar B***** - führte, für Österreich Aufträge entgegennahm und seinerseits die Weiterschleusung in vorausbestimmte Zielländer organisierte,

2. für indische, pakistanische und afghanische Staatsangehörige, die zuvor unter Umgehung der Grenzkontrolle von der abgesondert verfolgten Maria D*****, den namentlich nicht bekannten UT "AMANULLAH", UT "GOGA", UT "LOVELY", UT "ARSHAD", UT "HAMYOON" und anderen Personen in das österreichische Bundesgebiet geschleppt wurden, eine Weiterschleusung in vorher bestimmte und auch vorher bezahlte Zielländer durch Bahn-, Auto- und Flugzeugschlepper organisierte;

3. Abhol- bzw Übergabeorte für schleusungswillige Personen von Österreich in Zielländer über namentlich nicht bekannte Mittelspersonen, unter anderem "LOVELY" vereinbarte und bestimmte, und zwar das Flüchtlingslager Traiskirchen, den Tempel in der L*****straße *****, sowie in Wien-Westbahnhof und Südbahnhof,

4. Preise und Entgelte für Schleppungen festsetzte, sich den im Ausgangsland von schleusungswilligen Personen im Voraus kassierten Schlepperlohn von Mitgliedern der Organisation auf sein Konto bei der W***** Bank und auf seinen Namen anweisen ließ und seinerseits die Bezahlung von weiteren Organisationsmitgliedern vornahm,

5. im Lager Traiskirchen mehrfach vorgab, Dolmetschertätigkeit für im Lager aufhältige indische, pakistanische und afghanische Staatsangehörige zu übernehmen, tatsächlich aber den Kontakt zwischen schleusungswilligen Asylwerbern und weiteren Mitgliedern der Organisation (Schleppern) herstellte.

Nach den für das Rechtsmittelverfahren relevanten Urteilsfeststellungen war der aus Pakistan stammende, nach Österreich geflüchtete und zuletzt im Lager Traiskirchen aufhältige Angeklagte von den (österreichischen) Sicherheitsbehörden als Informant mit dem Auftrag eingesetzt worden, möglichst viel über im Großraum Wien und in Traiskirchen tätige Schlepperbanden in Erfahrung zu bringen und diese Information möglichst rasch an seinen Kontaktmann, das damalige Mitglied der SOKO-Grenze, Johannes S*****, zu übermitteln (US 6). Das Erstgericht konstatierte weiters, dass Ahmed Mohammad M***** ohne Auftrag der Sicherheitsbehörde in Traiskirchen von sich aus Schlepper- und Schleusungswillige ansprach, derart Kontakte zur Durchführung von Schleppungen vermittelte und selbst Schleppungen durch Bestimmung von Übergabeort und -zeit organisierte, wodurch er die rechtswidrige Einreise einer nicht mehr genau feststellbaren, jedoch beträchtlichen Anzahl von Fremden nach Österreich oder in der Folge aus Österreich in einen anderen EU-Mitgliedsstaat förderte (US 7).

Zur subjektiven Tatseite wurde einerseits festgestellt, dass der Angeklagte mit dem Wissen und Wollen handelte, durch seine schleppungsrelevanten Aktivitäten die rechtswidrige Einreise von Fremden nach Österreich oder einen anderen EU-Mitgliedsstaat zu fördern und sich oder anderen Mitglieder von Schleppergruppen dadurch nicht bloß unbedeutende Vermögensvorteile zu verschaffen, sowie dass seine Tätigkeit von der Absicht getragen war, sich durch die wiederkehrende Begehung solcher Handlungen eine (zu ergänzen: fort-)laufende Einnahmequelle, nämlich den Schlepperlohn, zu sichern (US 8).

Andererseits stellte der Schöffensenat fest, dass der Angeklagte "daneben ... aber auch in der Absicht (handelte), durch seine Tätigkeit als Schlepper den Sicherheitsbehörden Informationen zukommen zu lassen und derart die Aufklärung der Schleppungsvorgänge und Ausforschung von Schleppern zu ermöglichen" (US 8 unten). Unter Zugrundelegung dieser Konstatierungen sah das Erstgericht zwar den Tatbestand der Schlepperei ("zumindest") nach § 104 Abs 1 und Abs 3 erster Fall FrG als verwirklicht an, erachtete diesen aber dennoch "nicht als erfüllt", weil der "Vorsatz (des Angeklagten) jedoch auch darauf gerichtet war, durch seine Tätigkeit eine Funktion als Informant der Polizei erfüllen zu können und möglichst viele Informationen zu verschaffen" (US 11 f).

Die Staatsanwaltschaft bekämpft den Punkt B) dieses Freispruchs mit einer auf den Grund der Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in der sie sich gegen die - "unspezifische" - Anwendung eines "Rechtsfertigungs-, Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgrundes" wendet.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Beschwerde damit zutreffend aufzeigt, stellt das neben dem deliktsspezifischen Vorsatz gewollte Vorhaben des Angeklagten, Informationen für die Sicherheitsbehörden zu erlangen, lediglich ein (weiteres) Motiv der Tat dar. Es begründet jedoch keinen Umstand, durch den die Strafbarkeit der Taten ausgeschlossen oder aufgehoben oder die Verfolgung wegen der Taten ausgeschlossen wäre. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund liegt tatsächlich vor, der Freispruch war demgemäß in seinem Punkt B) aufzuheben. Da die Urteilsbegründung, welche der Angeklagte nicht bekämpfen konnte, vom Erstgericht im Hinblick auf den Freispruch verfasst wurde, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Ausspruch über entscheidende Tatsachen mangelhaft blieb (vgl Gegenausführung ON 61). Daher war vom Obersten Gerichtshof nicht sogleich in der Sache selbst zu erkennen, sondern sie im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (Mayerhofer StPO4 § 288 E 36 ff).

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