OGH 15Os80/03

OGH15Os80/034.12.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Dezember 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Dachsberger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Martin B***** wegen des Verbrechens nach § 3g VG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 2. April 2003, GZ 39 Hv 4/03t-64, sowie dessen (implizierte) Beschwerde gegen den unter einem gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefassten Widerrufsbeschluss nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, des Angeklagten und seiner Verteidigerin Dr. Sina, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung und der Beschwerde wird nicht Folge gegeben. Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Teilfreispruch enthält, wurde Martin B***** des (richtig: der) Verbrechen(s) nach § 3g VG (I/1 bis 9) sowie der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (II), der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III/1 und 2) und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (IV) schuldig erkannt. Danach hat Martin B***** (soweit dies für die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung ist)

I) sich auf andere als in den §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im

nationalsozialistischen Sinne betätigt und zwar

1) in der Zeit von Februar bis August 2001 in Reutte und Umgebung durch wiederholtes öffentliches Verbreiten von Parolen wie: "Heil Hitler, Sieg Heil, Heil Kamerad und nationaler Widerstand";

2) am 28. Juli 2001 in Reutte durch Beschimpfungen von Türken mit den Worten: "Scheiß Türken", verbunden mit dem Ausruf der Parole: "Sieg Heil";

3) am 28. Juli 2001 in Lechaschau durch Ausrufen der Parolen: "Heil Hitler, Sieg Heil, Heil Kameraden, nationaler Widerstand", die er bekräftigte durch Zeigen des Deutschen Grußes (Hitlergruß);

4) am 16. März 2001 in Locherboden durch wiederholte Äußerung der Worte: "Heil Hitler" und Abgabe des Hitlergrußes;

5) in den Jahren Anfang 2000 bis 2001 in Reutte durch Anbringen eines Hakenkreuzes über seinem Bett und des SS-Symbols an der Zimmertür;

  1. 6) am 28. Juli 2001 in Reutte durch Abgabe des Hitlergrußes;
  2. 7) am 28. Juli 2001 teilweise im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten Edmund W***** und Harald E***** durch Abgabe des Hitlergrußes;

    8) am 28. Juli 2001 in Lechaschau durch die Äußerung: "Das (gemeint Rainer S*****) ist ein Volksverräter, der gehört vernichtet, der kauft bei Juden ein";

    9) am 28. Juli 2001 in Reutte im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten Edmund W***** und Harald E*****, indem er im Bereich des türkischen Vereinslokales türkische Staatsangehörige anstänkerte und schrie: "Scheiß Türken, schade, dass es den Hitler nicht mehr gibt, er würde mit euch Türken aufräumen!", wobei mit einer grobgliedrigen Würgekette auf die türkischen Personen losgehen wollte und erklärte, er werde jetzt diese Türken aufmischen;

    II) am 4. Juni 2001 in Reutte den Mario F***** durch die SMS-Mitteilung: "Du Verräter, wenn ich in den Bau gehe, dann nehm ich dich mit, das schwör ich dir!" gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen.

    Die Geschworenen bejahten die anklagekonform auf Verbrechen nach § 3g VG gerichteten Hauptfragen 1-7, 9 und 10 sowie die Hauptfrage 12 nach dem Vergehen nach § 107 Abs 1 StGB jeweils stimmeneinhellig, verneinten die Zusatzfragen 1-4 nach Umständen iSd § 11 StGB und ließen die Eventualfragen folgerichtig unbeantwortet. Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte im Schuldspruch zu I/1 bis 9 (wegen Verbrechen nach § 3g VerbotsG) und zu II (wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB) mit einer auf Z 4, 9, 10a und 11 lit a des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch in keinem Punkt Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Zu Unrecht reklamiert der Angeklagte einen Nichtigkeit (Z 4) begründenden Verstoß gegen das Recht der Zeugen Roland E***** (S 293 ff/II), Sarah E***** (S 303 ff/II) und Michael G***** (S 309 ff/II) auf Zeugnisbefreiung wegen der Gefahr der Selbstbelastung (§ 152 Abs 1 Z 1 StPO).

Entgegen der Beschwerde hat nämlich nur Michael G***** nach Belehrung über das Entschlagungsrecht unter Hinweis auf ein gegen ihn anhängiges Strafverfahren erklärt, nicht aussagen zu wollen, aber schließlich angegeben, sich in jenem Verfahren geständig zu verantworten. Dagegen haben sich Roland E***** und Sarah E*****, gegen die gleichfalls gesonderte Verfahren anhängig sind, gar nicht auf eine Zeugnisbefreiung berufen, sondern sogleich auf ihre ebenfalls geständige Verantwortung in diesen Verfahren hingewiesen. Zusätzlich stellte Sarah E***** klar, dass das gegen sie anhängige Verfahren "nichts mit dem Angeklagten zu tun" hat (S 305/II). Überdies wurden die Aussagen dieser Zeugen im Rahmen der Erörterung ihrer Depositionen überprüft (s hiezu insbesondere die detaillierten Vorbehalte gegenüber Michael G*****), wobei jedoch nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte für eine Befreiung von der Verbindlichkeit zur Zeugnisablegung im Sinne der hier aktuellen Bestimmung des § 152 Abs 1 Z 1 StPO hervorkamen und Gegenteiliges auch von der Beschwerde nicht dargetan wird.

Da die Zeugen Roland und Sarah E***** keine Umstände vorbrachten, die eine Befreiung von der Zeugenaussage begründen, es somit eines ausdrücklichen Verzichtes nach § 152 Abs 5 StPO nicht bedurfte, sowie bei der geständigen Verantwortung des Michael G***** im anderen Verfahren fallbezogen eine Selbstbelastung nicht zu besorgen war (insbes 11 Os 167/94 sowie 14 Os 843/94 = ÖJZ 1994/138 = JBl 1995, 186), liegt der behauptete Verfahrensmangel nicht vor. Der Beschwerde zuwider kann von einer Undeutlichkeit des Wahrspruches, die dann vorliegt, wenn nach dessen Inhalt der Sinn der Fragebeantwortung durch die Geschworenen nicht klar ist, keine Rede sein, wobei ein solcher Mangel vom Angeklagten gar nicht aufgezeigt wird. Vielmehr richtet sich die Beschwerdebehauptung, dass die Geschworenen Hauptfragen bejaht hätten, welche dieselbe Tat zum Gegenstand haben, gegen die Fragestellung selbst, welche jedoch aus der Z 9 des § 345 Abs 1 StPO nicht erfolgreich gerügt werden kann (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 76).

Lediglich der Vollständigkeit halber sei hiezu bemerkt, dass die von der Beschwerde bemängelten Hauptfragen 2 bis 8 sehr wohl unterschiedliche und auch jeweils zutreffend individualisierte und konkretisierte (realkonkurrierende) Tathandlungen zum Gegenstand haben, weshalb das gegenteilige Beschwerdevorbringen aktenwidrig ist. Auch die Tatsachenrüge (Z 10a) versagt, weil die darin geltend gemachten Umstände nicht geeignet sind, sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu erwecken. Der vom Zeugen Walter T***** bekundete Ausspruch des Angeklagten, der letzte aufrichtige Österreicher zu sein, wird in der Beschwerde nur unvollständig wiedergegeben. Vielmehr hat der Angeklagte danach im Rahmen dieser sachlich gegen die Anwesenheit von Türken in Österreich gerichteten Äußerung auch noch bemerkt, "er würde seine Kinder verteidigen" (unmissverständlich gemeint: gegen die anwesenden Türken) und überdies sein Bedauern ausgedrückt, "dass es den Hitler nicht mehr gibt" (S 353). Weder hieraus noch aus der früheren Zugehörigkeit des Angeklagten zur linken Jugendszene und aus dem Umstand, dass er bei einem damaligen Redewettbwerb auch entsprechende Standpunkte vertreten hat (Beilage 1./ zu ON 63 und S 399/II), lässt sich ein Bekenntnis des Beschwerdeführers zu Österreich ableiten. Gleiches gilt für die Tonbandaufnahme einer verballhornten Version des Deutschlandliedes, das vom Angeklagten zudem nach eigenem Vorbringen gar nicht gesungen worden ist (S 359/II), weil sich alle diese Vorgänge auf einen früheren Lebensabschnitt des Angeklagten beziehen.

Wenn die Beschwerde aus einer kritischen Äußerung des Angeklagten über Politik im Vorverfahren (S 143/I) und aus einer gleichfalls in diesem Verfahrensstadium zu Tage getretenen historischen Wissenslücke (S 149/I) darzulegen sucht, dass er sich bloß "chaotisch-anarchistisch" verhalten, aber nicht mit Wiederbetätigungstendenz gehandelt habe, erschöpft sich das - teilweise nicht einmal aktengetreue - Vorbringen bloß in dem Bestreben, zu für diesen günstigere Schlussfolgerungen zu gelangen. Die Tatsachenrüge geht daher auch insoweit fehl.

Schließlich versagt auch die Rechtsrüge (Z 11 lit a).

Unter Betätigung im nationalsozialistischen Sinn nach § 3g VerbotsG

fällt jede unsachliche, einseitige und propagandistisch vorteilhafte

Darstellung nationalsozialistischer Maßnahmen und Ziele. Demgemäß

bedarf es (wie der Beschwerdeführer insoweit zutreffend einräumt)

weder eines die nationalsozialistische Ideologie in ihrer Gesamtheit

bejahenden noch eines auf bestimmte nationalsozialistische

Programmpunkte abstellenden Täterverhaltens. Vielmehr genügen zur

Tatbestandverwirklichung Äußerungen oder Darstellungen, die bereits

bei isolierter Betrachtung als typischer Ausdruck

nationalsozialistischen Gedankengutes anzusehen sind. Gleiches gilt

für einen Handlungskomplex, der bei wertender Gesamtbeurteilung als

typisch nationalsozialistisch einzustufen ist, mag auch bei einer

bloß punktuellen Sicht einzelner Teilakte der ihnen zu Grunde

liegende Ideengehalt für sich allein noch nicht Ausdruck typischen

nationalsozialistischen Gedankengutes sein (vgl SSt 57/40 = EvBl

1987/40; JBl 1991, 464; EvBl 1993/8; 15 Os 1/93 = EvBL 1995/54 uam).

Einzelhandlungen, die eine typische Betätigung im nationalsozialistischen Sinn darstellen, sind (als charakteristische Symbole des Nationalsozialismus) insbesondere der Ausspruch "Heil Hitler" und das allgemein bekannte und daher keiner weiteren Umschreibung bedürfende Zeichen für den sogenannten Hitlergruß (15 Os 155/93 = EvBl 1994/84), die vom Angeklagten nach dem Wahrspruch der Geschworenen zudem wiederholt gemeinsam gebraucht wurden. Nichts anderes gilt hinsichtlich der für die Ideologie des Nationalsozialismus typischen Herabsetzung anderer Völker, noch dazu wenn sie eine antisemitische Zielrichtung zeigt (Kritik an einem "Volksverräter", der bei Juden kaufen würde; Hauptfrage 9 und Schuldspruch I/8) oder wie die Beschimpfung türkischer Staatsangehöriger mit dem Ausdruck des Bedauerns verbunden ist, "dass es den Hitler nicht mehr gibt, er würde mit euch Türken aufräumen!" (Hauptfrage 10 und Punkt I/9 des Schuldspruchs).

Werden die übrigen konstatierten Tathandlungen (Gebrauch der Parolen "Heil Kameraden", "Nationaler Widerstand" und "Sieg Heil") nicht isoliert, sondern in ihrem objektiv erkennbaren Zusammenhang bewertet, dann ergeben sich aus dem Wahrspruch insgesamt keine rechtlichen Bedenken gegen ihre Tatbestandsmäßigkeit im Sinne des § 3g VG.

Soweit der Angeklagte der Sache nach ein Handeln mit Wiederbetätigungstendenz in Zweifel zieht, übersieht er, dass die Geschworenen mit ihrer Fragebeantwortung auch das Vorliegen der subjektiven Tatseite des § 3g VG als erwiesen angenommen haben. Entsprechend dem Wesen der materiellen Nichtigkeitsgründe im geschworengerichtlichen Verfahren, welche die Ableitung einer behaupteten Fehlerhaftigkeit nur aus dem Wahrspruch selbst zulassen, ist daher eine Anfechtung aus dem relevierten Nichtigkeitsgrund, die (wie hier) nicht von diesem Tatsachensubstrat ausgeht, ausgeschlossen.

Da als Drohung mit einer Verletzung an der Ehre auch die Ankündigung einer Anzeige in Betracht kommt, und zwar unabhängig davon, ob sie inhaltlich richtig oder falsch ist, erweist sich auch der im Wahrspruch zur Hauptfrage 12 und der darauf gegründete Schuldspruch wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB als rechtsrichtig (Jerabek in WK2, § 74 StGB Rz 31).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten nach § 3g VG unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und gemäß §§ 31, 40 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichtes Reutte vom 28. Juni 2002, GZ 1 U 28/02v, eine Zusatzstrafe in der Dauer von 16 Monaten. Unter einem fasste es gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO den Beschluss auf Widerruf der bedingten Entlassung aus einem Strafrest von einem Monat und 29 Tagen zu 21 BE 454/00 des Landesgerichtes Innsbruck. Bei der Strafbemessung wertete das Geschworenengericht als erschwerend "das Zusammentreffen eines Verbrechens mit drei Vergehen, die zahlreichen Wiederholungen beim Verbrechenstatbestand, die Wiederholungen beim Vergehen der Körperverletzung, die einschlägige Vorstrafenbelastung sowohl in Bezug auf Vermögensdelikte als auch auf Aggressionsdelikte und die brutale Vorgangsweise bei der Körperverletzung", als mildernd das teilweise Geständnis, dass die Taten längere Zeit zurückliegen und sich der Angeklagte wohl verhalten hat.

Die Berufung des Angeklagten begehrt eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe sowie deren (teil-)bedingte Nachsicht. Zu den vom Geschworenengericht im Wesentlichen richtig erfassten Strafzumessungstatsachen (betreffend die realkonkurrierende Verwirklichung einer Mehrzahl von Verbrechen nach § 3g VG als "zahlreiche Wiederholung beim Verbrechenstatbestand") kommt als mildernd das Alter unter 21 Jahren bei einem Teil der Straftaten hinzu.

Ansonsten vermag die Berufung keine zusätzlichen Umstände mildernder Natur darzulegen. Dass sich der Angeklagte in letzter Zeit wohl verhalten hat, wurde ohnedies als mildernd berücksichtigt, wobei das zugrundeliegende Motiv bedeutungsmäßig in den Hintergrund tritt. Auch das sonstige Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, das vom Geschworenengericht unter Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit - dazu ergänzend ist die Aggravierung der Deliktsformen und Häufigkeit in Anschlag zu bringen - und des Unrechtsgehaltes der Taten zutreffend gefundene Strafmaß zugunsten des Rechtsmittelwerbers zu verändern. Aus der Sicht aller dessen Person betreffender Umstände und des Grades seiner Schuld kann dieses Ziel durch eine teilweise oder gar durch die gänzliche Nachsicht der Sanktion nicht mehr erreicht werden (§§ 43 Abs 1, 43a StGB).

Aus den von Geschworenengericht zutreffend angeführten Gründen ist auch der zusätzlich zur verhängten Freiheitsstrafe nunmehr angeordnete Widerruf der bedingten Entlassung geboten.

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