OGH 8Ob104/03g

OGH8Ob104/03g30.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer, Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Angelika D*****, geboren am 21. November 1997, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Kindesmutter Moriamo S*****, geboren am 7. November 1979, *****, gegen den Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgericht vom 26. Juni 2003, GZ 1 RM 57/02a-81, mit dem infolge Rekurses der Kindesmutter der Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien als Pflegschaftsgericht vom 7. November 2002, GZ 7 P 101/97p-76, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Pflegschaftssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Bereits mit Beschluss des Erstgerichtes vom 16. April 1999 wurde über die 1997 geborene Minderjährige die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung dem Amt für Jugend und Familie übertragen, hingegen der Antrag des mütterlichen Großvaters und dessen Ehegattin auf Übernahme der Minderjährigen in ihre volle Obsorge abgewiesen. Auch dessen erneuter Antrag sowie ein späterer Antrag des Ehegatten der Kindesmutter blieben ohne Erfolg. Mit Beschluss des Erstgerichtes vom 21. 3. 2001 wurde dann das Amt für Jugend und Familie auch bereits zum ad hoc Kurator für die Beantragung eines Reisepasses und eines Visums bestellt und in weiterer Folge auch die Taufe der Minderjährigen pflegschaftsgerichtlich genehmigt.

Nunmehr hat der Jugendwohlfahrtsträger den Antrag gestellt, ihn zum Kurator für die Antragstellung auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu bestellen und diesen Antrag pflegschaftsbehördlich zu genehmigen. Der Antrag wird damit begründet, dass sich die Kindesmutter weigere, einen Pass für das Kind zu beschaffen, und nicht bekannt sei, ob das Kind überhaupt eine Aufenthaltsbewilligung habe. Auch der Versuch, einen Pass bei der nigerianischen Botschaft zu bekommen sei ohne Erfolg geblieben. Um den "Status des Kindes" zu sichern, sei die Beantragung der österreichischen Staatsbürgerschaft dringend angezeigt.

Die Kindesmutter hat einen Antrag auf Übertragung der Pflege und Erziehung gestellt, über den noch nicht entschieden wurde.

Dem Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers wurde ohne Einholung einer Stellungnahme der Kindesmutter vom Erstgericht allein mit der Begründung, dass sich die Kindesmutter weigere, tätig zu werden und die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft angesichts der Situation nicht integrierter Ausländer zum Vorteil des Kindes sei, stattgegeben.

Das Rekursgericht hat dem gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs der Kindesmutter nicht Folge gegeben. Es ging davon aus, dass nach § 176 Abs 1 ABGB das Gericht dann, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des Minderjährigen gefährden, zu dessen Sicherung die nötigen Verfügungen zu treffen hat. Entsprechend § 19 Abs 1 Staatsbürgerschaftsgesetz bedürfe die Verleihung der Staatsbürgerschaft eines schriftlichen Antrages. Nach § 19 Abs 2 Staatsbürgerschaftsgesetz könnten Minderjährige, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, diesen nur selbst stellen, bedürften aber der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters. Abs 3 dieser Bestimmung sehe vor, dass Anträge anderer nicht eigenberechtigter Fremder deren Zustimmung bedürften. Erteile der gesetzliche Vertreter in den Fällen Abs 2 die Einwilligung nicht, so sei dieser auf Auftrag des Minderjährigen oder von Amts wegen zu ersetzen, wenn dies dem Wohl des Minderjährigen entspreche bzw in den Fällen nicht eigenberechtigter Fremder die Zustimmung zu erteilen.

Die Minderjährige sei kurz nach ihrer Geburt in einem Kinderheim untergebracht worden und befinde sich seit Mai 1998 bei den Pflegeeltern. Die Mutter unternehme keinerlei Anstalten, den "Status" zu sichern und einen Pass für die Minderjährige zu beschaffen. Die Versuche des Amtes für Jugend und Familie, für das Kind einen Pass bei der nigerianischen Botschaft zu besorgen, seien ohne Erfolg geblieben. Die Kindermutter sei nigerianische Staatsbürgerin und verfüge über ein Visum. Sie sei mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet und halte sich bereits seit vielen Jahren in Österreich auf. Es sei von deren Absicht, sich dauerhaft in Österreich aufzuhalten, auszugehen. Um einen dauerhaften Verbleib in Österreich auch der Minderjährigen zu gewährleisten bzw um deren Status und deren Integration und weitere gedeihliche Entwicklung zu sichern, sei es erforderlich, den Jugendwohlfahrtsträger zu ermächtigen, die österreichische Staatsbürgerschaft für die Minderjährige zu beantragen.

Den ordentlichen Revisionsrekurs erachtete das Rekursgericht mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG als nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss außerordentliche Revisionsrekurs der Kindesmutter ist zulässig und auch berechtigt. Im Ergebnis zutreffend zeigt die Mutter auf, dass grundsätzlich den Eltern die gesetzliche Vertretung des Kindes zukommt. Daher setzt ein Eingriff in diese Rechte durch das Pflegschaftsgericht den Nachweis einer konkreten Gefährdung voraus.

Voranzustellen ist die Regelung des § 19 des Staatsbürgerschaftsgesetzes. Zufolge dessen Abs 1 bedarf die Verleihung der Staatsbürgerschaft eines schriftlichen Antrages. Sobald ein Minderjährige das 14. Lebensjahr vollendet hat, kann er diesen Antrag nur selbst stellen, bedarf aber dazu der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (§ 19 Abs 2 Staatsbürgerschaftsgesetz), die zufolge Abs 4 dieser Bestimmung auf Antrag des Minderjährigen durch das Pflegschaftsgericht zu ersetzen ist, wenn die Verleihung oder Erstreckung der Staatsbürgerschaft dem Wohl des Minderjährigen entspricht. Diese Regelungen erfassen also nur minderjährige Fremde, die bereits das 14. Lebensjahr vollendet haben, was hier noch nicht der Fall ist.

§ 19 Abs 3 Staatsbürgerschaftsgesetz sieht vor, dass Anträge anderer nicht eigenberechtigter Fremder deren schriftlicher Zustimmung bedürfen. Dazu hält § 19 Abs 5 Staatsbürgerschaftsgesetz ergänzend fest, dass deren Zustimmung auf Antrag des gesetzlichen Vertreters oder von Amts wegen vom Pflegschaftsgericht zu ersetzen ist, wenn die Verleihung oder Erstreckung der Verleihung dem Wohl des Fremden entspricht. Dies gilt sowohl für den Fall, dass die nicht eigenberechtigte Person nicht zustimmen will oder auch für jenen, dass sie dazu nicht in der Lage ist.

§ 19 Staatsbürgerschaftsgesetz setzt also immer voraus, dass ein Antrag einer dazu berechtigten Person - entweder des 14-jährigen Minderjährigen oder des gesetzlichen Vertreters - vorhanden ist und nur die Zustimmung - einmal des gesetzlichen Vertreters das andere Mal des nicht eigenberechtigten Fremden - ersetzt werden muss (vgl nur dazu RIS Justiz RS0073054 mwN).

§ 19 Staatsbürgerschaftsgesetz regelt also nicht die Frage, wer gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen im Zusammenhang mit der Antragstellung ist.

Die Frage, inwieweit nun die elterliche Obsorge im Rahmen der Vertretung dabei eingeschränkt und dem Jugendwohlfahrtsträger übertragen werden kann, ist unter Heranziehung der §§ 176 und 213 ABGB zu lösen (vgl zur Anwendbarkeit entsprechend dem Haager Minderjährigenschutzabkommen Anzinger in Burgstaller [Hrsg] Internationales Zivilverfahrensrecht, 211; anders zu "Genehmigungen" im Staatsangehörigkeitsrecht - 212, ähnlich Oberloskamp, Minderjährigenschutzabkommen, 18).

Bisher wurde nur die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung übertragen. Die gesetzliche Vertretung auch im Zusammenhang mit der Antragstellung für die Erlangung einer Staatsbürgerschaft kommt also weiter der Mutter zu.

§ 176 ABGB setzt für die Entziehung des Vertretungsrechtes durch die Eltern nicht nur voraus, dass eine bestimmten Maßnahme dem Wohl des Minderjährigen förderlich sein könnte, sondern dass das konkrete Verhalten der Eltern das Wohl des mj Kindes gefährdet. Daran sollte auch durch die Neufassung des § 176 ABGB mit dem Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2001 BGBl I Nr 135/2000 nichts geändert werden (vgl dazu RV 296 BlgNr 21 GP, Anm zu § 176 Abs 1). Es muss sich nach stRsp und einheitlicher Lehre um eine konkrete Gefährdung handeln, die eine Maßnahme des Pflegschaftsgerichtes dringend geboten erscheinen lässt (vgl dazu etwa Stabentheiner in Rummel ABGB3 §§ 176 bis 176b Rz 1a, Schwimann in Schwimann ABGB2 § 176 Rz 4 ff; RIS-Justiz RS0106310 mwN; RIS-Justiz RS0106307 mwN; RIS-Justiz RS007035 mwN uva). Dabei hat der Oberste Gerichtshof auch bereits mehrmals dargelegt, dass allgemeine Überlegungen zu den Verhältnissen in einem bestimmten Staat nicht ausreichen, eine solche konkrete Gefährdung zu begründen (vgl OGH RIS-Justiz RS0106307; RIS-Justiz RS0106310 jeweils mwN). Dies gilt auch bei der Frage der Staatsbürgerschaft.

Worin nun eine aktuelle konkrete Gefährdung des Wohles der Minderjährigen - deren Staatsbürgerschaft nicht geklärt wurde - gelegen sein sollte, die es dringend erforderlich machte, die Rechte der allein vertretungsbefugten Mutter, einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu stellen, einzuschränken, wurde weder festgestellt noch erörtert.

Insoweit war eine Zurückverweisung an die erste Instanz vorzunehmen.

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