OGH 1Ob20/03b

OGH1Ob20/03b17.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl G*****, vertreten durch Mag. Rainer Rienmüller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Stadt Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Rechtsanwalt in Wien, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1.) Rudolf H*****, und 2.) Gerhard K*****, beide vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwältin in Wien, wegen 5.123,43 EUR sA infolge der Revisionen der beklagten Partei und der beiden Nebenintervenienten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. September 2002, GZ 14 R 143/02f-11, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 12. März 2002, GZ 30 Cg 6/01z-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Den Revisionen wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 5.123,43 EUR samt 8 % Zinsen seit 24. Juli 1996 zu zahlen, zur Gänze abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, die wie folgt bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu zahlen:

a) der beklagten Partei 14.408,08 EUR (darin 2.227,66 EUR USt und 1.042 EUR Barauslagen);

b) den Nebenintervenienten 9.780,04 EUR (darin 1.525,51 EUR USt und 627 EUR Barauslagen).

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist alleiniger Geschäftsführer und zu 25 % Gesellschafter einer Gesellschaft mbH. Am 23. Juli 1996 kassierte er für diese aus Getränkerechnungen 78.133,12 S. Diesen Betrag brachte er in die von ihm benutzte Wohnung seiner Mutter, in der er ihn in einem Kuvert verwahrte. Er hatte vor, das Geld am nächsten Tag zu einer Bank zu bringen, was er aber unterließ, weil er zu lange geschlafen und um 9.00 Uhr einen Termin wahrzunehmen hatte. Die Nacht hatte er allein verbracht. Den Großteil des von ihm kassierten Betrags, nämlich 70.500 S (= 5.123,43 EUR) in Banknoten, ließ er in dem Kuvert, das er quer über mehrere auf einem Regal befindliche Bücher etwa in Augenhöhe gelegt hatte, zurück.

An diesem Tag wurde zwischen 9.15 Uhr und 11.30 Uhr in dieser Wohnung wegen rückständiger Wassergebühren und Grundbesitzabgaben sowie einer nicht bezahlten Verwaltungsstrafe eine Fahrnisexekution vom Erstnebenintervenienten in Begleitung des Zweitnebenintervenienten vollzogen. Ein Schlosser war der Amtshandlung beigezogen und während des gesamten Vollzugs anwesend. Die gepfändeten Gegenstände wurden durch zwei Mitarbeiter eines Transportunternehmens, die ebenfalls während des gesamten Vollzugs anwesend waren, abtransportiert. Eine dieser fünf Personen nahm das im Kuvert befindliche Geld während des Exekutionsvollzugs an sich, ohne es zum Gegenstand der Pfändung zu machen. Wer das Geld an sich nahm, war nicht feststellbar.

In einem Vorverfahren begehrte der Kläger ua die Zahlung des abhanden gekommenen Betrags von 70.500 S. Dieses Begehren wurde mangels aktiver Klagslegitimation abgewiesen, weil der Kläger selbst keinen Schaden erlitten und keine Behauptung dahin aufgestellt habe, er habe die strittige Summe der Gesellschaft mbH, für die er den Betrag in Empfang genommen hatte, ersetzen müssen und ersetzt.

Es war nicht feststellbar, dass die Gesellschaft mbH ihren Schadenersatzanspruch gegen die beklagte Partei dem Kläger abgetreten hätte.

Am 6. Juni 2000 überwies der Kläger 94.000 S an die Gesellschaft mbH, hievon 70.500 S zur Begleichung des der Gesellschaft mbH aus dem Diebstahl entstandenen Schadens.

Der Kläger begehrte die Zahlung von 70.500 S (= 5.123,43 EUR), weil eine der am Exekutionsvollzug beteiligten Personen als Organ der beklagten Partei diesen Betrag widerrechtlich an sich gebracht habe. Er habe der Gesellschaft mbH als Eigentümerin des Geldbetrags, den abhanden gekommenen Betrag samt 8 % Zinsen seit 24. Juli 1996 ersetzen müssen und am 6. Juni 2000 tatsächlich gezahlt. Deshalb könne er die beklagte Partei in Anspruch nehmen. Hilfsweise behauptete er, die Gesellschaft mbH habe ihm ihren Schadenersatzanspruch gegen die beklagte Partei abgetreten.

Die beklagte Partei wendete ein, der Geldbetrag sei gar nicht beim Exekutionsvollzug abhanden gekommen. Jedenfalls aber sei der allfällige Diebstahl von keinem ihrer Organe begangen worden, denn dem Exekutionsvollzug seien drei Hilfspersonen beigezogen gewesen, denen keine Organstellung zukäme. Im Übrigen treffe den Kläger das alleinige Verschulden am Abhandenkommen des Geldbetrags, weil er nicht für dessen ordnungsgemäße Verwahrung gesorgt habe. Der Kläger habe den strittigen Betrag auch nicht an die Gesellschaft gezahlt, jedenfalls sei die Zahlung aber erst mehr als drei Jahre nach dem schadensauslösenden Ereignis erfolgt, weshalb ein allfälliger Schadenersatzanspruch der Gesellschaft mbH gegen den Kläger bereits verjährt gewesen sei. Schließlich wurde der Einwand erhoben, dass die Streitsache bereits rechtskräftig entschieden und die Klagsforderung verjährt sei.

Die Nebenintervenienten schlossen sich dem Vorbringen der beklagten Partei an und bestritten vor allem, dass der Geldbetrag im Zuge des Exekutionsvollzugs abhanden gekommen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren - mit Ausnahme eines Zinsenmehrbegehrens, dessen Abweisung bereits in Rechtskraft erwachsen ist, - statt. Der Einwand der rechtskräftig entschiedenen Sache sei unberechtigt, weil der Kläger im vorangegangenen Verfahren nicht behauptet habe, dass er der Gesellschaft mbH den dieser entstandenen Schaden ersetzt habe. Sämtliche beim Exekutionsvollzug anwesende Personen seien Organe der beklagten Partei gewesen, denn auch die Hilfskräfte seien mit hoheitlichen Aufgaben betraut worden. Demnach könne der Kläger Schadenersatz nach dem AHG fordern. Er wäre verpflichtet gewesen, für die sichere Verwahrung des von ihm kassierten Geldbetrags zu sorgen. Dieser aus § 25 Abs 1 GmbHG resultierenden Verpflichtung sei er nicht nachgekommen. Demnach sei er der Gesellschaft mbH gegenüber zum Ersatz ihres Schadens verpflichtet gewesen. Deren Schadenersatzanspruch gegen den Kläger verjähre gemäß § 25 Abs 6 GmbHG erst nach fünf Jahren, weshalb er im Zeitpunkt der Zahlung durch den Kläger noch nicht verjährt gewesen sei. Auf Grund der tatsächlichen Zahlung habe der Kläger einen Regressanspruch gegen die beklagte Partei, der nach § 1302 ABGB iVm § 896 ABGB zu beurteilen sei. Die sorglose (leicht fahrlässige) Verwahrung des Geldes sei im Vergleich zum Faktum des Diebstahls dermaßen gering zu gewichten, dass der Rückgriff in vollem Umfang berechtigt sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die Forderung des Klägers sei nicht verjährt, weil die Verjährungsfrist bei Regressansprüchen erst mit der Zahlung der Regresssumme zu laufen beginne. Sowohl der Schlosser wie auch die zum Abtransport der Pfandgegenstände beigezogenen Personen seien als Hilfsorgane anzusehen, weil das Aufsperren und auch der Abtransport einen Teil der exekutiven Zwangsmaßnahmen bildeten. Selbst bei Überschreitung der Befugnisse oder einen Missbrauch der Amtsstellung seien die am Exekutionsvollzug beteiligten Personen als Organe der beklagten Partei tätig geworden, weil sie den Schaden unter dem Anschein hoheitlichen Handelns zugefügt hätten und dieses Handeln in einem engen inneren Zusammenhang mit der dienstlichen (hoheitlichen) Tätigkeit gestanden sei. Stelle man die vorsätzliche Diebstahlshandlung der leicht fahrlässigen unzureichenden Verwahrung durch den Kläger gegenüber, dann könne dieser vollen Regress verlangen.

Die Revisionen der beklagten Partei und der Nebenintervenienten sind zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Bereits im Vorverfahren hat der Oberste Gerichtshof ausgeführt, der Kläger habe durch das Abhandenkommen des Geldbetrags keinen eigenen Schaden erlitten, weil das Geld nicht in seinem Eigentum, sondern in dem der Gesellschaft mbH gestanden sei. Der dem Kläger gegen die beklagte Partei allenfalls zustehende Ersatz-(Regress-)anspruch entstünde erst durch die tatsächliche Zahlung des der Gesellschaft mbH entstandenen Schadens, sofern dem Kläger ein Verstoß gegen die ihn treffende Sorgfaltspflicht iSd § 25 GmbHG anzulasten und er daher überhaupt als regressberechtigter (Neben-)Täter anzusehen sei (1 Ob 279/99g).

Nun haben die Vorinstanzen festgestellt, der Kläger habe der Gesellschaft mbH den aus dem Diebstahl entstandenen Schaden dadurch ersetzt, dass er ihr am 6. 6. 2000 70.500 S (= 5.123,43 EUR) zahlte. Ein Anspruch auf Ersatz dieses Betrags durch die beklagte Partei iSd § 1302 ABGB käme jedoch - sofern diese für das Verhalten der am Exekutionsvollzug beteiligten Personen haftete - nur dann in Frage, wenn der Kläger selbst in irgendeiner Form für den widerrechtlich zugefügten Schaden iSd § 1301 ABGB einzustehen hätte. Eine solche Verantwortlichkeit könnte indes nur dann angenommen werden, wenn der Kläger bei der Verwahrung des der Gesellschaft gehörigen Bargeldbetrags der ihm gemäß § 25 Abs 1 GmbHG aufgegebenen Verpflichtung, dabei mit der Sorgfalt eines "ordentlichen Geschäftsmanns" vorzugehen, nicht nachgekommen sein sollte und deshalb für den der Gesellschaft daraus entstandenen Schaden haftete (§ 25 Abs 2 GmbHG). Der Sorgfaltsmaßstab für den Geschäftsführer ist den Fähigkeiten und Kenntnissen, die von einem Geschäftsführer in dem betreffenden Geschäftszweig und nach der Größe des Unternehmens üblicherweise erwartet werden können, zu entnehmen; er darf nicht überspannt werden (Reich-Rohrwig, Das österreichische GmbH-Recht I2 Rz 2/306; Umfahrer, Die Gesellschaft mbH5 Rz 266). In dem Umstand, dass der Kläger den von ihm kassierten Geldbetrag einige Stunden lang in der von ihm benutzten Wohnung liegen ließ und ihn nicht besser verschloss, kann aber kein schuldhaftes pflichtwidriges Verhalten iSd § 25 GmbHG erblickt werden. Einerseits bewegt sich der Geldbetrag in einer Größenordnung, die noch keine übermäßigen Verschlussvorkehrungen erforderte. Andererseits musste der Kläger keineswegs damit rechnen, dass während seiner bloß kurz dauernden Abwesenheit (un)befugte Personen in seine Wohnung eindringen und den Geldbetrag an sich nehmen könnten. Schon gar nicht aber musste er damit rechnen, dass zum Eindringen in diese Wohnung befugte Personen - hier die Nebenintervenienten und deren Helfer - im Zuge einer behördlichen Vollstreckungsmaßnahme unbefugter Weise das von ihm in einem Kuvert abgelegte Geld an sich nehmen würden. Die vom Kläger gewählte Verwahrung des Geldes war gewiss nicht optimal, doch hieße es den Sorgfaltsmaßstab des § 25 Abs 1 GmbHG überspannen, würde man ihn bei dem hier zu beurteilenden Sachverhalt wegen der Verletzung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns zur Verantwortung ziehen. Ihm ist weder pflichtwidriges noch schuldhaftes Verhalten (s Koppensteiner GmbHG2 Rz 14 zu § 25) anzulasten.

Mangels Sorgfaltsverstoßes war der Kläger nicht zur Zahlung an die Gesellschaft mbH verpflichtet. Er kann daher auch nicht nach § 1302 iVm § 896 ABGB Regress gegen die beklagte Partei nehmen. Eine Abtretung des Schadenersatzanspruchs der Gesellschaft mbH an den Kläger konnten die Vorinstanzen nicht feststellen (S 5 des Berufungsurteils), sodass auch aus diesem vom Kläger hilfsweise behaupteten Titel (S 2 des Protokolls vom 6. November 2001) kein Zuspruch erfolgen kann, ohne dass noch darauf eingegangen werden müsste, ob einem solchen Begehren nicht ohnehin der Verjährungseinwand entgegenstünde: Der Gesellschaft gegenüber hätte der Kläger allerdings die Verjährung nicht mit Erfolg einwenden können, beträgt doch die Verjährungsfrist für die Gesellschaft fünf Jahre (§ 25 Abs 6 GmbHG).

Da die Revisionen schon aus diesen Erwägungen erfolgreich sind, ist auf die vom Berufungsgericht aufgeworfene Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht weiter einzugehen. Das Begehren des Klägers scheitert nämlich (neuerlich) schon an seiner mangelnden Aktivlegitimation.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Der Umstand, dass die Berufung der Nebenintervenienten mit der von der beklagten Partei erhobenen Berufung nahezu wortgleich ist, bedeutet für sich allein noch nicht, dass sie nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung diente.

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