European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2003:0010OB00221.03.1017.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
Der Beklagte ist Halter von zwei Ponyhengsten. Einer davon - "Bubi" - ist mehr als zwanzig Jahre alt und gutmütig. Die Gattin des Beklagten wurde von "Bubi" allerdings "schon öfter ... gezwickt". Durch dieses Tier wurde jedoch "noch nie jemand" verletzt. Am 15. 10. 2001 war "Bubi" auf einem dreieckigen Grundstück des Beklagten, das nicht eingezäunt ist, mit einem zum Halfter geführten und dort befestigten 5 bis 6 m langen Strick an einen "Eisenstipfel" gebunden, um das Tier ein paar Stunden grasen zu lassen. Es war so etwa "mittig" auf dem Grundstück ungefähr 15, 10 und 8 m von einer Thujenhecke und zwei Wegen, die die Weide begrenzten, entfernt und wurde während dieser Zeit nicht beaufsichtigt. Die am 28. 8. 1989 geborene Klägerin ist geistig und motorisch behindert. Ihre Entwicklung entsprach am 15. 10. 2001 der eines sieben- bis achtjährigen Kindes. An diesem Tag lief sie nach dem Schulbesuch zum Grundstück des Beklagten, legte ihren Arm um das Pony und streichelte es. Sodann zog sie das gerade fressende Pony am Strick, um es zu führen. Daraufhin "schupfte" das Pony die Klägerin mit seinen Hufen um und biss sie mehrmals. Sie erlitt dabei mittelschwere Verletzungen. Sie und ihre Schwester hatten vor dem 15. 10. 2001 "die Ponys öfter" besucht. Das wurde weder von deren Eltern noch vom Beklagten jemals untersagt. Auch andere Kinder besuchten die Ponys, um sie zu füttern und zu streicheln. Das war "zumindest der Frau des Beklagten bekannt".
Die Klägerin begehrte den Zuspruch von 7.243,33 EUR sA und die Feststellung, dass der Beklagte ihr gegenüber für "sämtliche Folgen aus dem Vorfall vom 15. 10. 2001" hafte.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren - abgesehen von einem Teil des Zinsenbegehrens - statt.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren zur Gänze abwies. Es sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Mit Beschluss vom 30. 6. 2003 änderte es diesen Ausspruch dahin ab, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof noch nie beurteilt habe, "ob das Anpflocken von gutmütigen Weidetieren in Kenntnis, dass Kinder den an die Weide angrenzenden Schulweg benützen, der objektiv erforderlichen Sorgfalt eines Tierhalters" entspreche. Überdies könnten "die Grundsätze, die der Oberste Gerichtshof zur Tierhalterhaftung vertritt, unrichtig ausgelegt" worden sein. Das Berufungsgericht erläuterte die wesentlichen, von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze zur Tierhalterhaftung nach § 1320 ABGB und zog daraus den Schluss, es genüge, Weidetiere "auf einer eingezäunten Weide" zu halten, um ihr Entlaufen zu verhindern, oder von einer geeigneten Person beaufsichtigen zu lassen oder, was einer Einzäunung gleichzuhalten sei, deren Entkommen "durch Anketten" hintanzuhalten. Dagegen seien von einem Landwirt Maßnahmen zur Unterbindung des Betretens seines Grundstücks durch Fremde nicht zu verlangen. Er habe es auch nicht zu unterlassen, ein gutmütiges Pony "in der Nähe einer Straße weiden zu lassen".
Die Revision ist unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
Auf dem Boden der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs befasste sich der erkennende Senat zuletzt in der die Haltung von Hauskatzen betreffenden Entscheidung 1 Ob 25/02m mit Fragen der Tierhalterhaftung. Danach hat ein Tierhalter die objektiv erforderliche Sorgfalt bei der Verwahrung und Beaufsichtigung seines Tieres einzuhalten und hiefür den Beweis zu erbringen. Unter ordnungsgemäßer Verwahrung seien jene Maßnahmen zu verstehen, die nach der Verkehrsauffassung vernünftigerweise geboten seien. Das Maß der erforderlichen Beaufsichtigung und Verwahrung eines Tieres werde insbesondere durch die Gefährlichkeit des Tieres seiner Art und Individualität nach, also durch die Möglichkeit einer Schädigung als Folge eines spezifischen Tierverhaltens bestimmt. Insofern sei eine Abwägung der Interessen maßgebend. Je größer die Gefährlichkeit des Tieres sei, umso strengere Anforderungen seien an die jeweils gebotene Sorgfalt zu stellen. Gehe von einem Tier eine Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit von Menschen aus, so sei die Verwahrung des Tieres durch Einzäunung, Ankettung, Anlegung eines Maulkorbs oder Führung an der Leine als zumutbare und gravierende Interessen nicht beeinträchtigende Maßnahme erforderlich. Der Umfang der Beaufsichtigungs- und Verwahrungspflicht hänge letztlich stets von den Umständen des Einzelfalls ab.
An den soeben referierten Leitlinien ist festzuhalten. Vor deren Hintergrund ist nicht erkennbar, dass dem Berufungsgericht bei der zuvor angesprochenen Interessenabwägung eine gravierende Fehlbeurteilung der Umstände dieses Falls unterlaufen wäre. Eine solche wäre aber die Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision. Eine Revision ist somit nicht schon dann zulässig, wenn Wertungen im Einzelfall innerhalb des Spielraums der durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geprägten Grundsätze allenfalls auch ein anderes Ergebnis zeitigen könnten. Andernfalls müsste der Oberste Gerichtshof in jedem Einzelfall die Sachentscheidung fällen. Deshalb wurde bereits wiederholt ausgesprochen, das Berufungsgericht dürfe, wenn eine bereits vorhandene Grundsatzjudikatur des Obersten Gerichtshofs einen Wertungsspielraum eröffne, seinen Ausspruch, die Revision sei unzulässig, nur dann nachträglich abändern, wenn es zur Überzeugung gelangt sei, dass ihm bei der Würdigung des Anlassfalls eine erhebliche Fehlbeurteilung unterlaufen sei (RIS‑Justiz RS0114180).
Soweit die Klägerin als Stütze für ihre Ansicht die Entscheidung 8 Ob 592/92 ins Treffen führt, ist ihr zu entgegnen, dass dort die Erfordernisse der Verwahrung und Beaufsichtigung eines Hundes, der mit Kleinkindern in Kontakt kam, erörtert wurden. Dabei wurde im Kontext mit der Hunden eigentümlichen Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit ausgesprochen, "die gebotene Sorgfalt des Halters" sei "immer schon dann verletzt", wenn er es zulasse, dass ein Kleinkind (Anm: dort ein vierjähriges Kind) mit dem Hund unbeaufsichtigt spiele. Die Klägerin ist - auch unter Beachtung ihres Entwicklungsstands - einerseits kein Kleinkind mehr, andererseits sind die für die Hundehaltung geltenden Grundsätze nicht ohne weiteres auf die Haltung eines Weidetiers wie ein gutmütiges und etwa in der Mitte eines Grundstücks des Tierhalters - in einer nicht zu geringen Distanz zu vorbeiführenden Wegen - angebundenes Pony zu übertragen, das sich, um überhaupt weiden zu können, in dem durch die Stricklänge begrenzten Wiesenumfeld bewegen können muss. Die Ansicht der Klägerin würde letztlich bedeuten, dass ein Landwirt, der den Anforderungen nach § 1320 ABGB genügen will, seine Weidetiere selbst im Fall der Einzäunung der Weiden ständig überwachen müsste, weil sich Kinder von einem leicht zu überwindenden Hindernis gewöhnlich nicht abhalten lassen, sich Tieren, zu denen sie sich hingezogen fühlen, zu nähern.
Nach allen bisherigen Erwägungen ist die Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen, wobei sich der Oberste Gerichtshof gemäß § 510 Abs 3 ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken kann.
Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf §§ 40, 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte wies auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hin. Dessen Revisionsbeantwortung war daher einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht dienlich.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)