OGH 8ObA61/03h

OGH8ObA61/03h18.9.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek als weitere Richter (Senat gemäß § 11a ASGG) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** AG, ***** vertreten durch Mag. Peter M*****, Dr. Günter S*****, Dr. Christian S*****, Dr. Reinhard D*****, Dr. Thomas R*****, Mag. Karina G*****, Mag. Wolfgang M*****, Dr. Margit P*****, alle W***** W*****, wider die beklagte Partei Hannes G*****, Bewachungsorgan, ***** vertreten durch Grießer Gerlach Gahleitner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes gemäß § 121 ArbVG, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. April 2003, GZ 10 Ra 19/03t-19, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17. September 2002, GZ 4 Cga 82/02k-15, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung

Mit Urteil vom 17. September 2002 erteilte das Erstgericht gemäß § 121 ArbVG die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung des Beklagten.

Dieses Urteil wurde dem unvertretenen Beklagten an seiner Wohnanschrift zugestellt. Die Übernahme des Urteils erfolgte laut der Beurkundung auf dem Rückschein am 22. 11. 2002 durch Elisabeth G*****, die auf dem Rückschein als Mutter des Beklagten bezeichnet wurde.

Die Berufung des nunmehr vertretenen Beklagten gegen dieses Urteil wurde am 23. 12. 2002 zur Post gegeben.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht die Berufung als verspätet zurück: Ausgehend von der am 22. 11. 2002 bewirkten Zustellung habe die Berufungsfrist am Freitag, dem 20. 12. 2002 geendet.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem eine Sachentscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO) und berechtigt.

In seinem Rekurs macht der Beklagte geltend, er habe sich vom 21. bis 24. 11. 2002 im Haus seiner Schwester und seines Schwagers in ***** I***** aufgehalten, um seine pflegebedürftigen Eltern für diesen Zeitraum zu betreuen. Er sei am 21. November 2002 (Donnerstag) um ca 7,00 Uhr früh von seinem Dienstort in 1010 Wien nach I***** gefahren und dort gegen 8,00 Uhr eingetroffen. Von dort aus sei der Beklagte am späten Nachmittag des folgenden Tages wieder zu seinem Dienstort nach 1010 Wien gefahren. Nach Dienstende sei der Beklagte erneut nach I***** gefahren. Er habe sich bis Sonntag in I***** aufgehalten und von dort aus seinen Dienst in Wien angetreten. Nach Dienstende am Montag früh sei er an seine Wohnanschrift zurückgekehrt. Von seiner Ehefrau habe er am Nachmittag die Postsendung erhalten. Der Beklagte habe somit erst nach seiner Rückkehr am 25. 11. 2002 vom erstinstanzlichen Urteil Kenntnis erlangt. Die Mutter des Beklagten habe das Urteil entgegen der Beurkundung auf dem Rückschein nicht übernommen.

Nach den vom Erstgericht gemäß § 469 Abs 1 Satz 2 ZPO durchgeführten Erhebungen hielt sich der Beklagte vom 21. bis einschließlich 24. November (Donnerstag bis Sonntag) 2002 bei seinen Eltern in I***** auf und fuhr lediglich zur Verrichtung seines Dienstes in 1010 Wien, der während der genannten Tage jeweils von 19,00 Uhr bis 7,00 morgens dauerte, nach Wien. Er kehrte erst am Montag, dem 25. 11. 2002 nach Dienstende in seine Wohnung zurück und erhielt das Urteil von seiner Ehefrau ausgehändigt, die das Urteil am 22. 11. 2002 vom Postzusteller übernommen hatte.

Aufgrund dieser Erhebungsergebnisse ist zunächst davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt der Ersatzzustellung des Ersturteils an die Ehefrau des Beklagten (§ 16 Abs 1 und 2 ZustG) die Wohnung des Beklagten Abgabestelle im Sinn des § 4 ZustG war. Für jede der in § 4 ZustG genannten möglichen Abgabestellen, also auch für die Wohnung des Empfängers, besteht für die Begründung der Wirksamkeit der Zustellung die Voraussetzung, dass sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, also - von kurzfristigen Abwesenheiten abgesehen - immer wieder an die Abgabestelle zurückkehrt. Eine bloß vorübergehende (und damit unschädliche) Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle ist dann anzunehmen, wenn der Empfänger dadurch bloß vorübergehend an der Wahrnehmung eines Zustellvorganges gehindert wird, was etwa bei einer Reise, bei einem Urlaub oder Krankenhausaufenthalt des Empfängers oder bei einem sonstigen diesen Fällen gleichzuhaltenden Abwesenheitsgrund zutrifft (RIS-Justiz RS0083895; SZ 60/226; 1 Ob 23/97g, 10 ObS 346/02h; Gitschthaler in Rechberger² § 87 ZPO [§ 4 ZustG] Rz 9). Von einer längeren Nichtbenützung der Wohnung, die ihr die Qualität einer Abgabestelle nehmen würde, kann hier keine Rede sein.

Damit ist aber auch die Wirksamkeit der Ersatzzustellung an die Ehefrau des Beklagten zu bejahen, weil der Beklagte in der Wohnung seinen regelmäßigen Aufenthalt hat und bei Zustellung des Ersturteiles dort nicht angetroffen wurde (RIS-Justiz RS0083893; Gitschthaler aaO § 16 ZustG Rz 9).

Allerdings gilt eine Ersatzzustellung nach § 16 Abs 5 ZustG als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, wobei jedoch in diesem Fall die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam wird. Dabei müssen die Bestimmungen des § 16 Abs 1 und Abs 5 ZustG so verstanden werden, dass sie einander sinnvoll ergänzen und die Ersatzzustellung nicht wertlos wird. Das heißt, dass eine dem § 16 Abs 1 ZustG gemäß erfolgte Zustellung - zumindest für den Regelfall - wirksam ist, § 16 Abs 5 ZustG also nicht zur Anwendung gelangt und die Begriffe "regelmäßiger Aufenthalt" und "Abwesenheit von der Abgabestelle" einander ausschließen. § 16 Abs 5 ZustG gilt nur für den - vom Empfänger der Sendung zu behauptenden und zu beweisenden - Ausnahmsfall, dass er aus anderen Gründen als denen, aus denen die Ersatzzustellung zulässig ist, vom Zustellvorgang nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen konnte. Dabei muss die Abwesenheit von der Abgabestelle eine längere als jene sein, die jeder zulässigen Ersatzzustellung als notwendige Voraussetzung zugrunde liegt (SZ 57/141). Die Rechtzeitigkeit ist unter Bezugnahme auf den Inhalt des Zustellstückes zu prüfen. Bei der Zustellung von Entscheidungen ist "rechtzeitig" dahin zu verstehen, dass dem Empfänger noch jener Zeitraum für ein allfälliges Rechtsmittel zur Verfügung gestanden sein muss, der auch einem großen Teil der Bevölkerung unter Berücksichtigung deren Berufstätigkeit zur Verfügung gestanden wäre (RIS-Justiz RS0083923; Gitschthaler aaO § 16 ZustG Rz 12). Eine Kenntniserlangung, die - wie hier - erst drei Tage nach der nach der Aktenlage bewirkten Zustellung erfolgt, ist nicht als rechtzeitig im Sinne des § 16 Abs 5 ZustG anzusehen (vgl zur vergleichbaren Bestimmung des § 17 Abs 3 dritter Satz ZustG 2 Ob 265/97b; 10 ObS 346/02h; zu § 16 Abs 5 ZustG ferner VwGH ZfVB 1999/1546).

Für den hier zu beurteilenden Fall ergibt sich somit, dass die Zustellung an die Ehefrau des Beklagten als nicht bewirkt anzusehen ist, weshalb nach § 16 Abs 5 ZustG die Wirksamkeit der Zustellung erst mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag eintreten konnte. Infolge der tatsächlichen Empfangnahme des Schriftstückes durch den Beklagten vor diesem Zeitpunkt, nämlich bereits am 25. 11. 2002, ist dieser Tag als Zustelltag anzusehen (§ 7 ZustG). Davon ausgehend ist die am 23. 12. 2002 zur Post gegebene Berufung nicht verspätet. Das Berufungsgericht wird daher über die rechtzeitige Berufung inhaltlich zu entscheiden haben.

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