Spruch:
Dem Antrag des Gerhard S***** auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO wird gemäß § 363b Abs 3 StPO statt gegeben, die Urteile des Bezirksgerichts Grieskirchen vom 7. Jänner 1997, AZ 2 U 160/95, (ON 16) sowie des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 18. Juni 1997, AZ 24 Bl 88/97, (ON 24) werden aufgehoben und die Sache zur Erneuerung des Verfahrens an das Gericht erster Instanz verwiesen.
Text
Gründe:
Laut Anzeige des Gendarmeriepostens Grieskirchen vom 6. August 1995 (S 5 ff) ereignete sich am 9. Juli 1995 auf der Kienwiesen Gemeindestraße ein Verkehrsunfall, bei dem der von Gerhard S***** gelenkte PKW, gegen den von Michael K***** gelenkten Mähdrescher, stieß. Der nach diesem Unfall durchgeführte Alkomattest ergab bei Gerhard S***** einem Atemluftwert von 0,67 mg/1, was einem Blutalkoholgehalt von 1,34 Promille entspricht (S 17). Auf Grund dieser Anzeige wurden gegen Gerhard S***** bei der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn ein Verwaltungsstrafverfahren wegen der Übertretung nach § 5 Abs 1 StVO und beim Bezirksgericht Grieskirchen ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 3 (§ 81 Z 2) StGB eingeleitet. Mit - sogleich rechtskräftigem - Straferkenntnis vom 25. September 1995, Zl VerkR 96-10946-1995-Shw, verhängte die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn über Gerhard S***** wegen Verletzung des § 5 Abs 1 StVO gemäß § 99 Abs 1 lit a StVO eine Geldstrafe von 10.000 S, weil er am 9. Juli 1995 auf der Kienwiesen Gemeindestraße den PKW VW-Golf Cabrio, polizeiliches Kennzeichen *****, in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt hatte. Mit Urteil vom 7. Jänner 1997 (ON 16) erkannte das Bezirksgericht Grieskirchen Gerhard S***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 3 (§ 81 Z 2) StGB schuldig, weil er am 9. Juli 1995 auf der Kienwiesen Gemeindestraße als Lenker des Pkw VW-Golf mit dem Kennzeichen *****, infolge Reaktionsverspätung gegen den ihm entgegenkommenden, von Michael K***** gelenkten Mähdrescher gestoßen war, nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hatte, obwohl er vorhergesehen hat oder hätte vorhersehen können, dass ihm eine Tätigkeit, nämlich das Lenken seines PKW, bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet sei, und hiedurch seinen Beifahrer Roland A*****, der Prellungen des rechten Schlüsselbeins und des Brustbeins erlitten hatte, fahrlässig am Körper verletzt hatte.
Die gegen dieses Urteil von Gerhard S***** aus dem Grund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a (inhaltlich lit b) StPO erhobene Berufung wegen Nichtigkeit verwarf das Landesgericht Wels mit Urteil vom 18. Juni 1997 (ON 24) mit der wesentlichen Begründung, auch das Doppelbestrafungsverbot hindere die ungeachtet des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 25. September 1995 erfolgte strafrechtliche Verurteilung nicht.
Mit Erkenntnis vom 6. Juni 2002 (Sailer gegen Österreich, Application no. 38237/97) stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) über Beschwerde des Verurteilten fest, dass durch die auf denselben historischen Sachverhalt zurückzuführende Bestrafung mit zwei in gesonderten Verfahren ergangenen Straferkenntnissen der Art 4 Abs 1 des 7. ZPMRK verletzt worden ist.
Unter Bezugnahme auf dieses Urteil beantragte Gerhard S***** am 9. Dezember 2002, gemäß § 363a StPO die Erneuerung des Strafverfahrens anzuordnen.
Rechtliche Beurteilung
Ausgehend von der Entscheidung des EGMR vom 6. Juni 2002 sind die Voraussetzungen für die Erneuerung des Strafverfahrens (§ 363a StPO) gegeben:
Weil das Erkenntnis des EGMR die Verletzung des Art 4 Abs 1 des 7. ZPMRK nur als solche feststellt, ist zunächst zu prüfen, ob diese durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts erfolgt ist. Nach der neuesten Judikatur ist selbst ein die Subsidiarität nicht beachtendes Straferkenntnis der Verwaltungsbehörde kein wirkungsloser, die Gerichte deswegen nicht bindender Verwaltungsakt, sondern wegen des doppelten Fehlerkalküls von § 68 Abs 4 Z l AVG, § 30 Abs 3 zweiter Satz VStG existent, jedoch vernichtbar (15 Os 18/02, EvBl 2002/230). Dies hat umsomehr zu gelten, wenn das Verwaltungsstraferkenntnis ohne Verletzung von Subsidiaritätsbestimmungen ergangen ist, was hier zutrifft, weil das Erkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 25. September 1995 zeitlich vor der Aufhebung der die Subsidiarität einschränkenden Bestimmungen des § 99 Abs 6 lit c StVO durch das Erkenntnis des VfGH vom 5. Dezember 1996, G 9/96 ua, BGBl I 1997/16 liegt, womit es recte ergangen (und damit auch nicht vernichtbar) ist. Es ist daher in concreto die Verletzung des Grundsatzes "ne bis in idem" durch die Urteile des Bezirksgerichts Grieskirchen vom 7. Jänner 1997 (ON 16) und des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 18. Juni 1997 (ON 24) zu bejahen.
Da das Ne-bis-in-idem-Verbot ein auf verfassungsrechtlicher Ebene stehendes Verfolgungshindernis ist (15 Os 18/02, EvBl 2002/230), übt die vom EGMR festgestellte Verletzung geradezu zwingend einen für den Verurteilten nachteiligen Einfluss auf den Inhalt der gegenständlichen Entscheidungen aus (vgl Reindl, WK-StPO § 363 a Rz 8; Kienapfel-Höpfel AT10 E 8 RN 55e).
Dem Antrag des Gerhard S***** auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363 a StPO war daher Folge gegeben, die Urteile des Bezirksgerichts Grieskirchen sowie des Landesgerichts Wels waren aufzuheben und die Sache zur Erneuerung des Verfahrens an das Gericht erster Instanz zu verweisen.
Im erneuerten Verfahren wird zu beurteilen sein, ob Gerhard S***** bei dem gegenständlichen Verkehrsunfall den Tatbestand des § 88 Abs 1 StGB erfüllt hat, weil sich das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 25. September 1995, das inhaltlich auf den Ladungsbescheid der genannten Behörde vom 14. August 1995 Bezug nimmt, nur auf das Lenken eines Kraftfahrzeugs in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand, nicht jedoch auf die Verletzung eines anderen Verkehrsteilnehmers bezieht (vgl 15 Os 18/02, EvBl 2002/230). Hiebei werden insbesondere die Fragen der Dauer der Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit sowie des (unter Ausklammerung der Alkoholisierung zu beurteilenden) Grades des Verschuldens (§ 88 Abs 2 Z 4 StGB) neu zu prüfen sein.
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