OGH 1Ob240/02d

OGH1Ob240/02d1.8.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** Aktiengesellschaft, ***** Deutschland, vertreten durch Dr. Gerhard Wildmoser, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei B***** Gesellschaft mbH, ***** Deutschland, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen 76.509,71 EUR sA infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 13. August 2002, GZ 4 R 147/02v-10, womit der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 18. Juni 2002, GZ 4 Cg 67/02v-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.862,82 EUR (darin 310,47 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu zahlen.

Text

Begründung

Die Streitteile, die beide ihren Sitz in Deutschland haben, schlossen einen "Managementbegleitungsvertrag", dem sie die für Geschäfte der klagenden Partei gültigen "Allgemeinen Auftragsbedingungen" zugrunde legten. Diese Bedingungen enthalten die Klausel, dass alle Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten, die sich aus dem Auftrag zwischen den Vertragsparteien ergeben, der Gerichtsbarkeit des für die klagende Partei "örtlich zuständigen" österreichischen Gerichts in Linz, Österreich, unterlägen.

Die klagende Partei begehrte aufgrund dieses Vertrags ein Erfolgshonorar von 76.509,71 EUR und berief sich zur Zuständigkeit des Erstgerichts auf die ihrer Ansicht nach gemäß Art 23 EuGVVO gültige Gerichtsstandsvereinbarung.

Die beklagte Partei wendete insbesondere ein, dass es an der internationalen Zuständigkeit und an der inländischen Gerichtsbarkeit mangle, weshalb die Klage zurückzuweisen sei. Die der Klage zugrunde liegende Vereinbarung betreffe einen reinen "Inlandssachverhalt", für den das Erstgericht nicht zuständig gemacht werden könne.

Das Erstgericht verwarf die Einreden der fehlenden internationalen Zuständigkeit, der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit und der fehlenden örtlichen Zuständigkeit und führte aus, die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art 23 EuGVVO seien erfüllt, und ein weiterer Inlandsbezug oder ein besonderes Interesse eines Vertragspartners an deren Gültigkeit sei nicht nötig.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es die Klage zurückwies. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. "Reine Inlandsfälle" seien von Art 23 EuGVVO nicht erfasst; irgendeine Form der Auslandsbeziehung sei erforderlich. Mangels Berührungspunkten zu einem weiteren Vertragsstaat - außer Deutschland - sei die Prorogation des österreichischen Gerichts unwirksam.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der klagenden Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass Art 23 EuGVVO in den hier maßgeblichen Textpassagen mit Art 17 LGVÜ bzw EuGVÜ wörtlich übereinstimmt, sodass die zu Art 17 LGVÜ (EuGVÜ) ergangene Judikatur und das hiezu vorhandene Schrifttum uneingeschränkt der Auslegung des Art 23 EuGVVO zugrunde gelegt werden können. Ebenso wie die Bestimmungen des LGVÜ (EuGVÜ) sind die der EuGVVO zwingend und gehen den innerstaatlichen Regelungen vor (vgl SZ 71/29).

Nach dem Wortlaut des Art 23 EuGVVO genügt es für dessen Anwendung, dass mindestens eine der Parteien ihren (Wohn)Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats (der EU) hat und dass die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats für eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder für eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit vereinbart wurde. Ginge man allein von diesem Wortlaut aus, so wären die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der hier zu beurteilenden Gerichtsstandsvereinbarung erfüllt, sind doch die Sitze beider Parteien im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats (Deutschland) gelegen und liegt auch eine entsprechende Vereinbarung vor.

Der (zu) umfassende Wortlaut des Art 23 Abs 1 EuGVVO ist aber teleologisch zu reduzieren, weil den Schöpfern dieser Verordnung, die die internationale Zuständigkeit im Bereich der Europäischen Gemeinschaft regeln soll, nicht unterstellt werden kann, dass rein nationale Streitigkeiten, die keinerlei Auslandsbeziehung und damit keinerlei Internationalität aufweisen, durch eine solche Verordnung geregelt werden sollten. Die Richtigkeit dieser Auslegung ist derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt; es liegt also eine "acte clair" vor, die die Vorlage des Aktes an den EuGH erübrigt.

Auch im Schrifttum wird nahezu einhellig die Ansicht vertreten, dass für eine Prorogation gemäß Art 23 Abs 1 EuGVVO (bzw Art 17 Abs 1 EuGVÜ/LGVÜ) irgendeine Form der Auslandsbeziehung erforderlich sei und reine Inlandsfälle von diesen Artikeln nicht erfasst seien (Burgstaller, Probleme der Prorogation nach dem Lugano-Übereinkommen, in JBl 1998, 691 [693]; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht7 Rz 89 zu Art 23; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2, Rz 6 zu Art 23; Simotta in Fasching2 Rz 229 zu § 104 JN; Mayr/Czernich, Das neue europäische Zivilprozessrecht 95). Selbst Tiefenthaler (in Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht2 Rz 17 zu Art 23 EuGVVO), der eine teleologische Reduktion des Art 23 EuGVVO nicht befürwortet, meint, für die Anwendung des Art 23 sollte die "Internationalität" einer Vereinbarung für ausreichend angesehen werden.

Einer Vereinbarung nach Art 23 EuGVVO ist demnach die Wirksamkeit zu versagen, wenn zwei im selben (Mitglied-)Staat (hier: Deutschland) wohnende Parteien ein Gericht in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Österreich) prorogieren, ohne dass ein Auslandsbezug der Streitigkeit vorhanden oder ein sonstiges berechtigtes Interesse an der Wahl eines ausländischen Gerichts erkennbar ist. Dieser Vorbehalt kann als "immanente Schranke" des Art 23 betrachtet werden, und diese Bestimmung gilt nur dann, wenn das zugrunde liegende Geschäft internationale Bezüge aufweist, was allein durch die Wahl eines Gerichts eines bestimmten Staates keinesfalls hergestellt werden kann (Kropholler aaO; Schlosser aaO).

Im vorliegenden Fall mangelt es an jedem internationalen Bezug, es liegt somit ein "reiner Inlandsfall" ohne persönlichen oder sachlichen Auslandsbezug vor (Burgstaller aaO 695; Simotta aaO), weshalb Art 23 EuGVVO hier nicht zur Anwendung kommt. Vereinbarungen, bei denen sich die Frage nach der internationalen Zuständigkeit praktisch gar nicht stellt, sind eben von Art 23 EuGVVO nicht umfasst (Kropholler aaO Rz 2 f zu Art 23).

Soweit Simotta (aaO Rz 231 zu § 104 JN) ausführt, dass eine wirksame Prorogation vorliege, wenn Parteien mit Wohnsitz in demselben Vertragsstaat die Zuständigkeit eines anderen Vertragsstaats vereinbaren, ist insoweit eine Klarstellung nötig, als sie bei diesen Ausführungen auf das "eingangs Gesagte" verweist und wenige Absätze davor (Rz 229 zu § 104 JN) eindeutig festhält, dass trotz des weiten Wortlauts des Art 17 EuGVÜ/LGVÜ dieser nicht für reine Inlandsfälle gelte.

Es ist hier nicht zu prüfen, ob es die Anwendbarkeit des Art 23 EuGVVO erfordere, dass eine Berührung zu einem weiteren Vertragsstaat bestehe (so SZ 71/29), weil es im vorliegenden Fall an jeglicher Internationalität und an jeder Auslandsbeziehung mangelt, was im Sinne obiger Ausführungen zur Unanwendbarkeit des Art 23 EuGVVO führen muss.

Dem Revisionsrekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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