OGH 15Os51/03

OGH15Os51/0312.6.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Juni 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehtner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Burtscher als Schriftführerin, in der Auslieferungssache gegen Dr. Abraham B***** wegen Auslieferung zur Strafvollstreckung an die Bundesrepublik Deutschland, AZ 222 Ur 347/02m des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Beschwerde des Dr. Abraham B***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 18. Februar 2003, GZ 22 Ns 1/03-6, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, nach öffentlicher Verhandlung am 18. Februar 2003 mündlich verkündeten Beschluss erklärte das Oberlandesgericht Wien die vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz der Bundesrepublik Deutschland begehrte Auslieferung des ungarischen Staatsangehörigen Dr. Abraham B***** zur Strafvollstreckung der mit Urteil des Schöffengerichts bei dem Amtsgericht Regensburg vom 17. März 1998, AZ 23 Ls 105 Js 5821/97, verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren für zulässig. Die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung stellte das Oberlandesgericht Wien der bevollmächtigten Verteidigerin Dr. Christine F***** am 24. Februar 2003 zu. Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 18. März 2003 zur Post gegebene Beschwerde.

Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 12. Dezember 2002, G 151, 152/02-15, auf Grund eines - nicht von Dr. Abraham B***** gestellten - Individualantrages (Art 140 Abs 1 letzter Satz B-VG) den ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes über die Zulässigkeit der Auslieferung (§ 33 ARHG) ausdrücklich ausschließenden zweiten Satz in § 33 Abs 5 ARHG als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten.

In den Entscheidungsgründen hielt der Verfassungsgerichtshof dazu fest:

"4. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum rechtsstaatlichen Prinzip (s insbesondere VfSlg 11.196/1986, 12.409/1990; überdies etwa VfSlg 8279/1978 mit Bezugnahme auf VfSlg 2929/1955; s auch VfSlg 2455/1952 sowie - aus jüngerer Zeit - etwa VfSlg 14.702/1996, 15.581/1999, 15.816/2000; zuletzt VfSlg 16.245/2001) gipfelt dessen Sinn darin, dass alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen Gewähr dafür bietet, dass nur solche Akte in ihrer rechtlichen Existenz als dauernd gesichert erscheinen, die in Übereinstimmung mit den sie bedingenden Akten höherer Stufe erlassen wurden.

4.1. Ein dem rechtsstaatlichen Prinzip innewohnender Gesichtspunkt besteht insbesondere auch darin, dass die unabdingbar geforderten Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Maß an Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen (vgl VfSlg 11.196/1986, S 909 f).

4.1.1. Das Oberlandesgericht hat im Verfahren nach § 33 ARHG die Zulässigkeit einer Auslieferung anhand der gesetzlich geregelten Zulässigkeitsschranken zu beurteilen. Diese sind in erster Linie einfachgesetzlicher Natur, auch wenn sie, wie sich aus § 19 Z 1 ARHG ergibt, ua. die Grundsätze der Art 3 und6 EMRK einschließen. Auch die EMRK und ihre Zusatzprotokolle räumen dem einzelnen im allgemeinen kein subjektives Recht ein, nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen an einen anderen (nicht der EMRK beigetretenen) Staat ausgeliefert zu werden. Die Auslieferung wird lediglich in Art 5 Abs 1 lit f EMRK ausdrücklich erwähnt: Es wird darin für zulässig erklärt, eine Person festzunehmen oder in Haft zu halten, 'weil [sie] von einem gegen [sie] schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist'.

4.1.2. Wohl aber haben die Rechtsschutzorgane der EMRK entschieden, dass bei Vorliegen besonderer Umstände ('in exceptional circumstances'; s zB EKMR 28. Mai 1991, Nr 16.832/90 [Kozlov/Finnland], mwN) ein dem ausliefernden Staat anzulastender Verstoß gegen die EMRK anzunehmen ist, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass dem Betroffenen im Empfangsstaat besonders schwerwiegende Grundrechtseingriffe drohen, insbesondere in Zusammenhang mit Art 3 EMRK (s dazu grundlegend EGMR 7. Juli 1989, Nr 14.038/88 [Soering/Vereinigtes Königreich], series A Nr 161) sowie Art 1 6. ZP-EMRK (s dazu zB EGMR 15. März 2001, Nr 58.128/2000 [Ismaili/Deutschland], mwN). Wird etwa dadurch, dass eine Person ausgeliefert wird, eine Familie getrennt, so ist auch ein Verstoß gegen Art 8 EMRK nicht auszuschließen (zB EKMR 4. September 1995, Nr 25.342/94 [Raidl/Österreich]; 8. Dezember 1997, Nr 27.279/95 [Launder/Vereinigtes Königreich]). Hat das im ersuchenden Staat durchgeführte Verfahren jenen Anforderungen nicht entsprochen, die an ein Strafverfahren nach Art 6 EMRK gestellt sind, oder ist anzunehmen, dass diesen Anforderungen nicht entsprochen werden wird, so kann sich auch daraus ein Auslieferungshindernis ergeben; der um die Auslieferung ersuchte Staat braucht jedoch bloß offenkundige Verstöße gegen Art 6 EMRK ('flagrant denial of justice') wahrzunehmen (s zB EGMR 16. Oktober 2001, Nr 71.555/01 [Einhorn/Frankreich], mwN).

4.2. Da somit die Entscheidung des Oberlandesgerichtes insofern auch verfassungsgesetzlich gewährleistete subjektive Rechte unmittelbar zu berühren vermag, die sich aus der EMRK im Sinne der dazu ergangenen Rechtsprechung des EGMR ergeben (vgl in diesem Zusammenhang auch Art 46 Abs1 EMRK), muss dem solcherart (potentiell) Verletzten nicht nur gem Art 13 EMRK eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz eingeräumt sein: Auch aus dem Blickwinkel des Rechtsstaatsprinzips geht es in einer solchen Konstellation nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nicht an, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit den Folgen einer potentiell rechtswidrigen gerichtlichen Entscheidung zu belasten (s zuletzt insbesondere VfSlg 16.245/2001 mwN; vgl auch VfGH 1. März 2002, G 319/01). Der zweite Satz des § 33 Abs 5 ARHG erklärt indes ein Rechtsmittel gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichtes, mit dem die Auslieferung für zulässig erklärt wird, in jedem Fall für unzulässig. Diese Bestimmung steht somit in Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip; sie war aus diesem Grund als verfassungswidrig aufzuheben."

Rechtliche Beurteilung

Ein vor der Aufhebung verwirklichter Tatbestand, auf den der ausdrückliche Ausschluss einer Rechtsmittelmöglichkeit weiter anzuwenden wäre (Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG), liegt bei einem ab dem Tag der Kundmachung der Gesetzesaufhebung (BGBl I 6/2003) gefassten Beschluss eines Oberlandesgerichtes nach § 33 ARHG nicht vor. § 33 Abs 5 zweiter Satz ARHG ist demnach auf ab dem 4. Februar 2003 gefasste Beschlüsse über die Zulässigkeit der Auslieferung nicht anzuwenden.

Infolge der Aufhebung besteht in Hinsicht auf die Frage nach der Möglichkeit einer Anfechtung von Beschlüssen des Oberlandesgerichtes über die Zulässigkeit der Auslieferung eine planwidrige Gesetzeslücke. Entgegen dem aus der nun aufgehobenen Bestimmung ersichtlichen Regelungsplan (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, 373 ff), die genannte Frage zu behandeln, findet sich dazu im anzuwendenden Gesetz seit der Aufhebung des zweiten Satzes in § 33 Abs 5 ARHG keine diesbezügliche Bestimmung. Die gemäß § 9 Abs 1 ARHG sinngemäß anzuwendende StPO weist keine sinngemäß anwendbare Regel über die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen Beschlüsse des in erster Instanz entscheidenden Oberlandesgerichtes auf, sondern enthält lediglich zwei, zueinander konträre Vorschriften, nämlich § 63 Abs 2 StPO (Anfechtbarkeit des Beschlusses) einerseits und § 395 Abs 4 dritter Satz StPO (Unanfechtbarkeit des Beschlusses) andererseits.

Die planwidrige Gesetzeslücke lässt sich durch Rechtsanalogie schließen. Die Bestimmungen des GebAG 1975 und des StEG, die Beschwerden gegen erstinstanzliche Beschlüsse des Oberlandesgerichtes ermöglichen, kommen dafür schon deshalb nicht in Frage, weil sie zivilrechtliche Ansprüche betreffen. Auch die StPO lässt eine Analogie im gegebenen Zusammenhang nicht zu, weil aus den dort geregelten Fällen - wie angeführt - kein Grundsatz zur Lösung der bezeichneten Frage ableitbar ist.

Das Grundrechtsbeschwerdegesetz, BGBl 1992/864, ist jedoch im Hinblick auf seinen auch hier aktuellen Zweck, demjenigen, der durch eine strafgerichtliche Entscheidung (oder Verfügung) in einem Grundrecht (nämlich auf persönliche Freiheit) verletzt zu sein behauptet, eine wirksame Beschwerde zu gewähren (Art 13 EMRK; vgl JAB GRBG, abgedruckt in Hager/Holzweber, GRBG 4 f), für eine Analogie zur Sicherung des nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes erforderlichen Grundrechtsschutzes durch den Obersten Gerichtshof geeignet (vgl Larenz aaO 381 f).

Demnach kann ein - sogleich mit Verkündung rechtskräftiger - Beschluss des Oberlandesgerichtes, mit dem die Auslieferung nicht für unzulässig erklärt wurde, in analoger Anwendung des Grundrechtsbeschwerdegesetzes mit dem außerordentlichen Rechtsmittel einer an den Obersten Gerichtshof gerichteten (Grundrechts-)Beschwerde angefochten werden.

In der Beschwerde ist anzugeben und zu begründen, worin der Beschwerdeführer die Verletzung eines bestimmt zu bezeichnenden, als Auslieferungshindernis in Betracht kommenden Grundrechtes des Betroffenen - vgl § 19 Z 1 ARHG (Art 3 undArt 6 EMRK), § 20 ARHG (Art 1 6. ZP-EMRK) und § 22 ARHG (Art 8 EMRK) - erblickt. Die angefochtene Entscheidung ist genau zu bezeichnen. Die Beschwerde muss von einem Verteidiger unterschrieben sein (vgl § 3 GRBG). Die Beschwerde ist binnen vierzehn Tagen ab Zustellung der (im Fall mündlicher Verkündung der Entscheidung als Grundlage des weiteren Auslieferungsverfahrens gebotenen, vgl § 33 Abs 6 ARHG) schriftlichen Beschlussausfertigung an den Betroffenen (falls er durch einen Verteidiger vertreten ist, an diesen - § 79 Abs 2 StPO) beim Gerichtshof zweiter Instanz einzubringen, der die zur Entscheidung über die Beschwerde erforderlichen Akten unverzüglich dem Obersten Gerichtshof vorzulegen hat. Die Frist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde rechtzeitig beim Obersten Gerichtshof eingebracht wird (vgl § 4 GRBG). Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (vgl § 5 GRBG) und hindert daher die Entscheidung des Bundesministers für Justiz nach § 34 ARHG nicht, sodass der Gerichtshof zweiter Instanz ungeachtet einer allfälligen Beschwerde nach § 33 Abs 6 ARHG vorzugehen hat; zur Vermeidung von Verzögerungen ist gegebenenfalls jedoch ein Kopienakt anzulegen (vgl § 4 Abs 2 GRBG) und mit der Beschwerde dem Obersten Gerichtshof vorzulegen.

Über die Beschwerde entscheidet der Oberste Gerichtshof nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung (meritorisch) durch Erkenntnis (vgl § 6 GRBG); verspätete oder sonst unzulässige Beschwerden sind beschlussmäßig zurückzuweisen (vgl Mayrhofer/Steininger GRBG § 7 Rz 4). Zur Entscheidung ist gemäß § 6 OGHG ein Senat aus fünf Mitgliedern berufen, weil kein von § 7 Abs 1 Z 8 OGHG angesprochenes "Erkenntnis nach dem Grundrechtsbeschwerdegesetz, BGBl Nr 35/1993" vorliegt. Im Verfahren zur Entscheidung über die Beschwerde sind subsidiär die für den Obersten Gerichtshof und die für das gerichtliche Strafverfahren geltenden Vorschriften sinngemäß anzuwenden (vgl § 10 GRBG).

Im konkreten Fall ist die Beschwerde des Dr. Abraham B***** verspätet. Die vierzehntägige Rechtsmittelfrist begann aufgrund der am 24. Februar 2003 erfolgten Beschlusszustellung an die Verteidigerin am 25. Februar 2003 zu laufen und endete demnach mit Ablauf des 10. März 2003. Die erst am 18. März 2003 zur Post gegebene Beschwerde wurde daher nicht rechtzeitig eingebracht. Sie war somit zurückzuweisen.

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