OGH 7Ob70/03z

OGH7Ob70/03z28.4.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Helmut S*****, vertreten durch Dr. Robert Aflenzer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei W***** AG, *****, vertreten durch Dr. Heinz Oppitz und Dr. Heinrich Neumayr, Rechtsanwälte in Linz, wegen EUR 5.087,10 sA, über die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 13. November 2002, GZ 13 R 42/02s-11, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 17. Mai 2002, GZ 32 C 258/02k-6, infolge Berufung des Klägers bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 399,74 (darin enthalten EUR 66,62 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 4. 1. 1963 geborene Kläger ist freiberuflicher Sachverständiger und hat für diese seine berufliche Tätigkeit bei der beklagten Partei ab 1. 6. 1998 eine Betriebsunterbrechungsversicherung über eine Versicherungssumme von S 720.000 (= EUR 52.324,44) abgeschlossen. Dem Versicherungsvertrag wurden die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsunterbrechungsversicherung für freiberuflich und selbständig Tätige (ABFT 1995) zugrunde gelegt, deren Art 2.4 lautet:

Vom Versicherungsschutz ausgenommen ist ein Unterbrechungsschaden aufgrund einer Krankheit, die vor Versicherungsbeginn entstanden bzw eines Unfalles, der vor Versicherungsbeginn eingetreten ist.

Der Kläger leidet seit seiner Geburt an Strabismus (Schielen) des rechten Auges. Er hat dieses Schielen im Versicherungsantrag, in dem er ua nach aufgetretenen Krankheiten bzw Gesundheitsstörungen und bestehenden Gebrechen (unter ausdrücklicher Erwähnung der Augen) gefragt wurde, nicht angegeben.

Von 27. 9. 1999 bis 1. 10. 1999 befand sich der Kläger wegen einer Schieloperation des rechten Auges in stationärer Krankenhauspflege.

Mit der Behauptung, zufolge dieses operativen Eingriffs liege ein Versicherungsfall vor, da er deshalb vom 27. 9. 1999 bis 7. 11. 1999 als Sachverständiger arbeitsunfähig gewesen sei; die Operation habe neben einer kosmetischen Besserstellung auch sein räumliches Sehen verbessert; begehrt der Kläger von der Beklagten aus der Betriebsunterbrechungsversicherung EUR 5.087,10 sA. Er habe den Strabismus nicht als Erkrankung angesehen und ihn daher bei Vertragsschluss nicht angegeben. Die Beklagte habe eine Zahlung mit der Behauptung abgelehnt, dass Leistungsfreiheit gemäß Art 2.4 ABFT 1995 bestehe. Es handle sich dabei aber nicht um einen Risikoausschluss, sondern um eine verhüllte Obliegenheit, die dahin laute, dass der Versicherungsnehmer bei sonstiger Leistungsfreiheit Vorerkrankungen und Vorunfälle dem Versicherer anzuzeigen habe. Dies ergebe sich aus den Bestimmungen des VersVG über die vorvertraglichen Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers sowie aus dem Umstand, dass die Beklagte vor Vertragsabschluss Fragen über Vorerkrankungen und Vorunfälle gestellt habe. Aufgrund der mündlichen Erklärung eines Mitarbeiters der Beklagten, bei dieser speziellen Versicherung bestehe für sämtliche Krankheiten entsprechend Deckung, sei die Deckung auch für sämtliche, in der Polizze nicht ausdrücklich angeführten, Krankheiten gegeben.

Die Beklagte beantragte die Klage abzuweisen. Wie dem Kläger als akademisch geprüftem Versicherungskaufmann bekannt sein müsste, bestehe bei einer Sachversicherung wie der gegenständlichen keine Leistungspflicht für sog vorvertragliche Schadensereignisse. Art 2.4 ABFT 1995 normiere eine Risikoeinschränkung und keine Obliegenheit. Bei Fragen im Versicherungsantrag gehe es dem Versicherer generell um die Einschätzung eines Risikos, nämlich, ob er den Antrag im Hinblick auf den konkreten Gesundheitszustand überhaupt annehme oder nicht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Art 2.4 ABFT 1995 stelle eine objektive Klarstellung des versicherten Risikos dar. Die Überlegungen des Klägers zum Themenbereich "Obliegenheitsverletzung" zielten daher ins Leere. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, sein vor Versicherungsbeginn bereits vorhandener Strabismus sei vom Versicherungsschutz gedeckt, weil er ihn im Antragsformular nicht angegeben habe. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen konkretisierten den Vertragsinhalt objektiv; es könne keine Ausdehnung des Versicherungsschutzes dadurch herbeigeführt werden, dass in der entsprechenden Rubrik des Antrags die Anführung eines Krankheitsbildes unterblieben sei.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz, wobei es aussprach, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Das Gericht zweiter Instanz verneinte einen vom Kläger in der Unterlassung seiner Parteienvernehmung erblickten Verfahrensmangel und teilte die Rechtsansichten der ersten Instanz: Bei Art 2.4 AFTB 1995, der unmissverständlich formuliert sei, handle es sich nicht um eine verhüllte Obliegenheit, sondern um einen Risikoausschluss. Für einen durchschnittlich verständigen, auch juristisch nicht gebildeten Versicherungsnehmer sei klar erkennbar, dass Unterbrechungsschäden aufgrund von vor Versicherungsbeginn entstandenen Krankheiten und Unfällen vom Versicherungsschutz ausgenommen seien. Offensichtlicher Zweck der Ausschlussklausel des Art 2.4 ABFT 1995 sei es, alle im Zusammenhang mit vor Versicherungsbeginn bereits bestandenen Krankheiten auftretenden Risiken vom Versicherungsschutz auszuschließen. Ein von Geburt an bestehendes Defizit, wie eine Fehlstellung der Augen durch Schielen, stelle als regelwidriger Körperzustand, der unter den Begriff Krankheit falle, einen Risikoausschlussgrund dar. Der dadurch verursachte eingeklagte Unterbrechungsschaden sei somit von der Versicherung nicht gedeckt. Dass der Kläger den Schielfehler nicht als Krankheit angesehen (und im Antrag daher nicht erwähnt) und sich die Möglichkeit oder Notwendigkeit der Operation allenfalls auch erst nach Versicherungsbeginn ergeben habe, ändere daran nichts.

Seinen Ausspruch der Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht damit, dass zur Frage, ob Art 2.4 ABFT 1995 einen zulässigen Risikoausschluss darstelle, keine oberstgerichtliche Judikatur existiere.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers, der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung das Rechtsmittel des Klägers als unzulässig zurückzuweisen oder ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zwar zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass Allgemeine Versicherungsbedingungen nach nunmehr ständiger Rechtsprechung nach Vertragsauslegungsgrundsätzen (§§ 914 ff ABGB) auszulegen sind. Die Auslegung hat sich daher am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren (vgl VR 1992/277; VR 1992/284; RIS-Justiz RS0050063 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen, zuletzt etwa 7 Ob 301/02v). Die einzelnen Klauseln der Versicherungsbedingungen sind, wenn sie nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut auszulegen (RIS-Justiz RS0008901 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen). In allen Fällen ist der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu berücksichtigen (vgl VR 1990/182; VR 1990/224; ecolex 1994, 610 uva). Unklarheiten gehen im Sinne des § 915 ABGB in aller Regel zu Lasten des Versicherers (JBl 1990, 316 = VersE 1451 = SZ 62/168 = EvBl 990/28 = VR 1990/198 = VersR 1990, 445 uva).

Die zentrale, streitentscheidende Frage des vorliegenden Rechtsstreits ist, ob Art 2.4 ABFT 1995 nach den eben dargestellten Grundsätzen dahin auszulegen ist, dass damit ein Risikoausschluss normiert wird oder ob es sich dabei um eine sog "verhüllte Obliegenheit" handelt. Die Formulierung deutet dabei ganz klar und eindeutig auf Ersteres hin. Entscheidend ist allerdings nicht die äußere Erscheinungsform (die Formulierung) der Versicherungsklausel, sondern deren materieller Inhalt (Schwintowski in BK § 6 VVG Rn 25 mit Hinweisen aus der deutschen Judikatur; vgl auch Schauer, Versicherungsvertragsrecht³ 265; 7 Ob 6/87; RIS-Justiz RS0103965, zuletzt 7 Ob 47/00p und 7 Ob 250/01t). Beim Risikoausschluss (Risikobegrenzung) wird von Anfang an ein bestimmter Gefahrenumstand von der versicherten Gefahr ausgenommen, ohne dass es dabei auf ein schuldhaftes pflichtwidriges Verhalten des Versicherungsnehmers ankäme (7 Ob 6/87 ua); das versicherte Risiko wird also objektiv begrenzt (Schwintowski aaO Rn 22). Obliegenheiten hingegen fordern gewisse Verhaltensweisen des Versicherungsnehmers und bestimmte Rechtsfolgen für ihre willkürliche und schuldhafte Verletzung (Petrasch, Obliegenheitverletzung und Leistungsfreiheit in den KFZ-Versicherungen, ZVR 1985, 66). Enthalten Versicherungsbedingungen eine Verhaltensanordnung, die ihrem Inhalt nach eine Obliegenheit ist, muss diese im Hinblick auf die Unabdingbarkeitsbestimmung des § 15a VersVG auch dann nach § 6 VersVG beurteilt werden, wenn sie als Risikoausschluss konstruiert ist ("verhüllte Obliegenheit"; SZ 57/78; Petrasch aaO; Bruck-Möller VVG8 I Rz 13 zu § 6; Prölss-Martin VVG26 Rz 7 zu § 6). Im Hinblick auf den materiellen Inhalt der Versicherungsklausel ist entscheidend, ob sie eine individualisierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält, für das (allein) der Versicherer Schutz gewähren will, oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes vorbeugendes Verhalten des Versicherungsnehmers verlangt, von dem es abhängt, ob er einen zugesagten Versicherungsschutz behält oder verliert. Steht ein solches Verhalten im Vordergrund und tritt es nicht hinter objektive Voraussetzungen, wie zB dem Versicherungsort oder Zustand der versicherten Sache zurück, so liegt eine Obliegenheit vor. Wird von vornherein nur ausschnittsweise Deckung gewährt und nicht ein gegebener Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhaltens wieder entzogen, so handelt es sich um eine Risikobeschränkung (Schwintowski aaO Rn 26 mit zahlreichen Hinweisen auf deutsche Judikatur und Literatur). Wie Schauer, aaO, betont, können daher jene Fälle, in denen die Leistungsfreiheit von Umständen abhängt, die der Versicherungsnehmer nicht durch sein Verhalten beeinflussen oder kontrollieren kann, auch zulässigerweise als Risikoausschlüsse vereinbart werden (7 Ob 47/00p).

Nach diesen Grundsätzen kann nach dem eindeutigen, unmissverständlichen Wortlaut und auch nach dem Inhalt des Art 2.4 ABFT 1995 keinerlei Zweifel daran bestehen, dass diese Bestimmung einen Risikoausschluss darstellt (vgl 7 Ob 22/97d: dort wurde ausgesprochen, dass der in Ergänzenden Bedingungen für die Betriebsunterbrechungsversicherung freiberuflich Tätiger genannte Umstand, dass der Versicherungsschutz nur für Krankheiten gilt, die während des Bestandes der Versicherung entstehen, eine positive Klarstellung des versicherten Risikos darstellt und daher vom Versicherungsnehmer zu beweisen ist). Der Umstand, dass im Versicherungsantragsformular nach Vorerkrankungen und erlittenen Unfällen gefragt wird, lässt sich im Sinne der betreffenden Einlassung der Beklagten mit deren allgemeinem Interesse am Gesundheitszustand des Antragstellers zum Zwecke einer besseren Risikoeinschätzungsmöglichkeit vor der Entscheidung über die Annahme des Versicherungsantrags erklären. Damit ist das wesentliche Argument des Revisionswerbers, bei einem Risikoausschluss wäre die Frage nach Vorerkrankungen sinnlos, nicht stichhältig. Aus dem Umstand, dass nach Vorerkrankungen gefragt wird, lässt sich daher entgegen der Ansicht des Klägers keineswegs der Schluss ziehen, Unterbrechungsschäden nur aufgrund von vom Versicherungsnehmer angegebenen - nicht aber aufgrund von dem Versicherungsnehmer unbekannten oder von diesem (unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht) verschwiegenen - Vorerkrankungen seien vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Einer solchen - mit dem Wortlaut der Bestimmung nicht zu vereinbarenden - einschränkenden Auslegung steht auch schon der allgemeine Zweck von Risikoausschlussklauseln in der Sachversicherung entgegen, ein für den Versicherer nicht überschaubares und nicht berechenbares Risiko auszuklammern, das eine vernünftige, wirtschaftliche Prämienkalkulation sehr stark erschweren oder gar unmöglich machen und sich vor allem mit dem Bestreben nicht vertragen würde, die Beiträge möglichst niedrig und damit für die Masse der in Betracht kommenden Versicherungskunden akzeptabel zu gestalten (7 Ob 37/93, ecolex 1994, 610).

Ausgehend demnach von einem - von den Vorinstanzen richtig erkannten - Risikoausschluss sind die Umstände, die der Revisionswerber durch seine Parteienvernehmung unter Beweis stellen möchte, nicht entscheidungsrelevant bzw obsolet. Soweit der Kläger noch behauptet, seine Vernehmung auch zum Beweis dafür angeboten zu haben, dass ihm ein Mitarbeiter der Beklagten auch für Vorerkrankungen Versicherungsschutz zugesichert habe, setzt er sich darüber hinweg, dass eine derartige Behauptung in seinem erstinstanzlichen Vorbringen nicht Deckung findet und daher gegen das Neuerungsverbot verstößt. Damit erweist sich die Ansicht des Berufungsgerichts, die Parteienvernehmung des Klägers sei aus rechtlichen Gründen entbehrlich gewesen, als zutreffend und muss daher auch der in diesem Zusammenhang vom Kläger erhobene Vorwurf einer Mangelhaftigkeit des zweitinstanzlichen Verfahrens, weil seine Mängelrüge nur mangelhaft erledigt worden sei, ins Leere gehen.

Dass ein - bei ihm seit Geburt bestandener - Strabismus grundsätzlich eine "Krankheit" iSd Art 2.4 ABFT 1995 ist, wird vom Kläger ohnehin nicht (mehr) in Frage gestellt.

Die Revision muss erfolglos bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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