Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 1. 7. 1945 geborene Kläger hat die Handelsschule absolviert und ist - nach einer Tätigkeit als angestellter Handelsvertreter - seit 19. 3. 1990 als Wachorgan im Wechselschichtdienst beschäftigt. Bis zum Stichtag 1. 12. 2001 hat der Kläger durch diese Tätigkeit 138 Beitragsmonate erworben. Der Kläger war in dieser Zeit nur bei zwei Objekten eingesetzt, zuerst bei einem Bürogebäude und die letzten acht Jahre beim Hauptgebäude einer Elektrizitätsgesellschaft.
Bei beiden Objekten hatte bzw hat er annähernd die gleiche Tätigkeit auszuüben: Der Dienst beginnt mit der Übernahme der Portierloge. Nach dem Weggang der angestellten Portiere übernimmt er den Telefondienst, weil in der Nacht alle Telefonate in die Portierloge geschaltet werden. Dem Kläger ist ein Kontrollgang in der Mindestdauer von 120 Minuten vorgeschrieben, wobei es üblicherweise immer wieder zu Unterbrechungen kommt. In der Regel wird dieser Kontrollgang zwischen 22.00 und 24.00 Uhr angetreten. Bei diesem Kontrollgang, der auch Keller und Dach umfasst, sind Kontrollpunkte einzuhalten. Der Kläger kommt dabei in die meisten Räumlichkeiten des Gebäudes; er hat auf Gefahrenquellen wie offene Fenster, aufgedrehte Herdplatten und dergleichen zu achten. Neben der Telefonvermittlung und der Erteilung von Auskünften sind in der Portierloge die Brandmeldeanlagen zu überwachen. Noch im Gebäude befindliche Personen sind beim Rollgitter hinaus zu lassen; zum Teil sind auch Leute in das Gebäude hinein zu lassen, etwa bei einer EDV-Umstellung. Weiters ist die Garageneinfahrt zu überwachen (pro Nacht kommt es zu 20 bis 30 Ein- und Ausfahrten). Ist die Bedienung des Garagentores notwendig, ist der Rundgang zu unterbrechen. Der Kläger muss in diesem Fall zu Fuß in die Portierloge des Gebäudes zu gehen. Die Benützung des Lifts ist nicht erlaubt. Das zuletzt vom Kläger betreute Objekt hat 16 Stockwerke.
In der Portierloge befinden sich Überwachungsmonitore. Bei Funktionsstörungen hat der Kläger zunächst selbst nachzusehen; gegebenenfalls ist ein Techniker zu verständigen, etwa bei einem defekten Torantrieb. Eine Schicht dauert 12 Stunden und beginnt hauptsächlich abends.
Seit Oktober 2001 befindet sich der Kläger durchgehend im Krankenstand; das Dienstverhältnis ist aufrecht.
Der Kläger ist nur mehr in der Lage, leichte Arbeiten durchzuführen. Die Hebeleistung ist mit 10 kg begrenzt, die Trageleistung mit 5 kg. Der Kläger kann im Sitzen arbeiten, zwei bis drei Stunden am Tag auch im Gehen und Stehen, dies auch in einem Stück, wobei allerdings bei Gehstrecken nach jeweils 500 m, bei Stiegensteigen nach einer Etage eine kurze Pause (im Stehen) von etwa zwei Minuten eingelegt werden muss; danach kann das Gehen fortgesetzt werden. Kälte-, Nässe-, Hitze- und Staubexposition sind ausgeschlossen. Bildschirm-, Nacht und Schichtarbeiten sind möglich; der Kläger ist auch für Kundenkontakt geeignet. Das Arbeitstempo kann von durchschnittlichem Zeitdruck bestimmt sein. Die psychische Belastbarkeit ist durchschnittlich. Das geistige Leistungsvermögen ist für Aufgaben mittlerer Schwierigkeit ausreichend.
Wegen der Einschränkungen bei den Gehleistungen kann der Kläger die ausgeübte Tätigkeit als Wachorgan nicht mehr durchführen. Möglich wäre ihm die Tätigkeit eines Tagportiers.
Im Gegensatz zum Tagportier ist ein Bewachungsorgan auf sich allein gestellt und hauptsächlich in der Nacht tätig. Typischerweise sind bei der Bewachung Rundgänge durchzuführen und Kontrollstellen zu passieren. Typisch ist, dass das Wachorgan mobil ist, bei Vorfällen an Ort und Stelle sein muss und nicht nur jemand anderen verständigen muss. Während bei der Tätigkeit eines Wachorgans die Bewachungsfunktion im Mittelpunkt steht, steht beim Tagportier die Anlaufstellenfunktion im Vordergrund. Ein stationärer Portier macht Auskunftsdienst und beaufsichtigt den Personenverkehr. Das Nacheilen von Personen reicht im Extremfall auf kurzen Strecken aus; diese liegen nicht über 500 m.
Das Arbeitsmilieu ist bei beiden Tätigkeiten das gleiche; die Aufgabenschwerpunkte sind verschieden. Während der Tagportier in der Loge mehr mit direkter Auskunftstätigkeit befasst ist, ist beim Bewachungsorgan die Monitorüberwachung in der Nacht intensiver. Beide Tätigkeiten gehören zur Berufsgruppe der Aufsichts- und Bewachungstätigkeiten; es handelt sich um verschiedene Verwendungen.
Mit Bescheid vom 25. 2. 2002 lehnte die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter den Antrag des Klägers vom 30. 11. 2001 auf Zuerkennung der Invaliditätspension ab.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene, auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab dem Stichtag 1. 12. 2001 gerichtete Klage im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass der Kläger bis zur Vollendung des 57. Lebensjahres (somit bis 30. 6. 2002) noch iSd § 255 Abs 3 ASVG verweisbar sei. Ab 1. 7. 2002 sei auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG zu prüfen. Es bestehe kein Zweifel, dass es sich bei den Tätigkeiten eines Wachorgans einerseits und eines Tagportiers andererseits um "eine" Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG handle, sodass eine wechselseitige Verweisbarkeit zu bejahen sei. Die beiden Tätigkeiten seien in weiten Bereichen ident. Die Unterschiede seien weder qualitativ noch quantitativ derart, dass sie bereits eine unzumutbare Änderung bedeuten würden. Somit bestehe auch ab 1. 7. 2002 kein Anspruch auf Invaliditätspension.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. § 255 Abs 4 ASVG stelle eher auf eine qualitative Änderung der Tätigkeit ab, die ohne Ausbildungs- und Umschulungsmaßnahme erzielbar sei. Im vorliegenden Fall müsse der Kläger für die Ausübung einer Tätigkeit als Tagportier keinerlei Ausbildungs- und Umschulungsmaßnahmen mitmachen, da ihm diese Tätigkeit im Hinblick auf seine bisherige Tätigkeit aufgrund der gegebenen Ähnlichkeit jedenfalls möglich sei. Überdies stelle die Verweisungstätigkeit eine Teiltätigkeit eines Wachorgans dar, sodass eine Verweisung zumutbar sei.
Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Vorweg ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei von Amts wegen von "Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG-Nov BGBl I 2002/1).
Es bedarf keiner näheren Erörterung, dass der Kläger zu dem durch seine Antragstellung ausgelösten Stichtag 1. 12. 2001 die Anspruchsvoraussetzungen für die begehrte Invaliditätspension im Hinblick auf seine Verweisbarkeit nach § 255 Abs 3 ASVG nicht erfüllt.
Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass dann, wenn eine Änderung des Gesundheitszustandes, eine Gesetzesänderung oder eine sonstige Änderung der Anspruchsvoraussetzungen (etwa die die Erreichung eines bestimmten Lebensjahres, wenn dies zur Anwendung geänderter Voraussetzungen für den Anspruch auf die begehrte Leistung führt) während des aufgrund des Leistungsantrags eingeleiteten Verfahrens eintritt, die sich daraus ergebende Änderung bei der Entscheidung zu berücksichtigen sind. Es wird durch diese Änderungen, sofern sie für den erhobenen Anspruch von Bedeutung sind, ein neuer Stichtag ausgelöst und die Anspruchsvoraussetzungen sind zu diesem Stichtag zu prüfen (RIS-Justiz RS0085994 [T1] = RS0084533 [T1]). Da der am 1. 7. 1945 geborene Kläger das 57. Lebensjahr am 1. 7. 2002 vollendet hatte, sind die Leistungsvoraussetzungen zum Stichtag 1. 7. 2002 (auch) nach § 255 Abs 4 ASVG zu prüfen.
Nach der Entscheidung des EuGH vom 23. 5. 2000, mit der das geschlechtsspezifisch unterschiedliche Anfallsalter bei der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit als europarechtswidrig festgestellt wurde (Rs C-104/98, Buchner, DRdA 2000, 449, Panhölzl), hat der Gesetzgeber § 253d ASVG mit 30. 6. 2000 außer Kraft gesetzt (SVÄG 2000, BGBl I 2000/43) und mit Wirksamkeit für Stichtage ab 1. 7. 2000 § 255 Abs 4 ASVG eingeführt.
Nach § 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000, BGBl I 2000/43, gilt als invalid der (die) Versicherte, der (die) das 57. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen.
In den Gesetzesmaterialien (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, AB 187 BlgNR XXI. GP 3 f) wird zur Neuregelung ausgeführt, dass als flankierende Maßnahme zur Abfederung von Härten infolge der Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit der Berufsschutz für Personen, die das 57. Lebensjahr bereits vollendet und durch zehn Jahre während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt haben, verbessert werden solle. "Können diese Personen auf Grund einer Krankheit (eines sonstigen Gebrechens) die besagte Tätigkeit nicht mehr ausüben, so gelten sie unter den erwähnten Voraussetzungen als invalid (berufs- bzw erwerbsunfähig), es sei denn, dass ihnen im konkreten Fall noch eine Änderung dieser Tätigkeit bzw. eine Umorganisation des Betriebes in sachlicher wie personeller Hinsicht zugemutet werden kann."
Weiters wurde im Ausschuss für Arbeit und Soziales in der Sitzung vom 31. 5. 2000 mit Stimmenmehrheit folgende Ausschussfeststellung angenommen:
"Der Ausschuss für Arbeit und Soziales geht davon aus, dass mit § 255 Abs 4 (§ 273 Abs 3) ASVG insbesondere für ungelernte Arbeiter und Angestellte in niedrigen Verwendungsgruppen ein wirksamer Berufsschutz geschaffen werden soll. Ein anderer Tätigkeitsbereich als bisher ist jedenfalls unzumutbar, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten bedeuten würde wie zB das Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss (zB Bauhilfsarbeiter in die Textilbranche). Im Ergebnis soll mit der neuen Regelung auch bewirkt werden, dass entgegen der bisherigen Judikatur zu ungelernten Arbeitern die berufliche Entwicklung des Anspruchswerbers bei der Anspruchsprüfung berücksichtigt werden und beispielsweise für eine Person, die im Baubereich ungelernte Tätigkeiten verrichtet hat, der Verweis auf die Tätigkeit als Portier ausgeschlossen sein soll."
Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob aus dem Abstellen auf "eine Tätigkeit", die in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt wurde, zu schließen ist, dass die neu geschaffene Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG weiterhin einen Tätigkeitsschutz für ältere Versicherte begründet (so Schrammel, Der Invaliditäts-, Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsbegriff nach dem SVÄG 2000, ecolex 2000, 886 [888]) oder ob damit eine besondere Art des Berufsschutzes insbesondere für ältere unqualifiziert beschäftigte (ungelernte) Arbeitnehmer geschaffen werden sollte (so Röhrenbacher, Gedanken und Überlegungen zum neuen Invaliditätsbegriff, SozSi 2001, 846 [852] unter Berufung auf die im Ausschussbericht verwendete Wortfolge "wirksamer Berufsschutz"). Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass beim Kriterium "eine Tätigkeit" im Sinne des § 255 Abs 4 ASVG nicht allzu strenge Maßstäbe anzulegen sind, um nicht von vornherein die Neuregelung nur in Ausnahmsfällen anwendbar werden zu lassen. Der Gesetzgeber spricht auch nicht mehr von "gleichen oder gleichartigen" Tätigkeiten, sondern ersetzt diese Formel durch die eher neutralen Worte "eine Tätigkeit", weshalb die zu § 253d ASVG hinsichtlich der "gleichen oder gleichartigen Tätigkeit" herausgebildete Judikatur jedenfalls nicht ohne Einschränkungen übernommen werden kann (10 ObS 352/02s = RIS-Justiz RS0117063; 10 ObS 98/03i).
Im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass der Kläger im 15jährigen Beobachtungszeitraum vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch "eine Tätigkeit" als Wachorgan ausgeübt hat.
Unter diesen weit zu sehenden Begriff der "einen Tätigkeit" würde im konkreten Fall auch die Tätigkeit eines Tagportiers fallen. Nach den Feststellungen ist das Arbeitsmilieu sowohl bei der Tätigkeit eines Wachorgans als auch der eines Tagportiers das gleiche; lediglich die Aufgabenschwerpunkte sind verschieden. Beide Tätigkeiten gehören zur Berufsgruppe der Aufsichts- und Bewachungstätigkeiten; es handelt sich um verschiedene Verwendungen.
In diesem Sinn hat bereits das Erstgericht zutreffenderweise darauf hingewiesen, dass beide Verwendungen von dem in § 255 Abs 4 ASVG genannten Tatbestandsmerkmal der "einen Tätigkeit" umfasst sind. Hätte der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag jede der beiden Tätigkeiten (zusammen durch mindestens 120 Kalendermonate) ausgeübt, wären die beiden Tätigkeiten für die Beurteilung der Ausübung "einer" Tätigkeit zusammen zu fassen gewesen.
Der Kläger ist nicht außer Stande, dieser "einen" Tätigkeit (als Aufsichts- und Wachorgan) weiterhin nachzugehen, die er in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat. Selbst wenn der Kläger nicht mehr in der Lage ist, den an ein Wachorgan gestellten Anforderungen zu genügen, weil dabei das ihm verbliebene Leistungskalkül überschritten wird, kann er doch der Aufsichtstätigkeit als Tagportier nachgehen.
Da der Kläger somit weiterhin in der Lage ist, der "einen Tätigkeit" weiter nachzugehen, die er im 15-jährigen Beobachtungszeitraum vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, stellt sich die Frage nicht mehr, inwieweit dem Kläger Änderungen dieser Tätigkeit zuzumuten sind.
Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, werden in der Revision nicht aufgezeigt und sind auch aus dem Akt nicht ersichtlich.
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