OGH 6Ob189/02s

OGH6Ob189/02s20.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Matthias H*****, in Obsorge der Mutter Michaela M*****, über den ordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Gerhard H*****, vertreten durch Mag. Irene Haase, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 23. April 2002, GZ 43 R 224/02p-163, womit über den Rekurs des Vaters der Beschluss des Bezirksgerichtes Hietzing vom 6. März 2002, GZ 1 P 1528/95m-160 (nunmehr: 159), bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die Unterhaltsverpflichtung des ehelichen Vaters für den 1984 geborenen Sohn wurde mit Beschluss des Erstgerichtes vom 19. 4. 2000 ab 1. 3. 2000 von bis dahin 3.000 S monatlich auf 1.400 S herabgesetzt. Mit Beschluss vom 23. 2. 2001 wurde der Vater von seiner Unterhaltsverpflichtung ab 1. 6. 2000 enthoben. Am 30. 3. 2001 beantragte das durch den Unterhaltssachwalter vertretene Kind, den Vater zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 2.300 S (167,15 EUR) für die Zeit vom 1. 8. 2000 bis 31. 3. 2001 zu verpflichten. Der Minderjährige habe seine Lehrstelle als Koch verloren. Am 19. 7. 2001 beantragte das Kind, den Vater ab 1. 4. 2001 zu einem Unterhaltsbeitrag von 1.550 S (= 112,64 EUR) monatlich zu verpflichten. Der Vater sprach sich gegen die Unterhaltsfestsetzungsanträge aus und beantragte am 24. 9. 2001 (ON 151), "den Unterhaltsbeitrag des Kindesvaters unter Berücksichtigung von zumindest 40 % des Hälftebetrages des gesetzlich geschuldeten Unterhaltes als Abzugsposten für den Zeitraum ab 1. 10. 1999 neu zu berechnen und die Kindesmutter zur Rückzahlung der Differenz zwischen neu errechnetem und tatsächlich bezahltem Unterhalt zu verpflichten". Er führte dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. 6. 2001, B 1285/00, ins Treffen. Bei getrennt geführten Haushalten müsse eine Kürzung des monatlichen Unterhaltsbeitrages um einen steuerlichen Abzugsposten erfolgen.

Das Erstgericht gab dem Unterhaltsfestsetzungsantrag des Kindes teilweise statt und verpflichtete den Vater für den Zeitraum vom 1. 8. 2000 bis 31. 3. 2001 zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 268,90 EUR, für den Zeitraum vom 1. 4. 2001 bis 30. 9. 2001 zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 112,64 EUR und ab dem 1. 10. 2001 zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 91 EUR. Das Mehrbegehren des Kindes (weitere EUR 10,74 monatlich ab 1. 10. 2001) wurde abgewiesen. Bei der Unterhaltsfestsetzung sei das Lehrlingseinkommen des Minderjährigen zu berücksichtigen. Auch wenn der Minderjährige zweimal die Lehrstelle gewechselt habe, sei die Unterhaltsverpflichtung des Vaters noch gerechtfertigt. Dem Erkenntnis des VfGH sei nicht zu folgen, weil die Familienbeihilfe nicht Eigeneinkommen des Kindes sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Es teilte die Auffassung des Erstgerichtes, dass die Familienbeihilfe auf den Unterhaltsanspruch des Kindes nicht anzurechnen sei. Der Vater habe seine Leistungsfähigkeit zum begehrten Unterhaltsbeitrag nicht bestritten. Im Jahr 1998 habe er ein Durchschnittsnettoeinkommen von 17.900 S monatlich bezogen. Die vom Erstgericht festgesetzten Unterhaltsbeiträge lägen im Ermessensbereich des § 140 ABGB. Im außerstreitigen Unterhaltsverfahren habe die Mutter des Kindes keine Parteistellung. Der Vater mache gegen sie einen Bereicherungsanspruch geltend, der unter anderem voraussetze, dass zuviel bezahlte Unterhaltsbeträge nicht gutgläubig verbraucht seien. Der Rückforderungsanspruch sei im streitigen Verfahren zu verfolgen. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zulässig sei.

Mit seinem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Vater die Abänderung dahin, "dass die Unterhaltspflicht des Kindesvaters unter Berücksichtigung von zumindest 40 % des Hälftebetrages des gesetzlich geschuldeten Unterhaltes als Abzugsposten für den Zeitraum ab 1. 10. 1999 herabgesetzt werde". Hilfsweise beantragt der Vater die Abänderung dahin, dass dem Antrag des Unterhaltssachwalters vom 19. 7. 2001 nicht Folge gegeben werde und hilfsweise ferner, den angefochtenen Beschluss zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung des Erstgerichtes aufzuheben. Der Rückerstattungsantrag ist nicht mehr Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Auch im außerstreitigen Verfahren muss erkennbar sein, inwieweit sich der Rekurswerber für beschwert erachtet (10 Ob 506/96 mwN). Dem primär gestellten Abänderungsantrag mangelt es an der erforderlichen Bestimmbarkeit, weil nicht erkennbar ist, auf welche Unterhaltsbeiträge herabgesetzt werden soll. Die hilfsweise gestellten Rekursanträge sind hingegen ausreichend bestimmt. Der Antrag auf Abweisung des Antrages des Kindes vom 19. 7. 2001 legt den Anfechtungsumfang eindeutig fest. Gleiches gilt für den zweiten hilfsweise gestellten Rekursantrag auf Aufhebung (im gesamten Umfang) zur Verfahrensergänzung. Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist die gesamte von den Vorinstanzen verfügte Unterhaltsfestsetzung. Bis zu den Erkenntnissen des VfGH vom 27. 6. 2001, B 1285/00 und vom 19. 6. 2002, G 7/02, ging die oberstgerichtliche Rechtsprechung entsprechend dem Wortlaut des § 12a FLAG davon aus, dass die Familienbeihilfe (und der Kinderabsetzbetrag) zur Gänze dem Haushalt zukommen soll, in dem das Kind betreut wird, um die Betreuungslast wenigstens teilweise abzudecken. Sie sei nicht dazu bestimmt, den nicht betreuenden geldunterhaltspflichtigen Elternteil zu entlasten. Die Familienbeihilfe sei nicht auf die Unterhaltspflicht anrechenbar (1 Ob 218/00s mwN).

Mit Erkenntnis vom 19. Juni 2002, G 7/02 ua, hat der Verfassungsgerichtshof in § 12a FLAG die Wortfolge "und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch" als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die aufgehobene Wortfolge nicht mehr anzuwenden ist und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten. Der Verfassungsgerichtshof hat seine schon im Erkenntnis vom 27. 6. 2001, B 1285/00, vertretene Auffassung bekräftigt, dass nicht nur die Absetzbeträge (Unterhaltsabsetzbetrag und Kinderabsetzbetrag), sondern auch die Familienbeihilfe der steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen zu dienen habe. Bei verfassungskonformer Auslegung der hier maßgeblichen Rechtslage ist damit bei der Unterhaltsbemessung für Kinder bei getrennter Haushaltsführung darauf Bedacht zu nehmen, dass die Familienbeihilfe nicht (nur) der Abgeltung von Betreuungsleistungen dient, sondern, soweit notwendig, die steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen bewirken soll. Nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs muss der Geldunterhaltspflichtige für die Hälfte des von ihm gezahlten Unterhalts steuerlich entlastet werden. Dabei ist der jeweilige Grenzsteuersatz maßgebend, der jedoch jeweils um etwa 20 % abzusenken ist, weil das Einkommen typischerweise auch steuerlich begünstigte oder steuerfreie Einkünfte umfasst und die steuerliche Entlastung die Leistungsfähigkeit des Geldunterhaltspflichtigen erhöht. Bei einem Grenzsteuersatz von 50 % gelangt man damit zu einem Steuersatz von 40 %; bei einem Grenzsteuersatz von 41 % - wenn die vom Verfassungsgerichtshof vorgegebene Absenkung proportional fortgeschrieben wird - zu einem Steuersatz von 33 % und bei einem Grenzsteuersatz von 31 % zu einem Steuersatz von 25 %.

Der nach diesen Vorgaben abgesenkte Steuersatz ist mit dem halben Unterhaltsbetrag zu multiplizieren; um den sich daraus ergebenden Betrag ist der Geldunterhaltspflichtige steuerlich zu entlasten. Bei der Berechnung der notwendigen steuerlichen Entlastung ist darauf Bedacht zu nehmen, ob der zu entlastende Unterhaltsbetrag zur Gänze im höchsten Einkommensteil Deckung findet oder ob für einen (ins Gewicht fallenden) Teilbetrag der nächstniedrigere Grenzsteuersatz maßgebend ist Die Entlastung wird einerseits durch den beim Geldunterhaltspflichtigen berücksichtigten Unterhaltsabsetzbetrag (§ 33 Abs 4 Z 3 lit b EStG) bewirkt, andererseits sind dazu, soweit der Unterhaltsabsetzbetrag nicht ausreicht, die dem das Kind betreuenden Elternteil zufließenden Transferleistungen - Kinderabsetzbetrag (§ 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG) und Familienbeihilfe - heranzuziehen, indem der Unterhaltsbeitrag entsprechend gekürzt wird (zu Beispielen für die Berechnung siehe 4 Ob 52/02d und 1 Ob 79/02b).

Das Verfahren ist noch nicht spruchreif, weil die Vorinstanzen ausgehend von ihrer nicht zu teilenden Rechtsansicht keine Feststellungen über das zu versteuernde Jahresbruttoeinkommen des Vaters (ohne 13. und 14. Gehalt) getroffen haben. Das vom Rekursgericht nach dem Akteninhalt festgestellte Durchschnittsnettoeinkommen für das Jahr 1998 reicht nicht aus, um den für die erläuterte Berechnungsmethode erforderlichen Steuersatz feststellen zu können. Erst nach Verfahrensergänzung in diesem Sinn wird die Frage, ob eine über den Unterhaltsabsetzbetrag hinausgehende steuerliche Entlastung (vgl dazu 3 Ob 40/02g) des Vaters geboten ist, beurteilt werden können.

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