OGH 6Ob242/02k

OGH6Ob242/02k20.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Marina B*****, in Obsorge der Mutter Kaja B*****, vertreten durch Dr. Georgia Alince, Rechtsanwältin in Wien, über den Revisionsrekurs des Vaters Mag. Erwin B*****, vertreten durch Dr. Werner Stolarz, Dr. Ernst Summerer OEG, Rechtsanwälte in Hollabrunn, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg als Rekursgericht vom 6. August 2002, GZ 20 R 25/02w-126, womit über den Rekurs des Vaters der Beschluss des Bezirksgerichtes Hollabrunn vom 24. Jänner 2002, GZ 1 P 192/98z-111, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird, soweit er eine Unterhaltsfestsetzung unter 181,68 EUR (= 2.500 S) monatlich anstrebt, zurückgewiesen. Im übrigen Umfang wird dem Revisionsrekurs Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden insoweit aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des 1995 geborenen Kindes wurde rechtskräftig geschieden. Die Obsorge steht der Mutter zu. Der Vater hatte sich in einer Unterhaltsvereinbarung vom 23. 11. 1998 zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 2.500 S verpflichtet. Am 10. 7. 2001 stellte das Kind den Antrag, die Unterhaltsverpflichtung ab 1. 5. 2001 auf 5.387 S monatlich (= 391,49 EUR) zu erhöhen. Der Vater sprach sich mit der wesentlichen Begründung dagegen aus, dass er nur 23.899 S monatlich netto verdiene und wegen eines Krebsleidens mit hohen zusätzlichen Kosten belastet sei. Er müsse für die Fahrt zum Arbeitsplatz in Wien seinen PKW benützen.

Das Erstgericht setzte die Unterhaltsverpflichtung des Vaters für die Monate Mai 2001 bis einschließlich August 2001 mit monatlich 300 EUR und ab September 2001 mit monatlich 250 EUR fest und behielt sich die Entscheidung über das Mehrbegehren des Kindes vor. Das Erstgericht stellte für das Jahr 2001 ein monatliches Durchschnittseinkommen des Vaters von 25.200 S netto und bis zum 31. 8. 2001 ein weiteres Einkommen von 4.100 S monatlich fest. Der Vater sei mit 70 % behindert und habe krankheitsbedingte Mehrkosten von durchschnittlich 450 EUR monatlich zu tragen. Weitere Einkünfte des Vaters aus einer Veranstaltungsagentur müssten noch erhoben werden. Der Unterhaltsanspruch des Kindes betrage 18 % der Bemessungsgrundlage. Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und billigte die analoge Anwendung des § 273 ZPO im Unterhaltsverfahren. Der Vater habe selbst die pauschale Festsetzung seiner erhöhten Aufwendungen beantragt. Ein amtliches Kilometergeld stehe ihm nicht zu. Er hätte darzulegen gehabt, welches Fahrzeug mit welchem Benzinverbrauch er besitze. Insoweit sich der Vater auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 27. 6. 2001, B 1285/00, berufe, sei ihm entgegenzuhalten, dass die Anrechnung der Familienbeihilfe nur bei denjenigen Unterhaltspflichtigen in Frage komme, die über ein besonders hohes Einkommen mit einem Steuersatz über 40 % verfügten. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Eine oberstgerichtliche Judikatur zur Anrechnung der Familienbeihilfe liege noch nicht vor.

Mit seinem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Vater die Abänderung dahin, dass seine Unterhaltsverpflichtung für die Zeit vom 1. 5. bis 1. 12. 2001 mit 162,62 EUR und ab 1. 12. 2001 mit 143,05 EUR festgesetzt werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist teilweise unzulässig, teilweise zulässig und im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt. Insoweit der Vater mit seinem Rechtsmittelantrag eine Unterhaltsfestsetzung unter 181,68 EUR anstrebt, ist der Revisionsrekurs unzulässig, weil damit in die Rechtskraft der bisherigen Unterhaltsfestsetzung eingegriffen würde. Der Vater hat zwar am 22. 2. 2001 einen Unterhaltsherabsetzungsantrag gestellt (ON 71), diesen aber in der Folge wieder fallen gelassen, weil er sich zum Unterhaltserhöhungsantrag des Kindes ausdrücklich dahin äußerte, den "monatlichen Unterhalt mit S 2.500,-- festzusetzen" (ON 99). Verfahrensgegenstand in allen Instanzen ist damit ausschließlich ein 2.500 S übersteigender Unterhaltsbeitrag.

Insoweit der Revisionsrekurswerber die pauschale Einschätzung seiner krankheitsbedingten Mehrkosten durch die Vorinstanzen bekämpft, ist er auf die zutreffende Begründung des Rekursgerichtes zu verweisen. § 273 ZPO ist im Verfahren außer Streitsachen anwendbar (SZ 60/269; 6 Ob 2083/96h; RIS-Justiz RS0006326). Die wegen Ermittlungsschwierigkeiten getroffene Ermessensentscheidung kann nur aus ganz gravierenden Gründen, die der Rekurswerber aber nicht aufzeigt, beim Obersten Gerichtshof bekämpft werden (RS0007104). Zu der vom Revisionsrekurswerber angestrebten Anrechnung der Familienbeihilfe im Ausmaß von 100 EUR monatlich:

Bis zu den Erkenntnissen des VfGH vom 27. 6. 2001, B 1285/00 und vom 19. 6. 2002, G 7/02, ging die oberstgerichtliche Rechtsprechung entsprechend dem Wortlaut des § 12a FLAG davon aus, dass die Familienbeihilfe (und der Kinderabsetzbetrag) zur Gänze dem Haushalt zukommen soll, in dem das Kind betreut wird, um die Betreuungslast wenigstens teilweise abzudecken. Sie sei nicht dazu bestimmt, den nicht betreuenden geldunterhaltspflichtigen Elternteil zu entlasten. Die Familienbeihilfe sei nicht auf die Unterhaltspflicht anrechenbar (1 Ob 218/00s mwN).

Im Erkenntnis vom 27. 6. 2001 vertrat der VfGH eine gegenteilige Ansicht. Es sei schon auf der Grundlage des geltenden Rechts eine steuerliche Entlastung der Unterhaltsleistungen an nicht haushaltszugehörige Kinder durch Anrechnung eines Teils der Transferleistungen (Unterhaltsabsetzbetrag gemäß § 33 Abs 4 Z 3 lit b EStG; Kinderabsetzbetrag gemäß § 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG und Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs 2 FLAG) verfassungsrechtlich geboten. Der Oberste Gerichtshof hat sich der Ansicht des VfGH zur teleologischen Reduktion des § 12a FLAG nicht angeschlossen und anlässlich anhängiger Revisionsrekurse beim VfGH gemäß Art 89 Abs 2 B-VG den Antrag gestellt, den § 12a FLAG 1967 idF BGBl 1977/646 als verfassungswidrig aufzuheben. Mit seinem Erkenntnis vom 19. 6. 2002 hob der VfGH im § 12a FLAG die Wortfolge "und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch" als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass die Wortfolge nicht mehr anzuwenden sei. Er wiederholte seine schon im vorher ergangenen Erkenntnis erläuterte Auffassung, dass nicht nur die Absetzbeträge (Unterhalts- und Kinderabsetzbetrag), sondern auch die Familienbeihilfe der steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen zu dienen habe. Weil der Gesetzgeber die indirekte steuerliche Entlastung von Geldunterhaltsschuldnern auf dem Weg über "(erhöhte) Transferleistungen" spätestens seit dem BudgetbegleitG 1998, BGBl I 1998/79 bevorzuge, habe er "in Kauf genommen, dass ein Teil dieser Transferleistungen in bestimmten Situationen und in unterschiedlicher Höhe nunmehr nicht für die Kinder bestimmt" sei, "sondern der steuerlichen Entlastung der Unterhaltsverpflichteten" diene.

Nach der Aufhebung der zitierten Wortfolge hat der Oberste Gerichtshof in zahlreichen Entscheidungen (1 Ob 79/02b; 3 Ob 141/02k; 3 Ob 8/02a; 4 Ob 52/02d; 4 Ob 46/02x ua) im Unterhaltsfestsetzungsverfahren die vom VfGH geforderte steuerliche Entlastung umgesetzt und sich bei der Höhe der Entlastung an die im ersten Erkenntnis des VfGH gegebene formelhafte Berechnungsmethode gehalten.

Bei verfassungskonformer Auslegung ist damit bei der Unterhaltsbemessung für Kinder bei getrennter Haushaltsführung darauf Bedacht zu nehmen, dass die Familienbeihilfe nicht (nur) der Abgeltung von Betreuungsleistungen dient, sondern, soweit notwendig, die steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen bewirken soll. Nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs muss der Geldunterhaltspflichtige für die Hälfte des von ihm gezahlten Unterhalts steuerlich entlastet werden. Dabei ist der jeweilige Grenzsteuersatz maßgebend, der jedoch jeweils um etwa 20 % abzusenken ist, weil das Einkommen typischerweise auch steuerlich begünstigte oder steuerfreie Einkünfte umfasst und die steuerliche Entlastung die Leistungsfähigkeit des Geldunterhaltspflichtigen erhöht. Bei einem Grenzsteuersatz von 50 % gelangt man damit zu einem Steuersatz von 40 %; bei einem Grenzsteuersatz von 41 % - wenn die vom Verfassungsgerichtshof vorgegebene Absenkung proportional fortgeschrieben wird - zu einem Steuersatz von 33 % und bei einem Grenzsteuersatz von 31 % zu einem Steuersatz von 25 %. Der nach diesen Vorgaben abgesenkte Steuersatz ist mit dem halben Unterhaltsbetrag zu multiplizieren; um den sich daraus ergebenden Betrag ist der Geldunterhaltspflichtige steuerlich zu entlasten. Bei der Berechnung der notwendigen steuerlichen Entlastung ist darauf Bedacht zu nehmen, ob der zu entlastende Unterhaltsbetrag zur Gänze im höchsten Einkommensteil Deckung findet oder ob für einen (ins Gewicht fallenden) Teilbetrag der nächstniedrigere Grenzsteuersatz maßgebend ist Die Entlastung wird einerseits durch den beim Geldunterhaltspflichtigen berücksichtigten Unterhaltsabsetzbetrag (§ 33 Abs 4 Z 3 lit b EStG) bewirkt, andererseits sind dazu, soweit der Unterhaltsabsetzbetrag nicht ausreicht, die dem das Kind betreuenden Elternteil zufließenden Transferleistungen - Kinderabsetzbetrag (§ 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG) und Familienbeihilfe - heranzuziehen, indem der Unterhaltsbeitrag entsprechend gekürzt wird (zu Beispielen für die Berechnung siehe 4 Ob 52/02d und 1 Ob 79/02b).

Vor der Feststellung des zu versteuernden Jahresbruttoeinkommens des Vaters (ohne 13. und 14. Gehalt) ist eine Anrechnung der Familienbeihilfe nicht möglich. Das Erstgericht wird den Steuersatz zu ermitteln und mit dessen Hilfe nach der angeführten Berechnungsmethode die gebotene steuerliche Entlastung des Unterhaltsschuldners vorzunehmen haben, soferne hiefür nicht schon der vom Vater bezogene oder zumindest beziehbare Unterhaltsabsetzbetrag ausreicht (vgl dazu 1 Ob 184/02v). Die Rechtsansicht des Rekursgerichtes, dass bei der festgestellten Bemessungsgrundlage eine Anrechnung der Familienbeihilfe in keinem Fall in Frage komme, ist nicht zu teilen. Dagegen spricht schon, dass das Einkommen des Unterhaltsschuldners noch nicht abschließend erhoben wurde. Andererseits ist bei einem Einkommen von mehr als 20.000 S monatlich netto zu erwarten, dass ein Teil der Familienbeihilfe zur steuerlichen Entlastung des Unterhaltsschuldners herangezogen werden muss.

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