OGH 14Os137/02

OGH14Os137/0211.2.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Februar 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zucker als Schriftführer, in der Strafsache gegen Josef W***** und Desiree S***** wegen der Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufungen der Staatsanwaltschaft betreffend beide Angeklagten sowie über die Berufung der Angeklagten S***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 10. September 2002, GZ 16 Hv 166/02h-20, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, der Angeklagten S***** sowie der Verteidigerin Mag. Schleinzer zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Freispruch der Angeklagten Desiree S***** vom Anklagevorwurf der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs 1 StGB sowie demgemäß auch in dem diese Angeklagte treffenden Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht verwiesen. Mit ihren gegen diesen Strafausspruch erhobenen Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten Josef W***** werden die Akten (vorerst) dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Josef W***** der Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (A.I.1. und 2.), Desiree S***** des Verbrechens der Hehlerei nach § 164 Abs 2 und Abs 4 dritter Fall StGB (B 4.) und des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (B 1.) sowie beide Angeklagte der Vergehen der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB (A II.; B 2.) und der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (A III.; B 3.) schuldig erkannt.

Unter einem wurde Desiree S***** von der gegen sie erhobenen Anklage, sie habe es am (richtig:) 20. April 2002 in Villach mit dem Vorsatz unterlassen zu verhindern, dass die Ausführung einer mit ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten vorsätzlichen strafbaren Handlung, nämlich das Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB durch den Mitangeklagten Josef W***** zum Nachteil der Rosa We*****, begangen werde, indem sie sich rasch vom Tatort entfernte und den Hilfeschrei der Rosa We***** nicht beachtete, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Mit in Rechtskraft erwachsenem Schuldspruch liegt Josef W***** zur Last, am 20. April 2002 in Villach Rosa We***** mit Gewalt gegen ihre Person fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld im Betrag von ca 100 EUR, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatz dadurch weggenommen zu haben, dass er ihr die über der linken Schulter getragene Tasche durch heftiges und gewaltsames Zerren entrissen habe, wodurch die Genannte zu Boden gestürzt sei und mehrfache blutende Hautabschürfungen erlitten habe.

Hinsichtlich des Freispruchsfaktums beschränkte sich das Erstgericht in den Entscheidungsgründen im Kern bloß auf die Annahme, dass Desiree S***** aufgrund ihrer persönlichen Beziehung als Lebensgefährtin des Josef W***** nach § 286 Abs 2 (Z 1) StGB exculpiert sei (US 9). Eine substanzielle Auseinandersetzung mit dem nach dieser Gesetzesstelle relevanten Tatbestandsmerkmal der Verhinderungspflicht unterblieb ebenso wie eine Erörterung der (sonstigen) objektiven und subjektiven Voraussetzungen des angenommenen Entschuldigungsgrundes (physisch-reale Handlungsmöglichkeit; Vorsatzkriterien; vgl Steininger in WK2 § 286 Rz 8 ff, 18).

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend wendet die Anklagebehörde in ihrer gegen den Freispruch gerichteten Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) ein, das Schöffengericht habe das Verhältnis zwischen Desiree S***** und Josef W***** irrig als Lebensgemeinschaft im Sinn des § 72 Abs 2 StGB beurteilt: Setzt doch eine solche Beziehung nach herrschender Lehre und Rechtsprechung eine auf längere Zeit ausgerichtete, ihrem Wesen nach dem Verhältnis miteinander verheirateter Personen gleichkommende Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft voraus (Leukauf/Steininger Komm3 RN 15; Jerabek in WK2 Rz 14; Mayerhofer StGB5 E 1, je zu § 72). Es kommt auf die einer Ehe vergleichbare faktische Gestaltung des gemeinschaftlichen Zusammenlebens beider Partner in einer gemeinsamen Wohnstätte an (Jerabek aaO; Mayerhofer aaO E 1b, 2).

Dadurch, dass die Angeklagte und der Haupttäter nach den Urteilsfeststellungen zum Tatzeitpunkt getrennte Wohnsitze hatten (US 7 iVm S 446), mangelt es an einer essenziellen Voraussetzung für das Vorliegen der Angehörigeneigenschaft nach der Bestimmung des § 72 Abs 2 StGB.

Der aufgezeigte, den Erkenntnisrichtern unterlaufene Rechtsirrtum zwingt zur Kassation des bekämpften Freispruchs und zur Rückverweisung der Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung.

Im zweiten Rechtsgang werden die Tatrichter entsprechende, die abschließende rechtliche Prüfung aller Tatbestandselemente ermöglichende Sachverhaltsgrundlagen zu schaffen haben. Mit ihren gegen den Strafausspruch erhobenen Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und die Angeklagte S***** auf diese Entscheidung zu verweisen.

Vorerst werden die Akten jedoch dem Oberlandesgericht Graz zur Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen den den Angeklagten Josef W***** treffenden Strafausspruch zugeleitet (§ 285i StPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte