OGH 4Ob259/02w

OGH4Ob259/02w17.12.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei D*****, vertreten durch Dr. Josef Pfurtscheller und Dr. Markus Orgler, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte und widerklagende Partei E*****, vertreten durch Dr. Heinz Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen EUR 6.497,85 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 13. Juni 2002, GZ 1 R 168/02s-30, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 19. Dezember 2001, GZ 29 C 620/00a-20, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 499,39 EUR (darin 83,23 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Streitteile haben einen außergerichtlichen "Prämienvergleich" des Inhalts geschlossen, dass die beklagte und widerklagende Partei 100 % des zu 29 C 620/00a des Bezirksgerichtes Innsbruck geltend gemachten Klagebetrags von 298.041,19 S (das sind 21.659,50 EUR) samt 6,5 % Zinsen sowie die bis zum Vergleichsabschluss aufgelaufenen Prozesskosten anerkenne, diese Forderung jedoch bei Zahlung eines Betrags von 70 % der Hauptforderung und 70 % der Zinsen und Kosten (zum Stichtag 20. 9. 2000) bis zum 25. 9. 2000 als erledigt gelte. Auf welchen Betrag sich die 70 % der zu errechnenden Gesamtsumme belaufen, wurde dabei nicht festgelegt. Der damalige Beklagtenvertreter errechnete eine Summe von 223.288,46 S (das sind 16.227,01 EUR) und brachte diese am 20. 9. 2000 an den Klagevertreter zur Überweisung. Dieser Betrag enthielt einen Verfahrenskostenanteil von 8.782,34 S (638,24 EUR). Bei seiner Berechnung übersah der damalige Beklagtenvertreter die Kosten einer ersten Tagsatzung, wodurch ein Kostenanteil von insgesamt 2.519,58 S (183,11 EUR) zu wenig überwiesen wurde.

Im vorliegenden Verfahren vertritt die Klägerin die Auffassung, die nicht vollständige Erfüllung des Prämienvergleichs löse die weitere Zahlungspflicht in Höhe der Differenz auf 100 % ihrer Forderung aus. Die Beklagte beantragte Klageabweisung und verfolgt mit ihrer Widerklage (29 C 171/01y) den Anspruch auf Rückzahlung des von ihr an die klagende Partei geleisteten Betrags. Sie habe die Befreiungsbefugnis aus dem Prämienvergleich nicht verloren. Die aus einem Irrtum ihres Vertreters erfolgte Minderzahlung an Prozesskosten habe sie nach Aufklärung unverzüglich anerkannt und an den Klagevertreter zur Überweisung gebracht.

Das Erstgericht sprach aus, dass weder die Klage- noch die Widerklageforderung zu Recht bestehen und wies Klage- und Widerklagebegehren ab. Es stellte noch fest, nach Erhalt der 223.288,46 S (16.227,01 EUR) habe der Klagevertreter den Beklagtenvertreter darauf hingewiesen, dass der überwiesene Kostenbetrag nicht 70 % der tariflichen Kosten entspreche und habe ihn um Aufklärung ersucht. Aus der dem Klagevertreter daraufhin übermittelten Aufschlüsselung habe sich ergeben, dass die Kosten der ersten Tagsatzung nicht berücksichtigt worden seien. Darauf habe der Klagevertreter den Beklagtenvertreter hingewiesen und wörtlich ausgeführt: "Damit wurde keineswegs innerhalb der gesetzlichen Frist der geforderte Betrag bezahlt. Ich habe daher den Auftrag, deine Mandantschaft aufzufordern, auch den Restbetrag zur Überweisung zu bringen". Diese Aufforderung habe der Beklagtenvertreter dahin verstanden, dass er den Restbetrag auf die nun ziffernmäßig bekanntgegebenen Verfahrenskosten überweisen solle. Er habe diese Überweisung auch umgehend veranlasst. Erst neun Tage später habe der Klagevertreter mit Schreiben vom 20. 10. 2000 mitgeteilt, seine Mandantschaft gehe davon aus, dass die Befreiungsklausel des Prämienvergleichs nicht wirksam geworden sei und fordere daher die Beklagte zur Zahlung des Restbetrags auf. Aus welchen Gründen der damalige Beklagtenvertreter die Kosten der ersten Tagsatzung bei seiner Berechnung nicht berücksichtigt habe, könne nicht festgestellt werden. Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, Terminsverlust sei nicht eingetreten. Die Ausnützung einer in Relation zum fälligen Betrag derart geringfügigen, auf einem Rechenfehler beruhenden Minderzahlung sei nach Treu und Glauben unzulässig. Im Übrigen habe sich das Schreiben des Klagevertreters vom 10. 10. 2000 nach dem Verständnis eines redlichen Erklärungsempfängers eindeutig auf den aus der ersten Tagsatzung resultierenden Restbetrag bezogen. Die Beklagte habe diesen Differenzbetrag unverzüglich nach Aufklärung der Minderzahlung anerkannt und überwiesen. Sie komme daher in den Genuss der Befreiungsbefugnis. Die Zahlungen aus dem Prämienvergleich könne die Beklagte jedoch nicht zurückfordern, weil der ursprünglichen Klageforderung ein Rechtsverhältnis zugrunde liege. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung in der Hauptsache und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu einer Minderzahlung im Ausmaß von knapp über 1 % des Vergleichsbetrags fehle. Nach jüngerer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes rechtfertigten geringfügige Verzögerungen bei der Erfüllung eines Vergleichs oder geringe Minderzahlungen die an den Verzug geknüpften strengen Rechtsfolgen nicht. Im vorliegenden Fall betrage die aus einem Irrtum herrührende Minderzahlung nur etwa 1 % des zur Erreichung der Lösungsbefugnis zu zahlenden Betrags und habe die Beklagte nach Entdecken ihres Irrtums den Fehlbetrag unverzüglich überwiesen. Die Klägerin habe zunächst einen Verlust der Befreiungsbefugnis nicht angesprochen, sondern nur um Aufklärung des Kostenanteils und dann um Zahlung dieses Restbetrags ersucht. Mit Rücksicht darauf, dass die Beklagte ihre Zahlungsverpflichtung aus dem Prämienvergleich selbst habe ermitteln müssen und aufgrund der Reaktion des Klagevertreters davon habe ausgehen dürfen, dass die Nachzahlung der Kostendifferenz die Prämie aus dem Vergleich sichern werde, und letztlich wegen der im Verhältnis zum geschuldeten Gesamtbetrag nicht ins Gewicht fallenden Minderzahlung, die die Beklagte nach Aufklärung unverzüglich nachgeholt habe, sei die Ausnützung der geringfügigen Minderzahlung für die Herbeiführung der nachteiligen Rechtsfolgen des Terminsverlustes im vorliegenden Fall unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist - entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts - nicht zulässig. Der Oberste Gerichtshof hat unter Bezugnahme auf Lehrmeinungen in Österreich und Deutschland (Stanzl in Klang² IV/1, 698; Mayrhofer in Ehrenzweig³, Schuldrecht AT 377; Binder in Schwimann, ABGB² § 904 Rz 3; Reischauer in Rummel, ABGB³ § 904 Rz 14) schon wiederholt den Eintritt des Terminsverlusts sowie den Wegfall oder den Eintritt der im Prämienvergleich vorgesehenen Verzugsfolgen als unangemessene Sanktion beurteilt. So etwa, wenn der Zahlungspflichtige zufolge einer unterschiedlichen Auffassung über die Berechnung der Wertsicherungsbeträge mit einem verhältnismäßig geringfügigen Betrag in Verzug geraten war (RdW 1989, 301) oder eine geringfügige - auf einen Rechenfehler zurückzuführende - Minderzahlung erfolgte, die sogleich nach Bekanntwerden des Rechenfehlers nachgeholt wurde (SZ 70/165 = EvBl 1998/45). Auch eine Überschreitung der Leistungsfrist um vier Tage löste nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes den Verzug nicht aus, weil nach den dort gegebenen Umständen die Verzögerung auf einer vom Schuldner gewählten und vom Gläubiger nicht zurückgewiesenen Zahlungsweise beruhte (1 Ob 193/99k). Die Beurteilung, ob die Geltendmachung eines vereinbarten Terminsverlusts oder der Nichterfüllung eines Prämienvergleichs gerechtfertigt ist, richtet sich somit nach den im jeweiligen Einzelfall gegebenen besonderen Umständen. Maßgeblich sind dabei der Inhalt der zwischen Gläubiger und Schuldner getroffenen Vereinbarung, das Verhältnis des Rückstands zum geschuldeten Betrag und das Verhalten von Gläubiger und Schuldner im Zusammenhang mit der Minderleistung.

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien hat das Berufungsgericht den Eintritt der im Prämienvergleich vorgesehenen Verzugsfolgen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falls verneint. Es hat dabei berücksichtigt, dass die Schuld, zu deren Erfüllung sich der Beklagte verpflichtet hatte, betraglich nicht feststand und der Beklagte daher gezwungen war, seine Zahlungsverpflichtung zur Erfüllung des Prämienvergleichs selbst zu ermitteln. Dabei ist ihm bei Berechnung des Kostenersatzes ein Rechenfehler unterlaufen. Das Berufungsgericht hat aber auch das Verhalten des Klagevertreters berücksichtigt, der zunächst nur Aufklärung der Minderzahlung und - nach Erkennbarkeit des Rechenfehlers - "Restzahlung" verlangte, nicht jedoch auf die Folgen einer verspäteten Zahlung des Prämienvergleichs hinwies, sondern vielmehr die sich aus dem aufgeklärten Rechenfehler ergebende Restzahlung annahm. Mitberücksichtigt wurde dabei, dass die Minderzahlung 1 % des geschuldeten Betrages ausmachte. Der Beurteilung dieser Streitsache kommt keine über diesen Fall hinausgehende Bedeutung zu. Eine - im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit aufzugreifende - grobe Fehlbeurteilung liegt nicht vor.

Die Revision der klagenden Partei wird daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, sodass ihre Rechtsmittelbeantwortung der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung diente.

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