Spruch:
Keinem der Rekurse wird Folge gegeben.
Text
Begründung
Die A***** (APPS) GmbH (in der Folge: Anmelderin) meldete am 1. 3. 2002 die beabsichtigte Übernahme von 39 % der Anteile an der H***** Aktiengesellschaft (in der Folge: Zielgesellschaft) als Zusammenschluss gem § 41 Abs 1 Z 3 KartG an. Zum damaligen Zeitpunkt hielt die E***** GmbH (in der Folge: EPA) 90 % der Anteile an der Anmelderin, die Oesterreichische Nationalbank 10 %. Die Bekanntmachung der Anmeldung erschien am 8. 3. 2002 im Amtsblatt zur Wiener Zeitung.
Am 5. 4. 2002 beantragte die Finanzprokuratur, am 8. 4. 2002 die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte die Einleitung eines Prüfungsverfahrens; im Hinblick auf die Beteiligung der EPA an der Anmelderin seien die wirtschaftlichen Auswirkungen des Vorhabens zu prüfen; die von der Anmelderin vorgenommene Marktabgrenzung sei diskussionswürdig.
Am 23. 5. 2002 stellte das Kartellgericht zu 27 Kt 135/02 eine Amtsbestätigung gem § 42b Abs 1 KartG aus; damit wurde ein Zusammenschlussvorgang nicht untersagt, durch den die EPA als Gesellschafterin der Anmelderin ausschied, während die Oesterreichische Nationalbank ihren Anteil an der Anmelderin auf 38 % erhöhte; die übrigen Gesellschafter sind überwiegend Kreditunternehmen.
Der Paritätische Ausschuss für Kartellangelegenheiten gelangte in seinem Endgutachten zum Ergebnis, dass sich nunmehr nach der gesellschaftsrechtlichen Entflechung von Anmelderin und EPA für den Fall einer vollständigen personellen Trennung der Geschäftsführungen von Anmelderin und EPA kein Hinweis auf eine Herbeiführung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung durch den Zusammenschluss ergebe.
Am 10. 7. 2002 brachte die e***** GmbH (in der Folge: Einschreiterin) eine Äußerung betreffend den angemeldeten Zusammenschluss beim Kartellgericht ein. Sie verwies auf ihr rechtliches Interesse als Mitbewerberin auf dem betroffenen Markt und vertrat die Auffassung, der Zusammenschluss sei zu untersagen.
Das Erstgericht wies die Äußerung der Einschreiterin als verfristet zurück. In der Sache selbst sprach es aus, dass der angezeigte Anteilserwerb mit der Auflage nicht untersagt werde, dass bezüglich der Geschäftsführer der Antragstellerin und der EPA eine vollständige personelle Trennung einzutreten habe und bezüglich der Aufsichtsräte der Gesellschaften eine Personengleichheit nur bei weniger als der Hälfte der Mitglieder herrschen dürfe. Es traf folgende Feststellungen:
Das Hauptgeschäftsfeld der Zielgesellschaft, die über die Gewerbeberechtigungen "Einziehung fremder Forderungen" und "Dienstleistungen in der automatischen Datenverarbeitung und Informationstechnik" verfügt und österreichweit tätig ist, ist das Anbieten und Durchführen unbarer Zahlungsvorgänge für Unternehmen im Endkundengeschäft; daneben beschäftigt sich die Gesellschaft mit der Organisation von Kundenkartensystemen und Systemen der unbaren Zahlung im Internet oder über Mobiltelefon. Den Markt für Abbuchungssysteme im unbaren Zahlungsverkehr in Österreich teilen sich neben der EPA noch die Zielgesellschaft und die Einschreiterin, eine Tochter der Deutschen Bank als Anbieter; die EPA verfügt über einen Marktanteil von zirka 80 %, den Rest teilen sich die übrigen Anbieter zu annähernd gleichen Anteilen.
Die Anmelderin erbringt österreichweit Rechenzentrumsdienstleistungen, betreibt und wartet das österreichische Bankomatsystem, erbringt Dienstleistungen für POS-Terminals und wird damit auf vor- und nachgelagerten Märkten für Issuer (Banken und Kreditkarteninstitute) und Acquirer (wie etwa EPA, die Einschreiterin und die Zielgesellschaft) tätig; sie verfügt über die Gewerbeberechtigungen "Dienstleistungen in der automatischen Datenverarbeitung und Informationstechnik" und "Vermietung von Maschinen und Geräten insbesondere von Bankomaten unter Ausschluss jeder an einen Befähigungsnachweis gebundenen Tätigkeit". Überschneidungen zwischen den Geschäftsbereichen der Anmelderin und der Zielgesellschaft in nachgeordneten Geschäftsbereichen sind seitens der Anmelderin nicht beabsichtigt. An den für die Verbraucher entscheidenden Eigenschaften unterscheiden sich - im Hinblick auf den relevanten Markt - Abbuchungssysteme im unbaren Zahlungsverkehr nicht von einander. Aus der Geschäftstätigkeit der Anmelderin ergibt sich im Falle eines Zusammenschlusses keine Addition weiterer Marktanteile, wenn EPA mit der Anmelderin nicht verbunden bleibt. Der Abschluss des beabsichtigten Syndikatsvertrags zwischen den Gesellschaftern der Anmelderin bezweckt die administrative Vereinfachung der Meinungsbildung und die vereinfachte Nominierung des Aufsichtsrats, nicht aber eine Beeinflussung der Geschäftsführung der Anmelderin. Für eine kartellrechtlich maßgebliche Koordinierung der wirtschaftlichen Interessen der Gesellschafter der Anmelderin besteht kein Anhaltspunkt. Das Entstehen oder Verstärken einer marktbeherrschenden Stellung durch den gegenständlichen Zusammenschluss ist unter der Voraussetzung nicht zu erwarten, dass die bisher bestehende Identität der beiden Geschäftsführer von EPA mit zwei von vier kollektiv zur Vertretung berufenen Geschäftsführern der Anmelderin beendet und die Geschäftsführung der beiden Gesellschaften personell vollständig getrennt wird. Rechtlich folgerte das Erstgericht daraus, dass das Entstehen oder Verstärken einer marktbeherrschenden Stellung (§ 34 KartG) nicht zu erwarten sei, falls die Geschäftsführungen der Antragstellerin und der EPA personell entflochten würden.
Gegen die Zurückweisung ihrer Äußerung richtet sich der Rekurs der Einschreiterin mit dem Antrag, ihre Äußerung zum Akt zu nehmen und den Parteien zuzustellen; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Gegen die Nichtuntersagung des Zusammenschlusses unter Auflagen richtet sich der Rekurs der Bundeswettbewerbsbehörde wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss dahin abzuändern, dass weitergehende Auflagen, die den angeführten Bedenken Rechnung tragen, auferlegt werden; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Anmelderin beantragt, den Rekurs der Bundeswettbewerbsbehörde als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
1. Zum Rekurs der Einschreiterin
Die Einschreiterin führt aus, erst durch Ladung einer ihrer Mitarbeiter zur Anhörung vor dem Paritätischen Ausschuss für Kartellangelegenheiten vom Zusammenschlussvorhaben erfahren zu haben. Im Zuge dieser Anhörung sei die Einschreiterin ersucht worden, dem Kartellgericht eine zusammenhängende schriftliche Darstellung zu übermitteln; diesem Auftrag sei mit der zurückgewiesenen Äußerung entsprochen worden. Unabhängig davon, dass die Einschreiterin die Frist des § 42a Abs 3a KartG zur Äußerung nicht eingehalten habe, wäre das Kartellgericht wegen des im Kartellverfahren zu beachtenden Untersuchungsgrundsatzes verpflichtet gewesen, die in der Äußerung aufgezeigten Umstände bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen; die Übergehung der Eingabe mache das Verfahren, den angefochtenen Beschluss und die Endentscheidung rechtswidrig. Dem kann nicht zugestimmt werden.
Gem § 42a Abs 3a KartG kann jeder Unternehmer, dessen rechtliche oder wirtschaftliche Interessen durch den Zusammenschluss berührt werden, binnen 14 Tagen ab der Bekanntmachung der Zusammenschlussanmeldung gegenüber dem Kartellgericht eine schriftliche Äußerung abgeben; darauf ist in der Bekanntmachung hinzuweisen. Der Einschreiter hat kein Recht auf eine bestimmte Behandlung der Äußerung. Die Einschreiterin gesteht selbst zu, dass im Zeitpunkt der Einbringung ihres Schriftsatzes die Frist des § 42a Abs 3a KartG längst abgelaufen war. Eine Äußerungsmöglichkeit Dritter im kartellrechtlichen Zusammenschlussverfahren außerhalb der genannten Bestimmung ist im Gesetz nicht vorgesehen. Die Zurückweisung der verspätet überreichten Stellungnahme ist daher frei von Rechtsirrtum erfolgt. Ob die Einschreiterin aber mit ihrem Schriftsatz einem Ersuchen des Paritätischen Ausschusses für Kartellangelegenheiten Folge geleistet hat, ist für die Zulässigkeit dieser Prozesshandlung unerheblich, kann doch der Paritätische Ausschuss für Kartellangelegenheiten ohne Auftrag des Kartellgerichts - ein solcher ist nicht aktenkundig - keine dieses bindende Aufträge an Dritte erteilen.
Das Kartellobergericht hat schon ausgesprochen, dass in einem Missbrauchsverfahren, in dem eine Teilnahme Dritter als Beteiligte des Verfahrens nicht vorgesehen ist, Eingaben, die nicht von den Verfahrensparteien stammen, als Hinweise oder Anregungen an das Kartellgericht zu werten sind (ÖBl 1973, 109 - Kartoffel-Stärkesirup). Selbst wenn man diese Grundsätze analog auf das Zusammenschlussverfahren anwenden wollte, wären die im Schriftsatz der Einschreiterin aufgezeigten inhaltlichen Bedenken unbegründet: Die angesprochene weitgehend übereinstimmende Eigentümerstruktur von EPA und Anmelderin erfährt nämlich durch den Zusammenschluss keine entscheidende Änderung; ebenso spielt für dessen Zulässigkeit keine Rolle, ob dadurch - wie behauptet - die (am Zusammenschluss nicht mehr beteiligte) EPA ihre marktbeherrschende Position verstärken kann. Dem Rekurs kann daher auch unter diesem Aspekt kein Erfolg beschieden sein.
2. Zum Rekurs der Bundeswettbewerbsbehörde
Auch nach dem Ausscheiden der EPA als Gesellschafterin der Anmelderin lag im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz weiterhin ein anmeldebedürftiger Zusammenschluss vor, weil die Erträge (§ 2a Z 2 KartG) der Oesterreichischen Nationalbank, welche nach der erfolgten Umgliederung nunmehr zu 38 % an der Anmelderin beteiligt ist, gem § 2 Z 2 KartG bei Berechnung der Umsatzerlöse gem § 42a KartG zu berücksichtigen sind. Der Rekurs der Amtspartei Bundeswettbewerbsbehörde (§ 44 KartG) ist daher - entgegen der Auffassung der Anmelderin - zulässig; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.
Die Rekurswerberin hegt "ernsthafte Bedenken" gegen den Zusammenschluss; aus wirtschaftlicher Sicht sei nicht erkennbar, weshalb die Anmelderin die Zielgesellschaft als direkte Mitbewerberin der EPA, ihrem wichtigsten Kunden, erhalten solle. Auch nach durchgeführter gesellschaftsrechtlicher Trennung von Anmelderin und EPA stünden beide Gesellschaften in einem indirekten Verhältnis, weil sie teilweise idente Gesellschafter (es handelt sich überwiegend um die selben Kreditunternehmen) besäßen, die durch Syndikatsvertrag miteinander verbunden seien. Eine Abstimmung der Geschäftstätigkeit der Gesellschafter sei selbst bei personeller Trennung der Aufsichtsräte nicht nur möglich, sondern geradezu zu erwarten. Eine inhaltliche Abstimmung der Beschlüsse der Aufsichtsräte beider Gesellschaften könne nicht verhindert werden. Dazu ist zu erwägen:
Gem § 42b Abs 2 Z 2 KartG hat das Kartellgericht einen Zusammenschluss zu untersagen, wenn zu erwarten ist, dass durch den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung (§ 34 KartG) entsteht oder verstärkt wird und kein Rechtfertigungsgrund iSd Abs 3 vorliegt.
Nach dem festgestellten Sachverhalt wird der Markt für Abbuchungssysteme im unbaren Zahlungsverkehr zu 80 % von der EPA beherrscht, während sich die Zielgesellschaft mit einer weiteren Mitbewerberin das restliche Marktsegment zu etwa gleichen Anteilen teilen. Gleichgültig, ob man (wie die Anmelderin und das Kartellgericht) sämtliche Abbuchungssysteme im unbaren Zahlungsverkehr als einheitlichen betroffenen Markt ansieht, oder ob man (wie die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte und der Bund in ihren Prüfungsanträgen) gesonderte Märkte für Zahlungen mittels Kreditkarten und Zahlungen mittels Bankomatkarten annähme, liegen bei dieser Sachlage die Voraussetzungen für die Untersagung des Zusammenschlusses - wie das Erstgericht frei von Rechtsirrtum erkannt hat - schon deshalb nicht vor, weil sich durch den Zusammenschluss zwar die Gesellschafterstruktur der Zielgesellschaft verändert, nicht aber die Verhältnisse auf dem betroffenen Markt, auf dem weder die Anmelderin noch einer ihrer Gesellschafter tätig ist. Den - nach der Aktenlage nicht begründeten - Befürchtungen der Rekurswerberin, die Anmelderin könnte daran interessiert sein, die Zielgesellschaft als Mitbewerberin der EPA auszuschalten, ist entgegenzuhalten, dass die Anmelderin als Minderheitsgesellschafterin allein weder in der Lage ist, eine Auflösung der Zielgesellschaft herbeizuführen, noch deren Geschäftsführung zu beherrschen. Der Syndikatsvertrag der Gesellschafter der Anmelderin hat keine Abstimmung der Geschäftstätigkeit von Anmelderin und EPA zum Gegenstand. Mit der vom Kartellgericht verfügten vollständigen personellen Trennung dieser beiden Gesellschaften im Bereich der Geschäftsführung und einer weitgehenden personellen Entflechung der Aufsichtsräte wurden wesentliche organisationsrechtliche Maßnahmen getroffen, um ein abgestimmtes Verhalten auf dem betroffenen Markt zu verhindern; welche darüber hinausgehenden Maßnahmen die Rekurswerberin in diesem Zusammenhang noch für notwendig hält, zeigt sie nicht auf.
Zukünftige marktstörende Absprachen zwischen den strukturell und personell nicht mehr entscheidungserheblich verflochtenen Gesellschaften, wie sie die Rekurswerberin - ohne nähere Begründung und durch die Aktenlage nicht gedeckt - befürchtet, können im übrigen nicht präventiv mit dem Instrumentarium der Zusammenschlusskontrolle verhindert werden, sondern sind im jeweiligen Anlassfall mit Maßnahmen der Kartellaufsicht (§ 18 KartG iVm § 11 KartG) oder der Missbrauchsaufsicht (§ 35 KartG) abzustellen.
Nach Einbringung ihres Rechtsmittels wurden der Rekurswerberin weitere Zwischengutachten des Paritätischen Ausschusses für Kartellangelegenheiten zugestellt. In ihrem daraufhin erstatteten "ergänzenden Vorbringen zum Rekurs" zeigt die Bundeswettbewerbsbehörde keine neuen Umstände auf, warum - bei Berücksichtigung des Inhalts der ihr erst nachträglich bekannt gewordenen Zwischengutachten - der Zusammenschluss nicht oder nur mit anderen Auflagen zu genehmigen gewesen wäre.
Dem Rekurs ist somit ein Erfolg zu versagen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)