OGH 2Ob294/02b

OGH2Ob294/02b5.12.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ilse Maria G*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Murteza G***** , vertreten durch Dr. Alfred Lind und Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwälte in Graz, wegen Ehescheidung über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 1. Juli 2002, GZ 2 R 202/02v-38, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 22. März 2002, GZ 33 C 63/00i-30, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Gericht zweiter Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Streitteile schlossen am 9. 9. 1998 vor dem Standesamt Graz die zu Ehebuch Nr ***** beurkundete Ehe. Die Klägerin ist Österreicherin, der Beklagte Staatsangehöriger im heutigen Jugoslawien. Es handelte sich beiderseits um die bereits zweite Ehe. Ein gemeinsamer Wohnsitz wurde zwischen den Parteien nicht begründet; es bestand auch keine Wirtschaftsgemeinschaft zwischen ihnen. Der Ehe entstammen keine Kinder. Ob die Eheleute eine Intimbeziehung hatten, steht nicht fest. Nach Ansicht beider Parteien sollte die Eheschließung nur dazu dienen, dem Beklagten den Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen. Sowohl vor als auch nach der Eheschließung arbeitete die Klägerin als Prostituierte, welcher Umstand dem Beklagten bekannt war. Außerdem hatte sie ein "Verhältnis" zum Bruder des Beklagten. Vom Strafantrag des Verbrechens der schweren Nötigung nach den §§ 105, 106 Abs 1 Z 1 StGB gegenüber der Klägerin am 8. 5. 2000 wurde der Beklagte vom Landesgericht für Strafsachen Graz rechtskräftig gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Mit der am 15. 5. 2000 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Dieser habe sie lieblos behandelt, sei bereits seit geraumer Zeit aus der ehelichen Wohnung ausgezogen und habe sie auch mehrfach bedroht und beschimpft. Im weiteren Verfahren wurde noch vorgebracht, dass die Klägerin des Beklagten über Ersuchen dessen Bruders nur deshalb geheiratet habe, um dem Beklagten eine Aufenthaltsgenehmigung und eine Erwerbstätigkeit in Österreich zu ermöglichen, ohne dass es jedoch in der Folge zu einer Geschlechts- oder Wirtschaftsgemeinschaft gekommen sei. Schon zu Beginn der Ehe sei zwischen ihnen niemals beabsichtigt gewesen, eine eheliche Gemeinschaft aufzunehmen. In weiterer Folge habe der Beklagte ein ehewidriges Verhalten dadurch gesetzt, dass er die Klägerin auf das ärgste beschimpft und auch darüber hinaus die ehelichen Pflichten völlig vernachlässigt habe.

Der Beklagte bestritt das Klagebegehren. Die Klägerin habe ihrerseits derart schwere Eheverfehlungen gesetzt, dass ihr Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt sei. So habe sie immer wieder mit anderen Männern in der Ehewohnung geschlechtlich verkehrt und den Beklagten sogar der Wohnung verwiesen. Für den Fall des Ausspruches der Scheidung stellte er auch einen Mitschuldantrag wegen überwiegenden Verschuldens der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe. Die vom Erstgericht zur Überprüfung im Sinne der §§ 23, 28 Abs 1 EheG aufgeforderte Staatsanwaltschaft hat diesem die Akten mit der Bemerkung rückgemittelt, dass derzeit kein Grund zur Einleitung eines Ehenichtigkeitsverfahrens gefunden werde.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem beiderseitigen gleichteiligen Verschulden. Es traf die eingangs zusammengefasst wiedergegebenen und darüber hinaus noch weitere, im Berufungsverfahren jedoch bekämpfte Feststellungen, von denen lediglich hervorzuheben ist, dass es zwischen den Streitteilen wegen der Prostitution der Klägerin des öfteren zum Streit kam; bei mehreren Anlässen äußerte der Beklagten zumindest sinngemäß "Bei uns haben Frauen nichts zu melden! Du sollst das machen, was ich sage!" Beschimpft hat der Beklagte die Klägerin allerdings nie. Seit Juli 2000 unterhält die Klägerin eine intime Beziehung zu einem anderen Mann.

In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass zwar bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung keine eheliche Gesinnung vorgelegen habe. Beide Parteien hätten jedoch dessen ungeachtet schwere Eheverfehlungen begangen, ohne dass das Verschulden eines der beiden gegenüber dem anderen völlig in den Hintergrund trete. So seien dem Beklagten insbesondere seine Drohungen und der Versuch, sie gegen ihren Willen zur weiteren Ausübung der Prostitution zu zwingen, der Klägerin hingegen deren Intimbeziehungen zu einem anderen Mann (jene als Prostituierte habe der Beklagte zumindest stillschweigend akzeptiert), die Verweigerung der Herausgabe eines Wohnungsschlüssels, der Verweis des Beklagten aus der Ehewohnung und schließlich eine wissentlich unrichtige Strafanzeige vorzuwerfen. Diese Verhaltensweisen seien allesamt gegen das Wesen der Ehe gerichtet, auch wenn eine eheliche Gesinnung nicht bestanden habe.

Das Berufungsgericht gab der vom Beklagten erhobenen Berufung Folge und änderte das bekämpfte Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies. Die Tatsachen-(Beweis-)rüge ließ es aufgrund seiner Rechtsansicht unerledigt. In rechtlicher Hinsicht führte es (zusammengefasst) aus, dass zufolge der österreichischen Staatsbürgerschaft der Klägerin und des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes beider Ehegatten in Österreich österreichisches Recht anzuwenden sei. Ein Scheidungsverfahren sei auch vor einem allenfalls nachfolgenden Verfahren zur Nichtigerklärung einer Ehe zulässig. Habe jedoch zwischen den Eheleuten niemals eine Ehe im Sinne einer geistigen, körperlichen und wirtschaftlichen Gemeinschaft bestanden, somit auf beiden Seiten kein Ehewille vorgelegen, so habe durch das Verhalten des Beklagten der Ehewille der Klägerin, welcher nie vorhanden gewesen sei, auch nicht zerstört werden können, sodass die Voraussetzungen für eine Scheidung iSd § 49 EheG nicht vorlägen. Der erst in der Berufungsbeantwortung vertretene Standpunkt, dass die Ehe (dann) nach § 55 EheG geschieden hätte werden müssen, sei unbeachtlich, weil während des gesamten Verfahrens in erster Instanz ein diesbezügliches ergänzendes Vorbringen oder eine Klageänderung nie erfolgt seien.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass die zur Stützung seines Rechtsstandpunktes zitierte Entscheidung EFSlg 81.625 keine oberstgerichtliche sei und eine diesbezügliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, das bekämpfte Urteil im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in welcher beantragt wird, dem gegnerischen Rechtsmittel keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtslage verkannt hat; sie ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Die Ausführungen des Gerichtes zweiter Instanz, habe zwischen den Streitteilen niemals eine Ehe im Sinne einer geistigen, körperlichen und wirtschaftlichen Gemeinschaft und somit auf beiden Seiten kein Ehewille bestanden, so habe durch das Verhalten des Beklagten der nie vorhandene Ehewille der Klägerin auch nicht zerstört werden können, sodass die Voraussetzungen für eine Scheidung der Ehe iSd § 49 EheG nicht vorlägen, stützen sich auf eine in EFSlg 81.625 nur mit diesem Rechtssatz abgedruckte Entscheidung des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht. Dabei wird jedoch übersehen - wie der Oberste Gerichtshof erst jüngst im Zusammenhang mit einem ähnlichen (dort allerdings auf den Tatbestand des § 55 Abs 3 EheG gestützten) Scheidungsfall einer österreichischen Klägerin mit einem jugoslawischen Beklagten zu 5 Ob 155/02h ausgesprochen hat -, dass das Vorliegen einer allenfalls ungültigen Ehe (zufolge einer verdachtsmäßig im Raum stehenden und von der Klägerin auch selbst grundsätzlich so zugestandenen Namens- und Staatsangehörigkeitsehe gemäß § 23 EheG) einem Scheidungsbegehren keineswegs entgegensteht, weil in einem solchen Fall das Eheband erst durch die gerichtliche Nichtigerklärung beseitigt wird, eine Vorfragenbeurteilung einer solchen Nichtigkeit in einem anderen Zivilverfahren jedoch unzulässig ist (so auch Hopf/Kathrein, Eherecht Anm 3 zu § 27 EheG und Schwimann in Schwimann, ABGB2 Rz 2 zu § 27 EheG) und beim Nichtigkeitsgrund des § 23 EheG auch nur der Staatsanwalt klagebefugt ist (§ 28 Abs 1 EheG), der hier jedoch für eine derartige Klage ausdrücklich keine Veranlassung sah (ON 24). Vor Nichtigerklärung ist eine Scheidung daher zulässig (Hopf/Kathrein, aaO Rz 4; Schwimann aaO Rz 3; 5 Ob 155/02h). Bis zu einer (hier fehlenden) rechtskräftigen Nichtigerklärung besteht sohin eine voll wirksame Ehe mit allen sich daraus (auch zwischen den Ehegatten: 7 Ob 674/89 = RZ 1990/49) ergebenden Rechten und Pflichten (Schwimann, aaO Rz 2). Demgemäß steht der festgestellte fehlende Ehewille der Streitteile (entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes) auch einem gemäß § 49 EheG erhobenen Scheidungsbegehren nicht grundsätzlich entgegen. Ausgehend von dieser Rechtsansicht ist jedoch eine Wiederherstellung des klagestattgebenden Ersturteils nicht möglich, weil die dafür maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen noch strittig sind und vom Berufungsgericht erst im Rahmen einer vollständigen Erledigung der diesbezüglichen Beweisrüge abschließend getroffen werden müssen. Auch im Falle einer von Anfang an nicht aufgenommenen häuslichen Gemeinschaft ist Zerrüttung zu unterstellen (5 Ob 155/02h). Die für eine schuldhafte tiefe Zerrüttung maßgeblichen Umstände iSd § 49 EheG wurden in der Beweisrüge der Berufung des Beklagten mehrfach bekämpft und können erst nach Bejahung (oder Verneinung) die beiderseits vorgeworfenen (und festgestellten) Eheverfehlungen in subjektiver wie objektiver Hinsicht (Hopf/Kathrein, aaO Anm 2 zu § 49 EheG) abschließend beurteilt werden. Zur Stützung eines Scheidungsbegehrens gemäß § 55 EheG ist die Rechtsmittelwerberin auf das bereits vom Berufungsgericht herangezogene Neuerungsverbot zu verweisen. Das Berufungsgericht wird daher die zur abschließenden Beurteilung erforderliche Tatsachengrundlage zu schaffen und sodann zu entscheiden haben, ob und wenn ja in welchem Ausmaß einen oder beide Streitteile ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft. Der Vorbehalt der Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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