OGH 14Os111/02

OGH14Os111/0212.11.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. November 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kaller als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Zivorad R***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 17. Juni 2002, GZ 032 Hv 5.516/01f-52, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kirchbacher, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Robert Pohle zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 6 (sechs) Jahre herabgesetzt.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Zivorad R***** mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I), der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB aF (II) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (III) sowie mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (IV) schuldig erkannt. Demnach hat er Wien

I. mit unmündigen Personen den außerehelichen Beischlaf unternommen, und zwar

1. von 1981 bis etwa Ende 1986 mit der am 25. August 1973 geborenen späteren Stieftochter Belina N*****, indem er mit ihr in zahlreichen Angriffen den Geschlechtsverkehr vollzog,

2. "von 1982 bis etwa Ende 1989" - nach den Entscheidungsgründen "etwa Ende 1989" (US 6) - mit der am 4. Juni 1977 geborenen späteren Stieftochter Ria S*****, indem er sie auf die Waschmaschine hob, ihren Unterkörper entkleidete und in sie einzudringen suchte;

II. eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er von 1981 bis etwa Ende 1986 in zahlreichen Angriffen die am 25. August 1973 geborene spätere Stieftochter Belina N***** dadurch, dass er ihr seinen Finger in ihre Scheide steckte, sich dabei selbst befriedigte und sich von ihr oral befriedigen ließ;

III. außer dem Fall des § 206 Abs 1 StGB eine gechlechtliche Handlung an unmündigen Personen vorgenommen, und zwar

1. von 1981 bis etwa Ende 1986 in zahlreichen Angriffen die am 25. August 1973 geborene spätere Stieftochter Belina N***** dadurch, dass er sie zwischen den Beinen an der Scheide streichelte und auf ihren Körper ejakulierte,

2. von 1982 bis etwa Ende 1989 in zahlreichen Angriffen mit der am 4. Juni 1977 geborenen späteren Stieftochter Ria S***** dadurch, dass er ihr die Unterhose hinunterzog, auf ihren Körper ejakulierte und sich mit ihrer Hand befriedigen ließ;

IV. durch die unter I bis III angeführten Handlungen seine minderjährigen Stiefkinder bzw die seiner Aufsicht unterstehenden minderjährigen Personen zur Unzucht missbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft das Urteil mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4, 9 lit b und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.

Der gegen ein Vergehen nach § 162a Abs 1 erster Satz (§ 250 Abs 3 erster Satz) StPO gerichtete Antrag des Verteidigers, die Zeugin Belina N***** im Gerichtssaal unter Abwesenheit des Angeklagten zu vernehmen, wurde nicht mit den erst in der Beschwerde (spekulativ) geäußerten Bedenken gegen die der schonenden Vernehmung beigezogene Vertrauensperson (vgl § 162 Abs 2 dritter Satz, § 248 Abs 1 erster SatzStPO), sondern damit begründet, dass der Verteidiger der Zeugin "unmittelbar gegenüber sitzen möchte und sie bei ihrer Aussage beobachten kann und Fragen an die Zeugin stellen kann" (S 341). Die allein auf prozessordnungswidriger Ergänzung des Antragsvorbringens beruhende Verfahrensrüge (Z 4) versagt daher (Ratz in WK-StPO § 281 Rz 325).

Entgegen der Rechtsrüge (Z 9 lit b) liegt Strafbarkeitsverjährung nicht vor.

Die Begehung der Tat laut I 2 "etwa Ende 1989" (US 6) hemmte den Ablauf der Verjährung der Strafbarkeit der anderen, durchwegs zuvor aus gleicher schädlicher Neigung (§ 71 StGB) verübten Taten bis zu jenem Zeitpunkt, zu dem auch für diese Tat die - zehnjährige (§ 57 Abs 3 StGB) - Verjährungsfrist abgelaufen wäre (§ 58 Abs 2 StGB). Weil die (demnach gemeinsame) Verjährung der Strafbarkeit noch nicht eingetreten war, als mit 1. Oktober 1998 durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1998, BGBl I Nr 153, die Bestimmung des § 58 Abs 3 Z 3 StGB eingeführt wurde, ist das dort normierte Gebot der Nichteinrechnung der Zeit bis zur Erreichung der Volljährigkeit des Verletzten einer strafbaren Handlung nach §§ 201, 202, 205, 206, 207, 212 oder 213 StGB in die Verjährungsfrist zufolge der Übergangsregelung in Art V Abs 3 des genannten Gesetzes auch auf die vorliegenden Taten anzuwenden. In die zehnjährige Verjährungsfrist ist demnach die Zeit bis zum Ablauf des 4. Juni 1995 - an diesem Tag wurde Ria S***** (vormals S*****, I 2 des Schuldspruches, US 5) volljährig - nicht einzurechnen. Im Hinblick darauf bedürfen die Einwände gegen die Einstufung zwischenzeitig gesondert abgeurteilter weiterer Taten des Angeklagten als auf der gleichen schädlichen Neigung beruhend keiner Erörterung.

Die Übergangsbestimmung des Art V Abs 3 des Strafrechtsänderungsgesetzes 1998 steht entgegen der - insoweit nicht auf Darlegung eines Nichtigkeitsgrundes abzielenden (Ratz in WK-StPO § 281 Rz 597) - Beschwerde nicht im Widerspruch zu Art 7 Abs 1 MRK, der nur die Verurteilung wegen einer Handlung oder Unterlassung, die zur Zeit ihrer Begehung nicht strafbar war, und die Verhängung einer höheren Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung angedrohten Strafen, nicht aber eine Änderung betreffend den Lauf von Verjährungsfristen verbietet (1230 BlgNR XX. GP, 34).

Die in der Subsumtionsrüge (Z 10) vorgetragene Ansicht, die Taten laut Punkt II des Schuldspruches wären nicht § 207 Abs 1 StGB in der Fassung vor dem Strafrechtsänderungsgesetz 1998, sondern § 206 Abs 1 StGB in der geltenden Fassung zu unterstellen gewesen, lässt angesichts der Strafdrohungen beider Delikte die gebotene Ausrichtung an einer behaupteten Beschwer des Angeklagten (§ 282 Abs 1 StPO; Ratz in WK-StPO § 281 Rz 654) ebenso vermissen wie in materiellrechtlicher Hinsicht die Vornahme eines Günstigkeitsvergleiches gemäß §§ 1 und 61 StGB: Beischlafsähnliche geschlechtliche Handlungen an Unmündigen vor dem Inkrafttreten des Strafrechtsänderungsgesetzes 1998 mit 1. Oktober 1998 sind § 207 Abs 1 StGB in der Fassung vor dieser Novelle zu subsumieren (13 Os 120/00).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach § 28 Abs 1 StGB und gemäß §§ 31, 40 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 16. Dezember 1991, AZ 9 U 1.090/91 (Verurteilung wegen § 164 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 100,-- S, für den Nichteinbringlichkeitsfall 20 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) nach § 206 Abs 1 StGB eine Zusatzfreiheitsstrafe von sieben Jahren.

Dabei wertete es als erschwerend den langen Deliktszeitraum, die mehrfache Tatbegehung, das Zusammentreffen zweier Verbrechen mit einem Vergehen und den Missbrauch von zwei Unmündigen; als mildernd berücksichtigte es die Unbescholtenheit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt.

Die Berufung des Angeklagten, mit der er eine Herabsetzung der Strafe anstrebt, ist berechtigt.

Zwar wurden - den Berufungsausführungen zuwider - die Strafzumessungsgründe vom Schöffengericht im Wesentlichen richtig und vollständig herangezogen. Der Oberste Gerichtshof erachtet jedoch bei der gesetzlichen Strafdrohung von 1 bis 10 Jahren auf der Basis der vorliegenden Strafzumessungsgründe eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren der tat- und täterbezogenen Schuld angemessen, sodass in Stattgebung der Berufung mit einer Herabsetzung vorzugehen war. Die Kostenentscheidung ist in § 390a StPO begründet.

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