OGH 3Ob151/02f

OGH3Ob151/02f23.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elisabeth G*****, vertreten durch Dr. Heinz Klocker, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei H***** , vertreten durch Fischer, Walla & Matt Rechtsanwälte OEG in Dornbirn, wegen Räumung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 11. März 2002, GZ 2 R 66/02z‑20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 10. Dezember 2001, GZ 5 C 491/01z‑16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2002:0030OB00151.02F.1023.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 686,88 EUR (darin 114,48 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 6. März 1999 gab die Klägerin der beklagten Partei für die Dauer von zehn Jahren ab 1. April 1999 ein Geschäftslokal (im Folgenden nur Lokal) in Bestand. Nach § 1 des schriftlichen Bestandvertrags waren für das, für Gastronomiezwecke bestimmte Lokal "Betriebe, die gegen die guten Sitten verstoßen, insbesondere Tabledance, Animierlokale, Bordelle, Striptease‑Lokale ..." ausgeschlossen. Der beklagten Partei war die Untervermietung und sonstige Weitervergabe des Lokals gestattet.

Die beklagte Partei verpachtete das Lokal in der Folge an eine GmbH. Als diese am 19. Mai 1999 ankündigte, im Lokal eine Tabledance ‑Veranstaltung zu machen, untersagte ihr dies die beklagte Partei; die Veranstaltung wurde nicht abgehalten und dies der Klägerin auch mitgeteilt. Am 24. Mai 2000 verpachtete die beklagte Partei das Lokal an eine physische Person (im Folgenden nur Unterbestandnehmer), laut (Unter)Pachtvertrag ausschließlich zur Führung einer Bar/Disco. Als der Unterbestandnehmer im Anzeigenteil einer Zeitung am 28. Februar 2001 die Eröffnung eines "Tabledance CHECK IN" ankündigte, forderte ihn die beklagte Partei mit eingeschriebenem Brief vom selben Tag unter Hinweis auf den Pachtvertrag auf, sämtliche Aktivitäten in Ansehung einer Verwendungsänderung für Tabledance ‑Veranstaltungen einzustellen und auch mit der entsprechenden Werbung aufzuhören. Weiters machte die beklagte Partei den Unterbestandnehmer darauf aufmerksam, dass bei weiteren Zuwiderhandlungen gegen den Verwendungszweck eine sofortige Auflösung des Pachtvertrags mit sofortiger Wirkung ausgesprochen werden müsste. Mit Schreiben vom 1. März 2001 forderte der Rechtsvertreter der Klägerin die beklagte Partei auf, umgehend dafür besorgt zu sein, dass die Eröffnung des Betriebes unterbleibe, andernfalls im Klagswege vorgegangen werden müsste. Mit Fax vom 2. März 2001 antwortete die beklagte Partei, sie habe bereits mit eingeschriebenem Brief vom 1. März 2001 unter Einhaltung einer dreitägigen Frist vom Unterbestandnehmer die Unterlassung begehrt, bzw. widrigenfalls die Auflösung des Pachtverhältnisses in Aussicht gestellt. Seit 2. März 2001 werden im Lokal Tabledance ‑Veranstaltungen abgehalten.

Am 13. März 2001 brachte die beklagte Partei gegen den Unterbestandnehmer die Räumungsklage wegen sofortiger Vertragsauflösung (infolge vertragswidriger Änderung der Betriebsart auf Führung eines Tabledance ‑Clubs) ein. In diesem Vorverfahren gab das Erstgericht dem Klagebegehren mit Urteil vom 25. Juni 2001 statt, das Berufungsgericht bestätigt diese Entscheidung; die von der zweiten Instanz zugelassene Revision wies der Oberste Gerichtshof - nach Schluss der Verhandlung in diesem Verfahren - mit Beschluss vom 22. März 2002 zu AZ 1 Ob 46/02z zurück.

Soweit hier noch relevant, brachte die Klägerin in ihrer Räumungsklage vom 6. März 2001 gegen die beklagte Partei vor, es werde entgegen der ausdrücklichen Bestimmung des Bestandvertrags im offenbar untervermieteten Lokal ein Tabledance ‑Club betrieben, obwohl eine solche Veranstaltung auch schon 1999 angekündigt worden sei und die beklagte Partei schon damals das Untermietverhältnis hätte aufkündigen müssen. Nach wie vor werde im Lokal Tabledancing betrieben.

Die beklagte Partei wandte ein, mit dem Unterbestandnehmer sei vereinbart worden, dass das Lokal als Bar/Diskothek geführt werden könne. Bereits am 28. Februar 2001 habe sie den Unterbestandnehmer auf diesen Umstand ebenso hingewiesen wie darauf, dass keine Tabledance ‑Veranstaltungen stattfinden dürften. Sie habe sofort alles unternommen, um eine vertragskonforme Verwendung zu gewährleisten. Sie habe auch dem Unterbestandnehmer die vorzeitige Vertragsauflösung bei verwendungswidrigem Verhalten angedroht und gegen den Unterbestandnehmer eine in zwei Instanzen bereits erfolgreiche Räumungsklage eingebracht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach der Rsp sei der Bestandnehmer vom Fehlverhalten des Unterbestandnehmers zwecks Abhilfe zu informieren, der Bestandnehmer könne durch tatsächliche Abhilfe die Vertragsauflösung abwenden. Daher sei ihm wohl auch die für die Abhilfe nötige Zeit zu gewähren. Habe wie hier der beklagte Bestandnehmer durch die unverzügliche und binnen noch angemessener Frist auch tatsächlich verwirklichte Androhung der Vertragsauflösung die im Rahmen der Rechtsordnung mögliche und nötige Abhilfe unternommen, könne die Klägerin mit ihrem Räumungsbegehren nicht durchdringen. Es könne der beklagten Partei derzeit angesichts der Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten nicht zum Nachteil gereichen, dass bis dato das Tabledancing im Lokal weiter betrieben werde.

Das Berufungsgericht gab dem Räumungsbegehren statt. Die Verwendung des Bestandobjekts als Tabledance ‑Lokal stelle einen ausdrücklichen Verstoß gegen die Bestimmungen des Mietvertrags dar und verletze berechtigte Interessen der Vermieterin. Ein "erheblich nachteiliger" Gebrauch könne auch in der Schädigung des Rufs des vermieteten Lokals liegen. Das Verhalten des Unterbestandnehmers sei der beklagten Partei als Bestandnehmerin grundsätzlich zuzurechnen. Es spiele keine Rolle, ob sie ein Verschulden am Verhalten des Unterbestandnehmers treffe oder ob sie - wie hier - Maßnahmen zum Schutz der Bestandgeberinteressen durch Einbringung einer Räumungsklage getroffen habe. Verschulden des Bestandnehmers am erheblich nachteiligen Gebrauch sei nach stRsp keine Voraussetzung für die Auflösung des Bestandvertrags gemäß § 1118 erster Fall ABGB. Daher habe die Klägerin den Bestandvertrag berechtigterweise aufgelöst.

Die zweite Instanz erachtete die ordentliche Revision als zulässig. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO liege vor, weil zur Frage, ob der Hauptbestandvertrag bei erheblich nachteiligem Gebrauch der Bestandsache durch den Unterbestandnehmer auch dann aufgelöst werden könne, wenn der Bestandnehmer unverzüglich alle ihm zumutbaren und möglichen Maßnahmen zur Abhilfe des vertrags- oder gesetzwidrigen Zustands ergreife, oberstgerichtliche Rsp fehle.

 

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

a) Zu Recht bezweifelt die beklagte Partei in ihrer Revision nicht mehr den Umstand, dass das vertragswidrige Verhalten des Unterbestandnehmers den Auflösungsgrunds des erheblich nachteiligen Gebrauchs nach § 1118 erster Fall ABGB verwirklicht. Nach stRsp (3 Ob 65/99a u.a.; RIS‑Justiz RS0021049; Binder in Schwimann 2, § 1118 ABGB Rz 42) hat die Entscheidung über das Vorliegen des Räumungsgrunds - abgesehen von § 33 Abs 2 und 3 MRG - jedenfalls auf den Zeitpunkt der Klagseinbringung und nicht jenen des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz abzustellen. Nach den Feststellungen hatte die beklagte Partei zum Zeitpunkt der Klagseinbringung (6. März 2001) bereits vorher, nämlich auf das ihr am 28. Februar 2001 bekannt gewordene Verhalten ihres Unterbestandnehmers - das den Gegenstand des nunmehrigen Räumungsbegehrens bildet - mit Schreiben vom selben Tag, zeitlich somit vor Klagseinbringung reagiert, dem wenige Tage später (13. März 2001) ihre Klage im Vorverfahren folgte.

b) Wiederholt wurde bereits klargestellt, dass der Bestandnehmer nicht nur bei der Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG, sondern auch bei der Vertragsauflösung nach § 1118 ABGB für den erheblich nachteiligen Gebrauch des Bestandgegenstands durch den Unterbestandnehmer einzustehen hat (SZ 13/213; ImmZ 1963, 122; 1 Ob 2315/96i = MietSlg 49.150; RIS‑Justiz RS0026282). Wie schon die Erstrichterin zutreffend erkannte und auch in der Revision eingeräumt wird, setzt die Aufhebung des Vertrags ein Verschulden des Bestandnehmers nicht voraus (MietSlg 9.624, 18.210; RIS‑Justiz RS0020981; Klang in Klang 2 V 122; Würth in Rummel 2 § 1118 Rz 12; Binder aaO § 1118 ABGB Rz 47; vgl. auch Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht20 § 30 MRG Rz 17), wohl aber die nach gewöhnlichen Fähigkeiten zu bestimmende Erkennbarkeit der Nachteiligkeit des Verhaltens für Bestandgeberinteressen und Bestandobjekt (MietSlg 42/7, 50.181 u.a.; Binder aaO § 1118 ABGB Rz 47). Gerade dem Bestandnehmer, der für den erheblich nachteiligen Gebrauch des Bestandgegenstands durch den Unterbestandnehmer einzustehen hat, muss die Nachteiligkeit des Verhaltens (des Dritten) bewusst sein oder zumindest bewusst sein müssen. Dazu muss einem solchen Bestandnehmer, der wie hier zur Unterbestandgabe ausdrücklich berechtigt war, eine gewisse Frist eingeräumt werden, damit er für die unverzügliche Abstellung des genannten Missstandes durch den Unterbestandnehmer besorgt sein kann. Davon ging ja auch die Klägerin in ihrem Brief vom 1. März 2001 aus.

Die Frage nach der Länge dieser Frist stellt sich hier schon deshalb nicht, hat doch die beklagte Bestandnehmerin, wie in Übereinstimmung mit ihrem Vorbringen festgestellt wurde, bereits vor dem Brief des Klagevertreters an sie (1. März 2001) und auch vor Einbringung der Räumungsklage durch die Vermieterin (6. März 2001), womit die Aufhebung des Bestandvertrags erklärt wurde, ihrem Unterbestandnehmer die Änderung der Verwendung des Lokals in die nunmehr den Auflösungsgrund bildende Benützungsart mit ihrem Schreiben vom 28. Februar 2001 ausdrücklich untersagt und die Vertragsaufhebung angedroht.

c) Zu prüfen bleibt daher nur, ob die unzweifelhaft unverzüglichen, ernsthaften und mittlerweile infolge Zurückweisung der Revision des Unterbestandnehmers mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 22. März 2002 auch bis zur Schaffung eines Exekutionstitels auf Räumung gediehenen Bemühungen der beklagten Bestandnehmerin gegenüber ihrem Unterbestandnehmer, den erheblich nachteiligen Gebrauch zu verhindern bzw. in der Folge zu beenden, geeignet sind, das Räumungsbegehren zum Scheitern zu bringen. Das ist jedoch aus folgenden Gründen zu verneinen:

Ganz allgemein können nach österr. Recht Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund vorzeitig aufgelöst werden, was aus den speziellen Regelungen der §§ 1117 f, 1162 ABGB abgeleitet wird (Rummel in Rummel 3 § 859 ABGB Rz 27; Würth aaO § 1118 ABGB Rz 2; Binder aaO § 1117 Rz 1, je mwN). Ein wichtiger Grund wird überwiegend dann angenommen, wenn einem Teil die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist, insbesondere auch wenn das Vertrauen zum anderen Teil wegfällt (SZ 57/186 u.a.; Rummel aaO § 859 ABGB Rz 27; Würth aaO § 1118 ABGB Rz 3 je mwN). Derartige wichtige Gründe werden auch in § 1118 ABGB für den Bestandvertrag normiert.

Die wichtigen Gründe in der Person des Bestandnehmers müssen die Interessen des Bestandgebers soweit nachteilig berühren, dass sie bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Bestandgeber zur Vertragsauflösung veranlassen würden und diese als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen. Bei Anlegung dieses Maßstabs muss von einer berechtigten Vertragsauflösung durch die hier klagende Bestandgeberin gesprochen werden, wenn der Bestandnehmer seinen Unterbestandnehmer zwar unverzüglich (in casu: am Tag der Kenntnis von dessen vertragswidrigem und nachteilige Interessen des Bestandgebers unzweifelhaft berührenden Verhalten) um Abstellung des vertragswidrigen Verhaltens und vor Klagseinbringung zur Unterlassung des vertragswidrigen Verhaltens unter Androhung der Vertragsauflösung auffordert und in weniger als zwei Wochen danach bereits die in der Folge in allen drei Instanzen erfolgreiche Räumungsklage eingebracht, aber tatsächlich die Abstellung des vertragswidrigen Missstandes selbst bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz (rund acht Monate später) nicht erreicht hat. Auf ein Verschulden des Bestandnehmers kommt es eben nicht an.

Gegenteiliges ist auch aus der in der Revision angeführten Entscheidung 6 Ob 743/88 = MietSlg 41.322 nicht abzuleiten, betrifft diese Entscheidung doch eine Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG. Im Übrigen hat der 1. Senat des Obersten Gerichtshofs zu 1 Ob 268/98i (allerdings im Zusammenhang mit Wohnungsgenossen) ausgesprochen, dass sich der Mieter, was die erforderlichen Abhilfemaßnahmen gegen unleidliches Verhalten betrifft, nicht auf sein Unvermögen oder darauf berufen kann, er habe alle ihm nach der Sachlage zumutbaren Abwehrmittel ausgeschöpft. Eher restriktiv in der Frage, was die "Entschuldigungsmöglichkeit" des Mieters angeht, war auch bereits die Entscheidung 4 Ob 575/94 = SZ 68/7 = MietSlg 47/4 = WoBl 1995, 173 [Dirnbacher].

Auch der Umstand, dass die klagende Bestandnehmerin die Weitergabe des Mietobjekts an einen Unterbestandnehmer ausdrücklich erlaubt hat, kann nicht zu einer Verschiebung der Interessenlage führen. Auch dieser Umstand führt nicht dazu, dass der Bestandgeber einen erheblich nachteiligen Gebrauch durch den Unterbestandnehmer hinnehmen müsste, solange sich der Bestandnehmer nur in zweckmäßiger Weise bemüht, diesen nachteiligen Gebrauch wiederum abzustellen. Dies müsste beim Scheitern dieser Bemühungen nämlich in letzter Konsequenz dazu führen, dass der Bestandnehmer diesen erheblich nachteiligen und für den Bestandgeber unzumutbaren Gebrauch auf die Dauer des Bestandvertrags mit dem Bestandnehmer hinnehmen müsste.

d) Auf die übrigen behaupteten Auflösungsgründe, deren Vorliegen die zweite Instanz verneinte, muss nicht mehr eingegangen werden.

Demnach hat das Berufungsgericht zu Recht dem Räumungsbegehren stattgegeben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Ein offenkundiger Rechenfehler in der Kostenberechnung der Klägerin war zu ihren Gunsten zu korrigieren.

 

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