OGH 14Os83/02 (14Os84/02)

OGH14Os83/02 (14Os84/02)15.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Oktober 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Traar als Schriftführer, in der Strafsache gegen Peter H***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung, AZ 34 Vr 1.788/93 des Landesgerichtes Salzburg, über die vom Generalprokurator gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichtes Linz vom 15. Feber 2000, AZ 9 Bs 1/00, und der Ratskammer des Landesgerichtes Salzburg vom 19. April 2000, AZ Rk 48/00, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kirchbacher und des Verteidigers Dr. Hitzenbichler in öffentlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren des Landesgerichtes Salzburg, AZ 34 Vr 1.788/93, gegen Peter H***** wegen § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung verletzen die Beschlüsse

  1. 1. des Oberlandesgerichtes Linz vom 15. Feber 2000, AZ 9 Bs 1/00, und
  2. 2. der Ratskammer des Landesgerichtes Salzburg vom 19. April 2000, AZ Rk 48/00,

    in der Begründung das Gesetz in der Bestimmung des § 357 Abs 2 erster Satz StPO.

Text

Gründe:

Peter H***** wurde mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Salzburg vom 10. Juni 1994, GZ 34 Vr 1.788/93-76, der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB und des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB schuldig erkannt und hieführ zu einer Freiheitsstrafe von 17 Jahren verurteilt. Mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 8. November 1994, GZ 14 Os 132/94-10, wurde die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verworfen, jedoch in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft die Freiheitsstrafe auf 20 Jahre erhöht.

In Wiederaufnahmeanträgen vom 3. März 1995 (ON 98) und vom 8. September 1995 (ON 125) machte der Verurteilte gemäß § 353 Z 2 StPO unter anderem geltend, dass Daniel N***** mehrfach angegeben habe, er sei zum Tatzeitpunkt in dem von Claudia D***** gelenkten Taxi mitgefahren und habe gesehen, wie Tommy S***** sie mit einer Pistole erschossen habe. Das Landesgericht Salzburg lehnte nach Erhebungen die Wiederaufnahme mit Beschluss vom 21. November 1995 (ON 130) ab. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Linz mit Beschluss vom 11. Jänner 1996 (ON 138) nicht Folge. Mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 9. Juli 1996 (14 Os 87, 88/96) wurden diese Beschlüsse aufgehoben und dem Landesgericht Salzburg die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen, was zur Abweisung der Wiederaufnahmsanträge führte (ON 192; vgl S 2 im Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz vom 15. Feber 2000, AZ 9 Bs 1/00).

Mit Beschluss vom 2. Dezember 1999 bewilligte das Landesgericht Salzburg auf Grund eines neuerlichen (mehrfach ergänzten) Antrages des Verurteilten vom 6. April 1998 die Wiederaufnahme des Strafverfahrens (ON 268). In Stattgebung der Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob das Oberlandesgericht Linz mit Entscheidung vom 15. Feber 2000, AZ 9 Bs 1/00, den Beschluss auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. In der Begründung wurde vom Oberlandesgericht ausgeführt, dem der Wiederaufnahmebewilligung des Erstgerichtes zu Grunde liegenden von Univ. Doz. Dr. Johann M***** und OR Ingo W***** am 29. September 1999 erstatteten Gutachten (ON 254) könne für sich allein nicht die Eignung zugesprochen werden, die Urteilsgrundlagen zu erschüttern, weil die „Anwesenheit im Bereich des Tatortes (und die Verursachung des Todes) vollkommen unberührt" bleibe. Es werde einer eingehenden Erörterung aller seit dem Urteil hervorgekommenen neuen Tatsachen oder Beweismittel im Zusammenhang mit der aus den Aussagen des Zeugen Daniel N***** ableitbaren Tatversion bedürfen (S 28 der Beschwerdeentscheidung).

Unter Bezugnahme darauf, dass die Staatsanwaltschaft Salzburg im Zuge des die Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag vorbereitenden Verfahrens am 2. Juli 1999 im Hinblick auf im Fahrzeug des Mordopfers sichergestelltes Material (vgl ON 280 S 2 unten) beim Untersuchungsrichter eine DNA-Analyse zum Vergleich mit der DNA des Verurteilten beantragt hatte (S 29 der Beschwerdeentscheidung), hielt das Oberlandesgericht weiters fest, das erneuerte Verfahren werde auch insoweit einer Ergänzung bedürfen, als der Anklagebehörde das Recht auf Anhörung nach einer Entscheidung über die (von ihr) gestellten Beweisanträge einzuräumen sein werde. Ein amtswegiges Vorgehen im Sinn der unerledigten Anträge (der Staatsanwaltschaft) komme entgegen den Beschwerdeerwägungen „freilich" nicht in Betracht. Im Aufhebungsverfahren finde eine Voruntersuchung nicht statt. Die Beweisaufnahmen im Aufhebungsverfahren seien als Vorerhebungen zu qualifizieren, deren Bedingungen in § 88 Abs 1 und 2 StPO normiert seien. Wenngleich das Gericht bei diesen Erhebungen keineswegs auf die Aufnahme der angetretenen Beweise beschränkt sei (auch das Wiederaufnahmeverfahren sei „von dem im § 3 StPO verankerten Prinzip beherrscht; Mayerhofer StPO4 § 357 E 3 a"), so könne, wie das Oberlandesgericht ausführte, „dennoch kein Zweifel daran bestehen, dass einer solchen Beweisaufnahme durch den Antrag auf Wiederaufnahme Grenzen gezogen sind (§ 357 Abs 2 erster Satz StPO)" (S 30 der Beschwerdeentscheidung).

Zur „Gewinnung einer Vergleichsprobe zwecks Durchführung einer von der Staatsanwaltschaft Salzburg beantragten DNA-Analyse" ordnete daraufhin die Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Salzburg mit Beschluss vom 28. März 2000 die Beschlagnahme mehrerer vom Wiederaufnahmswerber benutzter Gegenstände aus seiner Zelle an (ON 280).

In Stattgebung der dagegen vom Verurteilten erhobenen Beschwerde änderte die Ratskammer des Landesgerichtes Salzburg mit Beschluss vom 19. April 2000, AZ Rk 48/00 (ON 284), die angefochtene Entscheidung dahingehend ab, „dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Durchführung einer DNA-Analyse durch Überprüfung, ob die im Taxifahrzeug der Claudia D***** sichergestellten Asservate dem Peter H***** zuzurechnen sind, abgewiesen wird". Die Ratskammer vertrat dabei die Auffassung, der von der Staatsanwaltschaft angestrebte DNA-Vergleich würde nicht „im Rahmen des Wiederaufnahmeantrages" liegen, weil er keine „Abklärung der Identität der gesicherten DNA-Spur in Richtung Daniel N***** und Tommy S*****" zum Inhalte habe. Der DNA-Vergleich käme nur dann als zusätzliches entlastendes Beweismittel in Betracht, wenn sich eine Zurechnung der gesicherten DNA-Spur (ON 266) zum DNA-Gut des Daniel N***** oder Tommy S***** ergäbe, während eine bloß fehlende Übereinstimmung mit den Vergleichsproben des Peter H***** nicht belegen könnte, dass er nicht am Tatort war. Damit stehe fest, dass die von der Staatsanwaltschaft Salzburg beantragte „DNA-Untersuchung ausschließlich in Richtung Peter H***** nur die Funktion eines neuen belastenden Beweismittels haben könnte, was (auf) nichts anderes als den Versuch einer Erhärtung des Wahrspruches der Geschworenen durch einen ihnen in der Hauptverhandlung nicht vorgelegenen gutachterlichen Befund hinauslaufen würde". Die Ablehnung einer Wiederaufnahme zu Gunsten des Verurteilten mit dem Hinweis, es läge gleichzeitig auch ein neuer belastender Umstand vor, der die neuen Entlastungsbeweise quasi "aufwiege", würde, wie die Ratskammer ausführte, „einen nicht in einer Hauptverhandlung nachgewiesenen Umstand zur tragenden Grundlage einer Verurteilung machen und damit gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere gegen Art 6 EMRK (öffentliche Verhandlung, Ausübung von Verteidigungsrechten, faires Verfahren) verstoßen" (S 10 f der Entscheidung).

Rechtliche Beurteilung

Die Begründung der Beschlüsse des Oberlandesgerichtes Linz vom 15. Feber 2000 und der Ratskammer des Landesgerichtes Salzburg vom 19. April 2000 steht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß § 357 Abs 2 erster Satz StPO hat der Untersuchungsrichter zur Vorbereitung der Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens (§§ 353, 355, 356 StPO) die Tatsachen zu erheben, durch die der Antrag begründet wird (vgl S. Mayer, Commentar [1884] § 357 Rz 10). Dabei ist er nicht auf die Aufnahme der im Antrag oder vom Gegner (in Ausübung des zufolge § 357 Abs 2 zweiter Satz StPO auch ihm zustehenden Rechtes, neue Tatsachen und Beweismittel vorzubringen und Anträge bezüglich der etwaigen Beweisaufnahme zu stellen) genannten Beweise beschränkt. Der Untersuchungsrichter hat vielmehr entsprechend dem in § 3 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit von Amts wegen innerhalb der durch den Antrag gezogenen Grenzen jeden für die Entscheidung über die begehrte Wiederaufnahme wesentlichen Umstand zu prüfen (aaO Rz 22, 29 f).

Begrenzt ist die vorbereitende Ermittlungstätigkeit des Untersuchungsrichters, gleichviel ob sie von Amts wegen oder auf Grund von Anträgen des Wiederaufnahmewerbers oder des Gegners geschehen soll, in Hinsicht auf die Begründung des Wiederaufnahmeantrags (aaO Rz 34). Die von § 357 Abs 2 erster Satz StPO angeordnete „Erhebung" besteht demnach in Ermittlungen zur Tauglichkeit des Vorgebrachten als Wiederaufnahmegrund (hier im Sinn des § 353 Z 2 StPO) und umfasst daher auch diesbezüglichen Aufschluss ermöglichende Kontrollbeweise (in diesem Sinn schon S. Mayer aaO Rz 2 [„Wert der geltend gemachten Restitutionsgründe"] und 15 [Überprüfung vorliegender Beweise durch den Untersuchungsrichter]). Ermittlungen ohne solchen Konnex mit dem zur Begründung des Wiederaufnahmebegehrens Behaupteten müssen im Hinblick auf § 357 Abs 2 erster Satz StPO vor Entscheidung über den Antrag unterbleiben. Sie können aber Teil der nach Bewilligung der Wiederaufnahme stattfindenden Voruntersuchung sein (§ 359 Abs 1 StPO). Das Oberlandesgericht hat die in der Beschwerdeentscheidung ausgedrückte Ansicht, amtswegiges Vorgehen im Sinn der Anträge der Staatsanwaltschaft komme nicht in Betracht, aus einem Vergleich von Vorerhebungen und Voruntersuchung abgeleitet, die gebotene nachvollziehbare Prüfung eines Konnexes der in Rede stehenden Erhebungen mit der Begründung des Wiederaufnahmeantrags jedoch unterlassen.

Auch die wiedergegebene, an der Ausklammerung neuer belastender Umstände orientierte Argumentation der Ratskammer geht auf das maßgebliche Kriterium eines Konnexes in der hier dargelegten Bedeutung nicht gesetzeskonform ein: Entgegen der Ansicht der Ratskammer ist unbeachtlich, ob die vorbereitenden Ermittlungen des Untersuchungsrichters auf ein „zusätzliches entlastendes Beweismittels" abzielen und ob sie zu einem für den Wiederaufnahmewerber nachteiligen Ergebnis führen können.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte