OGH 1Ob117/02s

OGH1Ob117/02s13.8.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1) Melanie P*****, geboren am *****, und 2) Valentin P*****, geboren am *****, infolge ordentlichen Revisionsrekurses des Vaters Kurt P*****, vertreten durch Dr. Karl Rümmele und Dr. Birgitt Breinbauer, Rechtsanwälte in Dornbirn, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 18. Dezember 2001, GZ 1 R 317/01b-84, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Montafon vom 18. Oktober 2001, GZ 2 P 60/00m-74, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er unter Einschluss der den beiden Minderjährigen mangels Anfechtung in zweiter bzw dritter Instanz schon rechtskräftig zuerkannten und daher unberührt bleibenden Unterhaltsbeträge wie folgt zu lauten hat:

"1. Der Vater ist schuldig, vom 1. 7. bis 20. 8. 2001 den auf diesen Zeitraum entfallenden Bruchteil folgender monatlicher Beträge an endgültigem Unterhalt zu zahlen:

a) für Melanie 4.000 S (= 290,69 EUR) abzüglich der geleisteten Zahlung von 3.500 S (= 254,35 EUR);

b) für Valentin 2.600 S (= 188,95 EUR) abzüglich der geleisteten Zahlung von 2.200 S (= 159,88 EUR).

2. Der Vater ist weiters schuldig, für den Zeitraum ab dem 21. 8. 2001 folgende monatlichen Beträge an endgültigem Unterhalt, die dem bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung zu leistenden einstweiligen Unterhalt entsprechen, zu zahlen:

a) für Melanie 3.500 S (= 254,35 EUR) abzüglich der bis Ende September geleisteten monatlichen Zahlungen von 3.500 S (= 254,35 EUR);

b) für Valentin 2.200 S (= 159,88 EUR) abzüglich der bis Ende September geleisteten monatlichen Zahlungen von 2.200 S (= 159,88 EUR).

Die bisher fällig gewordenen Beträge an endgültigem Unterhalt, die dem bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung zu leistenden einstweiligen Unterhalt entsprechen, sind abzüglich weiterer geleisteter Zahlungen binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden Beträge jeweils bis zum Ersten eines jeden Monats im Vorhinein zu zahlen.

2. Das Mehrbegehren, den Vater schuldig zu erkennen,

a) für Melanie vom 1. 7. bis 20. 8. 2001 einen weiteren Unterhaltsbetrag von 3.840 S (= 279,06 EUR) und ab dem 21. 8. 2001 einen weiteren Unterhaltsbetrag von 4.340 S (= 315,40 EUR);

b) für Valentin vom 1. 7. bis 20. 8. 2001 einen weiteren Unterhaltsbetrag von 3.120 S (= 226,74 EUR) und ab dem 21. 8. 2001 einen weiteren Unterhaltsbetrag von 3.520 S (= 255,81 EUR)

jeweils monatlich zu zahlen, wird abgewiesen.

Text

Begründung

Die Antragsteller und gefährdeten Parteien sind Kinder des Antragsgegners. Die Ehe der Eltern wurde mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts Montafon vom 2. 4. 2001 aus dem überwiegenden Verschulden der Mutter geschieden. Das Verfahren zur Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse ist anhängig. Dieser Ehe entspross ein weiteres Kind, der am 2. 1. 1987 geborene Stefan. Die Obsorge für die antragstellenden Kinder kommt allein der Mutter und für Stefan allein dem Vater zu. Die Kinder werden in den Haushalten ihrer obsorgeberechtigten Elternteile betreut. Der Antrag des Vaters, die Mutter ab 10. 7. 2000 zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von 3.830 S für Stefan zu verpflichten, wurde mangels (derzeitiger) Leistungsfähigkeit der Mutter rechtskräftig abgewiesen. Der Vater erzielte in den Jahren 2000 und 2001 als unselbständig Erwerbstätiger ein monatliches Durchschnittseinkommen von rund 36.000 S netto. Außerdem hatte er noch kleinere Nebeneinkommen. Er zahlt etwa 19.000 S monatlich an Tilgungsraten für jenen Kredit, der zur Finanzierung der Errichtung des Hauses, in dem sich die Ehewohnung befand, aufgenommen wurde. Der Vater bewohnt dieses Haus mit seinem Sohn Stefan, dem eine Hand fehlt. Er bezieht für diesen Sohn Familienbeihilfe in doppelter Höhe. Nicht feststellbar sind die wegen der Behinderung Stefans erforderlichen Mehraufwendungen. Der Vater verpflichtete sich im prätorischen Vergleich vom 2. 4. 2001 zur Zahlung einer Unterhaltsabfindung an seine geschiedene Ehegattin von 300.000 S in drei Raten. Deren Finanzierung erfolgte durch die Aufnahme von Darlehen bei den Eltern und bei einem Bruder des Vaters. Der Vater zahlte bis einschließlich Juni 2001 monatlich 3.500 S für Melanie und 2.200 S für Valentin. Bis Ende März 2001 hatte er jeweils auch die Familienbeihilfe von 5.600 S monatlich an die Mutter überwiesen. Aufgrund eines Antrags der Mutter wird die Familienbeihilfe ab 1. 4. 2001 nunmehr an sie ausgezahlt. In Unkenntnis dieser Antragstellung zahlte der Vater neben den Unterhaltsbeträgen noch je 5.600 S unter dem Titel Familienbeihilfe für April und Mai 2001 und 5.500 S für Juni 2001. Nachdem die Finanzbehörde den Vater informiert hatte, dass er ab April 2001 für die im Haushalt der Mutter betreuten Kinder keine Familienbeihilfe mehr erhalte, verrechnete er die Überzahlungen mit den für Juli bis September 2001 fällig gewordenen Geldunterhaltsbeträgen. Er leistete daher für Juli und August 2001 keine Zahlungen und überwies am 31. 8. 2001 (für September 2001) 400 S. Die Mutter wusste, dass die Zahlungen des Vaters bis Ende März 2001 in Höhe von 11.300 S monatlich auch die Familienbeihilfe enthielten.

Die in Obsorge der Mutter befindlichen Kinder beantragten am 21. 8. 2001, ihren Vater ab 1. 7. 2000 zu einer Unterhaltsleistung von 7.840 S für Melanie und von 5.720 S für Valentin jeweils monatlich zu verpflichten. Gleichzeitig begehrten sie die Zuerkennung solcher Beträge an einstweiligem Unterhalt ab dem Antragstag.

Der Vater wendete u. a. ein, er müsse den gesamten Unterhalt Stefans tragen, weil dessen Mutter keine Leistungen erbringe. Die Raten für die Tilgung der zur Errichtung der Ehewohnung aufgenommenen Kredite seien teilweise von der Bemessungsgrundlage abzuziehen.

Das Erstgericht erkannte Melanie 3.500 S sowie Valentin 2.200 S jeweils monatlich an einstweiligem und endgültigem Unterhalt unter Abzug bereits geleisteter Zahlungen zu und wies die Mehrbegehren - bei Melanie unter Zugrundelegung einer unrichtigen Ausgangszahl - ab. Valentin wurde der endgültige Unterhaltsbetrag überdies erst ab 1. 8. 2001 zugesprochen. Nach Ansicht des Erstgerichts sind die monatlichen Raten zur Kredittilgung zur Hälfte von der Unterhaltsbemessungsgrundlage abzuziehen, weil der Vater das unter Inanspruchnahme von Kredit errichtete Haus mit seinem unterhaltsberechtigten Sohn Stefan bewohne. Melanie habe an sich Anspruch auf 20 % der Bemessungsgrundlage. Zufolge der Unterhaltspflicht für Valentin sei 1 %, wegen der Unterhaltspflicht für Stefan seien dagegen zweimal 2 % von der Bemessungsgrundlage abzuziehen, weil der Vater mangels Leistungen der Mutter dessen gesamten Unterhalt bestreiten müsse.

Das Rekursgericht erkannte Melanie 4.000 S sowie Valentin 2.600 S jeweils monatlich an einstweiligem und endgültigem Geldunterhalt - unter Abzug bereits geleisteter Zahlungen - zu und wies die Mehrbegehren ab, wobei es Valentin den endgültigen Unterhaltsbetrag schon ab 1. 7. 2001 zusprach. Es erwog - soweit im Verfahren dritter Instanz noch von Bedeutung - in rechtlicher Hinsicht, dass die Betreuung eines Kindes eine vermögenswerte Leistung sei, die die Lebensverhältnisse des betreuenden Elternteils präge und daher bei der Bemessung des Geldunterhalts für andere Kinder nicht vernachlässigt werden dürfe. Somit sei die Betreuuung bei der Unterhaltsbemessung wie die Leistung von Geldunterhalt zu berücksichtigen. Weil der Vater Stefan nicht nur betreue, sondern auch für dessen gesamten sonstigen Unterhaltsbedarf aufkommen müsse, sei den Erwägungen des Erstgerichts beizutreten, dass deshalb im Grundsätzlichen ein zweimaliger Abzug von 2 % bei Ermittlung des Geldunterhalts für die beiden anderen Kinder berechtigt sei. Da jedoch auch die Kredittilgungsraten zur Hälfte von der Bemessungsgrundlage abgezogen worden seien, finde "ein wesentlicher Teil des Betreuungsaufwands des Vaters für Stefan an dieser Stelle Berücksichtigung, sodass es unangemessen wäre, für Stefan zweimal 2 % Abzug zuzubilligen"; es reiche vielmehr ein Abzug von insgesamt 2 % aus.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil es an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage fehle, welcher prozentuelle Abzug bei der Ausmittlung von Geldunterhaltsansprüchen angemessen sei, wenn der unterhaltspflichtige Vater für ein Kind den gesamten Unterhaltsaufwand tragen müsse, jedoch für zwei weitere Kinder sorgepflichtig sei, und die Bemessungsgrundlage um einen Teil der Kredittilgungsraten vermindert werde, die der Vater zur Erhaltung der Wohnmöglichkeit für sich und das von ihm betreute Kind zahlen müsse.

Der Revisionsrekurs des Vaters ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Umfang der Anfechtung

Der Vater strebt an sich die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses an, bekämpft jedoch die Entscheidung des Rekursgerichts ausdrücklich nur wegen der Erhöhung der ab 21. 8. 2001 zuerkannten Unterhaltsbeträge. Unbekämpft blieben also die höheren Zusprüche der zweiten Instanz für den Zeitraum vom 1. 7. bis 20. 8. 2001 und die Zuerkennung des endgültigen Unterhalts an Valentin schon ab dem 1. 7. 2001. Soweit ist daher der angefochtene Beschluss mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen.

2. Arten der Unterhaltsleistung

2. 1. Der Oberste Gerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem das Kind betreut wird, seine Unterhaltspflicht nach § 140 Abs 2 erster Satz ABGB durch die Betreuungsleistung zur Gänze erfüllt (1 Ob 305/01m; 1 Ob 171/00d; EFSlg 61.794/8; 8 Ob 630/86; idS SZ 65/114 [verstärkter Senat]). Der Gesetzgeber stellte also die Betreuung des unterhaltsberechtigten Kindes nach dieser Gesetzesstelle der Erfüllung der Sorgepflicht durch die Leistung von Geldunterhalt gleich (1 Ob 305/01m; SZ 71/20). Zur erforderlichen Betreuung gehören nicht nur die für die körperliche Pflege des Minderjährigen notwendigen Leistungen, sondern ferner auch die Überlassung der Wohnung zur Mitbenützung und vor allem auch die geistig-seelischen Erziehungsmaßnahmen, die sich in Geld nicht ausdrücken lassen (SZ 65/114 [verstärkter Senat]).

2. 2. Der erkennende Senat erläuterte in der Entscheidung 1 Ob 305/01m, dass die Trennung der Eltern und die Auflösung deren Haushaltsgemeinschaft mit dem Kind unterhaltsrechtlich eine Aufgabenteilung bewirke: Der Elternteil, in dessen Haushalt das Kind lebe, schulde ihm als Unterhaltsleistung eine bedarfsgerechte persönliche Betreuung, der andere Elternteil habe die - durch eine solche Betreuung verursachten - geldwerten Bedürfnisse des Kindes über die Zahlung von Geldunterhalt zu befriedigen. Er schulde dem Kind aber keine persönliche Betreuung im Sinne des § 140 Abs 2 erster Satz ABGB mehr, habe doch diesen Teil der Unterhaltspflicht nunmehr allein der Elternteil zu erfüllen, in dessen Haushalt das Kind lebe. An diesen Grundsätzen ist festzuhalten.

3. Unterhaltsrechtliche Doppelbelastung

3. 1. Ist ein Elternteil außerstande, seinen Teil der erörterten Unterhaltspflicht zu leisten, und hat daher der andere Elternteil notgedrungen auch dessen Verpflichtung gegenüber einem Kind zu erfüllen, so kann das nach zutreffender Ansicht der Vorinstanzen nicht ohne Auswirkung auf die Höhe der Geldunterhaltspflicht eines unterhaltsrechtlich doppelt belasteten Elternteils gegenüber anderen Kindern bleiben.

3. 2. Nach den Erwägungen unter 2. 1. lässt sich die Erfüllung der Unterhaltspflicht durch die Betreuung eines Kindes wegen der Vielfalt der erforderlichen Leistungen nicht auf die Finanzierung der Unterkunft reduzieren. Kann der andere Elternteil seine Geldunterhaltspflicht nicht erfüllen, so hat der betreuende Elternteil auch noch alle anderen durch die Betreuung verursachten geldwerten Bedürfnisse des Kindes zu decken. Hat ein solcherart belasteter betreuender Elternteil für andere Kinder noch Geldunterhalt zu leisten, so genügt es nicht, nur für jene Aufwendungen, die der Unterhaltspflichtige in Erfüllung seiner unterhaltsrechtlichen Doppelbelastung für die Erhaltung der Unterkunft des von ihm betreuten Kindes bestreiten muss, einen bestimmten Abzug von der Bemessungsgrundlage vorzunehmen. Es sind vielmehr auch alle anderen geldwerten Bedürfnisse des Kindes, für die der betreuende Elternteil aufzukommen hat, in Anschlag zu bringen. Diesem Erfordernis wird am besten dadurch entsprochen, dass der prozentuelle Abzug bei der Ausmittlung der Geldunterhaltsansprüche anderer Kinder zufolge einer weiteren Sorgepflicht - der Ansicht des Erstgerichts folgend - verdoppelt wird, wirkt sich doch die erörterte unterhaltsrechtliche Doppelbelastung angesichts der unter 2. 1. näher begründeten Gleichstellung von Geld- und Betreuungsleistungen so aus, wie wenn der doppelt Belastete für zwei Kinder Geldunterhalt leisten müsste. Das Ergebnis dieser Erwägungen ist die Weiterentwicklung jenes Grundsatzes, der bereits die Entscheidung 9 Ob 407/97m (= SZ 71/20) trägt.

3. 3. Der soeben erläuterte Abzug ist also in aller Regel auch dann nicht zu kürzen, wenn einer der Kostenfaktoren der vom unterhaltsrechtlich doppelt belasteten Elternteil zu erfüllenden geldwerten Bedürfnisse des von ihm auch betreuten Kindes aus einem besonderen Grund von der Bemessungsgrundlage zur Bestimmung des Geldunterhalts anderer Kinder - wie hier - abgezogen wird, sind doch die in der Rechtsprechung praktizierten prozentuellen Abzüge von den Unterhaltsansprüchen wegen konkurrierender Sorgepflichten für Kinder bis zu und über zehn Jahren ein bewusst grob gezogener Raster, um individuelle Differenzierungen nach einzelnen Unterhaltsfaktoren zu vermeiden und damit einen möglichst weiten Kreis solcher Sorgepflichten zu erfassen. Außerdem entsprechen die erörterten prozentuellen Abzüge nur einem Bruchteil der tatsächlich erforderlichen Unterhaltsaufwendungen. Diese Erwägungen gelten insbesondere für die unterhaltsrechtliche Doppelbelastung gegenüber einem behinderten Kind wie im Anlassfall, hat doch ein solches Kind nach forensischer Erfahrung nicht nur einen höheren Betreuungsbedarf, sondern deshalb meist auch höhere geldwerte Bedürfnisse.

Das Ergebnis aller bisherigen Erwägungen ist somit wie folgt zusammenzufassen:

Wird ein Kind im Haushalt eines Elternteils betreut und ist der andere Elternteil außerstande, Geldunterhalt zu leisten, so ist der wegen dieser Sorgepflicht erforderliche Abzug bei der Ausmittlung des Geldunterhalts für andere Kinder zu verdoppeln. Dieser Abzug erfährt regelmäßig auch dann keine Kürzung, wenn einer der Kostenfaktoren der vom unterhaltsrechtlich doppelt belasteten Elternteil zu erfüllenden geldwerten Bedürfnisse des von ihm auch betreuten Kindes aus einem besonderen Grund von der Bemessungsgrundlage zur Bestimmung des Geldunterhalts anderer Kinder abgezogen wird.

Dem Revisionsrekurs ist somit spruchsgemäß Folge zu geben.

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