OGH 15Os74/02

OGH15Os74/028.8.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. August 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kubina als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Michael Josef P***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Hietzing vom 12. März 2001, GZ 16 U 97/00d-10, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Sperker, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Durchführung der Hauptverhandlung im Strafverfahren gegen Michael Josef P***** wegen § 127 StGB, AZ 16 U 97/00d des Bezirksgerichtes Hietzing, am 12. März 2001 trotz Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten verletzt § 3 StPO iVm §§ 245, 248 Abs 4, 255 Abs 3 (447) StPO.

Das auf der Grundlage dieser Hauptverhandlung ergangene Urteil des Bezirksgerichtes Hietzing vom 12. März 2001, GZ 16 U 97/00d-10, wird aufgehoben und dem Bezirksgericht Hietzing aufgetragen, über den Antrag auf Bestrafung des Michael Josef P***** wegen § 127 StGB vom 30. Oktober 2000 neuerlich zu verhandeln und zu entscheiden.

Text

Gründe:

Mit vom Beschuldigten unangefochten gebliebenen, seitens der Staatsanwaltschaft mit Berufung wegen Strafe bekämpften Urteil des Bezirksgerichtes Hietzing vom 12. März 2001, GZ 16 U 97/00d-10, wurde Michael Josef P***** des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Danach hat er zwischen 16. und 20. Mai 2000 Verfügungsberechtigten des N***** Krankenhauses der Stadt Wien einen Messbecher, ein Schaffell, zwei Rollen Müllsäcke, drei Rollen Mullbinden, eine Packung Steri-Strip, eine Verbandsklemme und zwei EKG-Elektroden im Gesamtwert von ca 1.000 S mit unrechtmäßigem Bereicherungsvorsatz weggenommen. Bei der am 21. Februar 2001 begonnenen Hauptverhandlung verantwortete sich der nicht vertretene Beschuldigte mit massiver Alkoholisierung im Tatzeitpunkt und fehlender Erinnerung (ON 8). Zur am 12. März 2001 fortgesetzten Hauptverhandlung erschien der Angeklagte nach dem unwidersprochenen Hauptverhandlungsprotokoll alkoholisiert und konnte "dem Gang der Verhandlung nicht folgen"; dessen ungeachtet fällte das Bezirksgericht nach Vernehmung eines Zeugen den eingangs wiedergegebenen Schuldspruch (ON 9).

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, verletzen die Fortsetzung der Hauptverhandlung am 12. März 2001 und die Urteilsfällung zum Nachteil des Michael Josef P***** das Gesetz:

Die Fähigkeit des Beschuldigten, dem Verlauf der Verhandlung zu folgen, sich verständlich zu äußern und seine Rechte sinnvoll wahrzunehmen, ist unabdingbare Voraussetzung für die Durchführung einer Hauptverhandlung (SSt 57/87, EvBl 1977/254, Bertel, Grundriss des österreichischen Strafprozessrechtes4, Rz 348). Besteht ein Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit, darf die Hauptverhandlung nicht angeordnet werden, eine schon angeordnete ist zu vertagen (Markel WK-StPO § 1 Rz 27). Die gegenständlich bloß körperliche Anwesenheit des verhandungsunfähigen Beschuldigten entspricht nicht dem Gesetz und wirkt sich, da er nicht fähig war, die ihm zustehenden prozessualen Rechte (§§ 245 Abs 1, 248 Abs 4, 255 Abs 3 iVm § 447 StPO) wahrzunehmen, zu dessen Nachteil aus. Angesichts der erkannten Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten wäre das Bezirksgericht verpflichtet gewesen, in Wahrnehmung der Vorschrift des § 3 StPO die Hauptverhandlung zu vertagen. Bei mehrmaligem Erscheinen eines infolge Alkoholisierung verhandlungsunfähigen Angeklagten (Beschuldigten) kann dessen prozessuale Handlungsfähigkeit überhaupt in Frage stehen. Gegebenenfalls wäre die Bestellung eines Sachwalters zu erwägen (Markel aaO Rz 24).

Bei gezielter Herbeiführung dieser Verhandlungsunfähigkeit - was zu prüfen wäre (hier aber nicht geschah) - wäre dies einem vorsätzlichen Fernbleiben gleichzuhalten, sodass im Fall des Vorliegens der sonstigen Voraussetzungen für die Verhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit nach § 427 oder § 459 StPO vorgegangen werden könnte. Im Hinblick auf die Benachteiligung des Beschuldigten durch die gerügte Vorgangsweise des Erstrichters war das oben bezeichnete Urteil aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Verhandlung und Urteilsfällung aufzutragen.

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