OGH 14Os51/02

OGH14Os51/0228.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Mai 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Reiter als Schriftführer, in der Strafsache gegen Anton P***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 22. Oktober 2001, GZ 22 Hv 1.007/01g-43, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Vergehens der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB (Punkt II des Urteilssatzes) und demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und im Umfang der Aufhebung eine neue Hauptverhandlung angeordnet. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die auf den erfolglosen Teil seines Rechtsmittels entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Anton P***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I.1) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (I.2) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (I.3) und der versuchten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB (II.) schuldig erkannt.

Darnach hat er

I. zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Sommer 1999 in Sebersdorf

1. mit einer unmündigen Person, und zwar seiner am 16. August 1988 geborenen Nichte Katharina P*****, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er an ihr einen Analverkehr durchführte,

2. durch die unter Punkt 1. geschilderte Tathandlung außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB Katharina P***** mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung genötigt, indem er sie hinter ein Gebüsch zerrte, ihre Hose herunterriss, sie zuerst an den Schienbeinen und dann an den Oberschenkeln festhielt und mit seinem erigierten Glied in ihren After eindrang und einige Male ein- und ausfuhr;

3. durch die unter Punkt I.1 und 2 dargestellte Tathandlung unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber einer seiner Aufsicht unterstehenden minderjährigen Person diese zur Unzucht missbraucht;

II. in zwei Angriffen Sandra S***** mit Gewalt, und zwar jeweils durch Anwendung von Körperkraft, zu geschlechtlichen Handlungen, und zwar zum Betasten der Brüste und des Geschlechtsteils zu nötigen versucht, wobei es jedoch nicht zur Tatvollendung kam, und zwar

1. zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Oktober 2000 in Ebersdorfberg durch Festhalten (heftiges Umfassen der Körpermitte mit einem Arm und gleichzeitiger Versuch des Betastens der Brüste unter dem T-Shirt),

2. im Sommer 2000 in Sebersdorf auf die zu Punkt II.1 geschilderte Weise, diesmal jedoch durch Versuch des Betastens der Brüste und des Scheidenbereiches.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 8 und 9 lit a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist teilweise (nämlich hinsichtlich Faktum II.) berechtigt.

Im Sinn der Mängelrüge (Z 5) trifft es nämlich zu, dass sich das Erstgericht beim betreffenden Schuldspruch allein auf die als glaubwürdig erachteten Angaben der Zeugin Sandra S***** stützte (US 11 f) und hiedurch die leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers für widerlegt erachtete, deren bezügliche Aussagen aber nicht Eingang in die Hauptverhandlung fanden. Sandra S*****, welche in der Hauptverhandlung von ihrem Entschlagungsrecht nach § 152 Abs 1 Z 2a StPO Gebrauch gemacht hatte (S 408), war von der Untersuchungsrichterin kontradiktorisch vernommen worden (ON 25). Gerade diese Aussage findet sich aber in der detaillierten Liste der betreffenden Verlesungen in der Hauptverhandlung nicht (S 445); ihre Aussage vor der Gendarmerie (ON 16) aber wurde aus der Verlesung ausdrücklich ausgenommen (abermals S 445).

Da der aufgezeigte Mangel (Z 5 vierter Fall, Ratz, WK-StPO, § 281 Rz 459) die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung erfordert und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht einzutreten hat, war schon bei einer nichtöffentlichen Beratung mit partieller Urteilsaufhebung vorzugehen (§ 285e StPO). Als unbegründet erweist sich hingegen die Verfahrensrüge (Z 4), soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Beiziehung eines kinderpsychologischen Sachverständigen zum Beweis dafür richtet, dass die Aussage der Katharina P***** nicht dem tatsächlich Erlebten entspricht (S 416). Da die Beweiswürdigung gemäß § 258 StPO ausschließlich dem Gerichtshof zukommt und die Richter sich auf Grund des Beweisverfahrens, des persönlichen Eindrucks von Zeugen sowie ihrer Berufs- und Lebenserfahrung über die Verlässlichkeit der Aussagen schlüssig zu werden haben, wäre es Sache des Antrags gewesen, aufzuzeigen, welche besonderen Gründe eine derartige, nur in besonders gelagerten Fällen vorzunehmende Gutachtenserstattung gebieten würden (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 117). Anhaltspunkte für eine im vorangehenden Antragsvorbringen behauptete Lügenhaftigkeit des Tatopfers finden sich weder in den Angaben des betreuenden Sozialarbeiters der Bezirkshauptmannschaft Hartberg, Gerhard P***** (S 431 ff), noch in jenen Rosemarie K*****s und Marko G*****s. Inwieweit die Einstellung des Verfahrens gegen eine am Verfahren nicht beteiligte Person wegen eines ein anderes Kind betreffenden Vorfalls Motivation für Katharina P***** gewesen sein könnte, bei ihren Angaben hinsichtlich des Beschwerdeführers zu aggravieren, legt die Beschwerde nicht substantiiert dar. Die Umstände des Zustandekommens des Gedächtnisprotokolles vom 8. Feber 2001 (S 35 f) werden im Urteil logisch und empirisch einwandfrei dargestellt (US 9, 13). Der Hinweis aber auf experimentelle Untersuchungen, dass Informationen, die an ein Kind gegeben werden, dasselbe Niveau der kognitiven Repräsentanz erreichen können, wie tatsächlich Erlebtes und Wahrgenommenes, läuft in Richtung eines - unzulässigen - Erkundungsbeweises hinaus.

Letztlich hat der Beschwerdeführer nicht behauptet, dass sich das Kind zur monierten Begutachtung bereitfinden würde (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350).

Insoweit sich der Angeklagte durch die Abweisung des Antrags auf Durchführung eines Lokalaugenscheins beschwert erachtet, weil sich daraus ergeben hätte, dass sich am Tatort kein Gebüsch (oder eine Fichtengruppe) befinde, wohin das Opfer hätte gezerrt werden können, genügt ihm entgegenzuhalten, dass die Örtlichkeiten hinreichend fotografisch dokumentiert sind (ON 38). Dass ein - nicht künstlich angelegter - Wald jedenfalls Deckung in Form von Pflanzen bietet, ist nicht nur dort ersichtlich, sondern entspricht allgemeiner Erfahrung. Im Übrigen betrifft der Beweisantrag nur einen der eigentlichen Tat vorgelagerten Nebenaspekt, der schon deshalb unwesentlich ist, weil sich Täter und Opfer zur Tatzeit allein am Tatort befanden und zudem evident ist, dass dieser von einer Unmündigen ca eineinhalb Jahre nach der Tat nicht mehr genau eingegrenzt werden kann. Nach Prüfung des weiteren Beschwerdevorbringens anhand der Akten ergeben sich für den Obersten Gerichtshof keine Bedenken gegen die Richtigkeit der den Ausspruch über die Schuld tragenden entscheidenden Tatsachenfeststellungen. Widersprüche in den Aussagen der Katharina P***** und der Sabrina K***** wurden von den Tatrichtern schon mit Blick auf deren kindliches Alter und den seit der Tat verstrichenen Zeitraum einer eingehenden Würdigung unterzogen (US 12 f).

Die Anklage wird nicht überschritten, wenn das Gericht den Angeklagten außer den unter Anklage gestellten strafbaren Handlungen einer weiteren, mit ihnen in Idealkonkurrenz stehenden strafbaren Handlung (hier des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB) schuldig erkennt (Z 8; Mayerhofer aaO § 281 Z 8 E 5). Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) legt einerseits nicht dar, worin der Unterschied zwischen Anvertrauen und Unterstellen zur Aufsicht liegen soll, und verfehlt damit eine methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz ("unterstehend"; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588). Andererseits übergeht sie die Urteilsannahmen, Rosemarie K***** habe ihm ihre Tochter und ihre Nichte zur Aufsicht anvertraut, obwohl sie um die sexuelle Abartigkeit ihres Bruders Bescheid wusste, weil sie der Meinung war, dass den Mädchen zu zweit nichts passieren könne (US 6) und er dann die Tathandlung im Wissen und unter Ausnützung der ihm eingeräumten Vertrauensposition durchführte (US 15). Mit Blick auf die vorangegangenen Ausführungen, auch die Gewaltanwendung sei mit dem Vorsatz erfolgt, den Willen seines widerstrebenden Opfers zu beugen, bleibt kein Raum für eine Maßnahme nach § 290 Abs 1 StPO (Schick in WK2 § 212 Rz 15).

Die gegen die Schuldsprüche zu I gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde war daher gleichfalls schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Durch die Mitaufhebung des Strafausspruches ist die Berufung des Angeklagten gegenstandslos geworden.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a StPO begründet.

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