OGH 11Os8/02

OGH11Os8/0228.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Mai 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Steindl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ali G***** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 13. November 2001, GZ 39 Vr 534/01-72, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Sperker, des Angeklagten sowie seines Verteidigers Dr. Freund zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der unter Punkt 2 des Schuldspruches bezeichneten Tat (auch) unter den Tatbestand des § 109 Abs 1 StGB und demgemäß auch im Straf- und Maßnahmenausspruch aufgehoben und gemäß §§ 288 Abs 2 Z 3, 344 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Ali G***** hat durch die unter Punkt 2 des Schuldspruches bezeichnete Tat das Vergehen des Hausfriedensbruches nach § 109 Abs 3 Z 1 StGB begangen. Er wird hiefür und für die aufrecht gebliebenen Schuldsprüche wegen des Verbrechens des versuchten Totschlages nach §§ 15, 76 StGB sowie des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB gemäß §§ 28, 76 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 6 (sechs) Jahren verurteilt und nach § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte, dem auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last fallen, auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Ali G***** des Verbrechens des versuchten Totschlages nach §§ 15, 76 StGB (Pkt 1 des Urteilssatzes) sowie der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 StGB (2) und des Hausfriedensbruches nach § 109 Abs 1, Abs 3 Z 1 StGB (3) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Dem Inhalt des Schuldspruches zufolge hat der Angeklagte in Innsbruck

1) am 23. Jänner 2001 Dr. Markus K***** mit einer Brandstiftung gefährlich bedroht, um diesen in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er äußerte, er werde sich in dessen Rechtsanwaltskanzlei mit einem Liter Benzin übergießen und anzünden, es werde dann zuerst er und sodann die ganze Kanzlei brennen;

2) am 19. Februar 2001 den Eintritt in den der Ausübung eines Berufes dienenden, abgeschlossenen Kanzleiraum des Dr. Markus K***** mit Gewalt erzwungen, indem er sich gegen die Tür warf und diese gegen den Widerstand Dris. K***** aufdrückte, wobei er gegen eine dort befindliche Person oder Sache Gewalt zu üben beabsichtigte;

3) am 19. Februar 2001 sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, Dr. Markus K***** durch Anschütten mit Testbenzin und den Versuch, diesen mit einem Feuerzeug anzuzünden, zu töten zu versuchen".

Die Geschworenen, welche die Hauptfrage I nach gefährlicher Drohung mit einer Brandstiftung sowie die Hauptfrage II nach Hausfriedensbruch bejahten, hatten die Hauptfrage III nach versuchtem Mord verneint und die Eventualfrage I nach versuchtem Totschlag bejaht. Demnach blieb die Eventualfrage I nach dem Verbrechen der versuchten absichtlich schweren Körperverletzung unbeantwortet. Die zur Frage einer allfälligen Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) des Angeklagten zu den einzelnen Tatzeitpunkten gestellten Zusatzfragen I, II und IV wurden verneint, die Zusatzfragen III und V zutreffend nicht beantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Den Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit auf die Gründe der Z 4, 6 und 9 des § 345 Abs 1 StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde, welcher jedoch keine Berechtigung zukommt.

Die Verfahrensrüge (Z 4), welche die nicht ständige Präsenz der beiden am Verfahren beteiligten psychiatrischen Sachverständigen Dr. H***** und Dr. L***** während der gesamten Hauptverhandlung als nichtigkeitsbegründenden Verstoß gegen § 439 Abs 2 StPO reklamiert, verkennt, dass nach der zitierten Bestimmung die Anordnung der in § 21 Abs 2 StGB vorgesehenen Maßnahme nur die "Beiziehung" (zumindest) eines Sachverständigen - zur Sicherung des Fragerechts - voraussetzt, nicht aber dessen/deren Anwesenheit während der gesamten Dauer der Hauptverhandlung. Weil vorliegend beide Sachverständige an der Hauptverhandlung, wenngleich nicht an all deren Tagsatzungen (Dr. H***** am 29. Oktober und 13. November 2001, Dr. L***** am 4. September und 13. November 2001) teilgenommen haben, liegt der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nicht vor.

Die Stellung der vom Beschwerdeführer vermissten Eventualfrage "nach versuchter Körperverletzung nach §§ 15, 83 erg Abs 1 StGB" hätte gemäß § 314 Abs 1 StPO ein Vorbringen oder jedenfalls Verfahrensergebnisse erfordert, wonach der Vorsatz des Angeklagten lediglich auf die (vorsätzliche) Zufügung einer bloß leichten Körperverletzung gerichtet gewesen wäre. In diese Richtung deutet jedoch weder die Verantwortung des Beschwerdeführers, der nicht nur einen Tötungsvorsatz, sondern selbst einen Verletzungsvorsatz entschieden bestritt, noch das Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. R***** (S 211 f/II) iVm dem Gutachten des Brandsachverständigen Ing. P***** (S 209 f/II), durch welche eine solche Annahme geradezu kontraindiziert ist: wäre doch beim Entzünden des vom Beschwerdeführer mit Testbenzin bespritzten Hemdes Dris K***** zumindest mit einer schweren Körperverletzung, mit einiger Wahrscheinlichkeit sogar mit dem Eintritt des Todes zu rechnen gewesen. Dem - im Hinblick auf die Ausdehnung der Voruntersuchung auf das Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB (ON 40) zudem unrichtigen - Vorbringen aber, Ali G***** wäre "während des Vorverfahrens lediglich das Delikt nach § 87 StGB angelastet worden" und dem Hinweis, "die innere Tatseite sei nicht von vornherein außer Zweifel gestanden", ist kein den Beschwerdestandpunkt stützendes Substrat zu entnehmen. Der Fragestellungsrüge (Z 6) war demnach ein Erfolg zu versagen.

Mit dem Versuch, den Inhalt der gemäß § 331 Abs 3 StPO zu verfassenden, nicht zum Wahrspruch gehörenden Niederschrift zu problematisieren, wird eine Undeutlichkeit des Wahrspruches im Sinne des Nichtigkeitsgrundes des § 345 Abs 1 Z 9 StPO nicht dargetan (Mayerhofer StPO4 § 331 Rz 10 ff).

Die Behauptung schließlich, es "ergebe sich aus den jeweiligen Begründungen der Geschworenen für die von ihnen getroffenen Entscheidungen ein Widerspruch insofern, als die jeweiligen Tatbestandselemente der jeweils hievon betroffenen Delikte von den Geschworenen offensichtlich nicht richtig erfasst wurden", ist unverständlich und damit mangels einer deutlichen und bestimmten Bezeichnung eines Nichtigkeitsgrundes einer sachlichen Erörterung entzogen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Aus deren Anlass konnte sich der Oberste Gerichtshof jedoch davon überzeugen, dass das Urteil im Schuldspruch wegen des Vergehens des Hausfriedensbruches nach § 109 Abs 1 und Abs 3 StGB (Punkt 2 des Urteilstenors) mit einer vom Beschwerdeführer nicht gerügten Nichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 12 StPO behaftet ist, welcher demzufolge von Amts wegen wahrzunehmen war.

Bei den in § 109 Abs 1 und § 109 Abs 3 StGB umschriebenen Verhaltensweisen handelt es sich nämlich um Hausfriedensbruchsdelikte eigenständiger Art, die zueinander nicht im Verhältnis von Grunddelikt und Deliktsqualifikation stehen. Bei eintätigem Zusammentreffen wird dabei das Vergehen des Hausfriedensbruches nach § 109 Abs 1 StGB durch das schwerer pönalisierte Vergehen nach § 109 Abs 3 StGB konsumiert (Judikaturnachweis bei Mayerhofer StGB5 § 109 E 7).

Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, war daher aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde gemäß §§ 290 Abs 1, 344 StPO in der rechtlichen Unterstellung der unter 2 des Urteilssatzes bezeichneten Tat unter den Tatbestand des § 109 Abs 1 StGB und demzufolge auch im Straf- und Maßnahmenausspruch aufzuheben und gemäß §§ 288 Abs 2 Z 3, 344 StPO zu erkennen, dass Ali G***** (nur) das Vergehen des Hausfriedensbruches nach § 109 Abs 3 StGB begangen hat. Bei der demnach im Rahmen des § 76 StGB von fünf bis zu zehn Jahren auszumessenden Freiheitsstrafe wurde als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Vergehen mit einem Verbrechen sowie zwei einschlägige Vorstrafen gewertet, als mildernd hingegen die erheblich reduzierte Zurechnungsfähigkeit sowie der Umstand, dass es hinsichtlich des Verbrechens beim Versuch geblieben ist. Aus den bereits vom Geschworenengericht angestellten, zutreffenden und vom Angeklagten in seiner Berufung auch gar nicht bestrittenen Erwägungen zu den Voraussetzungen des § 21 Abs 2 StGB, auf welche daher verwiesen werden kann, war die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher anzuordnen.

Mit Rücksicht darauf waren sich darauf beziehende Präventivüberlegungen bei der Bestimmung der Strafhöhe zwar nicht zu beachten, eine Unterschreitung der Strafmindestdrohung unter Anwendung des außerordentlichen Strafmilderungsrechtes nach § 41 StGB kam jedoch bei Abwägung der Strafzumessungsgründe dessenungeachtet nicht in Betracht, weshalb auch die in der Berufung angestrebte Gewährung bedingter oder teilbedingter Strafnachsicht gesetzlich ausgeschlossen ist.

Die mit sechs Jahren festgesetzte Freiheitsstrafe ist somit schuld-, unrechts- und persönlichkeitsadäquat.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a StPO begründet.

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