OGH 8ObS75/02s

OGH8ObS75/02s27.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer und die fachkundigen Laienrichter Mag. Dieter Fröhlich und Mag. Thomas Maurer-Mühlleitner als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1. Robert F. G*****, 2.) Wolfang G*****, beide vertreten durch Siemer-Siegl-Füreder und Partner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei IAF-Service GmbH, G*****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (1.:

EUR 12.617,53 netto sA; 2.: EUR 5.879,67 netto sA), infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Dezember 2001, GZ 7 Rs 434/01x-27, mit dem infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. August 2001, GZ 33 Cgs 321/00m-22, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen

Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der seit 25 Jahren im "Sicherheitsgeschäft" tätige Geschäftsführer der späteren Ausgleichsschuldnerin, einer GmbH, ist der Vater der beiden Kläger, der während eines fünfjährigen, bis 31. 12. 1997 befristeten Beschäftigungsverbotes vom Ausland aus versuchte, mit selbstständigen Tochtergesellschaften der späteren Gemeinschuldnerin den inländischen Markt aufzubereiten, um ab 1998 wieder in den Bereichen Sicherheitsdienst, Bewachung und Reinigung in Österreich tätig werden zu können.

Die beiden Söhne - die Kläger - wurden als jeweilige Projektleiter eingesetzt, und zwar der Erstkläger ab 4. 3. 1995 für den Bereich Sicherheitsdienste und Zweitkläger ab 18. 12. 1996 für den Bereich Reinigungsdienste.

Ab Sommer 1998 geriet die GmbH in finanzielle Schwierigkeiten (Ausfall eines großen Bewachungsauftrages eines Saudi-Arabischen Prinzen). Ab September 1998 erfolgten keine Gehaltszahlungen mehr. Die Dienstverhältnisse wurden einvernehmlich mit dem Erstkläger zum 31. 10. 1998 und mit dem Zweitkläger zum 30. 11. 1998 aufgelöst. Die Kläger machten ihre Forderungen in der Folge nicht gerichtlich geltend, dies sowohl wegen der verwandtschaftlichen Beziehungen, als auch aus der Befürchtung, dass dadurch früher die Einleitung des Insolvenzverfahrens ausgelöst werden könnte. Insbesondere konnte die GmbH noch im Frühjahr 1999 auf die aushaftenden Forderungen von S 50 Mio Teilzahlungen von S 6 Mio zur Finanzierung des Ausgleiches lukrieren. Am 6. 10. 1999 wurde über die GmbH das Ausgleichsverfahren eröffnet.

Mit den am 27. 9. 2000 beim Erstgericht eingelangten Klagen begehrte

der Erstkläger S 173.621,-- (= EUR 12.617,53) und der Zweitkläger S

80.906,-- (= EUR 5.879,67) jeweils netto sA an noch offenen

Lohnforderungen (jeweils zwei Monate und einen Restbetrag für ein drittes Monat sowie anteilige Sonderzahlungen), der Erstkläger überdies Abfertigung.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung primär wegen sittenwidriger Überwälzung der Forderungen auf den Fonds infolge der familiären Nahebeziehung und der nicht erfolgten klageweisen Geltendmachung nach Beendigung der Dienstverhältnisse und wandte sich im Übrigen gegen die Nichtberücksichtigung der bereits erhaltenen 40 %igen Ausgleichsquote und die Abfertigungshöhe, wobei zu den beiden letzten Einwänden infolge Unerheblichkeit vom Erstgericht keine Feststellungen getroffen wurden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und beurteilte den Sachverhalt - soweit noch wesentlich - dahin, dass der durchzuführende Fremdvergleich (Nichtgeltendmachung der Forderungen wohl aufgrund der familiären Verbindung; Zuwarten mit der gerichtlichen Geltendmachung durch einen so langen Zeitraum) zum Verlust des Anspruchs auf Insolvenz-Ausfallgeld führe. Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Kläger nicht Folge und bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung, erklärte die Revision aber für zulässig, weil es sich zwar im Rahmen der Fremdvergleichsjudikatur des Obersten Gerichtshofes gehalten habe, jedoch eine Fallkonstellation wie die vorliegende noch nicht konkret zur Beurteilung angestanden sei. In der rechtlichen Beurteilung führte es aus, dass die Kläger trotz Nichtzahlung des Lohns und in voller Kenntnis der prekären finanziellen Lage zwar ihr Beschäftigungsverhältnis beendet hätten, aber bewusst keinerlei Versuche zur gerichtlichen Geltendmachung ihrer ausstehenden Lohn- und Abfertigungsansprüche gemacht hätten, dies einerseits, wegen der familiären Nahebeziehung und andererseits um den Erfolg der Eintreibung von offenen Forderungen durch solche Prozesse nicht zu gefährden. Ein "Fremdvergleich" zeige, dass ein "typischer", das heißt nicht familienangehöriger Arbeitnehmer nach Beendigung seines Dienstverhältnisses auch die entsprechenden Konsequenzen gezogen und seine offenen Forderungen gerichtlich geltend gemacht hätte. Die beiden Kläger hätten aber nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch ein Jahr (bis zur Ausgleichseröffnung) auf die gerichtliche Geltendmachung verzichtet, womit ein sanktionsloses Ausscheiden aus den Dienstverhältnissen zugunsten des Arbeitgebers vorliege. Solchen Arbeitnehmern stehe kein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld zu. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Kläger mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klagstattgebung; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, dass die Kläger zurecht darauf hinweisen, dass die Ausführungen des Berufungsgerichtes insoweit jedenfalls verfehlt sind, als dieses im Verzicht auf eine Klageführung und der dadurch konkludent erfolgten Stundung von Forderungen eine eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen gleichwertige Art der Zuführung von Liquidität an den ehemaligen Arbeitgeber erblicken; die Kläger sind nämlich - wovon auch das Berufungsgericht ausgegangen ist - nicht am Unternehmen beteiligt, sodass eine solche Erweiterung der Regeln über das eigenkapitalersetzende Darlehen ausscheidet. Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt darin, dass die Kläger, die in familiärer Nahebeziehung zum Geschäftsführer der GmbH (Vater der Kläger) standen, faktisch in leitender Position tätig waren und die Lage der Gesellschaft genau kannten, zwar nach einem Lohnrückstand für zwei bzw drei Monate - also nach eine Lohnrückstand von weniger als sechs Monaten - das Dienstverhältnis einvernehmlich auflösten, aber (wie die Kläger in ihrer Revision betonen) bewusst unterlassen haben, ihre offenen Entgeltforderungen während eines Zeitraumes von rund einem Jahr (bis zur Eröffnung des Ausgleichsverfahrens über das Vermögen der GmbH) gerichtlich geltend zu machen, und zwar einerseits wegen des familiären Naheverhältnisses zum Geschäftsführer des Arbeitgebers, andererseits aber auch, um eine frühere Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen zu verhindern. Sie motivieren diese Vorgangsweise damit, dass die nachfolgende Stundung der Forderungen gegenüber dem früheren Arbeitgeber (durch Unterlassen der Klagsführung) nicht geeignet gewesen sei, das Finanzierungsrisiko des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu erhöhen: Die GmbH sei bereits zum damaligen Zeitpunkt im September 1998 nicht mehr in der Lage gewesen, die offenen Gehaltsforderungen zu bezahlen, womit das Finanzierungsrisiko des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds schlagend geworden sei und sich durch den nachfolgenden Verzicht der Kläger auf eine Klagsführung nicht mehr vergrößert habe.

Diesen Ausführungen kann grundsätzlich Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Im vorliegende Fall ist § 3a Abs 1 IESG in der Fassung des BGBl 1999/73 (Ausgleichseröffnung nach dem 1. 5. 1999 und vor dem 1. 1. 2001) anzuwenden. Aus dieser Bestimmung folgt, dass Entgeltrückstände von mehr als sechs Monaten grundsätzlich nicht gesichert sind. Hingegen sind nach dieser Bestimmung, und zwar idF vor und nach dem BGBl I 2000/142, Entgeltrückstände aus den letzten sechs Monaten vor der vor Konkurs- oder Ausgleichseröffnung liegenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesichert, ohne dass dies von einer Einklagung abhängig gemacht wird; Voraussetzung ist nur die Geltendmachung innerhalb der allgemeinen Verjährungsfrist, die hier jedenfalls gewahrt wurde. Damit ist eine wirksame Begrenzung zur Hintanhaltung der Verlagerung des wirtschaftlichen Risikos auf den Fonds durch Verbleiben im Arbeitsverhältnis trotz Nichtzahlung des Entgelts gegeben; anders wäre es nur, wenn durch eine nach der alten Rechtslage mögliche Einklagung von mehr als sechsmonatigen Rückständen durch die über die Verhältnisse des Unternehmens bestens informierten Kläger vor dem Stichtag die grundsätzliche Begrenzung unterlaufen worden wäre.

Dass sich durch die nicht (sofortige) Einklagung das Finanzierungsrisiko des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds vergrößert hätte - etwa dass bei sofortiger Einklagung die Entgeltrückstände noch von der Dienstgeberin zumindestens teilweise hätten einbringlich gemacht werden können - hat die hiefür beweispflichtige beklagte Partei nicht einmal behauptet. Eine Erhöhung der Entgeltrückstände und der Beendigungsansprüche nach der Auflösung des Dienstverhältnisses scheidet naturgemäß aus; es ist bei den zwei- bzw dreimonatigen Lohnrückständen und der Abfertigung für den Erstkläger geblieben. Die Ansprüche der Kläger sind somit grundsätzlich gesichert, weil durch die zeitliche Begrenzung der Lohnrückstände auf sechs Monate eine übermäßige, sachlich nicht gerechtfertigte Verlagerung des wirtschaftlichen Risikos auf den Fonds verhindert wird, eine Sanktion für die Unterlassung der unverzüglichen klagsweisen Geltendmachung derartiger Forderungen aber weder gesetzlich angeordnet noch erforderlich ist.

Die Rechtssache ist aber dennoch nicht spruchreif.

Die beklagte Partei hat die Höhe der Ansprüche bestritten und eingewandt, dass die Kläger die bereits erhaltene 40 %ige Ausgleichsquote nicht berücksichtigt hätten. Da die Ansprüche im Gerichtsverfahren nicht aufgeschlüsselt und zur Höhe keine Feststellungen getroffen wurden und nicht auszuschließen ist, dass den Klägern, wie von der beklagten Partei eingewendet, auf die zufolge Bestreitung durch die beklagte Partei gemäß § 11 Abs 1 IESG nicht übergegangenen Ansprüche die Ausgleichsquote ganz oder zum Teil bezahlt wurde, bedarf es einer Ergänzung des Verfahrens erster Instanz.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 77 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.

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