OGH 10ObS111/02z

OGH10ObS111/02z30.4.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Herbert Stegmüller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Renate P*****, Pensionistin, ***** vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Witwenpension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Dezember 2001, GZ 9 Rs 220/01s-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13. Februar 2001, GZ 7 Cgs 197/00m-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die zwischen der Klägerin und Johann P***** am 30. 5. 1968 geschlossene Ehe wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 20. 6. 1994 im Einvernehmen geschieden. Im Scheidungsvergleich verzichtete die Klägerin auf Unterhalt. Der Klägerin verblieb die frühere Ehewohnung, für die ein monatlicher Mietzins von rund S 6.500,-- (ca. EUR 470,--) zu bezahlen ist. Deshalb und in Anbetracht des Umstands, dass die gemeinsame Tochter bis zum Abschluss ihres Studiums bei der Klägerin wohnte, bezahlte Johann P***** der Klägerin freiwillig und ohne Vorliegen eines Unterhaltstitels regelmäßig monatlich S 5.000,-- bis S 6.000,--. Ab dem Ende der Studienausbildung der Tochter übergab Johann P***** der Klägerin freiwillig monatliche Beträge zwischen S 2.500,-- und S 3.500,-- in bar, dies vor allem, um ihr die Tragung der Wohnungskosten weiter zu ermöglichen. Diese Zahlungen erbrachte Johann P***** bis zu seinem Tod am 14. 1. 2000, somit weit mehr als ein Jahr lang.

Johann P***** bezog im Jahr 2000 eine Pension von monatlich S 14.307,- netto, 14x jährlich. Die Eigenpension der Klägerin betrug in diesem Jahr S 10.353,-- netto monatlich, 14x jährlich. Mit Bescheid vom 3. 4. 2000 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 2. 3. 2000 auf Gewährung einer Witwenpension mit der Begründung ab, dass anlässlich der Ehescheidung gegenseitig auf Unterhalt verzichtet worden sei; die freiwillige Unterhaltszahlung sei ohne Bedeutung, da die Klägerin zum Zeitpunkt des Todes des geschiedenen Ehegatten keinen materiellen Unterhaltsbedarf gehabt habe.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin eine Witwenpension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 4. 2000 zu gewähren. Wohl hätte sich bei Anwendung der für die Berechnung des Ehegattenunterhalts üblichen "40%-Formel" kein gerichtlich durchsetzbarer Unterhaltsanspruch der Klägerin ergeben. Dies sei aber nicht entscheidend. Maßgeblich sei vielmehr, ob die vom Verstorbenen erbrachten Leistungen einen Unterhaltsbedarf des geschiedenen Pensionswerbers abgedeckt hätten, was im vorliegenden Fall zutreffe. In Anbetracht der relativ hohen Wohnungskosten wäre der Klägerin ohne die Leistungen ihres geschiedenen Ehegatten von ihrem Einkommen nur ein relativ niedriger Restbetrag zur Deckung ihrer sonstigen Lebensbedürfnisse verblieben, sodass die von Johann P***** erbrachten Zahlungen tatsächlich die erhöhten Lebenshaltungskosten der Klägerin abgedeckt hätten, weshalb ihr nach § 258 Abs 4 ASVG ein Anspruch auf Witwenpension zustehe.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil mit der Maßgabe, dass der Anspruch der Klägerin auf Witwenpension ab dem 1. 4. 2000 als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannt wurde; der beklagten Partei wurde eine vorläufige Zahlung von S 2.500,-- monatlich aufgetragen. Nach ständiger Judikatur - auch zur Rechtslage seit dem Inkrafttreten des SRÄG 1993, BGBl 335 - sei § 258 Abs 4 lit d ASVG einschränkend dahin auszulegen, dass es nur auf den tatsächlichen Leistungsbetrag, nicht aber auf den rechtlichen Anspruch ankomme. Ausschlaggebend sei lediglich, ob der Versicherte zum Zeitpunkt seines Todes dem Überlebenden regelmäßige Zahlungen zur Deckung des Unterhaltsbedarfs geleistet habe. Da es die - bis zum Betrag von durchschnittlich S 2.500,-- pro Monat unstrittigen - regelmäßigen Zahlungen der Klägerin ermöglichten, die Wohnungskosten zu bestreiten, sei ihr Charakter als Unterhaltsleistung nicht zweifelhaft. Daraus ergebe sich die Berechtigung des Klagsanspruchs dem Grunde nach ab 1. 4. 2000, zumal die übrigen Anspruchsvoraussetzungen nicht strittig seien. Die Anspruchshöhe könne im Hinblick auf § 264 ASVG noch nicht abschließend beurteilt werden, weshalb der beklagten Partei eine vorläufige Zahlung aufzutragen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die unbeantwortete Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung.

Die Revisionswerberin vertritt zusammengefasst den Standpunkt, dass § 258 Abs 4 lit d ASVG durch das Abstellen auf den Unterhaltsbedarf nicht nur die tatsächliche Leistung des Versicherten im Auge habe, sondern auch das Erfordernis der Deckung eben eines Bedarfs nach Unterhalt. Könne der geschiedene Ehegatte mit der von der Rechtsprechung vorgesehenen Unterhaltsleistung das Auslagen finden, bestehe kein Unterhaltsbedarf, weil er sich aus Eigenem versorgen könne. Bei einer anderen Auslegung, die nur auf die tatsächlichen Zahlungen abstelle, könne es zu Manipulationen zu Lasten der Sozialversicherung kommen, weiters auch zu einer unterschiedlichen, dem Gleichheitsgrundsatz widersprechenden Behandlung der Fälle gemäß § 258 Abs 4 lit a - c ASVG einerseits und § 258 Abs 4 lit d ASVG andererseits.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof sieht sich auch nach neuerlicher Prüfung der vorgetragenen Argumente nicht veranlasst, die bisherige Rechtsprechung zu ändern, wonach § 258 Abs 4 lit d ASVG einschränkend dahin auszulegen ist, dass es nur auf den tatsächlichen Leistungsbetrag, nicht aber auf den (gar nicht weiter zu prüfenden) rechtlichen Anspruch ankommt.

In der vor dem Inkrafttreten des SRÄG 1993 (51. ASVG-Novelle, BGBl 193/335) geltenden Fassung lautete § 258 Abs 4 ASVG wie folgt:

"Die Pension nach Abs. 1 gebührt nach Maßgabe der Abs. 2 und 3 auch

  1. 1. der Frau,
  2. 2. dem Mann,

    deren (dessen) Ehe mit dem (der) Versicherten für nichtig erklärt, aufgehoben oder geschieden worden ist, wenn ihr (ihm) der (die) Versicherte zur Zeit seines (ihres) Todes Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) aufgrund eines gerichtlichen Urteiles, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor Auflösung (Nichtigerklärung) der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zu leisten hatte, und zwar sofern und solange die Frau (der Mann) nicht eine neuerliche Ehe geschlossen hat."

    Durch das SRÄG 1993 erhielt § 258 Abs 4 ASVG folgende Fassung:

"(4) Die Pension nach Abs. 1 gebührt nach Maßgabe der Abs. 2 und 3 auch

  1. 1. der Frau,
  2. 2. dem Mann,

    deren (dessen) Ehe mit dem (der) Versicherten für nichtig erklärt, aufgehoben oder geschieden worden ist, wenn ihr (ihm) der (die) Versicherte zur Zeit seines (ihres) Todes Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) zu leisten hatte bzw. Unterhalt geleistet hat, und zwar

    1. a) auf Grund eines gerichtlichen Urteiles,
    2. b) auf Grund eines gerichtlichen Vergleiches,
    3. c) auf Grund einer vor Auflösung (Nichtigerklärung) der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung,

      d) regelmäßig zur Deckung des Unterhaltsbedarfs ab einem Zeitpunkt nach der Rechtskraft der Scheidung bis zu seinem (ihrem) Tod, mindestens während der Dauer des letzten Jahres vor seinem (ihrem) Tod, wenn die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hat, sofern und solange die Frau (der Mann) nicht eine neue Ehe geschlossen hat.''

      Nach den Gesetzesmaterialien (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, 968 BlgNR XVIII. GP 1) sollte damit ein Witwen(Witwer)pensionsanspruch für Geschiedene, wenn kein Unterhalt gerichtlich festgelegt wird, geschaffen werden: Witwen(Witwer)pension gebührt dem (der) Geschiedenen auch, wenn tatsächlich regelmäßig Unterhalt geleistet wurde und die Ehe mindestens 10 Jahre gedauert hat.

      Die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des SRÄG 1993 (RV 932 BlgNR XVIII. GP 49) führen zur Novellierung der §§ 215 Abs 3, 258 Abs 5, 264 Abs 3 und 264 Abs 9 ASVG aus:

      "Die Witwenpension gebührt gemäß § 258 Abs. 4 ASVG nach Maßgabe der dieser Bestimmung vorangehenden Absätze unter anderem auch der Frau, deren Ehe mit dem Versicherten für nichtig erklärt, aufgehoben oder geschieden worden ist, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes einen Unterhaltsbeitrag auf Grund eines gerichtlichen Urteiles, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor Auflösung (Nichtigerklärung) der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zu leisten hatte, und zwar sofern und solange die Frau nicht eine neue Ehe geschlossen hat. Nach dem Wortlaut des Gesetzes hängt der Anspruch auf Witwenpension davon ab, ob dem hinterbliebenen geschiedenen Ehegatten auf Grund eines der drei im Gesetz angeführten rechtsbegründenden Tatbestände im Zeitpunkt des Todes ein Anspruch auf Unterhalt zustand.

      Der Zweck der formalen Erfordernisse des § 258 Abs. 4 ASVG liegt einerseits darin, daß den Sozialversicherungsträgern die materielle Prüfung des Grundes, insbesondere aber der Höhe des Unterhaltsanspruches erspart bleiben soll. Andererseits sollen damit Manipulationsmöglichkeiten zu Lasten der Sozialversicherung verhindert werden.

      Die Volksanwaltschaft hat anhand praktischer Fälle darauf hingewiesen, daß diese Ziele in Wahrheit nicht erreichbar gewesen seien. So hätte auch die Judikatur des Obersten Gerichtshofes aufgezeigt, daß es bei vertraglichen Unterhaltsvereinbarungen vielfach unumgänglich erscheint, über das bloße Vorliegen des Unterhaltstitels hinaus zu prüfen, ob eine Leistung allein unter dem Titel des Unterhalts versprochen wurde oder zum Teil freiwillig erfolgte. Ebenso sei dahin gehend zu differenzieren, ob in dem Unterhaltsbetrag unter anderem auch Unterhaltsleistungen für Kinder enthalten sind. Auch zum Zweck der Feststellung, ob die unterhaltsrechtliche Vereinbarung nur zum Schein getroffen wurde, um dem geschiedenen Partner die Hinterbliebenenleistung zu sichern, sei ein Rückgriff auf das materielle Unterhaltsrecht des Ehegesetzes erforderlich. Im übrigen sei es in Fällen, in denen sich unterhaltsrelevante Kriterien wesentlich und dauernd dahin gehend geändert haben, daß die Unterhaltsverpflichtung zur Gänze entfällt, ein leichtes für die geschiedenen Ehegatten, zu Lasten des Sozialversicherungsträgers zu agieren, indem der Unterhaltstitel in einer gewissen Höhe zwar aufrecht bleibt, aber auf die tatsächlichen Zahlungen verzichtet wird.

      Durch die vorgeschlagene Novellierung soll nunmehr - um Härtefälle zu vermeiden - ein Anspruch auf Hinterbliebenenpension auch dann entstehen, wenn für eine bestimmte Zeit nachweislich bis zum Tod des Ehepartners regelmäßig tatsächlich Unterhalt geleistet worden ist und die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hat.

      Unterhaltszahlungen sind nach § 1418 ABGB regelmäßig monatlich im vorhinein zu bezahlen. Praktisch erfolgen aber Unterhaltszahlungen nicht immer mit der gebotenen Regelmäßigkeit, sondern können - ohne Beeinträchtigung ihres Unterhaltscharakters - auch schwankende Höhen haben. Gelegentlich wird eine für einen Monat fällige Zahlung mit dem nächsten Monat ausgeglichen. Die vorgeschlagene Fassung nimmt auf diese Umstände Rücksicht. Die Zahlungen müssen zur Deckung eines Unterhaltsbedarfs tatsächlich geleistetet worden sein. Wenn also Leistungen zwar regelmäßig erbracht worden sind, aber ein entsprechender Bedarf nicht zu ermitteln ist, so soll der Versorgungsanspruch nicht bestehen."

      Zwar stellen sowohl der Gesetzeswortlaut des § 258 Abs 4 lit d ASVG als auch die Gesetzesmaterialien darauf ab, dass die erbrachten Leistungen einen Unterhaltsbedarf decken müssen. Keineswegs wird aber auf die Maßgeblichkeit zivilrechtlicher Kriterien der Unterhaltsbemessung Bezug genommen. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass ein Unterhaltsbedarf nur dann bestünde, wenn dem Witwer/der Witwe zu Lebzeiten des Versicherten nach den von den Gerichten in der Praxis angewendeten Berechnungsmethoden ein Unterhaltsanspruch zustünde. Vielmehr stellt § 258 Abs 4 lit d ASVG gerade nicht auf den Unterhaltsanspruch ab, auch nicht indirekt über das Wort des Unterhaltsbedarf. Der Gesetzgeber wollte vermeiden, dass der Sozialversicherungsträger überprüft, ob und welcher Unterhaltsanspruch nach dem Gesetz zustünde.

      Für diese Interpretation spricht auch, dass der Gesetzgeber des SRÄG 1993 hinsichtlich der Höhe der Witwen(Witwer)pension in § 264 Abs 2 und 3 ASVG danach differenziert hat, ob die Hinterbliebenenpensionsleistung auf § 258 Abs 4 lit a - c ASVG oder auf § 258 Abs 4 lit d ASVG zurückgeht. Für den ersten Fall wird auf den "Anspruch auf Unterhalt" abgestellt, für den zweiten Fall auf den "geleisteten durchschnittlichen monatlichen Unterhalt"; an dieser Stelle wird weder auf einen Unterhaltsanspruch noch auf einen Unterhaltsbedarf Bezug genommen. Die Maßgeblichkeit der "Deckung des Unterhaltsbedarfs" laut § 258 Abs 4 lit d ASVG berührt daher diejenigen Fälle, in denen Leistungen erbracht werden, die nicht Unterhaltscharakter haben, sondern anderen Zwecken dienen (vgl zuletzt 10 ObS 70/02w). Im vorliegenden Fall ist jedoch der Charakter der Zahlungen als Unterhaltsleistung nicht zweifelhaft. In diesem Sinn wird die schon dargestellte bisherige Rechtsprechung aufrecht erhalten, wonach der Begriff des Unterhaltsbedarfs in § 258 Abs 4 lit d ASVG einschränkend dahin auszulegen ist, dass es nur auf den faktischen (tatsächlichen) Leistungsbetrag, nicht aber auf den - gar nicht weiter zu prüfenden - rechtlichen Anspruch ankommt (SSV-NF 11/93; RIS-Justiz RS0108427), sofern nur ein Unterhaltsbedarf besteht. Dies bedeutet, dass dann, wenn der verstorbene Versicherte der geschiedenen Gattin während des letzten Jahres vor seinem Tod tatsächlich regelmäßig Beiträge zum Unterhalt geleistet hat, die Witwenpension unabhängig davon zusteht, ob nach zivilrechtlichen Grundsätzen ein Anspruch auf Unterhalt bestanden hätte. Eine gleichheitswidrige Interpretation kann darin - im Hinblick auf die unterschiedliche Zielsetzung der Fälle des § 258 Abs 4 lit a - c ASVG einerseits und des § 258 Abs 4 lit d ASVG andererseits - nicht erblickt werden.

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