OGH 10ObS420/01i

OGH10ObS420/01i16.4.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter OLWR Dr. Peter Hübner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ernst Boran (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rudolf E*****, vertreten durch Mag. Rudolf Lind, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. September 2001, GZ 8 Rs 246/01g-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. März 2001, GZ 7 Cgs 228/00h-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 24. 11. 1948 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er hat eine Bäckerlehre abgebrochen und war dann als Schaustellergehilfe, Schweißer, Kellner und Schankgehilfe tätig. Die Schweißkenntnisse des Klägers stammen aus facheinschlägigen Kursen; er hat Zeugnisse für autogenes, elektrisches und Schutzgasschweißen.

Der Kläger ist nicht mehr in der Lage, als Schankgehilfe, Kellner oder Schweißer zu arbeiten, da in jedem dieser Berufe das ihm verbliebene Leistungskalkül überschritten würde. Er könnte aber verschiedene unqualifizierte Arbeiten verrichten, etwa die eines Kontrollors in der metallverarbeitenden Industrie.

Der Kläger stellte am 3. 1. 2000 bei der beklagten Partei den Antrag auf Gewährung der Invaliditätspension. Mit Bescheid vom 17. 6. 2000 hat die beklagte Partei den Antrag abgelehnt. Invalidität liege nicht vor, weil der Kläger in der Lage sei, eine auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bewertete Tätigkeit auszuüben.

Das Erstgericht wies das vom Kläger gegen diesen Bescheid erhobene, auf die Gewährung der beantragten Leistung ab dem Stichtag 1. 2. 2000 gerichtete Klagebegehren mit der Begründung ab, dass der Kläger weder einen Beruf erlernt habe noch in einem qualifizierten Beruf angelernt sei. Als unqualifizierter Arbeiter könne er auf den gesamten Arbeitsmarkt verwiesen werden, weshalb Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG nicht vorliege.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Er habe weder in der Klage noch im erstinstanzlichen Verfahren jemals behauptet, Berufsschutz als Schweißer erworben zu haben; vielmehr sei zum beruflichen Werdegang überhaupt kein Vorbringen erstattet worden. Da die vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten als unqualifiziert anzusehen seien, sei er auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Aktenwidrigkeit und und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne ihres Eventualantrages berechtigt. Der Kläger macht in seinen Revisionsausführungen zusammengefasst geltend, er habe nach dem Akteninhalt in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 1. 2. 2000 überwiegend gleichartig den Beruf des Schweißers ausgeübt. Darauf habe sich der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren zwar nicht ausdrücklich berufen; die Frage des Berufsschutzes sei aber erörtert worden. Auf die entsprechende Rüge eines Verfahrensmangels sei das Berufungsgericht in Wahrheit nicht eingegangen. Überdies sei das Leistungskalkül des Klägers hinsichtlich Hebe- und Tragebelastungen nicht schlüssig dargestellt worden.

Die Feststellung oder Nichtfeststellung bestimmter Tatsachen aufgrund der aufgenommenen Beweise - etwa über das dem Kläger verbliebene Leistungskalkül - resultiert aus der freien Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden kann (RIS-Justiz RS0043061 [T11]). Die in der Revision wiederholten Ausführungen zu den dem Kläger noch möglichen Hebe- und Tragebelastungen stellen daher den unzulässigen Versuch einer Bekämpfung der das Leistungskalkül betreffenden Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen dar (10 ObS 409/98i; 10 ObS 3/99k). Richtig ist, dass der Kläger bereits mit der Klage zum "Beweis für die Berufsausübung" eine Dienstgeberbestätigung der Firma B***** vom 3. 8. 2000 vorgelegt hat, wonach er von 13. 1. 1986 bis 23. 2. 1992 als Schweißer beschäftigt war. Auch nach dem Vorbringen der beklagten Partei in der Klagebeantwortung hat der Kläger angegeben, in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag als Schweißer tätig gewesen zu sein. Nach dem Inhalt des Anstaltsaktes (Blatt 37) liegen in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 2. 2000) 62 Versicherungsmonate als Schweißer. In der Streitverhandlung vom 28. 2. 2001 wurde der Inhalt des Vorakts 15 Cgs 13/92 des KG Korneuburg erörtert, insbesonders "der mangelnde Berufsschutz der dort selbst festgestellt wurde". In diesem Verfahren, das sich auf die Gewährung einer Invaliditätspension zum Stichtag 1. 7. 1991 bezog, war ein möglicher Berufsschutz als Kellner und als Schweißer abgelehnt worden. Tatsächlich war der Kläger nach der von ihm vorgelegten Dienstgeberbestätigung und dem aus dem Anstaltsakt ersichtlichen Versicherungsverlauf bis 23. 2. 1992 bei der Firma B***** als Schweißer beschäftigt gewesen, sodass nicht auszuschließen ist, dass er - bezogen auf den im nunmehrigen Verfahren maßgeblichen Stichtag 1. 2. 2000 - überwiegend als Schweißer beschäftigt war und entsprechenden Berufsschutz erworben hat.

Dies zu prüfen wurde von den Vorinstanzen unterlassen. Die entsprechende, in der Berufung enthaltene Mängelrüge wurde vom Berufungsgericht nicht behandelt. Der Grundsatz, dass Mängel des Verfahrens erster Instanz, die das Berufungsgericht nicht als gegeben erachtete, im Revisionsverfahren nicht neuerlich gerügt werden können, ist unanwendbar, wenn das Berufungsgericht eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen hat (RIS-Justiz RS0043086 [T1]). Der dargestellte Mangel muss zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen führen, weil - wie aufgezeigt - nicht ausgeschlossen werden kann, dass dem Kläger Berufsschutz als Schweißer zukommt. Da es zur Behebung des Mangels einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, ist auch das Urteil der ersten Instanz aufzuheben und die Streitsache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an diese zurückzuverweisen (§ 510 Abs 1 ZPO).

Die Ansicht des Berufungsgerichts, das Vorliegen eines Berufsschutzes müsse behauptet werden, widerspricht im Übrigen der ständigen Judikatur, wonach die Frage, ob ein Versicherter Berufsschutz genießt, in allen Fällen, in denen bei Bestehen eines solchen die Verweisbarkeit fraglich wäre, von Amts wegen zu prüfen ist (SSV-NF 3/136 uva). Nur dann, wenn jeglicher Anhaltspunkt dafür fehlt, dass ein Versicherter eine erlernte oder angelernte Tätigkeit ausgeübt hat, bedarf es keiner weiteren Erhebungen und Feststellungen zu dieser Frage (SSV-NF 14/36).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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