OGH 6Ob43/02w

OGH6Ob43/02w14.3.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache des Erstantragstellers Peter Christian W*****, und der Zweitantragstellerin Josefa Ida M*****, vertreten durch Dr. Andrea Peter, Rechtsanwältin in Deutschlandsberg, wegen Ehescheidung, aus Anlass des ordentlichen Revisionsrekurses der Zweitantragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 4. Dezember 2001, GZ 1 R 349/01b-10, womit der Rekurs der Zweitantragstellerin gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Voitsberg vom 24. September 1998, GZ 11 C 103/98-5, zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Akten werden dem Bezirksgericht Voitsberg als Pflegschaftsgericht mit der Verständigung übermittelt, dass sich bei der Zweitantragstellerin mit Beziehung auf den vorliegenden Rechtsstreit Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB ergeben haben.

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes unterbrochen.

Text

Begründung

Die Eheleute haben am 4. 9. 1998 vor dem Bezirksgericht Voitsberg die Scheidung ihrer Ehe gemäß § 55a EheG beantragt und für den Fall der Scheidung einen Vergleich zu Protokoll gegeben. Der Mann verpflichtete sich zu einem Unterhaltsbeitrag. Die im gemeinsamen Wohnungseigentum stehende Eigentumswohnung wurde dem Mann übertragen. Die Frau verpflichtete sich, eine Mietwohnung zu räumen. Die beweglichen Sachen wurden aufgeteilt. Der Vergleich enthält eine Generalklausel und einen Verzicht der Parteien auf eine Antragstellung nach den §§ 81 ff EheG.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Voitsberg vom 24. 9. 1998 wurde die Ehe antragsgemäß gemäß § 55a EheG geschieden. Nach Verkündung des Beschlusses und nach Rechtsbelehrung erklärten beide Parteien, auf Rechtsmittel zu verzichten. Der Scheidungsbeschluss und eine Vergleichsausfertigung wurden den Parteien jeweils am 13. 10. 1998 zugestellt. Die Parteien waren im erstinstanzlichen Scheidungsverfahren anwaltlich nicht vertreten.

Am 30. 10. 2001 stellte die durch eine Verfahrenshelferin vertretene Frau den Antrag, den Scheidungsbeschluss samt Scheidungsvergleich ihrem Verfahrenshelfer zuzustellen. Sie sei zum Zeitpunkt der Scheidung am 24. 9. 1998 und schon lange Zeit davor und auch lange Zeit danach auf Grund schwerer Depressionen geschäftsunfähig gewesen. Ihr Rechtsmittelverzicht sei unwirksam. Nunmehr sei "die Klägerin auf Grund ihrer derzeitigen guten psychischen Verfassung geschäftsfähig". Der Verfahrenshelferin wurde der Scheidungsbeschluss am 14. 11. 2001 zugestellt. Mit ihrem am 22. 11. 2001 beim Erstgericht eingelangten Rekurs beantragte die Frau unter Wiederholung der Behauptungen über ihre Geschäftsunfähigkeit und Prozessunfähigkeit, den Scheidungsbeschluss vom 24. 9. 1998 samt Scheidungsvereinbarung als nichtig aufzuheben. Der Rechtsmittelverzicht und die Zustellung des Scheidungsbeschlusses seien unwirksam. Der Beschluss sei nicht in Rechtskraft erwachsen. Die Rekurswerberin leide seit Jahren an schweren Depressionen und befinde sich deswegen seit 25 Jahren in psychiatrischer Behandlung. In den letzten Monaten habe sich ihr Zustand aber so weit gebessert, dass sie nunmehr prozessfähig sei. Vorsichtshalber werde die Scheidungsvereinbarung widerrufen. Das Rekursgericht wies den Rekurs als unzulässig zurück. Die Antragstellerin stütze sich auf eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO, die nur bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung, danach aber nur mehr mit Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden könne. Die formelle Rechtskraft trete ein, wenn eine Entscheidung unanfechtbar geworden sei, wenn es also kein Rechtsmittel mehr gebe, die Rechtsmittelfrist ungenützt abgelaufen sei oder das Rechtsmittel zurückgenommen oder darauf verzichtet worden sei. Da nach ständiger Rechtsprechung eine analoge Anwendung der Bestimmungen über die Nichtigkeitsklage (§§ 529 ff ZPO) im Verfahren außer Streitsachen unzulässig sei, könne die Nichtigkeit auch nicht mit einem Nichtigkeitsantrag geltend gemacht werden. Der Scheidungsvergleich könne nur im Rechtsweg angefochten werden. Das Rekursgericht sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, änderte diesen Ausspruch aber über Antrag der Rekurswerberin dahin ab, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch zulässig sei, weil die Entscheidung des Rekursgerichtes zur Entscheidung 4 Ob 543/92 im Widerspruch stehe. Mit ihrem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt die Zweitantragstellerin die Abänderung dahin, dass der Scheidungsbeschluss und das vorangegangene Scheidungsverfahren für nichtig erklärt werden, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.

Der Erstantragsteller beantragt mit seiner Rechtsmittelbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Der Revisionsrekurs enthält keine Behauptungen über eine nun vorliegenden Geschäftsfähigkeit und Prozessfähigkeit der Rekurswerberin. Es wird eine Prozessunfähigkeit für die Zeit während des gesamten Scheidungsverfahrens, aber auch für den "Zeitpunkt der Zustellung (wie auch Jahre danach)" behauptet. Im Hinblick auf die ihm Zustellantrag und im Rekurs an die zweite Instanz aufgestellten Behauptungen über jahrezehntelang bestehende schwerste Depressionen und eine deswegen erfolgte psychiatrische Behandlung bestehen Zweifel daran, ob die Prozessfähigkeit der Rekurswerberin derzeit, aber auch zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Bewilligung der Verfahrenshilfe durch Beigabe eines Verfahrenshelfers sowie zum Zeitpunkt der Erhebung der Rechtsmittel bejaht werden kann. Der Mangel der Prozessfähigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens, also auch im Revisionsrekursverfahren, von Amts wegen zu berücksichtigen (§ 6 Abs 1 ZPO). Bei Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB ist das Pflegschaftsgericht zu verständigen (§ 6a ZPO). Gemäß § 6a ZPO ist es dem Prozess- und auch dem Rechtsmittelgericht verwehrt, die Prozessfähigkeit von Parteien, die der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterliegen und für die kein Sachwalter bestellt wurde, selbständig zu prüfen. Es hat in einem solchen Fall vielmehr das Pflegschaftsgericht zu verständigen und ist gemäß § 6a dritter Satz ZPO an die Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes gebunden (3 Ob 110/94 mwN). Die Vorschriften der ZPO über die Prozessfähigkeit gelten gemäß § 220 Abs 1 AußStrG auch für das außerstreitige Verfahren (dazu Simotta, Zum Nichtigkeitsantrag im Außerstreitverfahren, insb im Verfahren über die einvernehmliche Scheidung, JBl 1989, 154 [158 f]).

Das Pflegschaftsgericht wird, wenn es die Prozessfähigkeit der Zweitantragstellerin aus den im § 273 Abs 1 ABGB normierten Gründen verneinen sollte, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, um die ordnungsgemäße Vertretung der Zweitantragstellerin in diesem Verfahren, insbesondere auch im Rechtsmittelverfahren, sicherzustellen haben, wobei auf die Möglichkeit der Genehmigung der bisherigen Verfahrensschritte durch den zu bestellenden Sachwalter im Sinne des § 477 Abs 1 Z 5 letzter Halbsatz ZPO iVm § 6 Abs 2 ZPO hinzuweisen ist. Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten des Revisionsrekurses wird zu berücksichtigen sein, dass die Entscheidung des Rekursgerichtes von der oberstgerichtlichen Judikatur abweicht (4 Ob 543/92) und allenfalls auch eine Änderung der Judikatur über die Unzulässigkeit der Nichtigkeitsklage im Außerstreitverfahren erreichbar erscheint (vgl dazu die E der Obersten Rückstellungskommission Rkv 1/98 = JBl 1998, 731). Bei Verneinung der Voraussetzungen des § 273 ABGB wird das Pflegschaftsgericht einen Einstellungsbeschluss nach § 243 AußStrG zu fassen haben, dem nach § 6a dritter Satz ZPO bei der Beurteilung der Frage der Prozessfähigkeit der Beklagten nach Eintritt seiner Rechtskraft und ab diesem Zeitpunkt Bindungswirkung zukommt (6 Ob 102/00v mwN).

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