OGH 9ObA277/01b

OGH9ObA277/01b13.3.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter DI Hans Lechner und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Josef F*****, Angestellter, ***** vertreten durch Urbanek, Lind, Schmied, Reisch, Rechtsanwälte OEG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei P***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Oswin Lukesch und Dr. Anton Hintermeier, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen EUR 51.136,15 (= ATS 703.648,79) brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. April 2001, GZ 7 Ra 24/01b-28, womit das Zwischenurteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 30. Oktober 2000, GZ 5 Cga 54/99s-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.794,27 (= ATS 24.689,65; darin enthalten EUR 299,04 = ATS 4.114,94 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 1. 5. 1983 bis 29. 5. 1999 bei der beklagten Partei als Außendienstmitarbeiter angestellt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Entlassung mittels Schreiben vom 28. 5. 1999, welches dem Kläger am 29. 5. 1999 zuging.

Mit seiner Klage begehrte er zuletzt S 703.648,90 brutto für ausständiges Gehalt, Kündigungsentschädigung, Sonderzahlungen zur Kündigungsentschädigung, Abfertigung und Urlaubsentschädigung sowie S 56.000 brutto an entgangener Provision für die vertragswidrige Entziehung eines Kunden, insgesamt daher S 759.648,79 brutto sA. Der Kläger habe keinen Entlassungsgrund gesetzt. Überdies habe die beklagte Partei auf ihr Entlassungsrecht verzichtet bzw die Entlassung verspätet ausgesprochen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, dass der Kläger mehrmals ausdrücklich Anweisungen der Dienstgeberin zuwidergehandelt und in diesem Fehlverhalten verharrt habe. Insbesondere - soweit im Revisionsverfahren noch relevant - habe der Kläger trotz entgegenstehender Weisungen zu kurze Lieferfristen mit Kunden vereinbart und Kundenkarteikarten entweder überhaupt nicht geführt oder unrichtig ausgefüllt; überdies habe er beim Besuch eines von der beklagten Partei finanzierten Kommunikationstrainings kein Engagement gezeigt und daher auch kein Abschlusszeugnis erworben.

Das Erstgericht fällte ein Zwischenurteil des Inhalts, dass "1. die Entlassung des Klägers nicht zu Recht erfolgt und 2. der Entzug des Kunden H***** sowie weiterer 13 Kunden zu Recht erfolgt sei". Es traf im Wesentlichen folgende Feststellungen:

Anlässlich eines Meetings vom 4. 9. 1998 wies der Geschäftsführer die Außendienstmitarbeiter an, bei Kundenreklamationen ein sogenanntes Produktserviceblatt auszufüllen. Obwohl es am 7. 10. 1998 beim größten vom Kläger betreuten Kunden H***** zu einer Reklamation kam, veranlasste der Kläger wohl die Rücknahme und den Austausch einer mangelhaften Backmischungslieferung, verständigte jedoch den Geschäftsführer nicht und füllte auch das Produktserviceblatt nicht aus. Anlässlich des nächsten Monatsmeetings vom 9. 10. 1998 wurde diese Gelegenheit besprochen; auch die Notwendigkeit, ein Produktserviceblatt auszufüllen, wurde wieder erwähnt. Am 12. 10. 1998 verständigte der Geschäftsführer den Kläger, dass er diesen Kunden nicht weiter betreuen dürfe und demzufolge auch keine Provision aus Geschäften mit diesem Kunden erhalten werde. Die Betreuung übernahmen der Geschäftsführer und ein weiterer technischer Mitarbeiter gemeinsam. Durch den Entgang dieses Kunden hatte der Kläger eine wesentliche Provisionseinbuße zu verzeichnen, weshalb er die Arbeiterkammer zwecks Rechtsauskunft aufsuchte. Im schriftlichen Dienstvertrag des Klägers ist festgehalten, dass sich die Dienstgeberin ausdrücklich schriftliche Änderungen oder Wechsel nach den Bedürfnissen der Firma vorbehalte, vorausgesetzt diese Änderungen ließen sich mit dem ständigen Wohnsitz des Arbeitnehmers vereinbaren. Von der Arbeiterkammer erhielt er die Auskunft, dass eine einseitige Vertragsänderung durch den Dienstgeber nicht möglich sei. Nach dem Entzug dieses Großkunden begab sich der Kläger für ca fünf Wochen in den Krankenstand und äußerte den Wunsch, von der beklagten Partei gekündigt werden zu wollen. Dies wurde seitens der beklagten Partei aber abgelehnt. Am 24. 11. 1998 legte der Geschäftsführer dem Kläger den Entwurf einer Zusatzvereinbarung zum Dienstvertrag über den Rückersatz von Ausbildungskosten sowie mit einer weitergehenden Konkurrenzklausel vor. Der Kläger unterfertigte dieses Schreiben nicht.

Im Frühjahr 1999 entsandte der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger in einen "Carnegie"-Kurs für Kommunikation und Menschenführung, welcher zwölf Abende dauerte und S 14.400 zuzüglich Umsatzsteuer kostete. Wegen seines geringen Engagements und mehrfachen Fernbleibens erhielt der Kläger kein Abschlusszertifikat. Von Jänner 1999 bis April 1999 zeigte sich ohne den Kunden H***** ein dramatischer Umsatzeinbruch hinsichtlich der vom Kläger betreuten Kunden. Gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres war der Umsatz pro Monat um ca S 250.000 zurückgegangen. Wenngleich das Erstgericht hiefür mehrere mögliche Ursachen aufzeigte, konnte es keine konkrete Ursache feststellen. Dieser Umsatzrückgang betraf insbesondere 13 Kunden, welche in diesem Zeitraum entweder überhaupt nichts mehr gekauft hatten oder deren Abnahmemengen um 50 % zurückgegangen waren. Dies veranlasste den Geschäftsführer der Beklagten, dem Kläger mit Schreiben vom 12. 5. 1999 auch diese weiteren Kunden zu entziehen, wobei auch diesmal der Anspruch auf künftige Provisionen entfallen sollte. Der Kläger wurde gleichzeitig aufgefordert, Karteikarten, Preislisten, Besuchsprotokolle, Muster und Ausgabelisten betreffend diese Kunden abzuliefern.

Am 21. 5. 1999 übermittelte der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger schriftlich den Vorschlag für eine einvernehmliche Auflösung. Der Kläger war aber mit den darin enthaltenen Konditionen nicht einverstanden.

Beim Meeting vom 12. 5. 1999 hatte der Kläger auch die schriftliche Anweisung erhalten, bei Kundenbestellungen die Zeitspanne zwischen Bestelleingang und Auslieferung mit drei Arbeitstagen festzusetzen. Dennoch nahm er am 18. 5. 1999 Bestellungen mit einem Auslieferungsdatum bis 20. 5. 1999 auf, am 25. 5. 1999 mit einem Auslieferungsdatum bis 27. 5. 1999.

Am 26. 5. 1999 verfasste der Geschäftsführer der Beklagten zwei schriftliche Verwarnungen, welche dem Kläger noch am selben Tage per Fax zugingen. Die eine Verwarnung betraf die Nichtübersendung der vorgenannten Unterlagen für die 13 am 12. 5. 1999 entzogenen Kunden. Die zweite Verwarnung bezog sich auf die Ausliefertermine, insbesondere auf die Bestellungen vom 18. 5. 1999 und vom 25. 5. 1999, wo um einen Tag zu kurze Lieferfristen zugesagt worden waren.

Noch am 26. 5. 1999, nachdem er die beiden Verwarnungen per Fax erhalten hatte, übermittelte der Kläger um 20,15 Uhr vier neue Bestellungen an die beklagte Partei, wobei die Liefertage bei drei Bestellungen der 2. 6. 1999 und bei einer Bestellung der 9. 6. 1999 waren. Nicht festgestellt werden konnte, dass der Kläger nach der Verwarnung Bestellungen aufgenommen oder weitergeleitet hätte, für welchen die Drei-Tage-Lieferfrist wieder nicht eingehalten gewesen wäre. Ab 27. 5. 1999 war der Kläger im Krankenstand. Noch am selben Tag erhielt er die Aufforderung, für den Fall, dass sein Krankenstand am darauffolgenden Montag (= 31. 5.) nicht beendet sei, die Kundenunterlagen auch seiner anderen Kunden zu übermitteln. Außerdem sollte er ein Zeugnis für das Kommunikationstraining vorweisen und sein Budget 1999 überarbeiten.

Am Freitag, dem 28. 5. 1999, setzte sich eine Angestellte der Arbeiterkammer namens des Klägers telefonisch mit dem Geschäftsführer in Verbindung, wobei es insbesondere um die nach Ansicht der Arbeiterkammer unzulässige Entziehung von 13 Kunden des Klägers ging. Mit diesem Telefongespräch konnte jedoch keine Einigung mit dem Geschäftsführer erzielt werden. Die Mitarbeiterin der Arbeiterkammer stellte dem Geschäftsführer daher eine Klage in Aussicht. Daraufhin wurde der Geschäftsführer der beklagten Partei ungehalten und meinte, dass er ein halbes Jahr seiner Zeit verschwendet hätte. Wenn es wirklich so sei, dass der Kläger eine Klage einbringen werde, "dann würde er etwas finden".

Am 28. 5. 1999 verfasste der Geschäftsführer der beklagten Partei ein Entlassungsschreiben, welches dem Kläger am 29. 5. 1999 Vormittag per Fax zuging. Gleichzeitig wurde der Kläger aufgefordert, sämtliche noch bei ihm befindliche Unterlagen, insbesondere die Karteikarten auszuhändigen. Bei der Auswertung dieser Karteikarten zeigte sich, dass diese mit den wöchentlich abgegebenen Tagesberichten nicht übereinstimmten, insbesondere wären danach mehr Werbegeschenke ausgegeben worden als der Kläger tatsächlich von der beklagten Partei erhalten hatte. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass der Kläger die ihm ausgefolgten Werbegeschenke nicht an die Kunden weitergegeben hätte.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass der Reklamationsfall H***** (Vorfall vom Oktober 1998) als Entlassungsgrund jedenfalls verfristet sei. Das "geringe Engagement" des Klägers beim Kommunikationstraining sei ebenfalls kein Entlassungsgrund, zumal "geringes Engagement" eine rein subjektive Wertung sei, ohne dass sich objektive Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis gezeigt hätten. Was die Missachtung der Weisung hinsichtlich der Lieferfristen anlange, habe die beklagte Partei mit ihrer Verwarnung vom 26. 5. 1999 schlüssig auf die Geltendmachung ihres diesbezüglichen Entlassungsrechts verzichtet, spätere Verstöße habe der Kläger nicht mehr gesetzt. Überdies habe der Geschäftsführer der Beklagten erst rund zwei Tage und 18 Stunden nach Bekanntwerden dieses allfälligen Entlassungsgrundes reagiert, sodass die Entlassung auch verspätet sei.

Wenngleich der Kläger die Karteikarten betreffend Werbegeschenke unrichtig ausgefüllt habe, könne ihm dennoch keine missbräuchliche Verwendung vorgeworfen werden. Diese Werbeartikel, welche nicht widmungswidrig verwendet worden seien, hätten überdies einen Gesamtwert von nur S 4.000 im Jahr ausgemacht, sodass darin keine gewichtige Verfehlung liege.

Das Berufungsgericht bestätigte das Zwischenurteil mit der Maßgabe, dass es zu lauten habe, "dass die entlassungsabhängigen Ansprüche des Klägers gegen die beklagte Partei dem Grunde nach zu Recht bestehen". Es vertrat die Rechtsauffassung, dass die Entlassung verspätet ausgesprochen worden sei, weil jedenfalls zum Zeitpunkt der Verwarnung vom 26. 5. 1999 dem Geschäftsführer alle für den Ausspruch der Entlassung maßgeblichen Umstände bekannt gewesen seien. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die beklagte Partei stützt sich auf verschiedene Handlungen des Klägers, durch welche der Entlassungsgrund des § 27 Z 4 zweiter Tatbestand erfüllt sei. Den im Revisionsverfahren noch aufrecht erhaltenen Entlassungsgründen ist im Einzelnen Folgendes entgegenzuhalten:

1) Nichteinhaltung der mit drei Tagen bestimmten Lieferzeiten bei der Aufnahme von Bestellungen: Hier übersieht die beklagte Partei, dass ihr sämtliche Verstöße des Klägers bei Ausspruch der Verwarnung vom 26. 5. 1999 bereits bekannt waren. Auf das Entlassungsrecht kann nicht nur ausdrücklich, sondern auch schlüssig verzichtet werden. Ein solcher schlüssiger Verzicht liegt insbesondere darin, dass der Arbeitgeber ein wiederholt pflichtwidriges Verhalten bloß zum Anlass von Ermahnungen (Verwarnungen, Verweisungen, Rügen etc) nimmt (Kuderna Entlassungsrecht2 27; RIS-Justiz RS0029023). Da für die Beurteilung eines schlüssigen Verzichtserklärung die Vertrauenstheorie gilt, ist der objektive Erklärungswert entscheidend. Es kann im vorliegenden Fall nicht zweifelhaft sein, dass die Ermahnung vom 26. 5. 1999 vom Kläger wie von jedem anderen Arbeitnehmer in seiner Situation als Verzicht auf die sofortige Geltendmachung des Entlassungsrechtes wegen der Nichteinhaltung von Weisungen betreffend die Vereinbarung von Lieferzeiten aufzufassen ist. Die Frage einer Verspätung der Entlassungserklärung stellt sich daher gar nicht.

2) Unvollständiges bzw unrichtiges Ausfüllen von Karteikarten betreffend Werbegeschenke und mangelndes Engagement beim Besuch eines Kommunikationstrainings: Die Dienstverweigerung muss, um nach § 27 Z 4 zweiter Fall AngG tatbestandsmäßig zu sein, gravierend und beharrlich sein (Kuderna aaO 114 f). Unter Beharrlichkeit ist die Nachhaltigkeit, Unnachgiebigkeit oder Hartnäckigkeit des in der Dienstverweigerung zum Ausdruck kommenden, auf die Verletzung der Pflichten gerichteten Willens des Angestellten zu verstehen. Daraus folgt, dass sich die Dienstverweigerung entweder wiederholt ereignet haben oder aber von derart schwerwiegender Art sein muss, dass auf die Beharrlichkeit der Willenshaltung des Angestellten mit Grund geschlossen werden kann. Die beharrliche Weigerung setzt im Fall der wiederholten Begehung jedoch eine vorangegangene Ermahnung (Verwarnung) oder wiederholte Aufforderung voraus. Dass eine solche Verwarnung bzw Ermahnung betreffend den Kursbesuch des Klägers oder betreffend das Ausfüllen der Karteikarten ergangen wäre, wurde nicht einmal behauptet. Zwar kann eine Ermahnung dann unterbleiben, wenn die Weigerung derart eindeutig und endgültig ist, dass angesichts eines derart offensichtlich unverrückbaren Willensentschlusses des Angestellten eine Ermahnung als bloße Formalität sinnlos erscheinen müsste (Kuderna aaO 116 mwN), doch kann von einem derart eindeutigen und endgültigen Verhalten in beiden Fällen nicht die Rede sein. Diese "nachgeschobenen" Entlassungsgründe sind daher nicht geeignet, die ausgesprochene Entlassung zu rechtfertigen.

3) Verstoß gegen das Konkurrenzverbot (§ 27 Z 3 AngG): Dieser Entlassungsgrund wurde erstmalig im Berufungsverfahren vorgebracht. Das Berufungsgericht hat diese unzulässige Neuerung zutreffend unbeachtet gelassen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Gemäß § 3 Abs 2 Z 2 Euro-Gesetz, BGBl I Nr 72/2000, waren die im Spruch enthaltenen Geldbeträge in EUR auszudrücken.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte