OGH 10ObS1/02y

OGH10ObS1/02y29.1.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Johannes Zahrl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Benesch (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Siegfried H*****, vertreten durch Dr. Josef Peißl, Rechtsanwalt in Köflach, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt des österreichischen Bergbaues, 8010 Graz, Lessingstraße 20, im Rekursverfahren nicht vertreten, wegen Sonderunterstützung, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Jänner 2001, GZ 8 Rs 210/00i-9, womit aus Anlass der Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. September 2000, GZ 32 Cgs 173/00f-6, und das vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung über die Berufung aufgetragen. Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger beantragte am 2. 12. 1999 bei der beklagten Versicherungsanstalt des österreichischen Bergbaues die Gewährung der Sonderunterstützung. Mit einem als "Mitteilung" bezeichneten, mit 27. 3. 2000 datierten Schreiben anerkannte die beklagte Partei unter Bezugnahme auf die §§ 1 Abs 1, 2, 5 und 8 SUG den Anspruch des Klägers auf Sonderunterstützung ab 1. 1. 2000 bis voraussichtlich 31. 12. 2009. Die Sonderunterstützung betrage ab 1. 1. 2000 monatlich S 25.292,-- zuzüglich S 522,30 Höherversicherung und S 2.176,50 Leistungszuschlag, somit insgesamt S 27.990,80 und ab 19. 2. 2000 unter Abzug anrechenbarer Einkünfte von S 4.381,90 nur noch S 23.608,90, wobei die Sonderunterstützung für die Dauer des Zeitraumes, für den Kündigungsentschädigung /Urlaubsentschädigung /Urlaubsabfindung gebühre (vom 1. Jänner 2000 bis 18. Februar 2000), ruhe. Dieses Schreiben wurde dem Kläger am 28. 3. 2000 zugestellt. Mit seiner am 27. 6. 2000 zur Post gegebenen Klage begehrt der Kläger, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm die Sonderunterstützung unter Außerachtlassung eines fiktiven Einkommens aus der Übergabe eines landwirtschaftlichen Betriebes zu gewähren. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Aus Anlass der gegen dieses Urteil von der beklagten Partei erhobenen Berufung hob das Berufungsgericht das Ersturteil und das ihm vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Es müsse nicht geprüft werden, ob die vom Kläger mit Klage bekämpfte "Mitteilung" der Beklagten über die Anerkennung des Anspruches des Klägers auf Sonderunterstützung als Bescheid anzusehen sei, weil jedenfalls die Klage nicht in der nach § 67 Abs 2 ASGG vorgesehenen Klagefrist von vier Wochen erhoben worden sei. Bei der Sonderunterstützung handle es sich um keine Pensionsleistung, sodass nicht die 3-monatige Klagefrist zum Tragen käme.

Gegen diese Entscheidung richtet sich ein Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden mit einem Rekurs an den Obersten Gerichtshof (ON 10).

Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 12. 6. 2001 (ON 12) ausgesprochen, dass entsprechend der vom Kläger vorgenommenen Reihung seiner Anträge vorerst über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden sei.

Das Erstgericht wies mit Beschluss vom 26. 7. 2001 (ON 13) diesen Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist ab. Es stellte fest, der Kläger habe die gegenständliche "Mitteilung" am 28. 3. 2000 zugestellt erhalten. Dieser "Mitteilung" sei ein Schriftstück angeschlossen gewesen, welches eine Information über das Klagerecht dahingehend enthalten habe, dass der Kläger das Recht habe, innerhalb von drei Monaten ab Zustellung eine Klage einzubringen. Weiters sei darauf hingewiesen worden, wo eine Klage einzubringen sei und was eine Klage zu enthalten habe. Bereits am 29. 3. 2000 habe eine Besprechung zwischen dem Kläger und dem Klagevertreter stattgefunden, im Zuge welcher der Klagevertreter einen Angestellten mit der Kopie der vom Kläger mitgebrachten Urkunden angewiesen habe, die Klagsführung im Fristenbuch vorzumerken, worauf seitens dieses Angestellten im Fristenbuch als Termin für die Klagseinbringung der 28. 6. 2000 vermerkt worden sei. In weiterer Folge habe der Klagevertreter seinen Konzipienten mit der Überprüfung des Bescheides in jeder Richtung beauftragt. Bei der Prüfung der Rechtslage sei der bisher ordnungsgemäß und sorgfältig arbeitende Konzipient zur Ansicht gelangt, dass der Bescheid mittels Klage bekämpft werden sollte und dass hinsichtlich der Klagefrist die von der Beklagten angegebene 3-monatige Frist ausschlaggebend sei. Die Klage sei am 27. 6. 2000 zur Post gegeben worden und sei dann am 28. 6. 2000 beim Erstgericht eingelangt.

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, dass nur bei rechtsunkundigen Personen das Fehlen oder die Unrichtigkeit einer Rechtsmittelbelehrung ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigendes unabwendbares und unvorhergesehenes Ereignis darstellen würde. Eine rechtskundige Person könne die Unrichtigkeit der Belehrung nicht exkulpieren, weil sie jedenfalls grob fahrlässig handle, sodass der Antrag auf Wiedereinsetzung nicht berechtigt sei. Das Rekursgericht gab dem vom Kläger dagegen erhobenen Rekurs nicht Folge und billigte die oben wiedergegebene Rechtsansicht des Erstgerichtes. Nachdem der Beschluss des Rekursgerichtes in Rechtskraft erwachsen war, wurden die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den Rekurs des Klägers (ON 10) neuerlich vorgelegt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Der Rekurswerber macht geltend, die Klage sei jedenfalls im Hinblick auf die hier anzuwendende Bestimmung des § 61 Abs 3 AVG innerhalb der in der Rechtsmittelbelehrung angegebenen Frist von drei Monaten eingebracht worden und sei somit rechtzeitig. Weiters vertritt der Rekurswerber die Ansicht, beim Bezug einer Sonderunterstützung handle es sich jedenfalls seit dem Inkrafttreten des Strukturanpassungsgesetzes 1996, womit die Entscheidung über Anträge auf Sonderunterstützung und auch die Erbringung dieser Versicherungsleistung auf die Pensionsversicherungsträger übertragen worden sei, um eine Leistung der Pensionsversicherung im Sinn des § 67 Abs 2 ASGG, sodass die Klagefrist auch tatsächlich drei Monate betrage. Schließlich bemängelt der Rekurswerber, das Berufungsgericht habe nicht geprüft, ob die gegenständliche "Mitteilung" überhaupt als Bescheid zu qualifizieren sei.

Der erkennende Senat hat dazu folgendes erwogen:

Für die Interpretation des Bescheidbegriffs im Sinne der §§ 67 ff ASGG gelten die zum AVG entwickelten Kriterien (ZAS 1988/4 mwN ua; Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtsachen 259 ff [260]). Ein Bescheid ist danach anzunehmen, wenn der zu beurteilende Akt von einer Behörde stammt, die Bescheide erlassen darf, und wenn sich aus seinem Inhalt der Wille der Behörde ergibt, eine Verwaltungsangelegenheit gegenüber einer bestimmten Person normativ zu regeln, dh bindende Rechtsverhältnisse zu gestalten oder festzustellen (SSV-NF 5/36 mwN ua). Auch eine bloße Verständigung des Versicherten durch den Sozialversicherungsträger oder dessen Mitteilung ist als Bescheid anzusehen, wenn der Bescheidwille im dargelegten Sinn dem Schreiben entnommen werden kann. Gibt der Versicherungsträger in einem an den Versicherten gerichteten Schreiben seinen Willen zu erkennen, einem Antrag des Versicherten nicht zu entsprechen, ist dieses Schreiben als Bescheid zu werten (10 ObS 2/01v mwN ua).

Nach der früheren Rechtslage war gemäß § 13 SUG idF BGBl 1985/568 für das Verfahren auf Gewährung der Sonderunterstützung auch die Verfahrensbestimmung des § 47 Abs 1 AlVG anzuwenden. In dieser Bestimmung wird zwischen einer "Mitteilung" über die Anerkennung des Anspruches, der offensichtlich nicht der Charakter eines Bescheides zukommen soll, und der Ausfolgung eines schriftlichen Bescheides in den Fällen, in denen der Anspruch nicht anerkannt wird, unterschieden (vgl SSV-NF 2/49 mwN). Diese bloß bedingte Bescheiderlassungspflicht besteht jedoch seit dem Inkrafttreten des Strukturanpassungsgesetzes 1996 (BGBl 1996/201) nicht mehr, da § 13 SUG idF BGBl 1996/201 die sinngemäße Anwendung des § 47 AlVG für das Verfahren auf Gewährung der Sonderunterstützung nicht mehr vorsieht.

Auch im Sinne dieser Rechtslage ist das Schreiben der beklagten Partei an den Kläger vom 27. 3. 2000 als Bescheid zu qualifizieren. Die Erledigung des Versicherungsträgers ist zwar entgegen § 58 Abs 1 AVG nicht als Bescheid bezeichnet, lässt aber nach ihrem Inhalt den eindeutigen Bescheidwillen des Versicherungsträgers erkennen, über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch mit einer durch Klage anfechtbaren Erledigung (siehe Rechtsmittelbelehrung) abzusprechen (SSV-NF 4/99 mwN ua).

Qualifiziert man das Schreiben der beklagten Partei vom 27. 3. 2000 in Übereinstimmung mit dem Prozessstandpunkt beider Parteien als Bescheid, ist die vom Kläger dagegen erhobene Bescheidklage entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes auch nicht verspätet. Soweit die Versicherungsträger eine Verpflichtung zum Erlass von Bescheiden trifft, haben sie auch die Vorschriften über Inhalt und Form der Bescheide nach den §§ 58-61 AVG anzuwenden. Es haben daher auch die Vorschriften über die Rechtsmittelbelehrung (§ 61 AVG) auf Leistungsbescheide Anwendung zu finden. Auch wenn die Klage gegen den Sozialversicherungsträger vor dem Sozialgericht nicht als formelles Rechtsmittel gegen den Leistungsbescheid konstruiert ist, erfüllt sie doch materiell Rechtsmittelfunktionen. Bescheide der Sozialversicherungsträger in Leistungssachen haben daher auch eine "Rechtsmittelbelehrung" (= Belehrung über die Möglichkeit einer Bescheidklage) zu enthalten, in die der Hinweis auf die Möglichkeit der Klagsführung, die Belehrung über die Klagefrist, die Form der Einbringung (Bezeichnung der Einbringungsstelle) und das Erfordernis eines hinreichend bestimmten Klagebegehrens aufzunehmen sind. Wenn aber die Vorschriften über die Rechtsmittelbelehrung bei Leistungsbescheiden grundsätzlich Anwendung finden, so müssen insbesondere auch die Bestimmungen der Abs 2-4 des § 61 AVG im Fall einer mangelhaften oder unrichtigen Rechtsmittelbelehrung im Verfahren vor dem Sozialversicherungsträger ebenso wie vor dem Sozialgericht berücksichtigt werden (vgl Fink aaO 293 f; derselbe,

Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Bundespflegegeldgesetzes SozSi 1993, 352 ff [362 f]; Oberndorfer in Tomandl, SV-System 9. Erg-Lfg 668; Pfeil, Pflegevorsorge 274; Gruber/Pallinger, BPGG Rz 9 zu § 27).

Nach § 61 Abs 2-4 AVG ist der Bescheidadressat bei Fehlen oder Mangelhaftigkeit bzw Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung in gewissem Umfang geschützt. So soll er nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auf die Rechtsmittelbelehrung vertrauen können (VfSlg 14.334; VwGH ZfVB 1978/1018 ua). Ist in dem Bescheid eine längere als die gesetzliche Rechtsmittelfrist angegeben, so gilt gemäß § 61 Abs 3 AVG das innerhalb der angegebenen Frist eingebrachte Rechtsmittel als rechtzeitig. Das Gesetz macht dabei keinen Unterschied, ob der zur Erhebung des Rechtsmittels Berechtigte im vorausgegangenen Verfahren durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter vertreten war oder nicht (VwGH ZfVB 1993/596, 1991/2247, 1987/297, 1987/1484 uva). Enthält daher die Rechtsmittelbelehrung im Bescheid eine längere als die gesetzlich vorgesehene Klagefrist und bringt der Kläger die Klage innerhalb der angegebenen (längeren) Frist, so gilt sie als rechtzeitig (§ 61 Abs 3 AVG) und es ist in diesem Fall dem Gericht eine Zurückweisung als verspätet (§ 73 ASGG) verwehrt. Dies gilt unabhängig davon, ob und ab welchem Zeitpunkt der Versicherte qualifiziert (§ 40 Abs 1 ASGG) vertreten war (Fink aaO 294 bzw 363). Da der Kläger seine Klage innerhalb der in der Rechtsmittelbelehrung angegebenen Frist von drei Monaten eingebracht hat, ist seine Klage jedenfalls rechtzeitig, sodass sich eine Stellungnahme zu den weiteren Ausführungen im Rekurs, wonach es sich beim Bezug einer Sonderunterstützung jedenfalls seit dem Inkrafttreten des Strukturanpassungsgesetzes 1996 um eine Leistung der Pensionsversicherung mit einer 3-monatigen Klagefrist handle, erübrigt. Es war daher in Stattgebung des Rekurses des Klägers dem Berufungsgericht die neuerliche (meritorische) Entscheidung über die Berufung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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