OGH 4Ob247/01d

OGH4Ob247/01d29.1.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk, sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl M*****, vertreten durch Ganzert, Ganzert & Partner, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei Elfriede M*****, vertreten durch Dr. Gudrun Truschner, Rechtsanwältin in Wels, wegen Ehescheidung, infolge der Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 21. Mai 2001, GZ 21 R 123/01i-51, mit dem infolge Berufung des Klägers das Urteil des Bezirksgerichts Wels vom 20. Jänner 2001, GZ 2 C 144/98t-44, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der Beklagten wird nicht Folge gegeben. Hingegen wird der Revision des Klägers teilweise Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung lautet:

"Die am 19. 5. 1979 vor dem Standesamt Marchtrenk zu Fam.Buch-Nr 25/1979 geschlossene Ehe wird mit der Wirkung geschieden, dass sie mit Rechtskraft des Urteils aufgelöst ist. Das Verschulden trifft beide Parteien zu gleichen Teilen.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger an Barauslagen 377,90 EUR binnen 14 Tagen zu ersetzen. Darüber hinaus werden die Verfahrenskosten aller drei Instanzen gegeneinander aufgehoben."

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitparteien, österreichische Staatsbürger, haben am 19. 5. 1979 vor dem Standesamt Marchtrenk die jeweils erste Ehe geschlossen. Ehepakte haben sie nicht errichtet. Ihrer Ehe entstammen zwei mittlerweile selbsterhaltungsfähige Söhne, nämlich der am 24. 3. 1981 geborene Markus und der am 25. 10. 1982 geborene Stefan. Der letzte gemeinsame Wohnsitz der Ehegatten war in Wels.

Mit der am 6. 11. 1998 eingebrachten Klage begehrte der Kläger die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten. Diese habe laufend Beziehungen zu anderen Männern, insbesondere zu einem älteren Mann, den sie bereits vor der Eheschließung gekannt habe. Ein von der Beklagten im Jahr 1990 mit dem besten Freund des Klägers begangener Ehebruch sei von einer Anfang 1997 erfolgten wechselseitigen Verzeihung von früheren Eheverfehlungen der Parteien nicht umfasst, weil der Kläger davon erst im Jänner 2000 im Zuge des Scheidungsverfahrens Kenntnis erlangt habe. Die Beklagte habe überdies im Jahr 1997 ein Inserat in einem Kontaktmagazin geschaltet, um gemeinsam mit einer Freundin Kontakt zu einem "großzügigen Gentleman" zu bekommen. Das Inserat zeige die Beklagte und ihre Freundin nur mit Dessous bekleidet. Darüber hinaus habe die Beklagte dem Kläger am 4. 10. 1998 den Zutritt zur Ehewohnung verweigert und ihn mit Selbstmorddrohungen unter Druck gesetzt. Nicht zuletzt habe sie nach Verlassen der Ehewohnung durch den Kläger eine geschlechtliche Beziehung zu einem anderen Mann aufgenommen. Die Ehe sei somit aus dem Verschulden der Beklagten zerrüttet. Die Beklagte gestand die Zerrüttung der Ehe zu, beantragte aber in erster Linie die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Sie habe niemals eine außereheliche Beziehung gehabt. Der Kläger habe ihr indessen laufend solche Beziehungen vorgehalten und sie dadurch psychisch unter Druck gesetzt. Dieser Druck habe sich verstärkt, nach dem der Kläger selbst im Jahr 1990 eine außereheliche Beziehung zu einer anderen Frau, einer Arbeitskollegin, eingegangen sei. Die ungerechtfertigten Vorhaltungen des Klägers hätten schließlich dazu geführt, dass die Beklagte im Oktober 1996 einen Selbstmordversuch unternommen habe. Schließlich hätten sich die Parteien jedoch wieder versöhnt und ihm Rahmen einer Segnung durch die "Moon-Sekte" sich anfangs 1997 erneut die Ehe versprochen. Damit im Zusammenhang seien sämtliche vermuteten oder allenfalls stattgefundenen Eheverfehlungen global verziehen worden. Die Ehe sei in der Folge etwa eineinhalb Jahre lang harmonisch verlaufen. Schließlich habe aber der Kläger ohne Grund am 5. 10. 1998 mit den beiden Söhnen die Ehewohnung verlassen und dadurch die Ehe zerrüttet. Allfällige Eheverfehlungen der Beklagten hätten sich keinesfalls als ehezerstörend ausgewirkt. Im Falle einer Scheidung sei jedenfalls das überwiegende Verschulden des Klägers auszusprechen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging dabei von folgenden Feststellungen aus: Die Probleme der Streitteile gipfelten zunächst darin, dass der Kläger im Jahr 1990 sich infolge einer Beziehung zu einer Arbeitskollegin scheiden lassen wollte. In dieser Zeit hatte auch die Beklagte zumindest einmal einen geschlechtlichen Kontakt zu einem anderen Mann, nämlich zum Freund des Klägers, wobei sie diesen Ehebruch sozusagen als "Retourkutsche" gegenüber ihrem Mann betrachtet habe. Im Jahr 1996 wollte sich auch die Beklagte scheiden lassen. Der Kläger hat ihr während der ganzen Zeit der Ehe immer wieder Beziehungen zu anderen Männern vorgehalten, was die Beklagte allerdings bestritt. Im Oktober 1996 kam es zu einem Selbstmordversuch der Beklagten. Danach beschlossen die Streitteile, noch einmal neu zu beginnen. Sie zogen einen Schlussstrich unter die Vergangenheit und wollten einen Neuanfang der Ehe. Mit diesem Entschluss hat der Kläger seine Vorbehalte gegenüber der Beklagten abgehakt, es sollte die Vergangenheit kein Thema mehr sein bzw sollte darüber nicht mehr geredet werden. Zur Bekräftigung ihres Entschlusses nahmen die Parteien Anfang 1997 an einer Segnung der “Moon-Sekte" teil. Dort versprachen sie sich erneut die Ehe und ließen sich nochmals "trauen". In Hinkunft wollten sie sämtliche Unternehmungen gemeinsam machen, ein Teil des Versprechens war auch, dass der Kläger der Beklagten nicht mehr dauernd dieselben Vorhaltungen machen sollte, wie vorher. Diese hatten sich einerseits auf die nach Meinung des Klägers weiterhin aufrechterhaltene Beziehung der Beklagten zu dem älteren vorehelichen Bekannten bezogen, andererseits auch auf seine Vermutung, sie würde andere Männerbekanntschaften haben. Zugleich mit dem Neubeginn beschlossen die Parteien auch, ihr gemeinsames Haus zu verkaufen und sich eine Wohnung zu nehmen. Von Ende 1996 bis etwa Mitte 1998 verlief die Ehe der Parteien grundsätzlich wieder harmonisch. Die Parteien sprachen auch miteinander über Probleme, wobei jedoch die Beklagte die Gespräche immer dann abblockte, wenn der Kläger begann, ihr (neuerlich) Vorhaltungen wegen anderer Männer bzw im Zusammenhang mit Gesprächen über Tanzen und Fortgehen zu machen. Diese Gespräche verliefen oft ganz normal, aber nur solange, bis der Kläger seine Vorwürfe vorbrachte. Für den Kläger stand dieses Thema bei jedem Gespräch mit der Beklagten im Vordergrund, weshalb die Beklagte aber darüber nicht mehr darüber reden wollte. Sie wies in diesem Zusammenhang den Kläger auch mehrmals auf die Segnung im Rahmen der “Moon-Sekte" und das Versprechen hin, die Vergangenheit zu vergessen und neu anzufangen.

Mitte 1997 wurde im Magazin ÖKM ein Inserat mit einem Bild veröffentlicht, das zwei mit Dessous bekleidete Frauen zeigt. Dieses Inserat wurde - entgegen der Behauptung des Klägers - weder von der Beklagten, noch von ihrer Freundin oder ihrem vorehelichen Bekannten aufgegeben. Das Foto im Inserat zeigt auch nicht die Beklagte. Im Fasching 1998 waren die Streitteile mit der Nichte des Klägers und deren Freundin in einem Lokal in Linz. Dort forderte der Wirt des Lokals die Beklagte zum Tanzen auf, während der Kläger auf die Toilette gegangen war. Als der Kläger von der Toilette zurückkam, war der Tanz der Beklagten mit dem Wirt bereits beendet und saß die Beklagte wieder auf ihrem Platz. Während oder nach dem Tanz hat sie dem Wirt auch keinerlei Avancen gemacht. Der Kläger hat ihr dennoch vorgeworfen, es sei eine Frechheit, während seiner Abwesenheit mit anderen Männern zu tanzen, ohne ihn vorher zu fragen. Im Juni/Juli 1998 wurde der Kläger wieder misstrauisch, weil er von einem Bekannten zufällig erfuhr, dass die Beklagte und die Frau, welche die Beklagte von ihrer früheren Tätigkeit bei einem Schaustellerunternehmen kannte und die nach Meinung des Klägers die zweite Frau im ÖKM-Inserat war, die besten Freundinnen seien und sich regelmäßig treffen würden. Auch "glaubte" der Kläger, den vorehelichen Bekannten der Beklagten in der Nähe der Arbeitsstelle der Beklagten gesehen zu haben, worauf er ihr wiederum die außereheliche Beziehung zu diesem Mann vorwarf. Im Rahmen unzähliger Streitgespräche im Herbst 1998 hatte die Beklagte stets eine außereheliche Beziehung zu diesem Mann sowie einen intensiveren Kontakt zu der genannten Frau bestritten. Der Kläger glaubte der Beklagten jedoch nicht.

Im Herbst 1998 verlangte der Kläger von der Beklagten, sie solle sich eine Wohnung suchen, damit sie einige Zeit voneinander getrennt seien. Dies lehnte die Beklagte ab. Am 5. 10. 1998 holte der Kläger die Beklagte von ihrer Arbeit ab. Sie fuhren gemeinsam in die Wohnung, wo bereits die fertiggepackten Koffer des Klägers abgestellt waren. Der Kläger teilte der Beklagten mit, er werde jetzt gemeinsam mit den Söhnen ausziehen. Unmittelbar davor fand kein Streit statt. Der Kläger zahlte auch zunächst weiterhin die monatliche Miete sowie bis Februar 1999 auch die Kosten für Strom und Heizung. Am 6. 10. 1998 erlitt die Beklagte bei ihrem Hausarzt einen Nervenzusammenbruch. Sie wurde in die psychiatrische Klinik eingewiesen. Im Jänner 1999 war sie ein weiteres Mal in diesem Krankenhaus. Der Kläger besuchte die Beklagte nach seinem Auszug aus der Ehewohnung regelmäßig einmal wöchentlich und brachte ihr auch Süßigkeiten mit. Am 5. 1. 1999 näherte er sich der Beklagten intim, worauf diese wütend wurde und ihn aufforderte zu gehen. Ab diesem Zeitpunkt kam der Kläger nicht mehr allein in die Ehewohnung, sondern nur noch in Begleitung der Kinder.

Vom Sommer bis etwa November 1999 hatte die Beklagte einen freundschaftlichen Kontakt zu einem Mann, den sie schon von früher her kannte und der ihr beim Übersiedeln half. Dieser Mann übernachtete in der Folge auch mehrmals bei der Beklagten. Dabei kam es auch zum Geschlechtsverkehr. Eine Lebensgemeinschaft bestand zwischen der Beklagten und diesem Mann jedoch nicht. Im Jänner 2000 gab es einen telefonischen Kontakt zwischen der Beklagten und dem Freund des Klägers (mit dem die Beklagte 1990 die Ehe brach), der auf Initiative des Klägers stattfand um festzustellen, wie die Beklagte reagiere. Der Freund des Klägers forderte die Beklagte auf, ihn zu besuchen, da er jetzt ein Baby und seit vier Monaten keinen Geschlechtsverkehr mehr gehabt habe. Die Beklagte lehnte dieses Ansinnen indessen ab.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass durch den Ende 1996 zwischen den Parteien gefassten Beschluss, mit ihrer Ehe neu zu beginnen, den sie auch durch einen Teilnahme an einer Segnung durch die “Moon-Sekte" dokumentiert hätten, alle beiderseitigen vorliegenden Eheverfehlungen verziehen worden seien. Dem Kläger hätte zu diesem Zeitpunkt bewusst sein müssen, dass seine während der Ehe immer wieder geäußerten Vermutungen, die Beklagte habe außereheliche geschlechtliche Beziehungen, ja auch der Wahrheit entsprechen könnten. Daher sei auch der - dem Beklagten bis 2000 unbekannte - Ehebruch der Beklagten im Jahr 1990 verziehen. Ab dem Neubeginn Anfang 1997 seien der Beklagten jedoch keine Eheverfehlungen iSd § 49 EheG vorzuwerfen. Weder der Umstand, dass sie Gespräche und Vorwürfe betreffend die Zeit vor dem Neubeginn abgeblockt habe, noch dass sie nach dem Auszug des Klägers das Schloss der Wohnungstür austauschen habe lassen, seien als Eheverfehlung zu werten. Zu dem Zeitpunkt, als die Beklagte etwa neun Monate nach dem Auszug des Klägers eine intime Beziehung zu einem anderen Mann aufgenommen habe, sei die Ehe bereits längst zerrüttet gewesen. Diesem Verhalten sei daher auch im Hinblick auf die neue Gesetzeslage zum Ehebruch keine Bedeutung mehr zuzumessen. Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung des Klägers (teilweise) dahin Folge, dass es die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers schied, und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es befand das erstinstanzliche Verfahren für mängelfrei, übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen zur Gänze und äußerte folgende Rechtsansicht:

Die Verzeihung sei ein innerer Vorgang, dessen Feststellung auf Schlüssen beruhe, die nach freier richterlicher Beweiswürdigung aus dem Verhalten des verletzten Ehegatten zu ziehen seien. In erster Linie sei daher die Frage, ob Verzeihung vorliege, eine solche der Beweiswürdigung. Dabei sei jedenfalls auch eine Äußerung des inneren Vorgangs von Bedeutung, die nicht notwendigerweise gegenüber dem anderen Ehegatten erfolgen müsse. Grundsätzlich setze die Verzeihung voraus, dass der verzeihende Ehegatte von der Eheverfehlung des anderen nach deren Schwere und Tragweite für das weitere Eheleben volle Kenntnis habe. Dem verzeihenden Ehegatten unbekannte Verfehlungen gälten nur dann als verziehen, wenn eindeutig aus der Äußerung zu entnehmen sei, dass der Verzeihungswille sich auch darauf beziehe. Das sei hier der Fall. Dadurch dass der Kläger sich trotz seiner Vermutungen, die Beklagte habe intime Beziehungen zu anderen Männern gehabt, zu einem Neuanfang entschlossen und diesen Entschluss durch die Zeremonie im Rahmen der “Moon-Sektenveranstaltung" nach außenhin bekräftigt habe, habe er unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass die Vergangenheit, egal was der Beklagten auch im Zusammenhang mit Männerbekanntschaften vorzuwerfen sei, kein Thema mehr sein und die Ehe auf eine ganz neue Basis gestellt werden sollte. Im konkreten Fall sei daher auch der einmalige Ehebruch der Beklagten aus dem Jahr 1990, von dem der Kläger im Jahr 1997 noch keine Kenntnis gehabt habe, als verziehen anzusehen. Der Kläger könne daher sein Scheidungsbegehren gemäß § 56 EheG nicht allein auf diesen Ehebruch stützen, ihn aber nach Ansicht des Berufungsgerichts zur Unterstützung eines auf den Ehebruch, den die Beklagte im Jahr 1999 begangen habe, gegründeten Scheidungsbegehrens heranziehen. Zunächst sei dem Kläger das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe anzulasten, weil er durch seine ab Sommer 1998 wiederum gemachten Vorhalte im Zusammenhang mit einer von ihm vermuteten außerehelichen Beziehung der Beklagten und seinem letztlich unbegründeten Auszug aus der Ehewohnung am 5. 10. 1998 eine schwere Eheverfehlung iSd § 49 EheG zu vertreten habe. Der Beklagten sei hingegen nach dem Neubeginn Anfang 1997 bis zur Auflösung der häuslichen Lebensgemeinschaft keine nennenswerte Eheverfehlung vorzuwerfen. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts rechtfertige indessen der nach Zerrüttung der Ehe begangene mehrfache Ehebruch der Beklagten das Scheidungsbegehren. Da auf das vorliegende Verfahren über eine auf § 47 EheG gestützte Scheidungsklage, das am 1. 1. 2000 noch nicht rechtskräftig abgeschlossen gewesen sei, die neue Bestimmung des § 49 EheG im Sinn des Eherechtsänderungsgesetzes 1999 noch nicht Anwendung finde, sei die Frage, ob das ehebrecherische Verhältnis der Beklagten im Jahr 1999 das Scheidungsbegehren des Klägers rechtfertige, nach § 47 EheG in der Fassung vor dem EheRÄG 1999 zu beurteilen. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Ehebruch gemäß § 47 EheG (in der Fassung vor dem EheRÄG 1999) ein absoluter Scheidungsgrund sei und daher zur Scheidung der Ehe aus Verschulden des ehebrecherischen Eheteiles führen müsse, weil jeweils auf den Einzelfall abgestellt werden müsse, in dem das "Wesen der Ehe" jeweils an der konkreten Ehe zu beurteilen sei. Zweifellos habe hier der Kläger durch die Aufgabe der ehelichen Lebensgemeinschaft nach zahlreichen Vorhaltungen gegenüber der Beklagten in Bezug auf außereheliche Beziehungen zu anderen Männern die Hauptursache für die Zerrüttung und Zerstörung der Ehe der Streitteile gesetzt und diese Umstände auch als Verschulden zu vertreten. Dadurch, dass die Beklagte aber im Zeitraum Sommer bis November 1999 eine längerdauernde geschlechtliche Beziehung zu einem anderen Mann unterhalten habe, habe sie sich, auch wenn keine Lebensgemeinschaft mit diesem Mann bestanden habe, von der Ehe mit dem Kläger endgültig gelöst. Bei richtiger Würdigung des Wesens einer Ehe als einer geistigen, körperlichen und wirtschaftlichen, auf Dauer gerichteten Lebensgemeinschaft könne daher im vorliegenden Fall aufgrund des Verhaltens beider Ehegatten nicht mehr davon gesprochen werden, dass ihre Ehe vor dem Gesetz noch jenen Bestandsschutz erhalten müsse, der die Verwirklichung ihrer Wesensmerkmale garantieren soll. Auch die Beklagte habe sich hier mit der Zerrüttung ihrer Ehe dadurch abgefunden, dass sie eine längerdauernde geschlechtliche Beziehung zu einem anderen Mann eingegangen sei. Sie sei daher mit ihrer Berufung auf den Bestandsschutz der Ehe als an der Zerrüttung schuldloser Eheteil nicht schutzwürdig. Vielmehr stelle das ehebrecherische Verhältnis der Beklagten eine derart schwere Verletzung der ehelichen Treuepflicht dar, die gerade dann, wenn die Beklagte selbst noch an der Ehe festhalten wolle, vom anderen Teil als gänzlich ehezerstörend empfunden werden konnte (3 Ob 540/93 mwN). Das ehebrecherische Verhältnis der Beklagten rechtfertige demnach, auch wenn die Ehe bereits vorher aufgrund des Verschuldens des Klägers zerrüttet gewesen sei, das Scheidungsbegehren des Klägers, wobei bei der Verschuldensabwägung auch verziehene Eheverfehlungen - hier der Ehebruch der Beklagten im Jahr 1990 - miteinzubeziehen seien. Bei der Gesamtbetrachtung des beiderseitigen Verhaltens der Ehegatten sei das Verschulden des Klägers doch als erheblich schwerer zu beurteilen, sodass zwar dem Scheidungsbegehren stattzugeben, im Sinne des Mitschuldantrags der Beklagten aber auszusprechen gewesen sei, dass das Verschulden des Klägers überwiege.

Rechtliche Beurteilung

Beide Parteien bekämpfen die zweitinstanzliche Entscheidung mit Revision. Während das Rechtsmittel der Beklagten nicht berechtigt ist, kommt jenem des Klägers teilweise Berechtigung zu:

Gemäß § 56 EheG besteht das Recht auf Scheidung wegen Verschuldens nicht, wenn sich aus dem Verhalten des verletzten Ehegatten ergibt, dass er die Verfehlung des anderen verziehen (oder selbst als ehezerstörend nicht empfunden) hat. Wie die Vorinstanzen richtig erkannten, setzt jede Verzeihung - schon begrifflich - die Kenntnis des Verzeihenden von der zu verzeihenden Eheverfehlung des anderen voraus (Schwind, Eherecht2 243 f mwN in FN 479 und 480). Sie setzt also im Allgemeinen eine als solche empfundene Beleidigung und deren innere seelische Überwindung sowie darüber hinaus noch den Willen voraus, trotz der erlittenen Kränkung die Ehe mit dem schuldtragenden Ehegatten fortzusetzen (Schwind aaO). Wenn eines dieser Elemente fehlt, kann von Verzeihung keine Rede sein (Feil, EheG2 Rz 2 und 6 zu § 56). Allerdings kann ausnahmsweise auch eine Verzeihung solcher (Ehebrüche oder) Eheverfehlungen, von denen der Verzeihende keine sichere Kenntnis hatte, hinsichtlich derer er aber einen mehr oder weniger bestimmten Verdacht hegte, oder auch von denen er überhaupt nichts wusste, angenommen werden, wenn die Verzeihung in dem Sinn erklärt wurde, dass sie auf jeden Fall, wie auch immer es sich mit der Verfehlung verhalten habe, gegeben wird. Dies lässt sich aber nur annehmen, wenn besondere dafür sprechende Umstände vorliegen (RZ 1954, 14; EFSlg 57.191). Wer die ehelichen Beziehungen (die Ehe) zunächst unter Zurückstellung des Verdachts fortsetzt, hat noch nicht verziehen (Feil aaO Rz 6). Die Beweispflicht für die Verzeihung trifft nach ständiger Rechtsprechung den schuldigen Ehegatten/Beklagten (Schwimann/Gruber, ABGB2 I Rz 12 zu § 56 mwN). Die Versöhnung der Parteien durch die Erneuerung des Eheversprechens im Rahmen einer Sektenveranstaltung mag von beiderseitiger Verzeihungsabsicht getragen gewesen sein. Jedoch kann entgegen der Auffassung der Vorinstanzen der - erwiesene, wenn auch von der Beklagten gleich allen anderen Vorwürfen der ehelichen Treulosigkeit bis zur Kenntnis des Klägers im Jänner 2000 bestrittene - mit dem "besten" Freund des Klägers im Jahr 1990 vorgenommene Ehebruch nach den obigen Ausführungen nicht als von der Verzeihung im Jahr 1997 miterfasst gelten. Denn die Behauptung des Klägers, dass er die Ehe mit der Beklagten bei Kenntnis dieses Ehebruchs nicht fortgesetzt hätte, konnte im Verfahren nicht widerlegt werden. Ganz im Gegenteil gewinnen die - möglicherweise überzogenen und mitunter auch unberechtigten - Vorwürfe des Klägers gegenüber der Beklagten, sie nehme es mit der ehelichen Treue nicht ernst, jedenfalls insoweit Berechtigung, als die Beklagte eben trotz dieses Ehebruchs vor und nach der Versöhnung im Jahr 1997 bis zur Auflösung der ehelichen Gemeinschaft alle Vorwürfe des Klägers in dieser Richtung offensichtlich wider besseres Wissen bestritten und überdies ihrerseits als Eheverfehlungen des Klägers (erfolgreich) geltend gemacht hat.

Da im vorliegenden Fall noch § 47 EheG in der Fassung vor dem EheRÄG 1999 anzuwenden ist, wie die Vorinstanz zutreffend erkannte, ist die im zweiten Halbjahr 1999 von der Klägerin aufgenommene ehebrecherische Beziehung ungeachtet des Umstands, dass die völlige Zerrüttung der Ehe der Streitteile mit dem Auszug des Klägers im Oktober 1998 - spätestens jedoch ab Jänner 1999 - eingetreten ist, als Scheidungsgrund zulasten der Beklagten zu werten. Die Beklagte ist nämlich mit ihrer Berufung auf den Bestandsschutz der Ehe selbst unter der Annahme, dass sie an deren Zerrüttung völlig schuldlos wäre, nicht schutzwürdig (vgl hiezu die schon vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung 2 Ob 540/93 = EFSlg 72.329, der ein durchaus vergleichbarer Sachverhalt zugrundelag).

Da somit der Beklagten ein Verschulden an der Ehescheidung und gemäß § 59 Abs 2 EheG der - allenfalls schon gemäß § 57 Abs 2 EheG verfristete - Ehebruch aus dem Jahr 1990, der als solcher nie eine zulässige Reaktionshandlung auf eine vorangehende Eheverfehlung des anderen Ehegatten sein kann (Schwimann/Schwimann aaO Rz 7 zu § 47 EheG mwN), ebenfalls anzulasten ist, andererseits aber die dem Kläger hauptsächlich als Eheverfehlung anzulastenden "grundlosen Verdächtigungen ehelicher Untreue" im Verfahren doch zum Teil bewahrheitet wurden, kann von einem derartigen Überwiegen seines Verschuldens, das gegenüber dem Verschulden der Beklagten, die immerhin in zwei Fällen Ehebruch zu vertreten hat, völlig in den Hintergrund träte, keine Rede sein. Die Scheidung war daher aus dem beiderseitigen gleichteiligen Verschulden auszusprechen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 1 ZPO, für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO.

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