OGH 14Os139/01

OGH14Os139/0129.1.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Jänner 2002 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Ratz, Dr. Philipp und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lauermann als Schriftführer, in der Strafsache gegen Reinhard G***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8. Juni 2001, GZ 3 bVr 9.559/00-95, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Staatsanwalt Mag. Holzleithner, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Mössler zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das Urteil aufgehoben und die Sache gemäß § 288 Abs 2 Z 1 StPO zur Durchführung einer neuen Hauptverhandlung an das Erstgericht verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Reinhard G***** vom Anklagevorwurf der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Nach dem Inhalt der Anklageschrift (ON 81/III) lag ihm zur Last, er habe in Wien

A) mit nachgenannten unmündigen Personen folgende dem Beischlaf

gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, und zwar

1. im Sommer 1999 dadurch, dass er von dem am 8. Feber 1988 geborenen Albin G***** an sich einen Mundverkehr vornehmen ließ;

2. im Sommer 2000 in zumindest zwei Angriffen mit dem am 3. Jänner 1987 geborenen Andreas W***** durch gegenseitigen Mund- und Handverkehr, sowie dadurch, dass er an dem Genannten einen Analverkehr durchführte;

B) im Sommer 2000 mit dem am 25. Dezember 1985 geborenen Martin

L*****, sohin mit einer Person, die das vierzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, zumindest einmal dadurch geschlechtliche Unzucht getrieben, dass Martin L***** an ihm einen Mundverkehr durchführte;

C) durch nachstehend bezeichnete Drohungen mit dem Tode folgende

Personen zu einer Unterlassung, nämlich der Anzeigeerstattung wegen der zu Punkt A/1 bzw B genannten strafbaren Handlungen genötigt, und zwar

1. im Sommer 1999 Albin G***** durch die Äußerung, er solle ihn nicht anzeigen, er habe "urviele" Freunde, die alle eine Waffe hätten;

2. im Sommer 2000 in wiederholten Angriffen Martin L***** durch die Äußerung, er werde ihn umbringen, wenn er ihn verpfeife, er könne dessen Leiche beseitigen, indem er sie in Salzsäure auflöse;

D) im Sommer 2000 Andreas W***** durch Versetzen eines Faustschlages

ins Gesicht vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat eine Schwellung eines Auges zur Folge hatte.

Diesen Freispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Das Erstgericht hielt die Täterschaft des Angeklagten für nicht erwiesen. Es erachtete nämlich die Aussagen der Tatzeugen Martin L*****, Albin G***** und Andreas W***** infolge anhaftender Widersprüche zur Widerlegung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten nicht für geeignet. Demgemäß vermeinte es auch, nicht feststellen zu können, dass der Angeklagte, der in Abrede stellte, Albin G***** oder Andreas W***** auch nur zu kennen (S 333/III), überhaupt jemals Kontakt mit diesen beiden Knaben hatte (US 5). Zu Recht rügt die Beschwerdeführerin die Abweisung des von ihr in der Hauptverhandlung vom 8. Juni 2001 gestellten Antrages (Z 4) auf Ladung der Zeugen Walter V***** und Mario S***** (S 511 f/III). Durch deren Bekundung, Christoph M*****, Andreas W***** und den Angeklagten bei einer gemeinsamen Fahrt in dessen PKW beobachtet zu haben, sollte nämlich dargetan werden, dass der Angeklagte - seiner Verantwortung zuwider - Andreas W***** gekannt hat.

Zu diesem Thema lagen auch Angaben des Zeugen Christoph M***** vor, der seine Teilnahme an dieser Autofahrt bestätigte, Mario S***** und Andreas W***** als weitere Augenzeugen hiefür namhaft gemacht und überdies angegeben hat, dass der Angeklagte Andreas W***** kurz vor dieser Fahrt im Prater kennengelernt und in weiterer Folge ihn und W***** in seinem PKW zu sich nach Hause mitgenommen habe (S 341/II und 405 ff/III).

Bei dieser Sachlage wäre die Vernehmung der beantragten Zeugen zur Beurteilung der einander diametral entgegenstehenden Angaben des Angeklagten und des Zeugen Andreas W***** von entscheidender Bedeutung gewesen, weil eine allfällige Bestätigung des Umstandes, dass der Angeklagte und Andreas W***** miteinander nicht nur bekannt waren, sondern auch Kontakt hatten, geeignet wäre, zu einer anderen Bewertung der Einlassung des Angeklagten und damit auch zu einer anderen Lösung der Schuldfrage in den Andreas W***** betreffenden Fakten Anlass zu geben.

Angesichts der damit möglichen Erweiterung der Entscheidungsgrundlage hätte das Erstgericht dem Antrag entsprechen müssen. Die Abweisung dieses Antrages begründet demnach einen Verfahrensmangel (Z 4). Auch die Mängelrüge (Z 5) ist begründet.

Zutreffend weist die Beschwerdeführerin darauf hin, dass das Erstgericht die Aussage des Zeugen Christoph M***** zwar einerseits als unbedenklich sowie als in den wesentlichen Punkten widerspruchsfrei und nachvollziehbar beurteilte (US 12, 25), andererseits aber ihm Rahmen der Beweiswürdigung nur die Bekundungen dieses Zeugen über nicht anklagegegenständliche sexuelle Übergriffe des Angeklagten verwertete und dessen weitere Angaben, wonach der Angeklagte ihn und Andreas W*****, den er kurz zuvor im Prater kennengelernt hätte, in eine Wohnung gebracht habe (insoweit begnügte sich das Gericht mit der bloßen Erwähnung des entsprechenden Inhalts der Aussage), wo Andreas W***** nach einem von Christoph M***** nicht wahrgenommenen Vorfall "komplett in Panik" geraten und nur mehr bestrebt gewesen sei, die Wohnung des Angeklagten umgehend zu verlassen, ungewürdigt gelassen hat (US 12 und 14 f iVm S 341 ff/II und 405 ff/III).

Wie bereits im Rahmen der Erledigung der Verfahrensrüge (Z 4) aufgezeigt wurde, kommt der Frage nach einer persönlichen Bekanntschaft und nach hieraus resultierenden Kontakten zwischen dem Angeklagten und Andreas W***** für die Lösung der Schuldfragen bei allen den Letztgenannten betreffenden Fakten Bedeutung zu. Zudem steht das Ergebnis der Prüfung der Glaubwürdigkeit des Angeklagten in dieser Hinsicht in engem Konnex mit der Einschätzung seiner Verantwortung auch hinsichtlich der übrigen Fakten, könnte doch das (geleugnete) Bestehen einer Bekanntschaft im vorliegenden Fall auch zu einer anderen Einschätzung der Einlassung zu den übrigen Anklagepunkten, insbesondere in Ansehung der gleichfalls in Abrede gestellten Kontakte zu Albin G*****, Anlass geben.

Auch die erwähnten Depositionen über die Panikreaktion des Andreas W***** in der Wohnung des Angeklagten, die dort stattgefundene sexuelle Übergriffe indizieren, wären erörterungsbedürftig gewesen. Gleiches gilt für den Umstand, dass nach dem Gutachten der Sachverständigen Dr. G***** kein Hinweis für eine Absprache der drei mutmaßlichen Opfer vorliegt (S 373/III). Demgegenüber begnügte sich das Erstgericht mit dem bloßen Hinweis auf dieses Verfahrensergebnis, ohne es in die Bewertung der Aussagen der Belastungszeugen sachlich einfließen zu lassen (US 26).

Ungewürdigt ließ das Erstgericht auch die den Zeugen Martin L***** und Albin G***** von der psychologischen Sachverständigen Dr. G***** attestierte Angstbereitschaft vor dem Angeklagten (insbesondere S 359/I und 381/III), der gleichfalls die Bedeutung eines Indizes für stattgefundene einschlägige Vorfälle, jedenfalls aber für vom Angeklagten gleichfalls in Abrede gestellte Kontakte zu Albin G***** zukommt. Auch insoweit hat sich das Erstgericht auf die bloße Erwähnung der betreffenden Ausführungen im Sachverständigengutachten beschränkt, ohne sich jedoch mit diesem entscheidungswesentlichen Umstand auseinander zu setzen.

Schließlich rügt die Staatsanwaltschaft zu Recht, dass das Schöffengericht die belastenden Angaben der Zeugen G*****, W***** und L***** bloß isoliert als für einen Schuldspruch nicht tragfähig würdigt, dabei aber nicht berücksichtigt, dass der Angeklagte in verschiedenen Fällen von drei Personen unabhängig voneinander belastet wird.

Angesichts der aufgezeigten Mängel erweist sich die Aufhebung des Urteils in seinem gesamten Umfang und die Verfahrenserneuerung in erster Instanz als unvermeidlich.

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