OGH 8ObA304/01s

OGH8ObA304/01s20.12.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Werner Hartmann und Dr. Anton Wladar als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Erkan D*****, Arbeiter, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Koller, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. Robert Igàly-Igàlffy, Rechtsanwalt, 1030 Wien, Landstraßer-Hauptstraße 34, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der L*****GmbH, *****, wegen S 123.750,49 sA (Revisionsinteresse S 112.558,97 sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. August 2001, GZ 9 Ra 226/01y-23, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 24. Jänner 2001, GZ 16 Cga 6/00v-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 9.160,32 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.526,72 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 29. 1. 1996 bis zum 27. 4. 1999 als Arbeiter bei der nunmehrigen Gemeinschuldnerin beschäftigt, über deren Vermögen am 21. 1. 1999 der Konkurs eröffnet wurde; Masseverwalter ist der Beklagte.

Zu den Aufgaben des Klägers gehörte es, Regiescheine auszufüllen, auf deren Grundlage die Buchhaltung des Arbeitgebers Rechnungen ausstellte. Er gab die Regiescheine ab und zu verspätet ab, wobei nicht feststellbar ist, ob dies auf Nachlässigkeit oder darauf zurückzuführen war, dass der Kläger die notwendigen Unterschriften nicht einholen konnte. Dem Kläger wurde zwar von einem Vorgesetzten öfters gesagt, dass die Regiescheine dringend benötigt würden; Konsequenzen - insbesondere eine Entlassung - wurden ihm aber nicht angedroht.

Der Kläger verfügte über ein Firmenauto, in dem sich das ausschließlich von ihm benützte Werkzeug befand und mit dem er zur Arbeit und wieder nach Hause fahren durfte. Privat durfte er das Fahrzeug - bis auf kleinere Wege auf dem Weg zur oder von der Arbeit - nicht benutzen.

Am 27. 4. 1999 hätte der Kläger um 7 Uhr im Büro des Arbeitgebers eine Liste von vermessenen Materialmengen abgeben sollen. Da einige Positionen fehlten, nahm der Kläger die Messungen selbst vor. Er wurde von einer Angestellten des Arbeitgebers mehrmals über sein Mobiltelefon angerufen und gefragt, wo er bleibe. Schließlich erklärte er, sie solle ihn in Ruhe lassen und schaltete sein Telefon ab. Er erschien um ca 8 Uhr im Büro, wo ihm eine mit 27. 4. 1999 datierte schriftliche Verwarnung überreicht wurde, in der ihm vorgeworfen wurde, für die Abrechnung einer Baustelle erforderliche Unterlagen nicht auftragsgemäß weitergeleitet und selbst gegen 8 Uhr noch am Telefon erklärt zu haben, keine Zeit zu haben und erst in ca 10 Minuten wegzufahren. Ferner wurde in der Verwarnung darauf hingewiesen, dass die Abrechnung der Baustelle nicht wie vorgesehen möglich sei und er einer Anweisung eines Vorgesetzten absichtlich nicht Folge geleistet habe.

Der Kläger setzte darauf seine Arbeit fort. Um ca 9 Uhr rutschte er aus und verletzte sich an Rücken und Knie. Er fuhr sofort mit seinem Firmenwagen in ein Krankenhaus. Hievon hatte er nur seinem Arbeitskollegen, mit dem er gearbeitet hatte, Bescheid gegeben, da ihm dies ausreichend erschienen war und er vorhatte, sich am Nachmittag, wenn über einen allfälligen Krankenstand Klarheit bestehen werde, beim Arbeitgeber zu melden. Im Krankenhaus wurde er um ca 11 Uhr untersucht. Anschließend fuhr er zu seiner Hausärztin, die ihn mit 27. 4. 1999 krank schrieb. Um 15.06 Uhr faxte er den Spitalsbefund und die Krankenstandsbestätigung aus der Praxis der Hausärztin an den Arbeitgeber, bei dem diese Unterlagen auch tatsächlich einlangten. Das Firmenfahrzeug stellte der Kläger zu Hause ab. Kurz nach 16 Uhr erhielt er ein Telegramm des Arbeitgebers, in dem ihm die "fristlose Kündigung" mitgeteilt und er aufgefordert wurde, das Firmenfahrzeug am 28. 4. 1999 um 7 Uhr zurückzustellen. Mit einem weiteren Telegramm vom 28. 4. 1999 wurde ihm aufgetragen, das Fahrzeug um 15.30 Uhr zurückzustellen. Der Kläger teilte darauf noch am selben Tag per Fax mit, dass er auf Grund seiner Verletzung nicht in der Lage sei, das Fahrzeug selbst zurückzustellen; es könne aber jederzeit bei ihm abgeholt werden. Auch dieses Fax langte beim Arbeitgeber ein. Dieser erstattete am 28. 4. 1999 um 15.30 Uhr gegen den Kläger Anzeige wegen Veruntreuung. Am 30. 4. 1999 brachte der Kläger das Fahrzeug, das er während seines Krankenstandes nicht benutzt hatte, zum Büro des Arbeitgebers zurück. Er hatte keine Absicht, sich das Fahrzeug oder das darin befindliche Werkzeug zuzueignen.

Ob der Kläger am 27. 4. 1999 Regiescheine abzugeben gehabt hätte und ob er solche abgab, ist nicht feststellbar.

Rechtliche Beurteilung

Im Revisionsverfahren ist nur mehr strittig, ob der Kläger berechtigt entlassen wurde.

Das Berufungsgericht vertrat dazu die Rechtsauffassung, dass der Kläger keinen Entlassungsgrund verwirklicht habe. Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodass es ausreicht, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:

Zur Mängelrüge:

Um die Beweisrüge gesetzmäßig auszuführen, muss der Rechtsmittelwerber angeben

  1. a) welche konkrete Feststellung bekämpft wird,
  2. b) infolge welcher unrichtigen Beweiswürdigung sie getroffen wurde,
  3. c) welche Feststellung begehrt wird und
  4. d) auf Grund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen diese begehrte Feststellung zu treffen gewesen wäre (Kodek in Rechberger, ZPO² Rz 8 zu § 471).

    Dem Berufungsgericht ist zuzustimmen, dass die in der Berufung erhobene Beweisrüge des Beklagten über weite Teile diesen Erfordernissen nicht gerecht wird. Dass sie zur Gänze nicht gesetzmäßig ausgeführt wurde, trifft aber nicht zu, weil zumindest hinsichtlich einiger der bekämpften Feststellungen den Berufungsausführungen die oben angeführten Erfordernisse mit noch hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sind. Daraus ist aber für den Revisionswerber nichts zu gewinnen, weil seine Ausführungen - soweit ihnen konkrete und nachvollziehbare Feststellungswünsche zu entnehmen sind - aus folgenden Gründen ohne Relevanz sind:

    Die vom Beklagten gewünschte Feststellung, dass vom Kläger "Abrechnungen verspätet vorgelegt worden seien", wurde ohnedies getroffen. Daraus ist aber - auch nach der Formulierung des Feststellungswunsches in der Berufung - nicht zu entnehmen ist, wann dies gewesen sei und ob überhaupt ein zeitlicher Zusammenhang zur Entlassung bestanden habe. Zudem steht unbestritten fest, dass der Arbeitgeber auf das Verhalten des Klägers mit der Verwarnung vom 27. 4. 1999 reagiert und damit zu erkennen gegeben hat, dass er das bis dahin gesetzte Verhalten des Klägers nicht als Entlassungsgrund wertete. Nach dieser Verwarnung hatte der Kläger aber keine Regiescheine mehr abzuliefern und er hat nach diesem Zeitpunkt - wie noch zu zeigen sein wird - auch sonst keinen Entlassungsgrund verwirklicht. Aus eben diesem Grund kommt auch der in der Berufung begehrten Feststellung keine Bedeutung zu, dass der Kläger sein Handy nur deswegen abgedreht habe, weil er gewusst habe dass der Arbeitgeber die Regiescheine benötige und ihn deshalb zu Rede stellen werde. Auch dieser Umstand wurde vom Arbeitgeber mit der Verwarnung geahndet und nicht zum Gegenstand einer Entlassung gemacht. Danach hat der Kläger keinen Entlassungsgrund verwirklicht. Die gewünschte (negative) Feststellung, es sei nicht mehr eruierbar, wie das Firmenfahrzeug zum Arbeitgeber zurückgelangt ist, ist ebenfalls bedeutungslos, weil sie sich auf einen Zeitpunkt nach der Entlassung bezieht und daher die schon vorher ausgesprochene Entlassung in keinem Fall rechtfertigen kann.

    Die vom Beklagten geforderte "Feststellung", der Kläger hätte nach der Behandlung im Spital das Fahrzeug zum Arbeitgeber zurückbringen müssen, ist in Wahrheit eine Frage der rechtlichen Beurteilung, sodass insofern von einer Nichterledigung der Tatsachenrüge keine Rede sein kann. Im Übrigen ist eine derartige Verpflichtung des Klägers zu verneinen. Unbestritten steht fest, dass sich der Kläger um 9 Uhr verletzte und deshalb mit 27. 4. 1999 krank geschrieben wurde. Der Beklagte hat auch gar nicht bestritten, dass der Kläger ab 9 Uhr arbeitsunfähig war. Damit war aber der Kläger, der grundsätzlich zur Heimfahrt mit dem Firmenfahrzeug berechtigt war, nicht verpflichtet, das Fahrzeug trotz seiner Arbeitsunfähigkeit noch in den Betrieb zu bringen. Dass er - im Zustand der Arbeitsunfähigkeit - vom Spital nicht in den Betrieb, sondern nach Hause gefahren ist, verwirklicht daher keinen Entlassungsgrund. Zur Untermauerung seines Feststellungswunsches, dass sich der Kläger erst um 10.56 Uhr im Spital eingefunden habe, berief sich der Beklagte in der Berufung ausschließlich auf die zeugenschaftliche Einvernahme eines informierten Vertreters des AKH Wien. Einen derartigen Beweisantrag hat er aber in erster Instanz nicht gestellt. Außerdem ist auch dieser Feststellungswunsch irrelevant, weil - wie eben ausgeführt - gar nicht strittig ist, dass der Kläger ab 9 Uhr arbeitsunfähig war. Damit könnte aber auch der Umstand, dass er nicht sofort, sondern mit geringfügiger Verspätung ins Spital fuhr, keinen Entlassungsgrund verwirklichen.

    Aus eben diesem Grund kommt es auch nicht darauf an, ob die vom Beklagten bekämpfte Feststellung zutrifft, dass der Kläger von seiner Absicht, ins Spital zu fahren, seinen Helfer informierte. Da der Kläger arbeitsunfähig war, kann ihm jedenfalls nicht vorgeworfen werden, die Arbeit unbefugt verlassen zu haben (§ 82 lit f GewO, 1. Tatbestand). Wenn überhaupt könnte dem Kläger - falls er tatsächlich niemandem davon verständigt hätte, dass er sich verletzt habe - eine Verletzung seiner Verpflichtung vorgeworfen werden, dem Arbeitgeber einen das Verlassen der Arbeitsstätte rechtfertigenden Grund mitzuteilen. Die Unterlassung der Krankmeldung rechtfertigt aber im Allgemeinen die Entlassung nicht, weil dadurch ein an sich nicht pflichtwidriges Dienstversäumnis nicht in ein pflichtwidriges verwandelt werden kann. Eine Entlassung ist in solchen Fällen nur unter besonderen Umständen gerechtfertigt, etwa dann, wenn dem Arbeitnehmer die Krankmeldung leicht möglich gewesen wäre und er wusste, dass infolge der Unterlassung der Meldung dem Arbeitgeber ein beträchtlicher Schaden erwachsen werde. In einem solchen Fall besitzt aber nicht die Verletzung der Verständigungspflicht, sondern die dadurch herbeigeführte Schadenszufügung die zentrale Bedeutung für die Entlassung (Kuderna, Entlassungsrecht2 106 f; Arb 6.089, 9.288, 10.097, 11.147; RdW 1995, 397; RdW 1996, 277; zuletzt 8 ObA 214/01f). Einen ihm im Zusammenhang mit der (vom Erstgericht allerdings ohnedies nicht festgestellten) Unterlassung der Meldung seiner Verletzung entstandenen Schaden hat der Arbeitgeber nicht einmal behauptet. Außerdem steht unbestritten fest, dass dem Arbeitgeber schon um ca 15 Uhr desselben Tages die Krankmeldung per Telefax übermittelt wurde.

    Einen für die Entscheidung wesentlichen Mangel des Berufungsverfahrens zeigt der Revisionswerber daher nicht auf. In seiner Rechtsrüge beschäftigt sich der Revisionswerber nur mehr mit der Frage der Rückstellung des Firmenfahrzeugs. Er führt dazu im Wesentlichen aus, dass das Berufungsgericht - wenn es den Tatbestand der Veruntreuung verneine - das Verhalten des Klägers auch im Hinblick auf "sonstige strafbare Handlungen", also insbesondere im Hinblick auf § 135 StGB (dauernde Sachentziehung), § 136 StGB (unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen), § 141 StGB, oder § 153 StGB (Untreue) hätte prüfen müssen.

    Für eine derartige Qualifizierung des Verhaltens des Klägers besteht jedoch keinerlei Grundlage. Nach den insoweit unbekämpften Feststellungen ist der Kläger, der grundsätzlich berechtigt war, das Fahrzeug für die Heimfahrt zu verwenden, nach der Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit nach Hause gefahren und hat am nächsten Tag dem Arbeitgeber per Telefax mitgeteilt, dass er aufgrund seiner Verletzung nicht in der Lage sei, das Fahrzeug selbst zurückzustellen, das aber jederzeit bei ihm abgeholt werden können. Dieses Verhalten verwirklicht keinen strafrechtlichen Tatbestand. Für die vom Revisionswerber geforderte "besondere Prüfung", ob der Arbeitnehmer auf Grund einer strafbaren Handlung vertrauensunwürdig geworden sei, besteht daher keine von vornherein keine Grundlage. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 50, 51 Abs 1 ZPO.

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