OGH 7Ob288/01f

OGH7Ob288/01f7.12.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertrude W*****, vertreten durch Mag. Bernhard Wagner, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Adolf W*****, vertreten durch den Sachwalter Dr. Peter Eigenthaler, Rechtsanwalt in Lilienfeld, wegen Unterhalt (Revisionsinteresse S 64.800), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Berufungsgericht vom 11. September 2001, GZ 37 R 288/01f-33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Lilienfeld vom 25. Juni 2001, GZ C 504/00 m-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Streitteile sind miteinander verheiratet. Die am 5. 1. 1944 geborene Klägerin ging zuletzt vor 30 Jahren einem Erwerb nach, wohnt derzeit bei einem Sohn in W***** und wird von diesem unentgeltlich versorgt. Sie bezieht keine öffentliche Hilfe zu ihrem Lebensunterhalt.

Der am 10. 6. 1940 geborene Beklagte leidet an einem hirnorganischen Psychosyndrom nach chronischem Alkoholismus, befindet sich seit 10. 2. 2001 im Landespensionistenheim T***** und wird voraussichtlich dort (auf Dauer) verbleiben, wo er gegen den verhältnismäßig geringen Kostenersatz von rund S 3.000 monatlich voll versorgt wird. Vom 1. bis 30. 6. 2000 bezog er ein Krankengeld von S 303,90 netto täglich; seit 1. 7. 2000 bezieht er monatlich eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer von der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, und zwar in folgender Höhe:

2000 2001

Pension S 11.973,10 S 12.068,90

Höherversicherung S 100,10 S 100,90

Kinderzuschuss S 300,-- S 400,--

Pflegegeld Stufe 2 S 3.688,-- S 3.688,--

abzüglich

Krankenversicherung S 464,-- S 471,40

Verpflegskostenersatz S 3.040,80 S 2.974,10

Ruhen S 168,60 S 168,60

Für eine Tochter, die bei der Klägerin lebt, hat der Beklagte monatlich S 2.000 an Unterhalt zu zahlen. Mit Beschluss des Erstgerichtes vom 3. 8. 2001, P 35/00p-26, wurde der Beklagtenvertreter zu seinem Sachwalter für alle Angelegenheiten des Betroffenen (§ 273 Abs 3 Z 3 ABGB) bestellt.

Mit der am 23. 5. 2000 eingebrachten Protokollarklage stellte die klagende Partei zunächst das Begehren, den Beklagten ab 1. 6. 2000 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 3.000 zu verpflichten; später wurde dieses Begehren auf S 7.000 ab 1. 3. 2001 ausgedehnt.

Der Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach, weil sein gesamtes Einkommen zur Gänze für die Kosten des Heimaufenthaltes benötigt werde.

Das Erstgericht erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin für Juni 2001 S 2.735, von Juli 2000 bis Februar 2001 monatlich S 3.000 sowie ab 1. 3. 2001 monatlich S 6.000 an Unterhalt zu bezahlen; das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Das Erstgericht beurteilte die eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Feststellungen rechtlich dahin, dass die Klägerin gemäß § 94 ABGB unterhaltsberechtigt sei; eine Erwerbstätigkeit sei ihr aufgrund ihres Alters und der familiären Situation nicht zumutbar. Der Unterhaltsanspruch der einkommenslosen Gattin betrage nach herrschender Rechtsprechung 33 % des durchschnittlichen Nettoeinkommens des Einkommen beziehenden Mannes, welcher Prozentsatz sich zufolge der Sorgepflicht für ein weiteres Kind auf 30 % reduziere. Für den im Heim voll versorgten Beklagten, der auch nur einen verhältnismäßig geringfügigen Kostenersatz nach dem ASVG zu leisten habe, müsse ein Taschengeld von monatlich S 2.900 genügen.

Das lediglich vom Beklagten wegen eines Mehrzuspruches von S 1.800 ab 1. 3. 2001 - alle übrigen Zusprüche sowie die Abweisung des Mehrbegehrens blieben unbekämpft - nur aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung angerufene Berufungsgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung und sprach weiters aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Nach Auffassung des Berufungsgerichtes liege kein Fall einer Anspannung vor, sondern sei der Unterhaltsanspruch der Klägerin schon unter Zugrundelegung des tatsächlichen Pensionseinkommens des Beklagten berechtigt. Auf Seiten eines Unterhaltsverpflichteten vorliegende erhöhte Aufwendungen, etwa durch Krankheitskosten, führten zu einer Verminderung der Unterhaltsbemessungsgrundlage, somit zu einem Abweichen von der Bemessung nach der Prozentsatzmethode. Der vorliegende Einzelfall weiche stark vom Regelbedarf ab, weil ein Großteil der Grundbedürfnisse des Beklagten (Unterkunft und Verpflegung) anderweitig, nämlich im Heim, abgedeckt würde. Durch die Formulierung "ihren Lebensverhältnissen angemessene Bedürfnisse" in § 94 Abs 1 ABGB sei klargestellt, dass die Bedarfslage jedes der Ehegatten bei Ausmittlung des Unterhaltsanspruchs entsprechend zu berücksichtigen sei. In Anbetracht der Lebensverhältnisse der Streitteile erscheine das vom Erstgericht festgelegte Taschengeld von S 2.900 für den Beklagten ausreichend. Das vom Erstgericht für den allein noch strittigen Zeitraum ab 1. 3. 2000 gefundene Ergebnis werde dabei auch aufgrund einer "einfachen Kontrollrechnung" bestätigt: Denke man sich die Heimunterbringung weg, so würde der sonstige Abzug für den Verpflegskostenbeitrag entfallen; das Pflegegeld habe für die Unterhaltsbemessung jedenfalls ohne Ansatz zu bleiben. Aufgrund der festgestellten Höhe der Alterspension sowie der Zuschüsse und Abzüge ergebe sich eine Nettopension von S 13.209,80, unter Berücksichtigung des 13. und 14. Monatsgehalts von S 15.411,43. Bei gleicher Berechnung, wie vom Erstgericht vorgenommen, ergebe sich der prozentmäßige Unterhalt der Klägerin mit S 4.623,43; ziehe man diesen sowie den Unterhalt für die Tochter in Höhe von S 2.000 vom Einkommen des Klägers ab, so verbleibe ein Betrag von S 8.788, der zur Abdeckung sämtlicher Bedürfnisse des Beklagten einschließlich Wohnen und Nahung ausreichen müsste. Setze man für diese Grundbedürfnisse einen Betrag von etwa S 6.000 an, so verbleibe noch ein Restbetrag von S 2.788, also etwa in der Größenordnung des belassenen Taschengeldes für darüber hinausgehende Bedürfnisse. Der vom Erstgericht als Taschengeld ermittelte (und vom Berufungsgericht bestätigte) Betrag entspreche daher durchaus den Lebensverhältnissen und -bedürfnissen des Beklagten. Umgekehrt erscheine der der Klägerin zufließende Unterhaltsbeitrag von S 6.000 ihren Lebensbedürfnissen durchaus angemessen. Gegen die vom Erstgericht vorgenommene Unterhaltsausmittlung bestünden daher keine Bedenken.

Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt, da zwar die Entscheidung "weitgehend die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt," jedoch die Frage, nach welchen Kriterien Unterhalt in einem von den Durchschnittsbedingungen deutlich abweichenden Fall, insbesondere bei einer Heimunterbringung des Unterhaltsberechtigten (richtig wohl: Unterhaltspflichtigen) zu bemessen ist, eine Rechtsfrage von grundlegender, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung zukomme, wozu bislang keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtrshofes vorliege.

Gegen dieses Urteil richtet sich die abermals auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das bekämpfte Urteil im Sinne einer Abweisung des Mehrbegehrens von S 1.800 ab 1. 3. 2001 abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der der Antrag gestellt wird, das Rechtsmittel des Gegners als unbegründet abzuweisen.

Die Revision ist nicht zulässig. An den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichtes ist der Oberste Gerichtshof nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, werden grundsätzlich nur bei durchschnittlichen Verhältnissen aus Praktikabilitäts- und Gleichbehandlungsgründen pauschalierte, nach Prozenten der Einkommensbemessungsgrundlage festgesetzte Unterhaltsbeträge - gleichermaßen im Ehegatten- wie im Kindschaftsrecht - zugesprochen (etwa 1 Ob 122/97s); eine gesetzliche Grundlage für die (starre) Anwendung eines bestimmten Berechnungssystems besteht - nach wie vor - nicht. Der Oberste Gerichtshof kann auch nicht Regeln der Unterhaltsbemessung derart in ein System verdichten, dass sich gleichsam eine Tabelle für jeden möglichen Anspruchsfall ergibt, sondern vielmehr in Fragen der Unterhaltsbemessung nur aussprechen, auf welche Umstände es im Wesentlichen ankommt (RIS-Justiz RS0047419). Insoweit stellen die von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Prozentsätze zur Ermittlung der Höhe des Unterhalts bloß eine Orientierungshilfe dar, um für Durchschnittsfälle eine generalisierende Regel zur Verfügung zu haben (8 Ob 503/94). Ein solcher liegt hier jedoch gerade nicht vor.

Der vorliegende Fall ist vielmehr - wie auch das Berufungsgericht in

seinem Zulassungsausspruch bereits ausdrücklich selbst erkannt und

formuliert hat - ein geradezu typischer Sonderfall, der sich in ein

generalisierendes, allgemein gültiges Bemessungsprinzip nicht

einbetten lässt. Er ist geprägt von der krankheitsbedingt begründeten

Unterbringung des Unterhaltspflichtigen in einem Heim (wo seine

Lebensbedürfnisse gegen einen nur geringfügigen Geldbeitrag umfassend

abgedeckt werden) einerseits sowie eine nur äußerst bescheidene

finanzielle Leistungsfähigkeit desselben andererseits, die auch noch

für eine unterhaltsberechtigte Tochter unterhaltsmäßig ausreichen

muss. Die (unstrittig) nach § 94 ABGB unterhaltsberechtigte Gattin

ist hingegen am Arbeitsmarkt nicht mehr einsetzbar und auf den

gesetzlichen Unterhaltsanspruch sohin weitestgehend angewiesen. In

Anbetracht dieser besonderen, typisch einzelfallbezogenen und somit

singulären Gegebenheiten ist die vom Berufungsgericht angestellte

Berechnungs- und Bemessungsmethode (samt wiedergegebener

Kontrollrechnung), die den Beklagten letztlich auf ein (bescheidenes,

jedoch wohl ausreichendes) Taschengeld von S 2.900 - welches er in seinem Rechtsmittel letztlich auf S 4.700 angehoben haben will - beschränken, nicht zu beanstanden. Aus § 94 ABGB folgt, dass stets eine die Deckung der Lebensbedürfnisse angemessen berücksichtigende, aber doch weitgehend gleichwertige Bemessung anzustreben ist. Davon würde man sich jedoch entfernen, wenn dem versorgten Beklagten monatlich S 4.700, seiner unversorgten Frau jedoch (so das Revisionsbegehren) bloß S 4.200 monatlich verblieben. Dies entspräche keineswegs dem in § 94 ABGB verankerten Wertungsspielraum.

Das Berufungsgericht hat den nach dem Vorgesagten gegebenen Beurteilungsspielraum beachtet und ein einzelfalltypisches Ergebnis gefunden, ohne dabei die nach § 502 Abs 1 ZPO erforderlichen Kriterien zu erfüllen, weshalb das Rechtsmittel des Beklagten als unzulässig zurückzuweisen war. Ein nach dieser Gesetzesstelle zu korrigierender Verstoß gegen die einleitend (wie betont für Durchschnittsverfahren) entwickelten Rechtsgrundsätze, an die sich auch der erkennende Senat grundsätzlich ebenfalls (und weiterhin) gebunden erachtet, liegt damit nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO. Da die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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