OGH 12Os63/01 (12Os64/01)

OGH12Os63/01 (12Os64/01)6.12.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Dezember 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. Adamovic, Dr. Holzweber und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Lehr als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Raoul K***** und Silvia P***** wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Silvia P***** sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 7. Februar 2001, GZ 8 Vr 2761/00-45, sowie über die Beschwerde der Angeklagten Silvia P***** gegen den Widerruf bedingter Strafnachsichten (§§ 494a Abs 4, 498 Abs 3 StPO) nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, der beiden Angeklagten und des Verteidigers des Erstangeklagten Mag. Dieter zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im Übrigen (Schuldspruch der Silvia P***** wegen des Vergehens nach § 27 Abs 1 SMG zu I/2/a, b und des Raoul K***** wegen desselben Vergehens zu II) unberührt bleibt, im Schuldspruch der Silvia P***** wegen der (tateinheitlich verwirklichten) Vergehen der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z 1 StGB (I/1) und nach § 27 Abs 1 und Abs 2 Z 1 SMG (I/2/c), ferner im Freispruch des Raoul K***** vom Vorwurf des Vergehens der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs 1 StGB und somit auch in den Strafaussprüchen hinsichtlich der beiden Angeklagten einschließlich der gemäß § 494a StPO gefassten Beschlüsse aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Angeklagte Silvia P***** wird mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde, Berufung und Beschwerde auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Raoul K***** des Vergehens nach § 27 Abs 1 SMG und Silvia P***** - in Abweichung von der wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB erhobenen Anklage - des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z 1 StGB (I/1) und der Vergehen nach § 27 Abs 1 SMG sowie nach § 27 Abs 1 und Abs 2 Z 1 SMG (I/2/a-c) schuldig erkannt.

Danach haben in Graz

I. Silvia P***** am 24. September 2000

1. den Tod des am 12. Juli 1984 geborenen (minderjährigen) Daniel S***** unter besonders gefährlichen Verhältnissen herbeigeführt, indem sie Substitol mit Retardwirkung in Kenntnis der eingeschränkten Verwendbarkeit und der Gefahr missbräuchlicher Verwendung entgegen der vorgesehenen und ihr bekannten Anwendung zur Entwöhnungsbehandlung auflöste, zum Einsatz als Suchtmittel oder Suchtmittelersatz in einer Spritze zubereitete, "wobei sie ausreichend Überlegungen zur Mengentoleranz und damit allenfalls tödlichen Wirkung trotz Kenntnis der Gefahrensituation außer Acht ließ" und in weiterer Folge dem Genannten über seinen Wunsch durch Injektion in die linke Armbeuge verabreichte;

2. den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift, und zwar

a) eine unbekannte Menge Marihuana besessen, die sie durch Verrauchen konsumierte (US 7);

b) eine unbekannte Menge einer morphinhältigen Substanz (Substitol) dem Raoul K***** überlassen;

c) eine unbekannte Menge einer morphinhältigen Substanz (Substitol) dem am 12. April 1984 geborenen minderjährigen Daniel S***** zum Gebrauch überlassen, wobei sie selbst volljährig und mehr als zwei Jahre älter als Daniel S***** war;

II. Raoul K***** am 23. und 24. September 2000 den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift erworben und besessen, indem er eine halbe Ecstasy-Tablette einnahm und eine unbekannte Menge Marihuana durch Verrauchen konsumierte, darüber hinaus am 24. September 2000 eine unbekannte Menge Marihuana der Silvia P***** überlassen. Zu den weiteren Anklagevorwürfen, es hätten

Raoul K***** am 24. September 2000 in Graz dadurch, dass er sich aus dem Raum entfernte und keinerlei Maßnahmen ergriff, um die von Silvia P***** gesetzte Tat zu verhindern, es mit dem Vorsatz unterlassen, dass vorsätzlich eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Handlung begangen werde, ihre unmittelbar bevorstehende Ausführung zu verhindern, und Silvia P***** am 23. September 2000 in Graz den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift besessen, indem sie eine unbekannte Menge Marihuana durch Verrauchen konsumierte, ergingen Freisprüche gemäß § 259 Z 3 StPO.

Die Angeklagte Silvia P***** bekämpft dieses Urteil im Schuldspruch zu Punkt I/1, die Staatsanwaltschaft im Freispruch des Angeklagten Raoul K***** vom Anklagevorwurf der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung und im Schuldspruch der Angeklagten Silvia P***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z 1 StGB (I/1) jeweils mit Nichtigkeitsbeschwerde, die von der Angeklagten P***** auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 10 und von der Anklagebehörde auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützt wird.

Rechtliche Beurteilung

Mit ihrer Mängelrüge (Z 5) macht die Staatsanwaltschaft zu Recht mangelhafte Begründung der Feststellung geltend, dass Silvia P***** durch das Setzen der Spritze und Injizieren des aufgelösten Substitol Daniel S***** nicht am Körper verletzen, sondern vielmehr erreichten wollte, dass es ihm besser gehe, weil er durch den Ecstasy-Konsum zittrig, nervös, schweißig bzw schwitzend war (US 10). Mit dieser Konstatierung wollte das Erstgericht ersichtlich ausdrücken, dass es der Angeklagten P***** sowohl an einem auf Zufügung einer Körperverletzung im engeren Sinn (§ 83 Abs 1 erster Fall StGB) als auch an einem auf Herbeiführung einer Gesundheitsschädigung (§ 83 Abs 1 zweiter Fall StGB) gerichteten Vorsatz mangelte.

Für diese Annahme hat das Erstgericht keine Gründe angegeben, obwohl die Ergebnisse des Beweisverfahrens und die Konstatierungen zur objektiven Tatseite dies unbedingt erfordert hätten. Denn nach dem dem Urteil zugrunde liegenden Tatsachensubstrat hat die Angeklagte P***** dem Daniel S***** sowohl eine Körperverletzung als auch eine Gesundheitsschädigung zugefügt und damit das Tatbild des § 83 Abs 1 StGB auf zweifache Weise erfüllt. Demnach hätte es aber (sogar) einer besonderen Begründung bedurft, warum ihr Handeln nicht von einem darauf gerichteten Vorsatz getragen war.

Durch das - evidentermaßen von entsprechendem Vorsatz geleitete - Versetzen eines Stiches mit einer Injektionsspritze in die linke Armbeuge des Daniel S***** (US 10) hat Silvia P***** die Vene des Genannten geöffnet und - wenn auch nur vorübergehend - eine Injektionsnadel eingeführt. Dabei hat sie dem Minderjährigen eine Wunde an einem nicht unbedeutenden Blutgefäß zugefügt, die nicht als ganz unerheblicher Eingriff in die körperliche Integrität beurteilt werden kann, so dass ihr der Charakter einer Körperverletzung im Sinn des § 83 StGB zukommt (vgl auch Kienapfel BT I4 § 83 Rz 25). Während dieser Eingriff am unterem Rand der Erheblichkeitsschwelle des § 83 Abs 1 StGB lag, stellte sich die durch das (erneut zwingend vorsatzgeleitete) Einführen des Suchtgiftes in die Vene bewirkte Gesundheitsschädigung als massive körperliche Funktionsstörung dar. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen hat die Angeklagte P***** nämlich dem Daniel S***** eine an sich bereits komatös wirkende und tödliche Suchtgiftmenge verabreicht, die schließlich zu dessen Tod führte (US 11, 12 und 14). Der dadurch herbeigeführten Vergiftung kam nach Art und Umfang jedenfalls ein dem Rechtsbegriff der Gesundheitsschädigung entsprechender Krankheitswert im medizinischen Sinn zu (vgl Kienapfel BT I4 § 83 Rz 15f, Burgstaller in WK1 § 83 Rz 11).

Lediglich vollständigkeitshalber festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass von einer (im Einverständnis mit S*****) vorgenommene Heilbehandlung keine Rede sein kann. Heileingriffe verwirklichen nach herrschender Lehre kein tatbestandsmäßiges Unrecht im Sinne der Körperverletzungsdelikte und schließen daher den Tatbestand der Körperverletzung aus. Vorausgesetzt wird freilich, dass die Heilbehandlung durch einen Arzt oder eine ihm gleichgestellte Medizinalperson (§ 88 Abs 2 Z 3 StGB) vorgenommen wird, dass sie medizinisch indiziert ist und de lege artis, das heißt sachgerecht und sorgfaltsgemäß durchgeführt wird, wobei diese Bedingungen kumulativ vorliegen müssen (Kienapfel BT I4 § 83 Rz 25 ff, Burgstaller in WK1 § 83 Rz 29 ff, Leukauf/Steininger Komm3 § 83 RN 21).

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes mangelte es der Angeklagten P***** schon an der erwähnten beruflichen Voraussetzung; vielmehr stand sie selbst als drogenabhängige Patientin in ärztlicher Substitutionsbehandlung (US 6, 8). Die Frage der Behandlungsbedürftigkeit des Daniel S***** mag dahingestellt bleiben, weil der Eingriff an dem Minderjährigen keinesfalls sachgerecht und sorgfaltsmäßig war. Den erstgerichtlichen Konstatierungen zufolge waren die der Zweitangeklagten im Rahmen der Substitutionsbehandlung ausgefolgten Substitolkapseln durch Verschlucken einzunehmen. Die Angeklagte P***** kochte jedoch den Kapselinhalt mit Wasser auf und verabreichte dem Opfer davon eine Injektion, die eine an sich bereits komatös wirkende und tödliche Morphinmenge enthielt (US 9 ff, 14). Da die Feststellungen hinsichtlich der Angeklagten P***** auch die Grundlage für die Beurteilung des Verhaltens des Angeklagten K***** vom Vorwurf der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung darstellen, wirkt sich der aufgezeigte Begründungsmangel auch auf den angefochtenen Freispruch aus. Demnach ist auch die auf die Z 9 lit a (der Sache nach Z 5) des § 281 Abs 1 StPO gestützte, eine mangelhafte Begründung der Tatsachengrundlagen des Freispruchs relevierende Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft im Recht, hat doch das Erstgericht jegliche Prüfung eines im Sinn des Anklagevorwurfs strafbaren Verhaltens schon aus der fallbezogen obsoleten Sicht unterlassen, dass "Fahrlässigkeitstaten nicht nach § 286 StGB verhindert werden müssen" (US 17).

Der von der Staatsanwaltschaft aufgezeigte Begründungsmangel erforderte somit die Aufhebung des Urteils im Schuldspruch der Angeklagten P***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 84 Z 1 StGB und des damit in Tateinheit verwirklichten Vergehens nach § 27 Abs 1 und Abs 2 Z 1 SMG (Punkt I/1 und 2/c) sowie im Freispruch des Angeklagten K***** vom Anklagevorwurf des Vergehens der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung und somit auch in den Strafaussprüchen (einschließlich der Widerrufsbeschlüsse), wobei gemäß § 288 Abs 2 Z 1 StPO zu verfahren war.

Somit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen der Angeklagebehörde hinsichtlich der Angeklagten Silvia P***** und auf deren Nichtigkeitsbeschwerde.

Im erneuerten Verfahren wird sodann auf das Vorliegen eines auf Körperverletzung und Gesundheitsschädigung gerichteten Vorsatzes der Zweitangeklagten einzugehen sein. Bei der Prüfung der Erfüllung des Grundtatbestandes der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB wird zu beachten sein, dass eine allfällige Einwilligung des Verletzten in eine Verletzung am Körper oder in eine Schädigung an der Gesundheit (§ 90 Abs 1 StGB) aus Anlass oder in Gefolge von Suchtgiftkonsum - abgesehen von der Frage ihrer Rechtswirksamkeit - jedenfalls schon deshalb gegen die guten Sitten verstößt, weil Suchtmittel am menschlichen Körper bloß im Rahmen einer ärztlichen Behandlung unmittelbar zur Anwendung gebracht werden dürfen (§ 8 SMG). Dass bei einer Bejahung des Grundtatbestandes der Körperverletzung auf sämtliche Komponenten der Zurechnung der Todesfolge einzugehen war, versteht sich von selbst.

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