OGH 9Ob238/01t

OGH9Ob238/01t24.10.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sophie M*****, Landwirtin, *****, vertreten durch Dr. Franz Grauf und Dr. Bojan Vigele, Rechtsanwälte in Völkermarkt, gegen die beklagte Partei P*****GmbH, *****, vertreten durch die Stenitzer & Stenitzer Rechtsanwälte OEG in Leibnitz, und der auf deren Seite beigetretenen Nebenintervenientin V***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Maria Th. Pflügl, Rechtsanwältin in Wien, wegen S 668.857,- sA und Feststellung (S 50.000,‑; Gesamtstreitwert daher S 718.597,‑) (Revisionsinteresse S 702.857,‑); über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 1. März 2001, GZ 4 R 14/01p‑70, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2001:0090OB00238.01T.1024.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

 

Rechtliche Beurteilung

Zwar ist richtig, dass die Feststellungen, wonach die Klägerin durch die Explosion einer von der Beklagten in Verkehr gebrachten Mineralwasserflasche verletzt wurde, vom Berufungsgericht in seiner Entscheidung im Rahmen der als unbekämpft bezeichneten Feststellungen wiedergegeben wurde. Dessenungeachtet ergibt sich aus den weiteren Ausführungen des Berufungsgerichtes, dass es die Feststellungen zum Unfallshergang geprüft und übernommen hat (S 23 1. Absatz des Berufungsurteils).

Die behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens liegen nicht vor. Selbst wenn sich das Berufungsgericht nicht mit jedem einzelnen Argument einer Tatsachenrüge auseinandersetzt, macht dies das Berufungsverfahren nicht mangelhaft. Dies ist nur dann der Fall, wenn sich das Berufungsgericht mit der Tatsachenrüge nicht oder nur so mangelhaft auseinandergesetzt hat, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten sind (stRspr.; Kodek in Rechberger, ZPOý Rz 3 zu § 503 mwN). Davon kann aber hier nicht die Rede sein.

Von der zweiten Instanz verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz können im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (Kodek, aaO. Rz 3 zu § 503 mwN).

Das Produkthaftungsgesetz (PHG) normiert die verschuldensunabhängige Haftung eines Unternehmers, der ein fehlerhaftes Produkt in Verkehr bringt. Die Ersatzpflicht setzt somit ein fehlerhaftes Produkt voraus. Das schutzauslösende Moment ist das sowohl den Körper- als auch den Sachschaden umfassende Integritätsinteresse jeder durch das Produkt geschädigten Person. Ausschlaggebend sind die berechtigten Sicherheitserwartungen an ein Produkt, ein objektiver Maßstab, dessen Konkretisierung im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände vorzunehmen ist. Was im Einzelfall an Produktsicherheit erwartet werden darf, ist eine Rechtsfrage (SZ 70/61 und die dort zitierten weiteren Nachweise aus Lehre und Rechtsprechung). Dass eine in der Hand des Konsumenten explodierende Mineralwasserflasche die berechtigten Sicherheitserwartungen nicht erfüllt und daher fehlerhaft iS des PHG ist, trifft zu und wird auch in der Revision nicht in Frage gestellt (SZ 70/61).

Dass - wie die Beklagte behauptet - ihr Produkt den Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht hatte, als sie es in den Verkehr gebracht hat, hätte sie gemäß § 7 Abs 2 PHG "als unter Berücksichtigung der Umstände wahrscheinlich" dartun müssen. Die Meinung des Berufungsgerichts, dies sei ihr nicht gelungen, ist schon deshalb nicht unvertretbar, weil ihr der Nachweis der ‑ technisch möglichen - Kontrolle der Flaschen mittels polarisiertem Licht nicht gelungen ist. An die insofern von den Vorinstanzen getroffene (negative) Feststellung ist der Oberste Gerichtshof gebunden. Ihr kommt besondere Bedeutung zu, weil die Art der Verletzung der Klägerin ein Hinweis darauf, ist, dass vor der Explosion der Flasche schon eine Beschädigung bzw. eine "eingefrorene Spannung" vorhanden war (S 15f des Ersturteils). Gerade solche "eingefrorene Spannungen" können aber durch die Kontrolle mittels polarisiertem Licht erkannt werden.

Nach § 8 Z 2 PHG entfällt die Haftung des Unternehmers, wenn die Eigenschaften des Produkts nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem es der in Anspruch Genommene in den Verkehr gebracht hat, nicht als Fehler erkannt werden konnten. Dabei handelt es sich um einen Haftungsausschluss für typische Entwicklungsrisiken, deren wesentliches Merkmal es ist, dass die Gefährlichkeit einer bestimmten Produkteigenschaft beim Inverkehrbringen nicht erkennbar war. Ob es dem Unternehmer möglich war, einen Fehler, der kein Entwicklungsrisiko darstellt, zu vermeiden und/oder rechtzeitig zu entdecken, ist für die ‑ verschuldens- unabhängige (§ 8 PHG) - Haftung hingegen ohne Bedeutung (SZ 70/61 mwN).

Der auf § 8 Z 2 PHG gestützte Einwand der Beklagten, sie habe nach dem Stand der Technik (zu dem die Prüfung mit polarisiertem Licht nicht gehöre) den Fehler nicht erkennen können, verkennt daher die Rechtslage. Ob sie in der Lage war, einen (kein Entwicklungsrisiko darstellenden) Fehler zu vermeiden oder zu erkennen, ist für ihre (verschuldensunabhängige) Haftung nicht relevant. Ein Entwicklungsrisiko hat aber hinsichtlich ihrer in Verkehr gesetzten Flaschen nicht bestanden. Ein solches wurde nicht einmal geltend gemacht. Dass es nach dem Stand der Wissenschaft noch nicht bekannt gewesen wäre, dass aufgrund von unentdeckt gebliebenen Fehlern (u.a. "eingefrorene" Spannungen) in den Flaschen ‑ durch wechselnde Temperaturen - ein Überdruck entstehen kann, der zu einer spontanen Explosion führt, hat die Beklagte weder behauptet noch bewiesen. Vielmehr geht sie selbst von einer weitreichenderen Erkennbarkeit von Fehlern aus, da sie sich ‑ jedoch ohne Erfolg - darauf beruft, die Überprüfung mit polarisiertem Licht, welche solche Fehler auch nach ihrer Darstellung erkennbar macht, in ihrem Betrieb durchzuführen.

Auf die von den Vorinstanzen zur Begründung der Haftung der Beklagten zusätzlich angestellten Überlegungen, dass die Beklagte in ihrer Produktion einen zu niedrigen Vorspanndruck angewendet habe, braucht daher ebensowenig eingegangen zu werden, wie auf die von der Revisionswerberin als wesentlich bezeichnete Rechtsfrage der Anwendbarkeit der Versandbehälterverordnung.

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