Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen sind schuldig, den Beklagten die mit 17.824,77 S bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 2.970,79 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 9. 12. 1993 kam es in S***** zu einem Unfall, bei dem der damals 12-jährige Franz F***** schwer verletzt wurde. Franz F***** stolperte auf dem Heimweg von der Schule über eine Baumwurzel, die den Asphalt um zirka 10 cm gehoben hatte, und stürzte. Dabei drang ein spitzer Gegenstand in sein rechtes Auge.
Die Zweitklägerin ist Halterin dieses Wegs; sie ist bei der Erstklägerin haftpflichtversichert.
Der Weg wird auf der rechten Seite - in Gehrichtung Franz F*****s gesehen - von einem Zaun und einer Hecke begrenzt, wobei die Äste der Hecke einige Zentimeter durch den Zaun ragen. Zaun und Hecke befinden sich auf einer Liegenschaft, die im Alleineigentum der Zweitbeklagten steht. Die Zweitbeklagte bewohnt das auf der Liegenschaft befindliche Haus gemeinsam mit ihrem Ehegatten, dem Erstbeklagten. Der Baum, über dessen Wurzel Franz F***** stolperte, steht auf dem Grundstück der Beklagten.
Am 11. 9. 1996 klagte Franz F***** zu 6 Cg 326/96m des Landesgerichts Salzburg die Marktgemeinde S*****, die nunmehrige Zweitklägerin, auf Feststellung, dass sie ihm "für alle Schäden und Zukunftsfolgen" aus dem Unfall vom 9. 12. 1993 hafte; am 6. 11. 1997 dehnte er das Klagebegehren um 100.000 S an Schmerzengeld und 30.000 S an Verunstaltungsentschädigung aus. Die Zweitklägerin beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sie verkündete den nunmehrigen Beklagten den Streit und forderte sie auf, auf ihrer Seite dem Verfahren beizutreten, weil sie sich für den Fall, dass ihre Haftung festgestellt werden sollte, an den Eigentümern des Zauns regressieren müsse.
Am 12. 11. 1996 traten die Beklagten dem Verfahren auf Seiten der Zweitklägerin als Nebenintervenienten bei und nahmen am Verfahren durch ihren Rechtsvertreter teil.
Mit Urteil vom 30. 6. 1998, 6 Cg 326/96m-38, stellte das Landesgericht Salzburg fest, dass die Zweitklägerin Franz F***** für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 9. 12. 1993 im Umfang von 2/3 hafte und Ersatz zu leisten habe. Das Leistungsbegehren wies es wegen Verjährung ab. Das Gericht stellte (ua) fest, dass der Kläger gegen den schadhaften Maschendrahtzaun gefallen sei und sich ein Stück des Zauns in das Auge gestoßen habe. Das Landesgericht Salzburg bejahte die Haftung der Zweitklägerin, weil sie als Halterin des Wegs die in den Weg hineinragende Wurzel nicht beseitigt hatte. Ihr Verhalten sei als grob fahrlässig zu beurteilen.
Das Oberlandesgericht Linz gab weder der von Franz F***** wegen der Abweisung des Leistungsbegehrens noch der von der Zweitklägerin gegen den stattgebenden Teil des angefochtenen Urteils erhobenen Berufung in der Hauptsache Folge. Zur Berufung der Zweitklägerin führte es aus, dass der Weg mangelhaft gewesen sei, weil der Asphaltbelag erhöht und der Maschendrahtzaun desolat gewesen sei.
Der Oberste Gerichtshof wies die von Franz F***** gegen die Bestätigung der Abweisung seines Leistungsbegehrens erhobene außerordentliche Revision mit Beschluss vom 28. 4. 1999, 7 Ob 94/99w, zurück.
In der Folge ersetzte die Erstklägerin als Haftpflichtversicherin der Zweitklägerin 127.564 S an Kosten des Verfahrens vor dem Landesgericht Salzburg. Am 4. 12. 1996 klagte die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter als Sozialversichererin Franz F*****s die Zweitklägerin auf Zahlung von 69.188 S sA und auf Feststellung, dass die Zweitklägerin für alle unfallskausalen künftigen Heilbehandlungskosten Franz F*****s hafte. In diesem Verfahren einigten sich die Streitteile auf eine Zahlung der Erstklägerin von 59.341 S an die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter.
Im vorliegenden Verfahren begehren die Klägerinnen 93.452,50 S und die Feststellung, dass die Beklagten der Erstklägerin zur ungeteilten Hand für 50 % aller Zahlungen und Aufwendungen haften, die die Erstklägerin deshalb zu erbringen hat, weil die Zweitklägerin dem mj Franz F***** jun für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 9. 12. 1993, der sich auf dem Weg zwischen der Firma M***** und dem sogenannten S*****haus in S***** ereignete, im Umfang von 2/3 haftet und Ersatz zu leisten hat, und die Erstklägerin auf Grund des zwischen ihr und der Zweitklägerin abgeschlossenen Versicherungsvertrags verpflichtet ist, der Zweitklägerin bis zur Höhe des Betrags von 15,000.000 S Versicherungsdeckung für diesen Schadensfall zu gewähren, sowie die Feststellung, dass die Beklagten der Zweitklägerin zur ungeteilten Hand im Ausmaß von 50 % für sämtliche Zahlungen und Aufwendungen haften, die die Zweitklägerin deshalb zu erbringen hat, weil sie dem mj Franz F***** jun für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 9. 12. 1993, der sich auf dem Weg zwischen der Firma M***** und dem sogenannten S*****haus in S***** ereignete, im Umfang von 2/3 haftet und Ersatz zu leisten hat; dies insoweit, als die Ansprüche der Zweitklägerin gegenüber den Beklagten nicht gemäß § 67 VersVG auf die Erstklägerin übergegangen sind. Das Verschulden der Beklagten sei gleich hoch zu bewerten wie das der Zweitklägerin; hätten die Beklagten den Zaun regelmäßig gewartet, so hätte sich Franz F***** nicht verletzt. Die Beklagten hafteten auch deshalb, weil der Baum auf ihrer Liegenschaft stehe. Die Beklagten seien an die Feststellungen des Landesgerichts Salzburg im Verfahren 6 Cg 326/96m gebunden.
Die Beklagten beantragen, das Klagebegehren abzuweisen. Die Feststellungen über den Zustand des Zauns seien nicht bindend, weil dazu im vorangegangenen Verfahren keine Beweise aufgenommen worden seien. Der Zustand des Zauns habe für die Frage der Wegehalterhaftung keine wesentliche Rolle gespielt. Das rechtliche Gehör der Beklagten sei nicht ausreichend gewahrt gewesen, weil erst das Berufungsgericht die Haftung der Zweitklägerin auch mit dem Zustand des Zauns begründet habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, dass die Beklagten schadhafte Stellen des seit mehr als 40 Jahren bestehenden Zauns ausgebessert hätten. Im Unfallstellenbereich sei kein Stacheldraht gespannt gewesen. Dass der Zaun in diesem Bereich schadhaft oder gar desolat gewesen sei, stehe nicht fest. Ebensowenig stehe fest, in welchem Bereich Franz F***** gegen den Zaun gestoßen sei und ob er sich das Auge durch ein Stück Draht oder durch einen herausragenden abgeschnittenen Ast verletzt habe. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass der Erstbeklagte als Besitzer des Zauns zwar passiv legitimiert sei, dass aber die Haftung beider Beklagten zu verneinen sei, weil ungeklärt geblieben sei, ob Franz F***** ein Stück Draht oder ein Ast in das Auge gedrungen sei. Eine Bindung an den im vorangegangenen Verfahren festgestellten Sachverhalt bestehe nicht. Gegenstand jenes Verfahrens sei die Wegehalterhaftung der Zweitklägerin gewesen. Dafür sei der Zustand des Wegs wesentlich gewesen; worin die unmittelbare Verletzungsursache bestanden habe, sei ohne Bedeutung gewesen. Es sei zwar richtig, dass das Berufungsgericht mehrfach auf den schlechten Zustand des Zauns hingewiesen habe. Den Beklagten sei aber insoweit kein unbeschränktes rechtliches Gehör gewährt worden, weil die Entscheidung im Tatsachenbereich nicht mehr anfechtbar gewesen sei.
Das Berufungsgericht hob zunächst das Urteil als nichtig auf, verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 260.000 S übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Das Urteil sei nichtig, weil das Erstgericht die Bindung an die im vorangegangenen Verfahren getroffenen Feststellungen missachtet habe.
Der Oberste Gerichtshof trug dem Berufungsgericht auf, das Verfahren durch Erledigung der Beweisrüge der Klägerinnen zu ergänzen. Die bekämpften Feststellungen über die Unfallsursache seien für die Entscheidung erheblich, weil die im Vorprozess getroffenen Feststellungen über die Beschaffenheit des Zauns nicht bindend seien. Sie seien keine "notwendigen" Elemente der Entscheidung, weil die Zweitklägerin als Halterin des Wegs schon mit dem Belassen der Baumwurzel grob fahrlässig gehandelt habe und daher schon aus diesem Grund - unabhängig von der Beschaffenheit des Zauns - hafte.
Im zweiten Rechtsgang bestätigte das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichts und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 260.000 S übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Die bekämpften Feststellungen seien unbedenklich. Aufgrund dieser Feststellungen sei eine Haftung der Beklagten wegen des Zustands des Zauns zu verneinen. Ihre Haftung könne auch nicht darauf gestützt werden, dass die - den Sturz Franz Frauenschuhs auslösende - Wurzel von einem Baum stammte, der auf der Liegenschaft der Beklagten steht. Aus § 422 ABGB könne jedenfalls keine Beseitigungspflicht abgeleitet werden. Die Beklagten hätten auch keine Verkehrssicherungspflicht verletzt.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision der Klägerinnen ist unzulässig, weil die von ihnen aufgeworfenen Fragen keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO bilden.
Die Klägerinnen machen geltend, dass die Beklagten gemäß § 421 ABGB als Eigentümer der Wurzel nach den Grundsätzen der Verkehrssicherungspflicht für alle Schäden hafteten, die durch die Wurzel entstehen. Ihre Haftung gründe sich auch auf § 1311 ABGB iVm §§ 82, 83 und 91 StVO, die Schutzbestimmungen zugunsten des allgemeinen Verkehrs enthielten.
1. Zur Haftung des Baumeigentümers nach § 421 ABGB
Nach § 421 ABGB wird das Eigentum an einem Baum nicht nach den Wurzeln, sondern nach dem Stamm bestimmt. Eigentümer eines Baums ist daher derjenige, auf dessen Liegenschaft der Stamm steht.
Daraus kann entgegen der Auffassung der Klägerinnen noch nicht abgeleitet werden, dass der Eigentümer des Baums auch für alle Schäden hafte, die durch eine auf einem Nachbargrund aus dem Boden ragende Wurzel verursacht werden. Die insoweit bestehenden Rechte und Pflichten des Baumeigentümers und des Nachbarn regelt § 422 ABGB. Danach kann jeder Grundeigentümer die Wurzeln eines fremden Baumes aus seinem Boden reißen, und die über seinem Luftraum hängenden Äste abschneiden oder sonst benützen.
Diese Bestimmung regelt nach herrschender Auffassung die Rechte des Nachbarn abschließend, so dass ihm außer dem hier vorgesehenen Selbsthilferecht kein auf das Eigentum gestützter Beseitigungsanspruch zusteht (Schwimann/Klicka, ABGB**2 § 422 Rz 1; s auch Spielbüchler in Rummel, ABGB**2 § 422 Rz 2, jeweils mwN). Daraus folgt, dass der Baumeigentümer mit dem Belassen von über die Grundgrenze gewachsenen Wurzeln oder überhängenden Ästen nicht gegen die §§ 421, 422 ABGB verstößt und damit insoweit auch nicht rechtswidrig handelt. Er kann daher nach diesen Bestimmungen auch nicht für einen dem Nachbarn daraus entstehenden Schaden haften (1 Ob 15/85 = SZ 58/121; 7 Ob 267/99m = NZ 2001, 139).
Das Belassen von über die Grundgrenze gewachsenen Wurzeln kann auch dann nicht zum Schadenersatz verpflichten, wenn es nach den Grundsätzen der Verkehrssicherungspflicht beurteilt wird. Verkehrssicherungspflichten bestehen dann, wenn jemand eine Gefahrenquelle schafft oder in seiner Sphäre bestehen lässt. Sie treffen denjenigen, der die Gefahr beherrscht, indem er sie erkennen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreifen kann (Koziol, Haftpflichtrecht**2 II 61 f mwN; s auch 5 Ob 521/91 = SZ 64/76). Wer demnach eine Gefahrenquelle schafft oder bestehen lässt, muss die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden (Reischauer in Rummel, ABGB**2 § 1294 Rz 4; Schwimann/Harrer, ABGB**2 § 1295 Rz 42 ff, jeweils mwN).
Die Beklagten haben mit dem Belassen der über die Grundgrenze gewachsenen Wurzeln ihres Baumes weder eine Gefahrenquelle geschaffen noch sie in ihrer Sphäre bestehen lassen: Die Wurzeln sind ohne ihr Zutun in die angrenzende Straße hineingewachsen; die Straße fällt nicht in die Sphäre der Beklagten, weil sie weder Straßenhalter noch sonst berechtigt sind, den Straßenbelag aufzugraben, um die Wurzeln entfernen zu können. Die Beklagten haben demnach die Gefahr, die sich durch das Wachsen der Wurzeln über die Grundgrenze verwirklicht hat, nicht beherrscht, so dass sie insoweit auch keine Verkehrssicherungspflichten trafen. Es wäre allein Sache der Zweitklägerin als Straßenhalterin gewesen, die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen.
2. Zur Haftung nach § 1311 ABGB iVm §§ 82, 83, 91 StVO
Nach § 1311 ABGB ist zum Schadenersatz verpflichtet, wer (ua) ein Gesetz übertreten hat, das den zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht. Schutzgesetze in diesem Sinn sind zwar die meisten Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung (Reischauer aaO § 1311 Rz 4 mwN); Voraussetzung einer Haftung ist aber immer, dass eine Norm übertreten wird und dadurch ein Schaden eintritt, den die übertretene Norm verhindern wollte.
Im vorliegenden Fall fehlt es schon an der ersten Voraussetzung: Die Beklagten haben weder gegen § 82 StVO noch gegen § 83 StVO noch gegen § 91 StVO verstoßen. § 82 StVO regelt die Bewilligungspflicht der Benützung von Straßen zu verkehrsfremden Zwecken, § 83 StVO legt fest, in welchen Fällen eine Bewilligung ausgeschlossen ist, weil die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs beeinträchtigt wird, § 91 StVO verpflichtet die Behörde, Grundeigentümer aufzufordern, entsprechende Maßnahmen zu treffen, wenn die Verkehrssicherheit durch Sträucher, Hecken udgl beeinträchtigt wird.
Die zitierten Bestimmungen können daher - wie in der Entscheidung 2 Ob 43/91 = ZVR 1992/53 ausgesprochen - keine Haftung aufgrund einer Schutzgesetzverletzung begründen, wenn Liegenschaftseigentümer es zulassen, dass die Verkehrssicherheit durch Baumwuchs beeinträchtigt wird. Dass diese Bestimmungen - wie ebenfalls in der oben erwähnten Entscheidung ausgesprochen - als Maßstab für die anzuwendende Sorgfalt herangezogen werden können, wenn es darum geht, die Verkehrssicherungspflichten des Liegenschaftseigentümers zu beurteilen, ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, weil - wie oben ausgeführt - eine Verkehrssicherungspflicht der Beklagten schon mangels Beherrschung der Gefahr zu verneinen ist.
Die angefochtene Entscheidung steht demnach im Einklang mit der Rechtsprechung, so dass die Revision zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Revisionsbeantwortung der Beklagten war zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig, weil die Beklagten auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Klägerinnen hingewiesen haben.
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