OGH 15Os127/01

OGH15Os127/0120.9.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. September 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Emsenhuber als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Wilhelm M***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 3. Mai 2001, GZ 15 Vr 219/01-29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentliche Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen der an Anna O***** verübten Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall StGB (II. 1. des Urteilssatzes) und demgemäß auch im Strafausspruch (ausgenommen im Ausspruch über die Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft werden mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die durch den erfolglos gebliebenen Teil seiner Nichtigkeitsbeschwerde verursachten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wilhelm M***** (richtig) der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 zweiter Fall StGB (I.) sowie der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall StGB (II. 1. bis 3.) schuldig erkannt.

Danach hat er zwischen Anfang August und Anfang September 2000 in D***** (Gemeinde R*****

I. mit einer unmündigen Person, nämlich mit der am 22. Dezember 1989 geborenen Anna O*****, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er wiederholt einen Finger in ihre Scheide einführte;

II. außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an unmündigen Personen vorgenommen, und zwar

1. an der am 22. Dezember 1989 geborenen Anna O*****, indem er wiederholt ihre nackten Brüste, teils auch über der Kleidung betastete,

2. an der am 3. Februar 1990 geborenen Christina W*****, indem er wiederholt ihre Brüste über der Kleidung betastete,

3. an der am 6. November 1989 geborenen Anna Maria P*****, indem er ihre Brüste über der Kleidung betastete.

Inhaltlich der dagegen aus Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft der Angeklagte - ungeachtet der unpräzise formulierten Punkte 1. und 2. der Rechtsmittelanträge (vgl S 179) - ausschließlich den Schuldspruch laut I. und II. 1. des Urteilssatzes betreffend die unmündige Anna O*****.

Ihr kommt teilweise Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Nach den für das Nichtigkeitsverfahren entscheidenden Urteilsfeststellungen verrichtete der Angeklagte zwischen August und September 2000 fallweise verschiedene Tätigkeiten auf dem "Kinderbauernhof" in D*****, wohin auch die unmündigen Schülerinnen Anna O*****, Christina W***** und Anna P***** fast täglich kamen. In diesem Zeitraum näherte sich Wilhelm M***** den Mädchen sexuell dadurch, dass er mehrmals (öfter als zehn Mal) teilweise - soferne sie alleine anwesend war - die nackten Brüste der Anna O***** betastete, indem er ihr mit der Hand unter das T-Shirt fuhr. In Anwesenheit der beiden anderen Mädchen betastete er auch mehrmals die Brüste der Anna O***** über der Kleidung. In zumindest zehn Fällen, wenn der Angeklagte mit Anna O***** auf dem Bauernhof alleine war, griff er dieser unter deren Hose und Unterhose, betastete ihre Scheide und führte den Mittelfinger seiner rechten Hand zumindest teilweise in ihre Scheide ein und rieb diesen in der Scheide einige Male auf und ab (US 4).

Rechtlich beurteilte das Tatgericht das zu I. angeführte mehrmalige Einführen des Mittelfingers in die Scheide der Unmündigen sowie das (anschließende) Reiben des Fingers in der Scheide durch mehrmaliges Auf- und Abbewegen als vaginale Penetration, somit als eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung (US 5). Durch die weiteren Tathandlungen (II. 1. bis 3.) des Betastens der teilweise nackten Brüste der unmündigen Anna O***** sowie der Brüste der drei unmündigen Anna O*****, Christina W***** und Anna P***** jeweils über der Kleidung führte er eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person außer dem Fall des § 206 StGB aus und verwirklichte dadurch das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (US 6).

Im Ergebnis zutreffend wendet der Beschwerdeführer in der Mängelrüge (Z 5) ein, das Urteil sei insofern undeutlich, als es nicht klar feststelle, ob das Betasten der (nackten) Brüste der Anna O***** und die im Schuldspruch I. umschriebenen Tathandlungen in einem zeitlichen Zusammenhang ausgeführt wurden oder nicht. Nur wenn ausreichend geklärt wäre, dass der zeitliche Zusammenhang dieser Handlungen nicht gegeben gewesen wäre, hätten sie unter verschiedene Tatbestände subsumiert werden dürfen. Daran anschließend wird in der Qualifikationsrüge (Z 10) dazu ausgeführt, aus der Zahl der sexuellen Angriffe (öfter als zehn Mal und in zumindest zehn Fällen) sowie aus dem Umstand, dass Anna O***** jeweils alleine anwesend war, ergebe sich, dass bei beiden Handlungen (Betasten der nackten Brüste einerseits, Betasten der Scheide unter der Unterhose, Einführen des Mittelfingers in die Scheide und Reiben andererseits) in einem unmittelbaren einheitlichen Tatkomplex standen, weshalb erstere durch die schwereren Missbrauchshandlungen des § 206 Abs 1 StGB konsumiert wären und eine gesonderte Verurteilung nach § 207 Abs 1 StGB nicht hätte erfolgen dürfen.

Den Urteilsfeststellungen kann in ihrer Gesamtheit nicht mit der notwendigen Deutlichkeit entnommen werden, ob das Betasten der nackten Brüste der Anna O***** stets oder auch nur in einzelnen Fällen der (ungefähr zehn) sexuellen Übergriffe in Abwesenheit der beiden anderen Mädchen in zeitlichem Zusammenhang mit der vaginalen Penetration erfolgte. Zur Aufklärung trägt auch die unklar formulierte Konstatierung (öfter als zehn Mal bzw zumindest in zehn Fällen) nichts bei, weil es sich dabei jeweils um mehr als zehn Mal gehandelt haben kann.

Die exakte Feststellung der zeitlichen Konnexität ist aber gerade in dem hier zu beurteilenden Fall entscheidungswesentlich. Denn zum einen scheidet Idealkonkurrenz zwischen § 206 und § 207 StGB aus. Zum anderen kommt den normalerweise mit (einem Beischlaf oder hier) einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung verbundenen, (seiner) ihrer Vorbereitung dienenden oder auch (ihm) ihr unmittelbar nachfolgenden, mit (ihm) ihr im Konnex stehenden anderen Unzuchtshandlungen selbständige Bedeutung nicht zu, sodass sie nicht gesondert nach § 207 StGB zu beurteilen sind (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 206 RN 12; Foregger/Fabrizy StGB7 § 207 Rz 10 und Mayerhofer StGB5 § 206 Rz 8 und § 207 Rz 24 jeweils mit Judikaturhinweisen).

Da der Oberste Gerichtshof an die erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen gebunden ist, war der Nichtigkeitsbeschwerde teilweise Folge zu geben, das angefochtene Urteil - wegen des Zusammenhanges und um den Erkenntnisrichtern im erneuerten Verfahren eine umfassende tatsächliche und rechtliche Beurteilung zu ermöglichen - im Schuldspruch II. 1. des Urteilssatzes, demgemäß auch im Strafausspruch (mit Ausnahme des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) aufzuheben und die Sache insoweit zur neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e StPO).

Soweit die Qualifikationsrüge (Z 10) aber darüber hinaus den Rechtsstandpunkt vertritt, die tatsächliche Feststellung, "dass der Angeklagte teilweise den Finger in die Scheide eingeführt habe", reiche nicht aus, um eine vaginale Penetration anzunehmen, welche für die Subsumtion unter § 206 Abs 1 StGB erforderlich wäre, orientiert sie sich prozessordnungswidrig nicht am gesamten Tatsachensubstrat und bringt daher den geltend gemachten materiellen Nichtigkeitsgrund nicht zur gesetzmäßigen Darstellung. Sie übergeht nämlich verfahrensvorschriftswidrig die weitere entscheidungswesentliche Konstatierung, wonach der Angeklagte nach dem Einführen des Mittelfingers "diesen in der Scheide einige Male auf- und abrieb" (US 4 Ende des ersten Absatzes und US 5 letzter Absatz). Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde daher gemäß § 285d Abs 1 Z 1 iVm § 285a Z 2 StPO als nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt, bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Stichworte