OGH 15Os118/01 (15Os119/01)

OGH15Os118/01 (15Os119/01)6.9.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. September 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Emsenhuber als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Karl Heinz S***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 19. April 2001, GZ 23 Vr 1432/00-56, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den gleichzeitig gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO verkündeten Beschluss nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Karl Heinz S***** wurde wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I.) und wegen der Vergehen des Missbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (II.) verurteilt, weil er von Juli bis einschließlich November 1998 in Graz

I. mehrmals mit der am 10. März 1986 geborenen, sohin unmündigen Katrin P***** den Beischlaf unternommen und

II. hiedurch unter Ausnützung seiner Stellung als Lebensgefährte der Kindesmutter gegenüber der seiner Erziehung oder Aufsicht unterstehenden Katrin P***** diese zur Unzucht missbraucht hat, um sich geschlechtlich zu befriedigen.

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist offenbar unbegründet.

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrüge (Z 4), welche sich erfolglos gegen das Zwischenerkenntnis des Gerichtshofes wendet, mit dem zwei vom Verteidiger gestellte Beweisanträge (im Ergebnis) zu Recht abgewiesen wurden (S 411), versagt aus mehreren Gründen.

Durch den - auf die Durchführung eines unzulässigen Erkundungsbeweises - gerichteten Antrag auf Beiziehung eines (zusätzlichen) Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie sollte festgestellt werden, "ob" bei der Belastungszeugin Katrin P***** eine geistige Behinderung vorliegt. Weiters könnten damit Widersprüche im Gutachten der Dr. Chista Schaupp ersichtlich gemacht und bewiesen werden, dass Katrin P***** sehr wohl in der Lage ist, den Angeklagten durch eine erfundene Geschichte zu belasten (S 401 f).

Der Beschwerdeführer lässt außer Acht, dass sich das Urteil, gestützt auf die als schlüssig und widerspruchsfrei beurteilte Expertise der klinischen Psychologin, Gesundheitspsychologin und Psychotherapeutin Dr. Christa Schaupp (ON 26), ausführlich mit der Person der mj. Katrin P***** auseinandersetzt und insbesondere auch darauf Bedacht nimmt, dass sie "geistig eingeschränkt" ist (US 4 f). Pauschal behauptete Widersprüche im Gutachten der beigezogenen Expertin Dr. Schaupp werden im Beweisantrag nicht konkretisiert. Ob die belastenden Aussagen des Opfers glaubwürdig sind oder nicht, hat allein das Tatgericht nach den Vorschriften des § 258 Abs 2 StPO zu beurteilen, was auch geschehen ist (US 8 ff).

Von all dem abgesehen verkennt der Rechtsmittelwerber, dass sich die Verpflichtung eines Zeugen grundsätzlich darauf beschränkt, einer Vorladung Folge zu leisten, ein Zeugnis abzulegen (sofern nicht ein Entschlagungsrecht gegeben ist) und dieses Zeugnis (bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen allenfalls) zu beeiden. Nach einem die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Grundsatz ist niemand, also weder ein Angeklagter noch viel weniger ein Zeuge, verpflichtet, sich selbst, mithin seinen Körper, seine Persönlichkeit und seine Psyche als Beweismittel zur Verfügung zu stellen. Eine psychiatrische Exploration als ein möglicherweise im Zuge dieser Untersuchung dem freien Willen des Zeugen entzogene Inanspruchnahme von Persönlichkeitskomponenten als Beweismittel ist demnach grundsätzlich an die Zustimmung des Zeugen oder seines gesetzlichen Vertreters gebunden (Mayerhofer StPO4 § 150 E 39, 41, 50, 56 ff; SSt 58/36; 15 Os 82/95 = ÖJZ-LSK 1996/106 bis 108 = JUS-extra OGH St 1985; 15 Os64/98, 15 Os 121/98 uam). Dass aber eine solcherart zwingende erforderliche Zustimmung der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung mj. Zeugin im aktuellen Fall erteilt worden wäre, wurde im Beweisantrag (aber auch in der Nichtigkeitsbeschwerde) nicht dargetan. Von der Verteidigung wurde die Zeugin oder deren gesetzliche Vertreterin weder in der Hauptverhandlung nach einer derartigen Zustimmung befragt, noch wurde ein Antrag dahin gestellt, das Gericht möge eine Zustimmung dieser Art einholen.

Der weitere Antrag auf Beischaffung des Tagebuches der Beatrix R***** (einer Schulfreundin der Katrin P*****) zum Beweis dafür, dass darin - entgegen ihrer gerichtlichen Zeugenaussage (S 367 f) - keine Eintragung über eine ihr von Katrin P***** gemachte Mitteilung festgehalten ist, sie sei vom Angeklagten vergewaltigt worden (S 403), zielt lediglich auf eine für die Lösung der Schuldfrage unwesentliche Tatsache. Im Übrigen stützt sich das Erstgericht gar nicht auf eine derartige Tagebucheintragung, sondern - neben anderen Beweisen auch - auf die in der Hauptverhandlung abgelegte Zeugenaussage, ihre Freundin habe ihr von den "Vorkommnissen" erzählt (US 9).

Die beiden Beweisanträge wurden daher zu Recht abgewiesen, ohne dadurch berechtigte Verteidigungsinteressen des Angeklagten zu verkürzen.

Der Mängelrüge (Z 5) zuwider waren die Erkenntnisrichter - dem Gebot des § 270 Abs 2 Z 5 StPO zufolge - fallbezogen nicht verpflichtet, darzulegen, "wieso man diesen ((im Rechtsmittel namentlich bezeichneten zehn Zeugen)) keinen Glauben schenkt, bzw worin die Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des Gutachtens der psychologischen Sachverständigen Doris Schaupp gelegen sei". Wird doch im Urteil nicht über die mangelnde Glaubwürdigkeit dieser Zeugen abgesprochen, sondern nur ausgeführt, dass daraus keine den Angeklagten tatsächlich entlastende Feststellungen getroffen werden können (US 9). Hinweise auf konkrete Widersprüche und Unschlüssigkeiten in der vorliegenden Expertise hinwieder bleibt die Rüge schuldig, sodass dieser Vorwurf keiner sachbezogenen Erörterung zugänglich ist. Dem Urteil haftet somit der behauptete Nichtigkeitsgrund nicht an.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) verkennt das Wesen dieses unter die formellen Nichtigkeitsgründe eingereihten und daher in seiner prozessualen Reichweite keineswegs einer Schuldberufung gleichenden Anfechtungstatbestandes (Mayerhofer aaO § 281 Z 5a E 1). Denn allein mit der Zitierung einzelner, in das Verteidigungskonzept des leugnenden Beschwerdeführers passenden, isoliert, demnach sinnentstellt, aus dem Kontext gelöster Teile von im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung abgelegten Aussagen einer Mehrzahl von Zeugen sowie mit einem einzigen, selektiv aus dem von der Sachverständigen Dr. Schaupp durchgeführten Picture Frustration Test (PFT) entnommenen Detail (vgl S 221 f, 232 f und 243), verbunden mit eigenen spekulativen Überlegungen werden auf Aktengrundlage keine erheblichen Bedenken gegen die auf breiter Grundlage in einer Gesamtschau aller maßgebenden objektiven und subjektiven Beweise zureichend und denkmöglich, somit insgesamt formal fehlerfrei, begründeten Konstatierungen zum Schuldspruch geweckt. In Wahrheit trachtet der Nichtigkeitswerber ausschließlich nach Art einer unzulässigen Schuldberufung die vom Schöffengericht für glaubwürdig erachtete Aussage der Zeugin Katrin P***** in Zweifel zu ziehen. Dies erhellt besonders augenfällig aus der Beschwerdeforderung, das Erstgericht hätte zum Schluss kommen müssen, dass die Zeugin P***** unglaubwürdig ist, und es hätte sich daher nicht auf deren Aussage stützen dürfen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur gemäß § 285d Abs 1 Z 2 StPO als offenbar unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Graz zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde des Angeklagten folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

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