OGH 9ObA186/01w

OGH9ObA186/01w5.9.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Scheuch und Dr. Anton Wladar als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mario J*****, Lehrling, *****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei K*****GmbH, *****, vertreten durch Dr. Franz Müller-Strobl und Dr. Robert Kugler, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Feststellung (S 100.000,-), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Mai 2001, GZ 8 Ra 50/01-9, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. Jänner 2001, GZ 31 Cga 227/00m-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 6.086,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.014,40 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Gemäß § 15 Abs 2 BAG idF vor der BAG-Nov 2000 (BGBl I 2000/83) kann das Lehrverhältnis - soweit hier von Interesse - während der ersten zwei Monate sowohl vom Lehrberechtigten als auch vom Lehrling jederzeit einseitig aufgelöst werden. Durch die BAG-Nov 2000 wurde diese nunmehr in § 15 Abs 1 BAG geregelte "Probezeit" auf drei Monate verlängert. Diese Änderung trat nach Art I Z 8 der Novelle mit 1. 9. 2000 in Kraft. Übergangsbestimmungen, die die Anwendung der geänderten Bestimmung auf bereits geschlossene Lehrverträge regeln, fehlen.

Der Kläger stand auf Grund des Lehrvertrages ab 24. 7. 2000 in einem Lehrverhältnis zur Beklagten. Am 4. 10. 2000 wurde das Lehrverhältnis von der Beklagten unter Hinweis auf die gesetzliche Probezeit aufgelöst.

Der Kläger begehrt die Feststellung des aufrechten Bestands des Lehrverhältnisses über den 4. 10. 2000 hinaus. Da die Probezeit zum Zeitpunkt des Lehrvertragsabschlusses nur zwei Monate betragen habe, sei diese Frist maßgebend und daher die Auflösung in unzulässiger Weise außerhalb der Probezeit erfolgt.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen und wendete ein, dass die durch die BAG-Nov 2000 bewirkte Verlängerung der Probezeit zum Tragen komme, sodass die Auflösung des Lehrverhältnisses zulässig und wirksam erfolgt sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es erachtete die alte Rechtslage als maßgebend. Andernfalls müsste man de facto von einer rückwirkenden Anordnung des Gesetzes ausgehen, was zu einem dem Vertrauensschutz widersprechenden und daher unzulässigen Eingriff in ein bestehendes Rechtsverhältnis führen würde.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Es verwies auf § 5 ABGB, der anordne, dass Gesetze nicht zurückwirken. Nur die nach Inkrafttreten eines Gesetzes verwirklichten Sachverhalte seien nach dem neuen Gesetz zu beurteilen. In Bezug auf einmalige Handlungen und Zustände sowie hinsichtlich mehrgliedriger und dauernder Sachverhalte, die zur Gänze in die Geltungszeit eines der Gesetze fallen, sei der zeitliche Geltungsbereich so abgrenzbar; andernfalls sei jedoch für einen Dauersachverhalt das neue Gesetz ab seinem Inkrafttreten anzuwenden. Hier habe das Lehrverhältnis am 24. 7. 2000 begonnen, sodass es im Zeitpunkt des Inkrafttretens der novellierten Bestimmung des § 15 Abs 1 BAG am 1. 9. 2000 noch nicht in ein solches übergegangen gewesen sei, das nur mehr unter besonderen Voraussetzungen auflösbar gewesen wäre. Dies habe zur Folge, dass - ohne dass von einem Eingriff in "vorher erworbene Rechte" gesprochen werden könne - per 1. 9. 2000 eine der neuen Rechtslage entsprechende Verlängerung der Probezeit eingetreten sei. Die Auflösung des Lehrverhältnisses sei daher wirksam erfolgt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, es im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, dass Gesetze nach der Regel des § 5 ABGB im Allgemeinen nicht zurückwirken und dass demnach nur die nach dem Inkrafttreten eines Gesetzes verwirklichten Sachverhalte nach dem neuen Gesetz zu beurteilen sind, während vorher geschehene Handlungen und Sachverhalte sowie vorher entstandene Rechte weiterhin dem alten Gesetz zu unterwerfen sind. Auf diese Weise ist der zeitliche Geltungsbereich eines neuen Gesetzes aber nur - wie das Berufungsgericht ebenfalls richtig erkannt hat - für einmalige oder jene mehrgliedrigen oder dauernden Sachverhalte abgrenzbar, die zur Gänze in die Geltungszeit des neuen Gesetzes fallen. Andernfalls gelten für den Dauersachverhalt die Rechtsfolgen des neuen Gesetzes ab seinem Inkrafttreten (RIS-Justiz RS0008715; JBl 1985, 236; SZ 69/186; SZ 71/118).

Der Oberste Gerichtshof hat sich mit der Anwendung dieser Grundsätze auf das Inkrafttreten von Bestimmungen der BAG-Nov 2000 bereits in der Entscheidung 9 ObA 218/01a im Zusammenhang mit der mit dieser Novelle erfolgten Verkürzung der Weiterverwendungsfrist des § 18 Abs 1 BAG von vier auf drei Monate befasst. Dabei erwies sich der Umstand als entscheidend, dass § 18 Abs 1 BAG kein "gesetzliches Arbeitsverhältnis" begründet und auch keinen ipso-jure Vertragsabschluss anordnet, sondern eine Kontrahierungspflicht des Lehrberechtigten gegenüber dem Lehrling normiert; der Lehrberechtigte ist kraft Gesetzes verpflichtet, dem "ausgelernten" Lehrling den Abschluss eines Arbeitsvertrages zum Zweck der Erfüllung der Behaltepflicht anzubieten. Die dem Lehrberechtigten aus § 18 Abs 1 BAG erwachsende Verpflichtung besteht daher mit der im Gesetz als maßgebend angeführten Beendigung des Lehrverhältnisses. Die nachfolgenden Wirkungen des in der Erfüllung dieser Verpflichtung abgeschlossenen Arbeitsvertrages leiten sich dann nicht mehr unmittelbar aus dem Gesetz, sondern aus dem Arbeitsvertrag ab. Mit dessen Abschluss ist der gesetzlichen Anordnung endgültig entsprochen. Insofern kann daher im Zusammenhang mit den Wirkungen des § 18 Abs 1 BAG nicht von einem Dauerschuldverhältnis gesprochen werden; vielmehr handelt es sich um eine mit dem Ende des Lehrverhältnisses eintretende (punktuelle) Rechtswirkung, die lediglich den Abschluss eines Dauerschuldverhältnisses zur Folge hat. Daraus hat der Oberste Gerichtshof gefolgert, dass nach der oben wiedergegebenen Rechtslage die erst nach der Konkretisierung der Verpflichtung des Lehrberechtigten in Kraft getretene Gesetzesänderung ohne ausdrückliche Anordnung einer Rückwirkung nicht auf den Zeitpunkt der Beendigung des Lehrvertrages und der sich damit konkretisierenden Verpflichtung, einen Arbeitsvertrag abzuschließen, zurückwirken kann. Er hat daher ausgesprochen, dass die mit der BAG-Nov 2000 erfolgte Änderung des § 18 Abs 1 BAG nur anzuwenden ist, wenn die in dieser Bestimmung als Anknüpfungsgrund normierte Beendigung des Lehrverhältnisses nach dem Inkrafttreten der Novelle, also nach dem 1. 9. 2000, erfolgte. Auf früher verwirklichte Rechtswirkungen, also auf in Erfüllung des § 18 Abs 1 aF BAG bei (oder vor) Beendigung des Lehrverhältnisses abgeschlossene Arbeitsverträge, ist sie daher nicht anzuwenden, sodass insofern keine Verkürzung der damals wirksam vereinbarten Vertragsdauer eintritt (siehe im Detail 9 ObA 216/01a).

Diese Überlegungen kommen aber hier nicht zum Tragen, weil die Rechtswirkungen des § 15 BAG im Zusammenhang mit der Probezeit anders gelagert sind, als die eben beschriebenen Rechtswirkungen des § 18 Abs 1 BAG. Im Gegensatz zu § 18 Abs 1 BAG, der den Lehrberechtigten zum Vertragsabschluss verpflichtet, wirkt § 15 Abs 2 BAG aF (bzw. nunmehr § 15 Abs 1 BAG idF der BAG-Novelle) während der dort normierten Frist ex-lege, unmittelbar und absolut zwingend (Berger/Fida/Gruber, BAG, Rz 19 zu § 15) auf das Lehrverhältnis ein. Daher ist im hier zu beurteilenden Fall - anders als im Zusammenhang mit § 18 Abs 1 BAG - von einem Dauerrechtsverhältnis auszugehen, sodass nach den oben wieder gegebenen Grundsätzen die während des Laufes dieses Dauerrechtsverhältnisses (iS des jederzeit auflösbaren "Probelehrverhältnisses") ohne anderslautende Übergangsbestimmung in Kraft getretene Rechtsänderung ab ihrem Inkrafttreten anzuwenden ist.

Anders wäre dies dann, wenn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung des § 15 BAG die nach der alten Rechtslage zwei Monate dauernde Probezeit bereits abgelaufen gewesen wäre. Unter dieser Voraussetzung wäre insofern kein Dauerrechtsverhältnis mehr vorgelegen, sodass ein rückwirkendes Wiederaufleben der bereits abgelaufenen Probezeit ausgeschlossen wäre.

Im hier zu beurteilenden Fall war aber zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der BAG-Nov 2000 die Probezeit auch nach der alten Rechtslage noch offen, sodass sie durch die während ihres Laufes in Kraft getretene Änderung verlängert wurde.

Dass diese Auslegung einen rückwirkenden und als Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes unzulässigen Eingriff in erworbene Rechte bedeuten würde, trifft nicht zu. Abgesehen davon, dass - wie gezeigt - in Wahrheit keine Rückwirkung des Gesetzes eintritt, sondern es erst für die Zeit ab seinem Inkraftreten angewendet wird, trifft dieser Einwand auch deshalb nicht zu, weil schützenswerte Dispositionen der Betroffenen im Vertrauen auf die Beibehaltung der alten Rechtslage kaum vorstellbar sind, da die Auswirkungen der Änderung nicht bedeutend sind und weil es sich um eine Änderung handelt, die grundsätzlich im Interesse sowohl der Lehrberechtigten als auch der Lehrlinge liegt, zumal damit auch dem Lehrling mehr als bisher die Möglichkeit geboten wird, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob er mit seiner Wahl von Lehrberuf und Lehrberechtigtem die richtige Entscheidung getroffen hat (vgl Berger/Fida/Gruber, BAG, Rz 20 zu § 15).

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes erweist sich daher als zutreffend.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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