OGH 8ObA196/01h

OGH8ObA196/01h30.8.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Dietmar Strimitzer und DDr. Wolfgang Massl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Siegfried Q*****, Maschinenschlosser, *****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei A*****GmbH, *****, vertreten durch Dr. Erich Peter Piuk, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 137.971,38 brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Jänner 2001, GZ 8 Ra 1/01f-9, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 11. Oktober 2000, GZ 31 Cga 32/00h-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 8.112,- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.352,- Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, der Kläger habe den Entlassungsgrund des § 82 lit f GewO, 2. Tatbestand, verwirklicht, ist zutreffend. Es reicht daher aus, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:

Unmittelbarer Anlass für die Entlassung war folgender Vorfall: Der Kläger hätte nach einem mehrmonatigen Krankenstand (Wirbelsäulenbeschwerden) am 16. 3. 2000, einem Donnerstag, seinen Dienst wieder antreten sollen. Am Morgen dieses Tages ging er wegen allergischer Reaktionen zu seiner Ärztin, die ihn für 16. und 17. 3. krank schreiben wollte. Der Kläger wollte das aber nicht, sondern bestand darauf, nur für Donnerstag (16. 3.) krank geschrieben zu werden, weil er die Absicht hatte, am Freitag Zeitausgleich zu nehmen. Er wurde daher nur für den Donnerstag krank geschrieben. Weder am Donnerstag, noch am Freitag meldete er sich bei seinem Arbeitgeber. Der Geschäftsführer der Beklagten, der den Kläger am Donnerstag erwartet hatte, stellte ihn bei seinem Dienstantritt am Montag, dem 20. 3., zur Rede, worauf der Kläger mitteilte, dass er für Donnerstag krank geschrieben worden sei und dass er für Freitag Zeitausgleich nehme. Dass er auch am Freitag krank gewesen sei, sagte er nicht, und zwar auch dann nicht, als ihm der Geschäftsführer eine Reihe weiterer (noch zu erörternder) Pflichtverletzungen vorhielt. Daraufhin sprach der Geschäftsführer die Entlassung aus.

Zu Recht wurde dies vom Berufungsgericht dahin beurteilt, dass der Kläger nicht nur seine Verpflichtung verletzt hat, seine Arbeitsunfähigkeit am 16. und am 17. 8. dem Arbeitgeber bekannt zu geben, sondern dass er vor allem dadurch eine Pflichtverletzung setzte, dass er am Montag, als er vom Geschäftsführer zur Rede gestellt wurde, mit keinem Wort erwähnte, dass er am 17. 3. krank und sein Fernbleiben von der Arbeit daher gerechtfertigt war.

In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung SZ 69/105 darauf verwiesen, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber Dienstverhinderungen umgehend mitteilen und glaubhaft darlegen muss, um damit dem Arbeitgeber die Möglichkeit rechtzeitiger Disposition zu geben, aber auch, um dem Arbeitgeber die Möglichkeit zur Abwägung zu verschaffen, ob das Fernbleiben des Arbeitnehmers sachlich gerechtfertigt ist bzw. war (SZ 69/105). In der zitierten Entscheidung wurde diese aus der allgemeinen Treuepflicht abgeleitete Verpflichtung des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber die Möglichkeit der Abwägung zu verschaffen, für jene Rechtfertigungsgründe betont, die nicht bereits gesetzlich festgelegt sind - wie Krankenstände und Pflegefreistellungen - und bei denen im Einzelfall eine Interessenabwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers und jenen des Arbeitnehmers vorzunehmen ist. Es kann aber nicht zweifelhaft sein, dass der Arbeitnehmer auch (und gerade dann) zur Bekanntgabe des Rechtfertigungsgrundes verpflichtet ist, wenn er - ohne von seiner Arbeitsunfähigkeit Mitteilung gemacht zu machen - der Arbeit ferngeblieben ist und nunmehr nach seinem Dienstantritt vom Arbeitgeber auf sein bislang unentschuldigtes Fernbleiben angesprochen wird; schließlich werden durch ein derartiges Verhalten unrichtige Dispositionen des Arbeitgebers geradezu provoziert. In dieser Situation dem Arbeitgeber die die Ursache für das Fernbleiben bildende Arbeitsunfähigkeit nicht mitzuteilen (hier sogar: den Arbeitgeber durch den Hinweis [nur] am Donnerstag krank gewesen seien, irrezuführen) ist daher als ganz erhebliche Pflichtverletzung zu werten.

In der Entscheidung SZ 69/105 hat der Oberste Gerichtshof ausgeführt, dass die Verletzung der im aufgezeigten Sinn bestehenden Mitteilungspflicht des Arbeitnehmers bei Angestellten in besonders schwerwiegenden Fällen die Entlassung wegen Vertrauensunwürdigkeit (§ 27 Abs 1 AngG, dritter Tatbestand) rechtfertigen kann. So wie im hier zu beurteilenden Fall kam dieser Entlassungsgrund allerdings nicht in Betracht, weil der damals betroffene Arbeitnehmer - so wie der Kläger - Arbeiter war und die GewO 1859 diesen Entlassungsgrund nicht kennt. Anders als im Fall der Entscheidung SZ 69/105 gingen aber dem nunmehrigen Vorfall weitere erhebliche Pflichtverletzungen des Klägers und dadurch ausgelöste Ermahnungen voraus, sodass dem Berufungsgericht beizupflichten ist, dass - wenngleich der nunmehrige Anlassfall für sich allein das Tatbestand der Beharrlichkeit der Pflichtverletzung nicht verwirklicht - insgesamt (also unter Berücksichtigung des vorangegangenen Verhaltens des Klägers) der Entlassungsgrund des § 82 lit f GewO, 2. Tatbestand, verwirklicht ist.

Dabei mag es dahingestellt bleiben, ob auch auf darauf Bedacht zu nehmen ist, dass dem Kläger bereits am 25. 6. 1998 die "fristlose Kündigung" angedroht wurde, weil er sich "erneut geweigert" habe, ihm aufgetragene Arbeiten durchzuführen. Den Feststellungen (und den dazu erfolgten Aussagen des Klägers) ist nämlich nicht mit Sicherheit zu entnehmen, ob der damit erhobene Vorwurf zu Recht bestand.

Hingegen steht unzweifelhaft fest, dass der Kläger am 6. 4. 1999 zu spät und betrunken zur Arbeit erschien und auch während der Arbeitszeit Alkohol trank. Auch damals wurde ihm mit dem Hinweis, dass "sich dieser Vorfall schon mehrmals wiederholte", die "fristlose Kündigung" angedroht.

Eine weitere Pflichtverletzung des Klägers stellt sein Verhalten bei einer Geburtstagsfeier am 8. 2. 2000 dar. Obwohl er sich damals in einem mehrmonatigen Krankenstand wegen Wirbelsäulenproblemen befand, tanzte er auf dieser Feier, wobei er zwei Kinder im Arm hielt. Die Richtigkeit dieses aus den Feststellungen ersichtlichen Vorwurfs hat der Kläger gar nicht bestritten. Er hat damit die im Falle von schweren Kreuzschäden üblichen Verhaltensgebote krass verletzt und so gegen die sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Verpflichtung verstoßen, sich im Falle einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit so zu verhalten, dass seine Arbeitsfähigkeit möglichst bald wiederhergestellt wird. Ob es dadurch tatsächlich zu einer Verlängerung des Krankenstandes gekommen ist, ist in diesem Zusammenhang belanglos; es genügt die Eignung, den Genesungsprozeß zu verzögern (RIS-Justiz RS0060869; zuletzt 9 ObA 329/99v).

Wie weit auch der weitere vom Arbeitgeber erhobene (und vom Kläger nicht bestrittene) Vorwurf, der Kläger sei am 3. 3. 2000 - im Krankenstand außerhalb der Ausgehzeit - beim Fahren eines PKW in alkoholisiertem Zustand betreten worden, weshalb ihm der Führerschein entzogen wurde, als Pflichtverletzung zu qualifizieren ist, braucht daher nicht mehr geprüft zu werden, weil schon die erwähnten Pflichtverletzungen im Zusammenhalt mit der die Entlassung auslösenden das Tatbestandsmerkmal der Beharrlichkeit verwirklichen. Dass der Kläger dabei gegen verschiedenartige Pflichten verstoßen hat, ist ohne Bedeutung, weil jedenfalls alle diese Vorfälle die mangelhafte Bereitschaft des Klägers, seine Pflichten zu erfüllen, dokumentieren und er im Hinblick auf die wiederholten Ermahnungen und Verwarnungen wissen musste, dass er im Falle einer weiteren Pflichtverletzung mit einer Entlassung rechnen musste (infas 1987, A 122).

Dass dem Arbeitgeber, der beim Ausspruch der Entlassung der Meinung war, der Kläger sei ohne Rechtfertigungsgrund nicht zur Arbeit erschienen, zu diesem Zeitpunkt das eigentliche Fehlverhalten des Klägers - nämlich die Unterlassung der Mitteilung dieses Rechtfertigungsgrundes - nicht bekannt war, stellt die Richtigkeit des vom Berufungsgericht erzielten Ergebnisses nicht in Frage. Da die Entlassungsgründe beim Ausspruch der Entlassung dem Arbeitnehmer grundsätzlich nicht bekannt gegeben werden müssen, kann der Arbeitgeber im gerichtlichen Verfahren alle Entlassungsgründe gelten machen, sofern sie nur im Zeitpunkt der Vornahme der Entlassung bereits vorgelegen sind und das Entlassungsrecht nicht insoweit bereits untergegangen ist. Auch erst nach der Entlassung bekanntgewordene Entlassungsgrunde können unter dieser Voraussetzung im Prozess geltend gemacht werden (Nachschieben von Entlassungsgründen; Kuderna, Entlassungsrecht**2 51; RIS-Justiz RS0029131; zuletzt 9 ObA 275/00g).

Die in der Revision gegen die Berufungsentscheidung vorgebrachten Einwände des Klägers überzeugen nicht: Wie schon ausgeführt, geht die ihm im Zusammenhang mit dem die Entlassung auslösenden Vorfall angelastete Verletzung der Mitteilungspflicht in ihrer Tragweite weit über die üblichen Fälle der Unterlassung der (rechtzeitigen) Krankmeldung hinaus. Hier hat ja der Kläger die Mitteilung seiner Arbeitsunfähigkeit selbst dann noch unterlassen, als ihn der Arbeitgeber wegen seines Fernbleibens zur Rede stellte. Vielmehr hat er den Arbeitgeber durch den Hinweis, (nur) am Donnerstag krank gewesen zu sein, über den Grund seines Fernbleibens von der Arbeit irregeführt. Überdies erkennt der Revisionswerber selbst, dass auch nach der von ihm angesprochenen Rechtsprechung (9 ObA 124/98w und die dort zitierten Nachweise) die Unterlassung der Krankmeldung unter besonderen Umständen den Entlassungstatbestand der beharrlichen Pflichtverletzung verwirklichen kann. Solche besonderen Umstände liegen aber hier vor, weil - wie schon ausgeführt - der Kläger eine unrichtige Beurteilung des Fernbleibens des Klägers von der Arbeit (mit allen dadurch zu erwartenden Konsequenzen) geradezu provozierte. Auch der notwendige zeitliche Zusammenhang der in Betracht gezogenen Pflichtverletzungen ist hinreichend gegeben. Von einer "Kumulierung verschiedener nicht tatbestandsmäßiger Verhaltensweisen", wie sie in der in der Revision zitierten Entscheidung 9 ObA 33/97m im Zusammenhang mit dem Entlassungstatbestand der Vertrauensunwürdigkeit als unzulässig betrachtet wird, kann im hier zu beurteilenden Fall, in dem der Beklagte mehrere dem angezogenen Entlassungstatbestand entsprechende Pflichtverletzungen setzte, nicht die Rede sein. Dass unter diesen Umständen dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gewesen ist, steht wohl außer Zweifel. An die vom Dienstgeber im Prozess vorgenommene rechtliche Qualifikation des Entlassungsgrundes ist das Gericht nicht gebunden (Kuderna, Entlassungsrecht, 30 f sowie die ohnedies vom Revisionswerber zitierte Entscheidung 9 ObA 27/93).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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