OGH 7Ob174/01s

OGH7Ob174/01s31.7.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erwin B*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Aigner, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei D*****, Landesdirektion T*****, ***** vertreten durch Dr. Dieter Brandstätter, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen (ausgedehnt) S 148.150,50 sA und Feststellung (Gesamtstreitinteresse S 353.150,50) über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. Mai 2001, GZ 4 R 86/01f-65, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 24. Jänner 2001, GZ 57 Cg 8/98g-60, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, dass das klageabweisliche Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt wird. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei zu Handen ihres Vertreters binnen 14 Tagen die mit S 51.515,- (hierin enthalten S 6.377,50 Umsatzsteuer und S 13.250,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zweiter und dritter Instanz zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Aufgrund des Antrages des Klägers vom 9. 3. 1995 und der von der beklagten Versicherung am 23. 3. 1995 erfolgten Polizzierung kam es zwischen den Streitteilen zum Abschluss eines Er- und Ablebensversicherungsvertrages mit einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Polizzen- Nr 835816213. Als Versicherungsbeginn war der 1. 3. 1995, der Versicherungsablauf mit 1. 3. 2020 (im Berufungsurteil unrichtig: 2040) vereinbart. Diesem Versicherungsvertrag lagen die Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung Nr 00905/1988 sowie die Versicherungsbedingungen der Kapital- und Risikoversicherung auf den Todesfall (Lebensversicherung) zugrunde.

In § 1 der letztgenannten Versicherungsbedingungen heißt es:

"Was ist bei der Antragstellung zu beachten?

(1) Als Versicherungsnehmer stellen Sie einen schriftlichen Antrag auf Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages. Darin müssen alle Tatsachen angegeben werden, die für die Übernahme des Risikos bedeutsam sind."

In § 8 derselben heißt es:

"Welche Bedeutung haben Ihre Antworten auf unsere Antragsfragen?

(1) Wir übernehmen den Versicherungsschutz im Vertrauen darauf, dass Sie alle mit dem Antrag verbundenen Fragen wahrheitsgemäß und vollständig beantworten...

(3) Werden Fragen schuldhaft unrichtig oder unvollständig beantwortet, können wir innerhalb der ersten drei Jahre seit Abschluss, letzter Änderung oder Wiederherstellung des Vertrages vom Vertrag zurücktreten; ...

Wir werden den Rücktritt innerhalb eines Monats ab Kenntnis von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben erklären. Wir können nicht vom Vertrag zurücktreten, wenn

(4) Bei arglistiger Täuschung können wir den Vertrag anfechten..."

Der Versicherungsantrag vom 9. 3. 1995 wurde vom damaligen hauptberuflichen Mitarbeiter der beklagten Partei namens H***** aufgrund der ihm vom Kläger erteilten Informationen ausgefüllt. Die in diesem Antrag detailliert aufgelisteten und für das gegenständliche Verfahren wesentlichen Fragen zur Gesundheit des Klägers wurden von diesem wie folgt beantwortet:

  1. "1. Fühlen Sie sich derzeit völlig gesund? ja
  2. 2. Stehen Sie in regelmäßiger ärztlicher Behandlung oder Kontrolle? Wenn ja, warum und wo? nein

    5. Wurden sie in den letzten 10 Jahren operiert oder ist eine Operation vorgesehen? Waren Sie aus einem anderen Grund in einem Spital, einer Kur- oder Heilanstalt oder in ärztlicher Behandlung? nein

    6. Sind Sie invalid? nein

    An welchen Krankheiten oder Beschwerden leiden Sie

    oder haben Sie gelitten?

    15. Ischias, Rheuma, Bandscheibenleiden oder andere Erkrankungen (Beschwerden) der Knochen, Gelenke,

    Wirbelsäule oder der Haut? nein

    17. Verletzungen oder andere Krankheiten, Beschwerden (wie Allergie, Hautkrankheit, Tumor etc) als die angeführten? nein"

    In diesem Antrag wurden keinerlei Hinweise auf frühere Erkrankungen, Operationen, Behandlungen oder Krankenhausaufenthalte festgehalten. Lediglich in der Rubrik "Name und Adresse Ihres Hausarztes" wurde eingefügt "Fr. Dr. Sch*****".

    Abschließend steht auf diesem Versicherungsantrag noch folgender Passus:

    "Ich erkläre, dass ich die obenstehenden Fragen richtig und vollständig beantwortet habe und nehme zur Kenntnis, dass das Verschweigen von Krankheiten und Gebrechen, die mir bekannt sind, zur Ablehnung von Leistungsansprüchen führen kann... Die umseitig angeführten Erklärungen habe ich gelesen und zur Kenntnis genommen."

    Dieser Antrag wurde vom Kläger und dem den Versicherungsmitarbeiter H***** begleitenden, damals eingeschulten nebenberuflichen Mitarbeiter der beklagten Partei, Peter B*****, unterfertigt. Tatsächlich hatte der Kläger zum damaligen Zeitpunkt bereits folgende Verletzungen erlitten und litt an nachstehenden Beschwerden:

    1970 eine Milzexstirpation und 1973 eine abdominelle Operation wegen eines Darmverschlusses; 1971 einen Verkehrsunfall mit schwerer Schädelverletzung; 1976 einen Verkehrsunfall mit Schädelbasisbruch; 1978 einen Verkehrsunfall mit Schädelbasisbruch; 1982 Verstauchung der Halswirbelsäule, Nasenbeinbruch, Schädelprellung etc bei Tätlichkeiten; 1986 Verstauchung der Halswirbelsäule bei einem Schisturz; 1986 Verstauchung der Halswirbelsäule bei einem Verkehrsunfall; 1987 (angebliche) Verstauchung der Halswirbelsäule bei Aufheben eines Wagenhebers bzw beim Stolpern und 1991 Verstauchung der Halswirbelsäule abermals bei einem Verkehrsunfall. Zusätzlich entwickelte sich 1995/96 eine unfallunabhängige Tendinosis calcarea mit Einriss der Supraspinatussehne links sowie eine Beschwerdesymptomatik von Seiten der unteren Lendenwirbelsäule mit Diskusprotrusion L 4/L 5. Bei diesem letztgenannten Krankheitsbild handelt es sich um degenerative Veränderungen, welche bereits großteils zum Zeitpunkt 9. 3. 1995 bestanden haben. Insbesondere und nachgewiesenermaßen bestanden die degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule des Klägers im Sinne eines Cervikalsyndroms beim Kläger bereits vor dem 9. 3. 1995; auch die degenerativen Veränderungen an seiner Lendenwirbelsäule waren bereits zum 9. 3. 1995 existent, schließlich auch Veränderungen an der linken Schulter als pathomorphologisches Grundsubstrat, allerdings noch nicht klinisch relevant.

    Von der Halswirbelsäule her war der Kläger am 9. 3. 1995 auch nicht beschwerdefrei. Zum Zeitpunkt März 1995 hatte er deutlich erkennbare degenerative Erscheinungen, die bereits bei einem Minimaltrauma zu einem Bandscheibenvorfall führen konnten. Der Kläger stand auch immer wieder in Behandlung, insbesondere wegen der Symptomatik in der Halswirbelsäule sowie auch wegen mehrfacher Prellungen der Lendenwirbelsäule, zuletzt sieben Tage vor Stellung des Versicherungsantrages. Der Kläger hatte deshalb auch immer sehr massive Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule; dass er solche auch im Bereich der Lendenwirbelsäule im Zeitpunkt des Versicherungsvertragsabschlusses hatte, kann nicht ausgeschlossen werden.

    Wäre die beklagte Partei zum Zeitpunkt 9./23. 3. 1995 über diese vom Kläger zahlreich erlittenen Unfälle bzw Vorerkrankungen und Schädigungen informiert gewesen, hätte sie den gegenständlichen Versicherungsvertrag nicht abgeschlossen. Da jedoch die im Antrag vom 9. 3. 1995 enthaltenen Fragen vom Kläger in der Weise beantwortet wurden, das er vollkommen gesund sei, wurde der Antrag seitens der Beklagten zu einer Normalprämie angenommen. Bei Vorliegen nur gewisser Erkrankungen gäbe es auch die Möglichkeit eines Zuschlags zur Prämie; auch bestünde die Möglichkeit der Anwendung der "Ausschlussklausel", dass also ein bestimmtes Organ (des Körpers) vom Versicherungsschutz ausgenommen wird. Bei häufigerem Auftreten einzelner bestimmter Krankheiten wird seitens der Beklagten die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung nicht angenommen. Allein schon wegen der beim Kläger mehrfach aufgetretenen Erkrankungen der Wirbelsäule hätte die Beklagte im konkreten Fall die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung nicht angenommen. Bei Verfassung des Antrages auf Abschluss der gegenständlichen Versicherung ging der Versicherungsmitarbeiter H***** den Antrag mit dem Kläger Frage für Frage durch und füllte diesen auch aus. Diese Vorgangsweise diente insbesondere der Einschulung des Peter B*****. H***** stellte dem Kläger die Fragen genau so, wie sie auf dem Antrag formuliert sind. H***** kannte den Kläger zuvor nicht und war über dessen Gesundheitszustand nicht informiert. B***** kannte zwar den Kläger bereits ca drei bis vier Monate, wusste aber persönlich nichts über den Gesundheitszustand des Klägers. Die Antworten des Klägers wurden so, wie sie von ihm gegeben wurden, im Antrag vermerkt. Dem Kläger war zum Zeitpunkt der Antragstellung vom 9. 3. 1995 bewusst, dass er sich nicht in einem einwandfreien Gesundheitszustand befand und sein Körper, insbesondere seine Wirbelsäule, zahlreiche Vorschädigungen und Veränderungen aufwies.

    Mit Schreiben vom 8. 5. 1996 übermittelte der Kläger der beklagten Partei ärztliche Unterlagen, wonach er seit 1. 1. 1996 berufsunfähig sei, und beantragte die Ausbezahlung der Versichertenrente. Mit Schreiben vom 29. 5. 1996 trat daraufhin die beklagte Partei vom Versicherungsvertrag zurück und begründete dies damit, dass der Kläger ihr bei Abschluss dieser Versicherung ihm bekannte Umstände, die für die Übernahme des Versicherungsschutzes erheblich seien, nicht mitgeteilt habe, wobei sie von der Tatsache der unrichtigen Angaben erst am 10. 5. 1996 erfahren habe.

    Mit der am 9. 9. 1996 eingebrachten Klage stellte der Kläger zunächst nur das Feststellungsbegehren, dass der Er- und Ablebensversicherungsvertrag samt Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zwischen den Streitteilen nach wie vor aufrecht und der Vertragsrücktritt der beklagten Partei vom 29. 5. 1996 zu Unrecht erfolgt sei. In der Folge dehnte der Kläger dieses Begehren aus um ein Leistungsbegehren in Höhe von (zunächst) S 49.383,50 samt Staffelzinsen, später ausgedehnt auf insgesamt S 148.150,50 sA (Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente), sowie ein weiteres Feststellungsbegehren, dass Prämienfreiheit im Sinne des § 1 Abs 1 der Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung hinsichtlich der Er- und Ablebensversicherung samt Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zwischen den Streitteilen vorliege. Der Kläger brachte hiezu - zusammengefasst - vor, dass der Rücktritt der beklagten Partei zu Unrecht erfolgt sei.

    Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren im Wesentlichen unter Hinweis darauf, dass der Kläger ihr in arglistiger Irreführung relevante Umstände hinsichtlich seines Gesundheitszustandes vor Abschluss des Versicherungsvertrages verschwiegen und auch ausdrücklich angefragte Gefahrumstände falsch beantwortet habe. Das Erstgericht wies sämtliche Klagebegehren ab. Es traf die eingangs zusammengefasst (und soweit für das nunmehrige Rechtsmittelverfahren wesentlich) wiedergegebenen Feststellungen und beurteilte diesen Sachverhalt rechtlich dahin, dass es sich beim Wirbelsäulenleiden des Klägers jedenfalls um einen Umstand gehandelt habe, der für die Übernahme der Gefahr erheblich sei, zumal am Antragsformular explizit die Frage nach Erkrankungen der Wirbelsäule angeführt gewesen sei. Der Kläger habe durch die Verneinung sämtlicher diesbezüglicher Fragen verhindert, dass die Beklagte nähere Erhebungen zu seinem tatsächlichen Gesundheitszustand einholen habe können. Die Beklagte habe keine Kenntnis von der unrichtigen Anzeige gehabt und sei gemäß den Bestimmungen des VersVG auch nicht verpflichtet gewesen, die Angaben des Klägers auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Der Kläger habe somit eine Verletzung der Anzeigepflicht zu verantworten, welche der Beklagten die Möglichkeit eingeräumt habe, sich durch Kündigung nach Kenntnis der Obliegenheitsverletzung vom unzuverlässigen Vertragspartner zu lösen, was sie auch fristgerecht gemacht habe. Das Berufungsgericht übernahm - soweit eingangs wiedergegeben und von Wesentlichkeit - die Feststellungen des Erstgerichtes als das Ergebnis eines mängelfreien Beweisverfahrens, hob jedoch das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach weiters aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt S 260.000 übersteige und der ordentliche (Revisions-)Rekurs zulässig sei. Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht - zusammengefasst - aus, dass das Rücktrittsrecht der beklagten Partei nach § 17 Abs 1 VersVG grundsätzlich berechtigt sei, weil der Kläger in der Tat unrichtige Angaben über seine Erkrankungen der Wirbelsäule gemacht habe. Es fehlten jedoch Feststellungen, ob, wann und durch welche Krankheit beim Kläger Berufsunfähigkeit eingetreten sei, weiters dazu, ob die verschwiegenen Umstände bei Stellung des Antrages auf Abschluss des Versicherungsvertrages irgendeinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalles gehabt hätten, weil nur bei Bejahung eines diesbezüglichen Einflusses der Vertragsrücktritt der Beklagten berechtigt wäre. Auch dazu fehlten Beweisergebnisse und Feststellungen. Das Erstgericht werde hiezu medizinischen Sachbefund aufzunehmen haben. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde zugelassen, "da zur Frage der Auslegung der das Rücktrittsrecht - nach Ansicht des Berufungsgerichtes - so weitgehend einschränkenden Bestimmung des § 8 Abs 3 der Versicherungsbedingungen der Kapital- und Risikoversicherung auf den Todesfall der Beklagten - soweit überblickbar - keine höchstgerichtliche Judikatur vorliegt und ein typischer Einzelfallcharakter deshalb zu verneinen ist, weil derartige Versicherungsbedingungen erfahrungsgemäß auch bei einer Vielzahl von Versicherungsverträgen mit anderen Versicherungsnehmern mitvereinbart wurden und werden (siehe etwa 7 Ob 127/99y), sodass es nach Eintritt eines Versicherungsfalles bei Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigenobliegenheit zu weitgehend gleichartigen Rechtsfragen der Berechtigung eines Vertragsrücktrittes seitens des Versicherers kommen kann."

    Gegen diesen Aufhebungsbeschluss richtet sich der auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte "Revisionsrekurs" (richtig: Rekurs - § 519 Abs 1 Z 2 ZPO) der beklagten Partei mit dem Antrag, in Stattgebung des Rechtsmittels dem Berufungsgericht aufzutragen, unter Abstandnahme einer Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils in der Sache selbst neuerlich über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Erstgerichtes zu entscheiden; in eventu in der Sache selbst zu erkennen und das erstinstanzliche Urteil vollinhaltlich zu bestätigen.

    Die klagende Partei hat eine "Revisionsrekursbeantwortung" (richtig: Rekursbeant- wortung - § 521a Abs 1 Z 2 ZPO) erstattet, in der beantragt wird, dem Rechtsmittel der Prozessgegnerin keine Folge zu geben.

    Der Rekurs ist zulässig und - zufolge Spruchreife in der Sache - durch Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung auch berechtigt.

    Die Ausführungen im Rechtsmittel lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass sich die Beklagte von Beginn an auch auf ihr Rücktrittsrecht wegen arglistiger Täuschung durch den Kläger bei Vertragsabschluss zufolge Verschweigens diesem bekannter, der beklagten Partei jedoch unbekannter und für deren Entschluss über den Vertragsabschluss wesentlicher Umstände berufen habe; nach Abs 4 des § 8 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sei die Versicherungsgesellschaft bei arglistiger Täuschung zur Vertragsanfechtung berechtigt. Der Kläger habe, obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass er sich nicht in einem einwandfreien Gesundheitszustand befunden und sein Körper, insbesondere die Wirbelsäule, zahlreiche Vorschädigungen und Veränderungen aufgewiesen habe, alle darauf ausgerichteten Gesundheitsfragen wahrheitswidrig verneint. Dieser Sachverhalt reiche aus, insbesondere eine arglistige Täuschung im Sinne der §§ 22, 163 VersVG anzunehmen und damit das Klagebegehren (ohne weitere Aufhebung) abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat hiezu Folgendes erwogen:

Bei der Verletzung der Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Angabe aller jener Gefahrumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Antrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss auszuüben (§ 16 Abs 1 VersVG), handelt es sich um eine den Versicherungsnehmer vor dem Versicherungsfall (§ 6 Abs 1 VersVG; Schwintowski in Berliner Kommentar, Rn 16 zu § 6 VersVG) treffende Obliegenheit (7 Ob 188/98t). Damit wird im Grundsatz verlangt, dass die genannten Umstände ungefragt mitgeteilt werden müssen (Voit in Berliner Kommentar, Rn 2 zu § 16); ein Umstand, nach dem der Versicherer sogar ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt im Zweifel als erheblich (§ 16 Abs 1 letzter Satz VersVG; Rz 1984/19; JBl 1993, 50; VersE 1369; VersR 2001, 530). Nach Lehre und Rechtsprechung sind an die vom Versicherungsnehmer bei Erfüllung dieser seiner vorvertraglichen Anzeigepflicht anzuwendende Sorgfalt insbesondere dann, wenn die gestellten Fragen Individualtatsachen betreffen, ganz erhebliche Anforderungen zu stellen (VersR 2001, 530 mwN). Für eine schuldhafte Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht genügt bereits leichte Fahrlässigkeit (VersE 1544; 7 Ob 168/99b; VersR 2001, 530; RIS-Justiz RS0080572). Ist der Vorschrift des § 16 Abs 1 VersVG zuwider die Anzeige eines erheblichen Umstandes unterblieben, so kann der Versicherer nach Abs 2 vom Vertrag zurücktreten; das Gleiche gilt, wenn die Anzeige deshalb unterblieben ist, weil sich der Versicherungsnehmer der Kenntnis des Umstandes arglistig entzogen hat. Abs 3 schließt das Rücktrittsrecht des Versicherers aus, wenn der Versicherungsnehmer unverschuldet die Anzeigeobliegenheit nicht erfüllt hat. Die Beweislast für mangelndes Verschulden obliegt dem Versicherungsnehmer (JBl 1993, 50; 7 Ob 168/99b; RIS-Justiz RS0080809). Listige Erregung eines Irrtums kann auch im Verschweigen bekannter, dem anderen Vertragsteil aber unbekannter Tatsachen gelegen sein (RIS-Justiz RS0014816); der Tatbestand der List (im Sinne des § 870 ABGB) setzt Schädigungsabsicht nicht voraus (RIS-Justiz RS0014800). Ob eine Obliegenheitsverletzung vorsätzlich, also mit Wissen und Willen, verletzt wurde, ist eine Tatfrage, an deren Beurteilung durch die Vorinstanzen der Oberste Gerichtshof gebunden ist (VersE 1369). Nach § 17 Abs 1 VersVG kann der Versicherer vom Vertrag auch dann zurücktreten, wenn über einen erheblichen Umstand eine unrichtige Anzeige gemacht wurde; § 17 VersVG ergänzt damit die Anzeigeobliegenheit nach § 16 (Voit aaO Rn 1 zu § 17). Wie sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen ergibt, war dem Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung bewusst, dass er sich nicht in einem einwandfreien Gesundheitszustand befand und sein Körper, insbesondere seine Wirbelsäule, zahlreiche Vorschädigungen und Veränderungen aufwies. Trotzdem hat er die von der Beklagten gerichteten Fragen nach diesen Umständen, obwohl mit ihm Frage für Frage durchgegangen wurde, unrichtig beantwortet; er hat nicht nur sämtliche früheren Erkrankungen und Beschwerden (speziell die deutlichen und schmerzhaften degenerativen Veränderungen im Zusammenhang mit seiner im Fragenkatalog ebenfalls ausdrücklich genannten und mehrfach vorgeschädigten [Hals und Lenden]Wirbelsäule, aber auch der Schulter) verneint, sondern seine regelmäßigen diesbezüglichen ärztlichen Behandlungen und Kontrollen (zuletzt 7 Tage vor Stellung des Versicherungsantrages!) verschwiegen und sich demgegenüber sogar ausdrücklich als "völlig gesund" (erste Frage der Fragenliste) bezeichnet.

Damit ist der beklagten Partei jedoch der Nachweis der Arglist des Klägers gelungen. Listige Irreführung liegt bei rechtswidriger, vorsätzlicher Täuschung vor. Dabei ist es unerheblich, ob der Irrtum des Vertragspartners (hier: bezüglich des Gesundheitszustandes des Klägers) durch Vorspiegelung falscher oder irreführender Tatsachen hervorgerufen wurde oder ob vorsätzlich ("bewusst") Tatsachen verschwiegen wurden. Durch das, wenn auch vorsätzliche Verschweigen solcher Tatsachen wird freilich nur dann listig irregeführt, wenn eine Rechtspflicht zur Aufklärung bestand; diese betimmt sich bei Fehlen ausdrücklicher Regelungen nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs (SZ 68/152; 4 Ob 113/01y); darauf braucht hier jedoch schon deshalb nicht zurückgegriffen zu werden, weil den Kläger eine Rechtspflicht zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Auskunftspflicht - wie ausgeführt - bereits aus § 16 Abs 1 VersVG iVm §§ 1, 8 der eingangs wiedergegebenen Versicherungsbedingungen traf. Damit wurden der Beklagten als Geschäftspartner jedoch wesentliche Umstände verschwiegen, bei deren Kenntnis sie vom Vertragsabschluss Abstand genommen oder das Geschäft anders geschlossen hätte (4 Ob 113/01y). Ob die wahrheitswidrige Verneinung der Fragen nach den Vorschädigungen und Behandlungen hiebei als Nichtanzeige im Sinne des § 16 VersVG oder unrichtige Anzeige im Sinne des § 17 VersVG zu qualifizieren ist (vgl Voit aaO Rn 1 zu § 17), kann dahingestellt bleiben, weil sich ja hinsichtlich des Rücktrittsrechtes des Versicherers beide Regelungen in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen insoweit decken. Dass die nach dem Vorgesagten bewusst unrichtig gemachten Angaben geeignet waren, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt abzuschließen, einen Einfluss auszuüben und damit auch erheblich waren, folgt zwanglos aus den weiteren Feststellungen, wonach die beklagte Partei bei wahrheitsgemäßer Kenntnis im konkreten Fall den Versicherungsantrag des Klägers nicht angenommen hätte. Dass es sich bei den Leiden des Klägers um erhebliche Gefahrenumstände im Sinne des § 16 Abs 1 VersVG handelt, wird im Übrigen auch von diesem (in seiner Rekursbeantwortung) nicht ernsthaft in Abrede gestellt. Außerdem wird die Gefahrenerheblichkeit schon nach § 16 Abs 1 Satz 3 VersVG vermutet (SZ 52/65).

Damit kommt es aber auf die vom Berufungsgericht in seinem Aufhebungsbeschluss formulierten Feststellungsergänzungen zum Vorliegen des Versicherungsfalles nicht mehr entscheidend an. In Stattgebung des Rechtsmittels der beklagten Partei war daher das erstgerichtliche klageabweisende Urteil wieder herzustellen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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