OGH 1Ob148/01y

OGH1Ob148/01y26.6.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Johann B*****, und 2. Irene B*****, beide ***** vertreten durch Dr. Helmut Krenn, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 52.762,80 sA infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. Februar 2001, GZ 14 R 197/00v-10, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 11. August 2000, GZ 33 Cg 2/00g-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 4.465,12 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu bezahlen.

Text

Begründung

Am 28. 9. 1995 kam dem Klagevertreter, der die Kläger auch zu dieser Zeit vertrat, ein Schreiben zu, in dessen letztem Absatz dessen Verfasserin zum Schluss kam:

"Ergänzend wäre noch zu bemerken, dass wir unsere Garage offiziell von einem Meisterbetrieb machen lassen, der die Gesetze sicher kennt und nicht von diversen 'Pfuschern', mit denen die Familie B***** arbeitet."

Die Kläger erhoben daraufhin gegen die Verfasserin des Briefs vor dem Bezirksgericht Ebreichsdorf Privatanklage wegen übler Nachrede nach § 111 StGB. Im Strafverfahren wurde nicht festgestellt, dass sie tatsächlich "Pfuscher" beschäftigt hätten. Die Beschuldigte wurde vom Vorwurf der üblen Nachrede gemäß § 111 Abs 1 StGB freigesprochen; die Privatankläger wurden zur Zahlung der Kosten des Strafverfahrens verurteilt. In den Urteilsgründen wurde ausgeführt, die Beschuldigte sei langjährig in einem Büro beschäftigt gewesen und kenne den Ablauf in einem Büro, insbesondere auch das Öffnen und die Zugänglichkeit von einlangenden Poststücken. Sie habe daher gewusst, dass Poststücke nur dem Adressaten zur Kenntnis kämen. Sie habe nicht damit gerechnet, dass das Schreiben auch anderen Personen als dem Adressaten zur Kenntnis gelangen könnte. Daraus folgerte das Strafgericht erster Instanz in rechtlicher Hinsicht, dass die Beschuldigte nicht den Vorsatz gehabt habe, ihr Schreiben sollte in einer für Dritte wahrnehmbaren Weise jemand anderem als dem Adressaten zur Kenntnis gelangen. Die tatbildlichen Voraussetzungen des § 111 Abs 1 StGB iVm § 7 Abs 1 StGB seien nicht gegeben. Die Privatankläger (= Kläger) erhoben gegen dieses Urteil Berufung und führten darin unter anderem aus, "die ehrenrührigen Bezichtigungen seien brieflich direkt gegenüber" dem Klagevertreter "und damit gegenüber einer von beiden Privatanklägern verschiedenen Person erhoben" worden.

Das Landesgericht Wiener Neustadt wies die Berufung zurück. Verstehe man unter "Pfuscher" jemanden, der ohne ausreichende Qualifikation Arbeiten verrichte, dann werde den Privatanklägern kein moralisch unrichtiges Verhalten, wodurch ihre soziale Wertschätzung leide, vorgeworfen. Darin könne auch kein gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten erblickt werden. Verstehe man unter dem Begriff "Pfuscher" jemanden, der ohne Gewerbeberechtigung oder ohne Abführung von anfallenden Steuern für jemand anderen arbeite, dann sei "Pfuschen" nicht als unehrenhaftes Verhalten anzusehen, "das die Allgemeinheit als der Vorstellung vom moralisch Richtigen dermaßen zuwiderlaufend" empfinde, "dass die Wertschätzung des Betroffenen empfindlich beeinträchtigt" werde. Der Umstand allein, dass ein Verhalten bei Strafe verboten sei, sei nicht ausreichend, es als unehrenhaft zu qualifizieren. Es komme auf die "gemeinsamen Anschauungen der Allgemeinheit" und nicht auf "Gruppenansichten" an. Schwarzarbeit sei "dermaßen weit verbreitet", dass deswegen niemand "in der sozialen Wertschätzung" sinke "und sein Verhalten den Moralvorstellungen zuwiderlaufend bewertet" werde.

Die Kläger mussten auf Grund des Freispruchs der Angeklagten S 17.424 an Verfahrenskosten bezahlen; an Kosten ihres eigenen Vertreters hatten sie S 29.310 zu entrichten.

Am 17. 11. 1998 regten sie bei der Generalprokuratur die Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes an. Eine solche Beschwerde wurde nicht eingebracht, weil die Generalprokuratur die Ansicht vertrat, den beanstandeten Ausführungen der Rechtsmittelentscheidung käme keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu, obwohl sie rechtsunrichtig seien. Für diese Anregung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes hatten die Kläger S 6.028,80 an Kosten zu tragen.

Die Kläger begehrten den Ersatz der gesamten im Privatanklageverfahren aufgelaufenen Kosten von S 52.762,80 mit dem Vorbringen, die von den Gerichten im Anlassfall vertretenen Rechtsansichten seien unvertretbar gewesen. Der Klagevertreter sei eine von ihnen als Beleidigte verschiedene dritte Person; die Behauptung, "Pfuscher" zu beschäftigen, sei diskriminierend und herabsetzend.

Die beklagte Partei wendete vor allem ein, die dem Freispruch im Anlassverfahren zu Grunde liegenden Rechtsansichten seien jedenfalls vertretbar gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Vorwurf des "Pfuschens" oder des Beschäftigens von "Pfuschern" bedeute die Unterstellung der unbefugten Gewerbeausübung sowie der Beihilfe zur Abgabenhinterziehung. Die Auffassung, der Vorwurf der Beschäftigung von "Pfuschern" setze die Angegriffenen in der sozialen Wertschätzung sozial integrierter und wertbewusster Menschen nicht herab, weil derartige Beschäftigungen weit verbreitet seien, sei unvertretbar. Die Anregung an die Generalprokuratur, eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes einzubringen, sei trotz deren Erfolglosigkeit zweckmäßig gewesen.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Habe die dort Beschuldigte - wie im Anlassverfahren festgestellt - damit rechnen können, es werde nur der Adressat des Briefes und sonst niemand vom Inhalt des Schriftstücks Kenntnis erlangen, so sei die vom Strafgericht erster Instanz geäußerte Rechtsansicht vertretbar. Es sei aber auch "nicht anzunehmen, dass die Kläger im Ansehen ihres Rechtsvertreters in ihrer persönlichen Wertschätzung durch den inkriminierten Brief beeinträchtigt worden" seien und dass dieser die Vorwürfe weiter verbreitet hätte. Der Klagevertreter könne jenem Personenkreis zugezählt werden, der auf Grund des besonderen Vertrauensverhältnisses "die Bewertung seiner Klienten nicht von der Wertschätzung" deren Nachbarn abhängig mache. Es sei demnach vertretbar, ihn nicht als "Dritten" im Sinne des § 111 Abs 1 StGB anzusehen. Es sei aber auch die Rechtsmeinung des Berufungsgerichts im Anlassverfahren vertretbar. Allein der Umstand, dass ein Verhalten unter Strafsanktion stehe, reiche nicht aus, es als unehrenhaft zu qualifizieren. Nur Delikte der sogenannten "klassischen Kriminalität" berührten die Ehrenhaftigkeit, und der Vorwurf eines solchen Delikts könne der Vorwurf eines unehrenhaften Verhaltens sein. Die gegenüber den Klägern erhobenen Vorwürfe beträfen nicht den Kernbereich des Strafrechts, sodass die Ansicht, diese Vorwürfe setzten die Kläger in der Wertschätzung ihres sozialen Umfelds nicht herab und würden nicht als "stark anstößig" bzw unehrenhaft empfunden, vertretbar. Das in zweiter Instanz judizierende Strafgericht habe auch ausführlich dargelegt, wie es zu der ihm angelasteten Rechtsansicht gekommen sei. Rechtsprechung, ob der Vorwurf, "Pfuscher zu beschäftigen", den Tatbestand des § 111 Abs 1 StGB erfülle, sei nicht zur Verfügung gestanden. Schließlich habe die Anregung an die Generalprokuratur, eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu erheben, nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung gedient.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Kläger ist unzulässig.

Nach ständiger Rechtsprechung ist im Amtshaftungsprozess nicht wie in einem Rechtsmittelverfahren zu prüfen, ob die in Betracht kommende Entscheidung richtig war, sondern ob sie auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung beruhte. Sind gesetzliche Bestimmungen nicht vollkommen eindeutig, enthalten sie Unklarheiten über die Tragweite des Wortlauts und steht zudem eine höchstgerichtliche Rechtsprechung als Entscheidungshilfe nicht zur Verfügung, so kommt es darauf an, ob die getroffene Entscheidung bei pflichtgemäßer Überlegung als vertretbar bezeichnet werden kann. Nicht jede objektiv unrichtige Entscheidung einer Behörde zieht daher schon zwingend Amtshaftung nach sich (1 Ob 98/00v; SZ 71/98; SZ 68/133 uva; Schragel AHG2 Rz 147). Die Frage, ob eine Rechtsansicht als vertretbar angesehen werden kann, ist in jedem Einzelfall konkret zu prüfen und daher grundsätzlich von vornherein keiner Entscheidung zugänglich, die verallgemeinernde Wirkungen auf die Rechtsprechung haben könnte: Im Allgemeinen ist daher die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsansicht keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO, es sei denn, es läge eine krasse Fehlbeurteilung im angefochtenen Urteil vor. Davon kann aber nicht die Rede sein:

Für die Beurteilung, ob eine Äußerung ehrenbeleidigend ist, sind die strafrechtlichen Kriterien maßgeblich (MR 1991, 146). Bei § 111 StGB handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, wobei zwischen zwei alternativen Begehungsformen zu unterscheiden ist. Das Zeihen einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung (= Schmähung) bedeutet den Vorwurf eines erheblichen Charaktermangels. Das Unterstellen eines Mangels, der nicht geeignet ist, den Betroffenen der allgemeinen Verachtung preiszugeben, genügt nicht. Der Vorwurf eines bestimmten unehrenhaften oder gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens muss geeignet sein, den Angegriffenen in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen. Als unehrenhaft kann nur ein Verhalten bezeichnet werden, das der herrschenden Vorstellung vom moralisch Richtigen in einem Maße zuwiderläuft, dass die soziale Wertschätzung des Betroffenen darunter zu leiden hat. Gegen die guten Sitten verstößt jedes Verhalten, das dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. Unehrenhaft sind grundsätzlich nur vorsätzlich begangene Straftaten im Kernbereich des Strafrechts; bei strafbaren Handlungen aus dem Bereich des Nebenstrafrechts kommt es auf den Einzelfall an (Leukauf/Steininger, StGB3 Rz 1 f, 4, 7 bis 10 zu § 111; Foregger/Fabrizy, StGB7 Rz 8 zu § 111; Proske, Der strafrechtliche Ehrenschutz im Lichte des Entwurfs eines Mediengesetzes, in ÖJZ 1977, 1 [2]). Der Begriff der Unehrenhaftigkeit ist relativ, als ein und dasselbe Verhalten je nach Hinzutreten oder Fehlen zusätzlicher Momente unehrenhaft oder nicht unehrenhaft sein kann (Foregger in Wiener Kommentar zum StGB2 Rz 12 zu § 111). Der Umstand allein, dass ein Verhalten bei Strafe verboten ist, reicht nicht aus, es als unehrenhaft zu qualifizieren. Auch der mit den rechtlich geschützten Werten verbundene Mensch kann einmal, ohne dadurch diese Qualifikation zu verlieren, ein Gesetz übertreten (Foregger aaO Rz 16 zu § 111). Mit dem Vorwurf, eine gerichtlich strafbare Handlung begangen zu haben, wird gewiss die mangelnde Verbundenheit mit der Wertordnung der Gemeinschaft unterstellt. Diese mangelnde Wertverbundenheit muss aber keineswegs ehrenmindernd sein. Es wird sich dabei wohl stets um ein gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten handeln, allerdings nicht notwendig um ein solches, das geeignet ist, den Betroffenen in der Öffentlichkeit verächtlich zu machen oder herabzusetzen. Im Zuge der fortschreitenden Pluralisierung der Wertvorstellungen der Gesellschaft wird es gewiss auch immer schwieriger, zu bestimmen, was "unehrenhaft" oder "gegen die guten Sitten verstoßend" ist (Proske aaO).

Unter Bedachtnahme auf diese Lehrmeinungen, die das im Anlassverfahren tätig gewordene Berufungsgericht seiner ausführlich begründeten Entscheidung zu Grunde legte, ist es als vertretbar anzusehen, dass das inkriminierte Verhalten der Beschuldigten nicht als im Sinne des § 111 Abs 1 StGB tatbildmäßig beurteilt wurde. Eine krasse Fehlbeurteilung - die vom Obersten Gerichtshof aufgegriffen werden müsste - kann darin nicht erblickt werden. Es ist somit vertretbar, den Vorwurf, "Pfuscher" zu beschäftigen, nicht als das Zeihen eines erheblichen Charaktermangels anzusehen, also eines Mangels, der geeignet wäre, den Angegriffenen der allgemeinen Verachtung preiszugeben. Ebenso vertretbar ist es, das vom inkriminierten Vorwurf Umfasste nicht als unehrenhaftes oder gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten iS des § 111 StGB zu werten, weil dem Vorwurf nicht die Eignung innewohne, die Angegriffenen in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen. Die Revisionswerber verkennen die Tragweite der Entscheidung des Berufungsgerichts, soweit sie ausführen, dieses legitimiere mit seinem Urteil Arbeiten, die von gewerberechtlich nicht befugten Leuten durchgeführt würden, nicht über die entsprechenden Kenntnisse verfügten und nicht die notwendigen Haftpflichtversicherungen besäßen. Es trifft auch nicht zu, dass das Gericht zweiter Instanz Steuerhinterziehungen als nicht ehrenrührig qualifiziert und sogar "lobend hervorgehoben" habe. Dieses hat bloß betont, die im Anlassverfahren geäußerte Rechtsansicht könne als vertretbar angesehen werden, weil die Vorwürfe nicht den Kernbereich des Strafrechts beträfen und weil das den Klägern unterstellte Verhalten der herrschenden Meinung vom moralisch Richtigen nicht in einem Maße zuwider laufe, dass deren soziale Wertschätzung darunter zu leiden hätte.

Die Frage, ob die Ansicht des Strafgerichts erster Instanz im Anlassverfahren, der Vorsatz der Beschuldigten sei nicht darauf gerichtet gewesen, dass ihr Schreiben in einer für Dritte wahrnehmbaren Weise jemand anderem als dem Adressaten zur Kenntnis gelangte, als vertretbar beurteilt werden könnte, muss nicht weiter untersucht werden. Das Berufungsgericht im Anlassverfahren hat die Entscheidung des Gerichts erster Instanz nämlich aus anderen Gründen bestätigt und die Tatbildmäßigkeit des inkriminierten Vorwurfs verneint. Das hat aber jedenfalls zur Folge, dass die Kosten des Strafverfahrens von den Privatanklägern (= Klägern) getragen werden mussten. Durch die allenfalls unvertretbare Begründung des Strafurteils erster Instanz entstand den Klägern kein gemäß § 1 Abs 1 AHG ersatzfähiger Schaden.

Die Kläger zeigten keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung auf, weshalb die Revision zurückzuweisen ist. An den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Oberste Gerichtshof gemäß § 508a ZPO nicht gebunden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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