OGH 15Os44/01

OGH15Os44/0131.5.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Mai 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Mann als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr. Karin W***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB, AZ 9a E Vr 4214/99 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wider das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 16. Oktober 2000, AZ 18 Bs 265/00, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, der Angeklagten und ihres Verteidigers Dr. Mank zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 16. Oktober 2000, AZ 18 Bs 265/00, verletzt § 112 zweiter Satz StGB iVm § 473 Abs 2 StPO.

Dieses Urteil wird mit Ausnahme des Ausspruchs, dass die Worte "Verletzung der ärztlichen Ethik dadurch" in der angeordneten Urteilsveröffentlichung zu entfallen haben, aufgehoben und es wird dem Oberlandesgericht Wien die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe aufgetragen.

Text

Gründe:

Dr. Karin W***** wurde auf Grund einer Privatanklage des DDr. Michael Wa***** mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. April 2000, GZ 9a E Vr 4214/99-28, des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt und deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt; gemäß § 34 Abs 1 (gemeint:) MedienG wurde auf Veröffentlichung des Urteils in den Zeitungen "Die Presse" und "Wiener Zeitung" erkannt.

Danach hat sie am 1. April 1999 in Wien durch die Erklärung im Rahmen einer Pressekonferenz, der Privatankläger mache keine Visiten, er habe einen Patienten geohrfeigt, er habe Kollegen (laut US 6: eine Kollegin) geohrfeigt, wobei diese Äußerungen in den Ausgaben der Zeitungen "Die Presse" am 2. April 1999 und "Wiener Zeitung" vom selben Tag veröffentlicht wurden, den Privatankläger gegenüber Medien unehrenhafter und gegen die guten Sitten verstoßender Verhaltensweisen geziehen, die geeignet sind, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen und herabzusetzen.

Das Erstgericht hat den Wahrheitsbeweis für zulässig, auf Grund der Ergebnisse des Beweisverfahrens aber nicht als gelungen erachtet.

Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 16. Oktober 2000, AZ 18 Bs 265/00 (GZ 9a E Vr 4214/99-36 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien), wurde der Berufung der Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das oben bezeichnete Urteil mit der Maßgabe des Entfalls der im Spruch angeführten Worte in der angeordneten Urteilsveröffentlichung nicht Folge gegeben.

In seiner Begründung führte das Berufungsgericht ua aus, dass hinsichtlich der der Angeklagten vorgeworfenen Äußerungen, der Privatankläger habe einen Patienten und Kollegen geohrfeigt, der Wahrheitsbeweis nach § 112 zweiter Satz StGB ausgeschlossen sei. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes bzw. den Ergebnissen des Beweisverfahrens stehe ein vom Privatankläger begangenes Offizialdelikt (§§ 83, 92 StGB), auch in Form des Versuches, nicht in Rede, sondern eine (bloß) dem § 115 StGB zu subsumierende Misshandlung, die aber nur auf Verlangen eines Dritten verfolgt werden könne.

Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts richtet sich die vom Generalprokurator erhobene Wahrungsbeschwerde gemäß § 33 StPO mit folgender Begründung:

1./ Nach § 111 Abs 1 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen, wer einen anderen in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung zeiht oder eines unehrenhaften oder eines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, das geeignet ist, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen. Wer die Tat in einem Druckwerk, im Rundfunk oder sonst auf eine Weise begeht, wodurch die üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, ist nach Abs 2 mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Nach Abs 3 ist der Täter nicht zu bestrafen, wenn die Behauptung als wahr erwiesen wird, im Fall des Abs 1 auch dann nicht, wenn Umstände erwiesen werden, aus denen sich für den Täter hinreichende Gründe ergeben haben, die Behauptung für wahr zu halten.

Der Wahrheitsbeweis und der Beweis des guten Glaubens sind in § 112 StGB näher geregelt. Nach dem zweiten Satz dieser Gesetzesstelle sind diese Beweise über Tatsachen des Privat- oder Familienlebens und über strafbare Handlungen, die nur auf Verlangen eines Dritten verfolgt werden, nicht zuzulassen. Der Beweisausschluss bei von Privatanklagedelikten umfassten Sachverhalten bezweckt den Schutz des Dispositionsrechtes der zur Privatanklage berechtigten Person (EBRV 1971, 246; Leukauf/Steininger Komm3 § 12 KN 6).

Nach § 136 Abs 1 ÄrzteG 1998 machen sich Ärzte eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn sie im Inland oder im Ausland 1. das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft durch ihr Verhalten der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen gegenüber beeinträchtigen oder 2. die Berufspflichten verletzen, zu deren Einhaltung sie sich anlässlich der Promotion zum Doctor medicinae universae oder zum Doctor medicinae dentalis verpflichtet haben oder zu deren Einhaltung sie nach diesem Bundesgesetz oder nach anderen Vorschriften verpflichtet sind. Gemäß Abs 5 wird die disziplinäre Verfolgung nicht dadurch ausgeschlossen, dass der dem angelasteten Disziplinarvergehen zugrunde liegende Sachverhalt einen gerichtlichen Straftatbestand oder einen Verwaltungsstraftatbestand bildet. Nach Abs 7 genügt für die Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten (§ 6 StGB), soweit im ÄrzteG 1998 nicht anderes bestimmt ist.

Gemäß § 140 Abs 1 ÄrzteG 1998 erkennt der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer in erster Instanz über Disziplinarvergehen. Er schreitet nach § 145 Abs 5 erster Satz ÄrzteG 1998 von Amts wegen ein, sobald er von dem Disziplinarvergehen eines Arztes Kenntnis erhält.

2./ Nach den Feststellungen des Erstgerichtes war der Privatankläger Primarius und ärztlicher Leiter des Institutes "H***** der Barmherzigkeit". Bei einer von der Ärztekammer veranstalteten Pressekonferenz zu verschiedenen Vorfällen in diesem Haus äußerte die Angeklagte ua, er habe einen Patienten und eine Kollegin geohrfeigt (Ersturteil S 6).

Damit warf die Angeklagte dem Privatankläger Verfehlungen vor, die jedenfalls als Disziplinarvergehen nach § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG 1998 zu ahnden wären, unabhängig davon, ob sie auch einen gerichtlichen Straftatbestand oder einen Verwaltungsstraftatbestand erfüllen (§ 136 Abs 5 ÄrzteG 1998).

Soweit ein eintätiges Zusammentreffen dieses Disziplinarvergehens mit dem Vergehen der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB in Betracht kommt, vermag die Eigenschaft des Letzteren als Privatanklagedelikt den Wahrheitsbeweis im Strafverfahren gegen die Angeklagte wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB nicht auszuschließen. § 112 zweiter Satz StGB sieht die Unzulässigkeit des Wahrheitsbeweises und des Beweises des guten Glaubens nämlich nur über strafbare Handlungen vor, die nur auf Verlangen eines Dritten verfolgt werden. Eine Aussage dahin, ob unter dem Begriff der strafbaren Handlung nur eine vom Gericht zu bestrafende oder auch Disziplinarvergehen und Verwaltungsübertretungen zu verstehen sind, trifft das Gesetz nicht.

Im Sinne einer teleologischen Reduktion der die Strafbarkeit ausdehnenden Regelung des § 112 zweiter Satz StGB darf der Wahrheitsbeweis bzw der Beweis des guten Glaubens jedoch dann nicht ausgeschlossen sein, wenn das vorgeworfene Verhalten - unabhängig von seiner Strafbarkeit als gerichtliches Privatanklagedelikt - auch von einer Standes- oder Verwaltungsbehörde von Amts wegen geahndet werden kann. Denn in einem solchen Fall ist das von § 112 zweiter Satz StGB geschützte Dispositionsrecht der zur Privatanklage berechtigten Person nicht beeinträchtigt.

3./ Im Übrigen hat das Berufungsgericht die Äußerung der Angeklagten, der Privatankläger habe einen Patienten und eine Kollegin geohrfeigt, als Vorwurf eines Privatanklagedeliktes (ersichtlich des Vergehens der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB) beurteilt (Berufungsurteil S 9 iVm S 8), obwohl keine tatsächlichen Feststellungen zu den Publizitätserfordernissen dieser strafbaren Handlung vorlagen.

Der Oberste Gerichtshof hat hiezu erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 112 zweiter Satz StGB sind ua über strafbare Handlungen, die nur auf Verlangen eines Dritten verfolgt werden, der Wahrheitsbeweis und der Beweis des guten Glaubens iSd § 112 erster Satz (§ 111 Abs 3) StGB nicht zuzulassen.

Sowohl aus der systematischen Bestimmung des § 17 StGB ("Einteilung der strafbaren Handlungen") wie auch aus der die Anklägerkompetenzen regelnden prozessualen des § 2 StPO ergibt sich bei der österreichischen Rechtspraxis entsprechender Auslegung des § 112 zweiter Satz StGB nach seinem Wortlaut, Sinnzusammenhang und seiner Stellung im Verhältnis zu den übrigen strafgesetzlichen Vorschriften (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 1 RN 12 ff), dass unter einer "strafbaren Handlung" iS dieser Gesetzesstelle (wie in jedem Fall der Verwendung dieses Begriffs im StGB) eine gerichtlich strafbare Handlung (§ 17 StGB), demnach unter einer "strafbaren Handlung, die nur auf Verlangen eines Dritten verfolgt wird", jedes Privatanklagedelikt (§ 2 Abs 2 erster Satz StPO) zu verstehen ist, dessen Klageberechtigter weder der Beleidiger noch der Beleidigte ist (so im Ergebnis auch Foregger in WK2 Rz 17, Leukauf/Steininger Komm3 RN 4, Kienapfel BT I4 RN 16, je zu § 112). Für eine zu einer teleologischen Reduktion des letztgenannten Terminus führende Ausweitung des Begriffs "strafbare Handlung" auf nach anderen Bestimmungen (wie des Verwaltungs- oder Disziplinarrechts) sanktionierbares Verhalten besteht daher kein Raum.

Die Rechtsansicht des Oberlandesgerichts, dass die vom Erstgericht festgestellte Äußerung den Vorwurf eines Privatanklagedelikts beinhalte und deshalb der Wahrheitsbeweis ausgeschlossen sei, steht jedoch - im Ergebnis im Sinne der Nichtigkeitsbeschwerde, jedoch aus anderen Gründen - ungeachtet dessen mit dem Gesetz nicht in Einklang.

Ob für die Richtigkeit einer den Vorwurf eines unehrenhaften oder gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beinhaltenden Äußerung der Wahrheitsbeweis zulässig ist, richtet sich nach dem Bedeutungsinhalt der inkriminierten Behauptung. Dieser ist vorweg (anhand des Wortlauts, des Kontexts und des allfälligen Vor- oder Begleitwissens des Durchschnittsempfängers der Äußerung) zu prüfen. Der Wahrheitsbeweis ist gem § 112 StGB nämlich nur aufzunehmen, wenn sich der Täter auf die Richtigkeit der Behauptung beruft, und über (demnach zu ergänzen: behauptete) strafbare Handlungen, die nur auf Verlangen eines Dritten verfolgt werden, (von vornherein) nicht zuzulassen. Dabei hat sich das Thema des Wahrheitsbeweises zum Inhalt des tatbestandsmäßigen Vorwurfs, der den Gegenstand des Verfahrens bildet, kongruent zu verhalten; dies betrifft die wesentlichen Umständes eines Vorwurfs, nicht aber unwesentliche Begleitumstände (MR 1994, 61; MR 1999, 68).

Nicht mit Körperverletzung verbundene (§ 83 Abs 1 und 2 StGB) oder mit Verletzungsvorsatz zugefügte (§§ 15, 83 Abs 1 StGB) Misshandlungen stellen nur in jenen Sonderfällen Privatanklagedelikte nach § 115 StGB dar, in denen sie öffentlich oder vor mehreren Leuten begangen wurden (Foreggerin WK2 § 115 Rz 2). Nur in jenen Fällen, in denen der Vorwurf einer Misshandlung den Bedeutungsinhalt einer dadurch öffentlich oder vor mehreren Leuten begangenen Beleidigung trägt (wobei entgegen der vom Oberlandesgericht [US 8] und Nichtigkeitsbeschwerde [Punkt 3./] vertretenen Meinung einer allfälligen tatsächlichen Publizität der vorgeworfenen Misshandlungen für diese Frage keine Bedeutung zukommt), ist somit der Wahrheitsbeweis ausgeschlossen.

Hievon kann aber im konkreten Fall nach den Urteilsfeststellungen erster Instanz nicht die Rede sein, handelt es sich danach doch dem - vom Erstrichter mit den Formulierungen "Verletzung der ärztlichen Ethik" und "Disqualifikation als Mensch und Arzt" (US 9) zum Ausdruck gebrachten - Bedeutungsinhalt nach ersichtlich um den gegen einen Primarius und ärztlichen Leiter gerichteten (bloßen) Vorwurf des durch Schlagen eines Patienten und einer Kollegin (unabhängig von einer allfälligen Öffentlichkeit) begangenen Verstoßes gegen sein Berufsethos, während der vom Oberlandesgericht unterstellte Bedeutungsinhalt des Vorwurfs einer öffentlich oder vor mehreren Leuten begangenen Beleidigung in den erstrichterlichen Konstatierungen keine Grundlage findet. Der Bedeutungsinhalt einer Äußerung ist Tat- und nicht Rechtsfrage (Mayerhofer StPO4 § 281 E 46, EvBl 1998/71), sodass die nicht auf Basis des Tatsachensubstrats des Ersturteils und ohne Beweiswiederholung erfolgte rechtliche Beurteilung des Gerichtshofs zweiter Instanz schon prozessual verfehlt war (§ 473 Abs 2 StPO).

Ausgehend vom im Ersturteil festgestellten Bedeutungsinhalt liegt aber nicht der Vorwurf einer Beleidigung iSd § 115 StGB (ebenso wenig wie der einer [versuchten] Körperverletzung), sondern jener eines sonstigen unehrenhaften oder gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens vor, sodass - wie vom Erstgericht zutreffend beurteilt - der Wahrheitsbeweis zulässig war.

Bei richtiger Beurteilung wäre der Gerichtshof zweiter Instanz daher verhalten gewesen, sich mit den Berufungsargumenten zum Wahrheitsbeweis (nicht nur in Bezug auf den Vorwurf des Unterlassens von Visiten - diesbezüglich ist das Berufungsurteil rechtsfehlerfrei - sondern auch hinsichtlich der behaupteten Ohrfeigen) auseinander zu setzen.

Das Urteil des Oberlandesgerichts verletzt somit § 112 zweiter Satz StGB iVm § 473 Abs 2 StPO. Da nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass eine inhaltliche Prüfung des entsprechenden Rechtsmittelvorbringens zu einer für die Angeklagte günstigeren Entscheidung geführt hätte, war das Urteil zweiter Instanz (mit Ausnahme des im Spruch bezeichneten, die Angeklagte begünstigenden Teils) aufzuheben und dem Oberlandesgericht Wien die neuerliche Entscheidung über die Berufung aufzutragen (§ 292 letzter Satz StPO).

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